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Frühe Verbindungen zwischen Wissenschaft und (bildender) Kunst

Text: Till Bödeker und Peter Tepe | Bereich: Allgemeines zu „Kunst und Wissenschaft“

Übersicht: w/k lädt Kunsthistoriker*innen ein, die historischen Verbindungen zwischen Wissenschaft und bildender Kunst zu erforschen, um die vorherrschende Fokussierung auf zeitgenössische um frühere Beispiele zu erweitern. Zunächst werden eine Reihe von bereits publizierten Beiträgen aufgeführt, die frühere Verbindungen zwischen Wissenschaft und Kunst beleuchten, um dann einen strukturierten Ansatz zur Kategorisierung solcher Verbindungen vorzustellen.

w/k befasst sich mit den Verbindungen oder Schnittstellen zwischen Wissenschaft und Kunst, wobei die bildende Kunst im Zentrum des Interesses steht. Wie die Entwicklung der Beiträge seit 2016 zeigt, finden Beispiele der Gegenwartskunst die meiste Beachtung. Durch Bildung der Sektion Frühe Verbindungen zwischen Wissenschaft und (bildender) Kunst will die Redaktion die historische Aufarbeitung stärken und dem engen Fokus auf aktuelle Beispiele entgegenwirken. Insbesondere Kunsthistorikerinnen und -historiker sind eingeladen, in w/k entsprechende Artikel zu veröffentlichen. Einige Leitfragen für historische Aufarbeitungen:

  • Gab es zu einer bestimmten Zeit – etwa in den 1960er Jahren – Verbindungen zwischen Wissenschaft und (bildender) Kunst? Wenn ja, welche Wissenschaften, Kunstströmungen, Individuen waren daran beteiligt?
  • Welche Leitfiguren sind neben Leonardo da Vinci als historische Ankerpunkte in der Diskussion aktueller für w/k relevanter Entwicklungen und Krisen anzusehen?

Zuordnung einiger w/k-Beiträge zur neuen Sektion

Es gibt bereits einige w/k-Beiträge zu frühen Verbindungen zwischen Wissenschaft und (bildender) Kunst, die wir nachfolgend auflisten. Wir ordnen sie in zeitlicher Reihenfolge danach, in welchem Jahrzehnt die W(issenschaft)-K(unst)-Verbindungen bei einem Individuum zuerst auftreten. Da die jeweils vorliegenden W-K-Verbindungen in den leicht zugänglichen Artikeln genauer bestimmt werden, begnügen wir uns in der Übersicht mit wenigen allgemein gehaltenen Aussagen.

Um 1900

1950er Jahre

1960er Jahre

1970er Jahre

  • Karl Otto Götz als WissenschaftlerDer Maler Karl Otto Götz arbeitete in den 1970er Jahren auch als empirischer Wissenschaftler auf dem Gebiet der Wahrnehmungs- und Persönlichkeits-Psychologie und entwickelte einen Test zur ästhetischen Präferenz – den Visual Aesthetic Sensitivity Test (VAST). Weitere Beiträge über Götz als Psychologe und Grenzgänger hier.

1980er Jahre

Arbeitsmöglichkeiten für die historische Forschung

Unser Artikel richtet sich primär an Kunsthistorikerinnen und Kunsthistoriker, aber auch an Wissenschaftshistorikerinnen und -historiker, die daran interessiert sind, frühere W-K-Verbindungen zu untersuchen. Weibliche Beispiele sind die englische Botanikerin und Fotografin Anna Atkins (1799–1871), die als erste Person gilt, die Fotografien zur wissenschaftlichen Dokumentation von Pflanzen einsetzte, oder Agnes Denes (*1931), die ökologische Fragestellungen aufgriff und mit Wissenschaftlern zusammenarbeitete, um die Umweltauswirkungen von Landnutzung und Urbanisierung zu thematisieren.

Um die verschiedenen künstlerischen  Praxen auf eine vergleichbare Weise einzuordnen, unterscheiden wir gegenwärtig sieben W-K-Verbindungen, die im nächsten Absatz vorgestellt werden. Auf theoretischer Ebene können bei Bedarf zusätzliche Verbindungsformen hinzugefügt werden, und bei den Definitionen ist jederzeit eine Weiterentwicklung durch Präzisierung möglich. Bei jeder Verbindungsform kann nun – und das ist der neue Akzent – gezielt nach frühen Formen gesucht werden.

Die W-K-Verbindungen mit den aktuellen Definitionen

Hinsichtlich der W-K-Verbindungen 1–3 stützen wir uns auf 5 Jahre w/k: Was bisher geschah. Teil I.

1. Wissenschaftsbezogene Kunst

Wissenschaftsbezogene Kunst liegt vor, wenn eine Künstlerin oder ein Künstler im Arbeitsprozess auf Theorien und/oder Methoden und/oder Ergebnisse dieser oder jener Wissenschaft zurückgreift. Die Wissenschaftsrezeption findet dabei stets im Rahmen eines individuellen Kunstprogramms statt, das Teil einer größeren Kunstströmung sein kann, aber nicht muss.

Der Begriff der wissenschaftsbezogenen Kunst ermöglicht eine einfache und leicht nachvollziehbare Strukturierung des großen Feldes Kunst und Wissenschaft:

  • Im Prinzip kann es zu jeder Wissenschaft spezifische Formen wissenschaftsbezogener Kunst geben, welche auf den jeweiligen Entwicklungsstand dieser Disziplin reagieren.
  • Aus dem Begriff der wissenschaftsbezogenen Kunst können, wenn man die einzelnen Wissenschaften ins Auge fasst, speziellere Begriffe abgeleitet werden, z.B. die der mathematik-, physik, chemie-, biologie-, ökologie-, soziologie-, philologie-, philosophiebezogenen Kunst.
  • Darüber hinaus kann auf einer allgemeineren Ebene zwischen naturwissenschaftsbezogener und geistes– bzw. kulturwissenschaftsbezogener Kunst unterschieden werden.
  • Bei der näheren Bestimmung dieser einzelnen Kunstformen kann wie bei der Definition der wissenschaftsbezogenen Kunst vorgegangen werden: Mathematikbezogene Kunst etwa liegt vor, wenn eine Künstlerin oder ein Künstler im Arbeitsprozess auf Theorien und/oder Methoden und/oder Ergebnisse der Mathematik zurückgreift.

Option: Frühe Formen der wissenschaftsbezogenen Kunst im Allgemeinen und z.B. der ökologiebezogenen Kunst im Besonderen können von Kunsthistorikerinnen und -historikern untersucht werden. Insbesondere bei denjenigen Individuen, die sowohl wissenschaftlich als auch künstlerisch tätig sind – in w/k werden sie als Grenzgänger bezeichnet; dazu später mehr  – kann es sich auch als ergiebig erweisen, zunächst bei den jeweiligen wissenschaftlichen Aktivitäten anzusetzen und diese wissenschaftshistorisch einzuordnen.

2. Technik- bzw. technologiebezogene Kunst

Technikbezogene Kunst im weiteren Sinn liegt vor, wenn eine Künstlerin oder ein Künstler im Arbeitsprozess auf diese oder jene ältere Technik zurückgreift. Technikbezogene Kunst im engeren und für w/k relevanten Sinn liegt vor, wenn eine Künstlerin oder ein Künstler im Arbeitsprozess auf diese oder jene neuartige Technik zurückgreift. Eine Kunst, die beispielsweise eine ältere Technik wie das Weben verwendet, gehört zur technikbezogenen Kunst im weiteren Sinn, eine Kunst, die sich neuer Formen der Medientechnik bedient, hingegen zur technikbezogenen Kunst im engeren Sinn.

Die Technikrezeption findet dabei stets im Rahmen eines individuellen Kunstprogramms statt, das Teil einer größeren Kunstströmung sein kann, aber nicht muss. Da hierfür in vielen Texten auch das Wort „Technologie“ benutzt wird, schlagen wir vor, auf einer allgemeinen Ebene die Wortverbindungen technikbezogene Kunst und technologiebezogene Kunst gleichbedeutend zu verwenden.

Zwei Formen der technik- bzw. technologiebezogenen Kunst im engeren Sinn sind zu unterscheiden:

Form 1: Eine neue Technik – wie z.B. die Videokamera, die Drohne – wird in der bildenden Kunst künstlerisch genutzt. Daraus entstehen künstlerische Videofilme, Drohnenbilder usw. Vergleichbares geschieht in den anderen Kunstformen, z.B. in der Musik.

Form 2: Eine neue Technik wird in der bildenden Kunst thematisiert, aber nicht selbst genutzt. Beispiel:

Technik- bzw. technologiebezogene Kunst kann zugleich wissenschaftsbezogen sein. So wird in der Space Art/Astronomical Art nicht nur auf die Technik bzw. Technologie der Raumfahrt, sondern auch auf Erkenntnisse der Physik zurückgegriffen. Zu unterscheiden ist daher zwischen Kunst, die primär oder sogar ausschließlich technikbezogen ist, und Kunst, bei welcher der Technik- mit einem Wissenschaftsbezug verbunden ist.

Option: Kunsthistorikerinnen und -historiker können sich gezielt mit frühen Formen der technologiebezogenen Kunst befassen. Ergänzende Technik- und wissenschaftshistorische Fragestellungen kommen als Erweiterungsmöglichkeit hinzu.

3. Kooperationen zwischen Wissenschaft, Technik und Kunst

Wir unterscheiden gegenwärtig fünf Kooperationsformen:

Form 1: Eine Künstlerin oder ein Künstler arbeitet mit Wissenschaftlern/Technikern/Firmen zusammen, um bestimmte künstlerische Ziele verwirklichen zu können.

Form 2: Bildende Künstlerinnen und Künstler übernehmen im Rahmen eines größeren wissenschaftlichen Forschungsprojekts besondere Aufgaben.

Form 3: Künstlerinnen und Künstler beteiligen sich an der Umgestaltung von Institutionen und Organisationen.

Form 4: Künstlerinnen und Künstler beteiligen sich an transdisziplinären Projekten. Wolfgang Krohn nennt als Beispiel „die Erschaffung neuer Seen in einer Landschaft, die durch Braunkohletagebau tiefschürfend verändert worden ist und nun durch Gewässer, die es dort nie gegeben hat, ökologisch und ökonomisch saniert werden soll“. Wir sprechen hier von Gestaltungsprojekten besonderer Art.

Form 5: Wissenschaftler und Techniker übernehmen im Rahmen eines größeren künstlerischen Gestaltungsprojekts besondere Aufgaben. Große Installationen realisierende Künstlerinnen und Künstler (wie etwa Christo und Jean Claude) können Wissenschaftler beschäftigen, um bestimmte Erkenntnisprobleme, die im Gestaltungsprozess auftreten, zu bewältigen.

Zu differenzieren ist dabei zwischen Künstlerinnen und Künstlern, die Kunstphänomene hervorbringen, und solchen, die sich in anderen Lebensbereichen engagieren und primär einen Beitrag zur Lösung der bereichsspezifischen Probleme liefern.

Option: Frühe Kooperationen zwischen Wissenschaft, Technik und Kunst können zum Gegenstand historischer Forschung werden – eventuell ergänzt durch wissenschafts- und technikhistorische Fragestellungen.

Die W-K-Verbindungen 4–6 werden behandelt in 5 Jahre w/k: Was bisher geschah. Teil II.

4. Grenzgänger zwischen Wissenschaft und Kunst

Als Grenzgänger werden in w/k diejenigen Individuen bezeichnet, welche sowohl wissenschaftlich als auch künstlerisch tätig sind. Darüber hinaus gibt es Grenzgänger zwischen Wissenschaft, Technik und Kunst.

  • Die Kunst, die ein Grenzgänger macht, ist häufig wissenschaftsbezogene Kunst, aber das ist nicht immer der Fall. Karl Otto Götz ist ein Beispiel dafür.
  • Bezogen auf die Entwicklung eines bestimmten Individuums kann erst dann von einem Grenzgänger gesprochen werden, wenn das Stadium eigenständiger wissenschaftlicher Arbeit erreicht ist.
  • Als Grenzgänger auf der Ebene des Studiums kann eine Person bezeichnet werden, die sowohl eine künstlerische als auch eine wissenschaftliche Disziplin studiert. Darüber hinaus sind Mischformen möglich: Eine eigenständig arbeitende Künstlerin schreibt zusätzlich an einer wissenschaftlichen Doktorarbeit; ein eigenständig arbeitender Wissenschaftler absolviert zusätzlich eine künstlerische Ausbildung usw.

Option: In der kunst- und der wissenschaftshistorischen Forschung kann gezielt nach frühen Grenzgängern gesucht werden.

5. Kunstbezogene Wissenschaft

Kunstbezogene Wissenschaft liegt vor, wenn eine Wissenschaftlerin oder ein Wissenschaftler in der Lehre, der Forschung, den Fachpublikationen auf künstlerische Konzepte und/oder Methoden und/oder Ergebnisse zurückgreift. Der kunstbezogen vorgehende Wissenschaftler kann als Spiegelbild des wissenschaftsbezogen arbeitenden Künstlers betrachtet werden. In w/k ist dieser Bereich bislang nur durch den Herausgeber vertreten.

Sowohl bei den wissenschaftsbezogenen Künstlerinnen und Künstlern als auch bei den kunstbezogenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern treten erstens Grenzgänger und zweitens Kooperationen zwischen mindestens einem Künstler und mindestens einem Wissenschaftler auf.

Option: Nach frühen Formen der kunstbezogenen Wissenschaft kann gezielt gesucht werden.

6. Künstlerische Forschung  

Peter Tepe und Till Bödeker bilden bezogen auf das Thema Künstlerische Forschung (KF) seit 2022 ein Team.[1] Sie unterscheiden drei Diskurse: künstlerische Forschung erstens als bildungspolitisches Konzept, zweitens als Kunsttheorie und drittens als Programmatik, der einzelne Künstlerinnen und Künstler in ihrer Praxis folgen. Kurz zum bildungspolitischen Diskurs. Einen zentralen Stellenwert hat der Begriff der künstlerischen Forschung im Kontext des Bologna-Prozesses erlangt, dessen Hauptziel es war, die gestuften Studiengänge – Bachelor, Master, Promotion – europaweit einzuführen, und zwar nicht nur an Universitäten, sondern auch an Kunsthochschulen. Bei der Umstrukturierung der Kunsthochschulen war und ist bei vielen die Überzeugung leitend, dass nicht nur Wissenschaftler forschen und Erkenntnisse erlangen, sondern auch Künstler – wenngleich auf andere Weise als Wissenschaftler.

Bei den KF-Theorien, welche als Kunsttheorien einzuordnen sind, lassen sich zwei Gruppen unterscheiden: KF wird von der einen Gruppe betrachtet als etwas, was von Kunst anderer Art abgrenzbar ist, während die andere die Forschung als Bestandteil aller Kunstproduktion sieht. Beide Grundpositionen, die einander logisch ausschließen, werden in mehreren Varianten vertreten.

Künstlerinnen und Künstler, die sich der künstlerischen Forschung zuordnen, verstehen Unterschiedliches darunter, z.B. Recherchen bestimmter Art zu unternehmen, über die Prämissen der eigenen künstlerischen Tätigkeit nachzudenken, nach einer bestimmten Methode vorzugehen (die etwa fordert, die künstlerische Arbeit stets mit der Produktion reflektierender Texte zu verbinden). In der Kunstpraxis sind also mehrere KF-Verständnisse wirksam, die auf der wissenschaftlichen Ebene genauer bestimmt und voneinander abgegrenzt werden können.

Bei Klärungsversuchen zeigt sich nun, dass sich die von einzelnen Künstlerinnen und Künstlern betriebene künstlerische Forschung in einigen Fällen genauer bestimmen lässt – etwa als

  • wissenschaftsbezogene Kunst,
  • kunstbezogene Wissenschaft,
  • Kooperation zwischen Wissenschaft und Kunst gemäß dieser oder jener Kooperationsform.

Da die genauere Bestimmung auf wissenschaftlicher Ebene stets vorzuziehen ist, gelten z.B. die obigen Ausführungen über wissenschaftsbezogene Kunst auch für diejenigen KF-Formen, welche sich der wissenschaftsbezogenen Kunst zuordnen lassen. Im Blick zu behalten ist die Frage, ob es Formen der als künstlerische Forschung begriffenen Kunstpraxis gibt, die sich nicht in die in den Abschnitten 1–5 behandelten Gruppen einordnen lassen.

Option: Kunsthistorikerinnen und -historiker können gezielt nach frühen Formen der künstlerischen Forschung suchen und dabei von den vorgeschlagenen Differenzierungen profitieren (siehe w/k-Beiträge zur künstlerischen Forschung).

7. Strukturverwandtschaft zwischen der wissenschaftlichen und der künstlerischen Tätigkeit

Die siebte W-K-Verbindung ist von Peter Tepe im Beitrag Strukturverwandt & philosophiebezogen eingeführt worden. Eine solche Strukturverwandtschaft liegt vor, wenn sich die künstlerische Arbeitsweise an einer bestimmten Technik der Herstellung wissenschaftlicher Texte orientiert.

Option: Die Frage, ob es noch andere frühe Formen einer solchen Strukturverwandtschaft gibt, eröffnet eine weitere Möglichkeit kunsthistorischer Forschung.

Die einzelnen W-K-Verbindungen können isoliert auftreten, aber auch kombiniert werden: So kann z.B. eine Künstlerin, die physikbezogene Kunst macht, mit Wissenschaftlern/Technikern/Firmen kooperieren und das, was sie tut, als künstlerische Forschung begreifen (Kombination von 1, 3 und 6). Daraus ergibt sich die kunsthistorische Option, gezielt nach frühen Formen einer bestimmten Kombination zu suchen. 


[1] Die Reihe Über Konzepte der künstlerischen Forschung, die im Mythos-Magazin erscheint, wird von Lieferung 6 an gemeinsam fortgesetzt. Deren Veröffentlichung wird voraussichtlich im Sommer 2023 erfolgen.

Beitragsbild über dem Text: Anna Atkins: Dictyota dichotoma (1849/50). Foto/Cyanotypie: Spencer Collection, The New York Public Library.

Zitierweise

Till Bödeker & Peter Tepe (2023): Frühe Verbindungen zwischen Wissenschaft und (bildender) Kunst. w/k - Zwischen Wissenschaft & Kunst. https://doi.org/10.55597/d18252

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