Till Bödeker und Peter Tepe | Bereich: Künstlerische Forschung
Übersicht: Von Lieferung 6 an wird die Reihe Über Konzepte der künstlerischen Forschung von Till Bödeker und Peter Tepe gemeinsam fortgesetzt. Hier ziehen sie die theoretische Summe aus ihren bisherigen – im Mythos-Magazin und in w/k erschienenen – Beiträgen zum Thema.
Die Reihe Über Konzepte der künstlerischen Forschung setzen wir von Lieferung 6 an gemeinsam fort. Wir ziehen die theoretische Summe aus unseren bisherigen – im Mythos-Magazin und in w/k veröffentlichten – Überlegungen zur KF (für die Wortverbindung „künstlerische Forschung“ führen wir dieses Kürzel ein) und nutzen dabei auch die w/k-Beiträge anderer zum Thema. Ziel ist es, eine Würdigungs- und Kritikstrategie vorzulegen, die auf alle KF-Konstellationen anwendbar ist. Der ausführliche Theorietext ist zeitgleich im Mythos-Magazin erschienen und hier zugänglich.
Die Argumentationen in KF-Texten ordnen wir drei Diskursen zu. In Diskurs 1 steht KF für eine Reform der Ausbildung an Kunsthochschulen; einige dieser KF-Konzepte plädieren für die Einrichtung künstlerischer Doktoratsstudien. In Diskurs 2 wird eine mit wissenschaftlichem Anspruch auftretende Theorie der künstlerischen Forschung vertreten, welche die KF z.B. als Kunst bestimmter Art betrachtet, die sich von Kunst anderer Art abgrenzen lässt. In Diskurs 3 werden die Positionen einzelner Künstlerinnen und Künstler, die sich der KF zuordnen, genauer bestimmt.
Wir befassen uns hauptsächlich mit Diskurs 2 und nehmen eine kritische Prüfung der hier einzuordnenden Thesen und Argumente vor. Die ausführlichen Kommentare und deren w/k-Zusammenfassungen dokumentieren unsere inhaltlichen Auseinandersetzungen mit relevanten Positionen der KF. Der Theorietext enthält – als die Diskussion erleichternder Extra-Service – die w/k-Zusammenfassungen unserer längeren Kommentare, nach denen somit nicht einzeln gesucht werden muss.
Bezogen auf Diskurs 1 sind wir nur bestrebt, mehrere hochschulpolitische KF-Konzepte herauszuarbeiten und voneinander abzugrenzen. Wir votieren nicht für ein bestimmtes Konzept dieser Art und begrüßen es, dass an verschiedenen Kunsthochschulen unterschiedliche Reformideen ausprobiert werden. Eine in Diskurs 2 formulierte Kritik kann allerdings auch, wie die Kommentare zeigen, für ein hochschulpolitisches KF-Konzept relevant sein.
Bezogen auf Diskurs 3 gehen wir ähnlich vor. Künstlerinnen und Künstler, die sich der KF zuordnen, verstehen ganz Unterschiedliches darunter, z.B. das Recherchieren bestimmter Art, das Nachdenken über die Voraussetzungen der eigenen künstlerischen Praxis, das als Ausprobieren verstandene Experimentieren.
Wir sind bestrebt, diese unterschiedlichen KF-Verständnisse herauszuarbeiten und voneinander abzugrenzen, wollen die Künstlerinnen und Künstler aber keineswegs davon abbringen, die damit zusammenhängenden künstlerischen Ziele zu verfolgen. Wir haben also nichts dagegen einzuwenden, dass sich eine Pluralität künstlerischer KF-Konzepte herausgebildet hat.
Im Theorietext unterscheiden wir sechs KF-Konstellationen (weitere können bei Bedarf hinzugefügt werden):
1. In einigen sinnvollen KF-Projekten findet etwas anderes als die beanspruchte Wissenserweiterung statt
KF-Projekte wie das von Jonas Kellermeyer (siehe Künstlerische Forschung als gemeinsame Wissensproduktion, Diskussion Runde 1 & Runde 2) halten wir für fruchtbar, problematisieren aber den Anspruch auf Erweiterung des Wissens. Nach unserer Auffassung findet hier etwas anderes als eine Erkenntniserweiterung statt, das wir genauer zu bestimmen versuchen – bei Kellermeyer liegt eine kritische, Bewertungen einschließende Meinungsbildung über das behandelte Thema vor. Wir empfehlen daher, das Selbstverständnis entsprechend zu ändern. Diese Art der Kritik hat eine begrenzte Reichweite – sie betrifft nicht den Kern des jeweiligen wissenschaftlich-künstlerischen Projekts. Man kann den Anspruch auf Wissenserweiterung preisgeben, ohne die Substanz des Projekts zu gefährden.
2. Künstlerische Selbstanalyse, -interpretation und -reflexion wird als KF verstanden
Zunächst einmal kann unterschieden werden zwischen der Selbstanalyse von eigenen künstlerischen Arbeiten (d.h. deskriptiv-feststellenden Aussagen), der Selbstinterpretation (die z.B. die eigenen künstlerischen Ziele und Hintergrundüberzeugungen herausarbeitet) und der Selbstreflexion (die über die intuitiv angewandten ästhetischen Prinzipien nachdenkt). Ihr steht die mit wissenschaftlichen Mitteln unternommene Analyse, Interpretation und Reflexion gegenüber. Für beide Fälle gilt: Halten die Ergebnisse einer kritischen Prüfung stand, so erweitern sie das Wissen. Die künstlerische Selbstreflexion etwa gelangt indes nicht automatisch zu validen Ergebnissen; die Künstlerin oder der Künstler kann sich auch irren.
Wird nun die künstlerische Selbstanalyse, -interpretation und -reflexion als KF begriffen, so gilt: Diese Art der Untersuchung verfolgt dieselben Ziele wie die entsprechende wissenschaftliche Untersuchung, und beide Zugriffe kommen zu vergleichbaren Ergebnissen: Eigenschaften des jeweiligen Werks werden zutreffend beschrieben, Ziele und ästhetische Prinzipien korrekt bestimmt. Künstlerische Forschung ist, wenn Konstellation 2 vorliegt, also keine Tätigkeit, die zu anderen Ergebnissen als die entsprechende wissenschaftliche Forschung führt – es wird kein Wissen anderer Art hervorgebracht. Spezifisch künstlerisch ist nur der Tatbestand, dass die Analyse, Interpretation und Reflexion eines Werks durch den jeweiligen Kunstproduzenten selbst erfolgt. Die gelingende künstlerische Selbstanalyse, -interpretation und -reflexion führen zur Erweiterung des Wissens; hier bedarf es also im Unterschied zu Konstellation 1 keiner Modifikation des Selbstverständnisses.
3. Die (variantenreiche) Produktion von Kunstphänomen wird als KF begriffen
Wir erweitern nun Konstellation 1 derart, dass alle Produktionen von Kunstphänomenen, die von den Künstlerinnen oder Künstlern als KF eingeordnet werden, in den Blick kommen; in einigen Fällen wird dabei ein berechtigter Anspruch auf Erweiterung des Wissens erhoben. Bei Künstlerinnen und Künstlern, die ihr Tun als KF begreifen, ist immer eine Einzelfallprüfung erforderlich, denn ihnen darf nicht zugeschrieben werden, dass sie alle dasselbe unter KF verstehen.
In einigen Fällen lässt sich das als KF Verstandene mithilfe der in w/k eingeführten Differenzierungen genauer als wissenschaftsbezogene Kunst bestimmen. Dabei greift die Künstlerin oder der Künstler auf Theorien und/oder Methoden und/oder Ergebnisse dieser oder jener Wissenschaft zurück und nutzt sie im Rahmen des individuellen Kunstprogramms. Hier findet in der Regel eine künstlerische Anwendung bzw. Nutzung vorliegender wissenschaftlicher Erkenntnisse statt, kein Gewinn neuer Erkenntnisse. Daher sollte das Selbstverständnis entsprechend geändert werden. Wir weisen beispielhaft auf drei künstlerische Strategien hin:
- Bei Hannes Rickli etwa liegt eine wissenschaftsbezogene Kunst vor, die sich auf die bei bestimmten Experimenten unabsichtlich entstehenden Nebenprodukte konzentriert. Ob von einer solchen künstlerischen Arbeit gesagt werden kann, sie mache auf unbewusste Voraussetzungen der Wissenschaft aufmerksam, ist problematisch; eine solche These bedarf zumindest der genaueren Überprüfung.
- Oliver Thie, der bei einem Projekt mit dem Berliner Museum für Naturkunde kooperiert (siehe Oliver Thie: Forschendes Zeichnen) und dort die Arbeit mit dem Rasterelektronenmikroskop erlernt hat, versteht sich als forschender Zeichner, der Strukturen der Zikaden-Oberfläche mit zeichnerischen Mitteln erschließt. Unter KF versteht er das Bestreben, die deskriptive Erkenntnis mit künstlerischen Mitteln zu erweitern: Die Beschaffenheit der Zikade soll genauer als bisher erfasst werden. Er gelangt zu einer Vermutung über eine bestimmte Struktur der Zikaden-Oberfläche, und er artikuliert diese Vermutung nicht in schriftlicher Form in einem Fachtext, sondern in zeichnerischer Form.
- Auf Basis von CT-Daten einer 2000 Jahre alten Mumie wird deren Stimme in einem vom Künstler Christian Kosmas Mayer (siehe Artist in Residence: Christian Kosmas Mayer) angeregten wissenschaftlichen Forschungsvorhaben rekonstruiert, und dabei entstandene Audioaufnahmen werden in seinem Kunstprojekt Maa Kheru als Material für die Komposition eines 8-Kanal-Soundstücks verwendet. Mayer regt ein wissenschaftliche-technisches Projekt an, um sein künstlerisches Vorhaben realisieren zu können. In der Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern und Technikern erwirbt er selbst bestimmte wissenschaftliche und technische Fähigkeiten und trägt im Team zur Lösung des Problems bei, eine fluide Zunge zu erzeugen. Mayer nimmt an der Wissenserweiterung teil, aber auf andere Weise als Thie.
4. Künstlerische Forschung als Ausbildungskonzept an Kunsthochschulen
Einige KF-Texte sind Diskurs 1 zuzuordnen, in dem es um eine Reform der Ausbildung an Kunsthochschulen geht. Auf der Basis der Kommentare zu Texten von Henk Borgdorff und Elke Bippus lassen sich zwei Ausbildungskonzepte unterscheiden. Borgdorffs Konzept läuft darauf hinaus, dass Studierende dadurch zu künstlerischen Forscherinnen und Forschern ausgebildet werden, dass sie es lernen, auf eine wissenschaftsähnliche Weise vorzugehen, also z.B. eine künstlerische Arbeit mit einer Forschungsfrage – mit einer Formulierung des Problems, das gelöst werden soll – zu beginnen. Mit diesem Konzept ist der (problematische) Anspruch verbunden, KF als eigenständige Wissenschaft bzw. akademische Disziplin zu etablieren.
Aus Bippus‘ Überlegungen lässt sich ein alternatives Konzept für die Reform der Ausbildung an Kunsthochschulen ableiten. Es wird ein Programm der wissenschaftsbezogenen Kunst entfaltet, das auf einer kritischen Theorie der Wissenschaft beruht, wie sie Hans-Jörg Rheinberger, Bruno Latour und andere entwickelt haben. Von den Studierenden wird erwartet, dass sie z.B. Untersuchungen der Wissenschaftsphilosophie und -geschichte rezipieren. Darüber hinaus gibt es mehrere weitere Ausbildungskonzepte, wie sie z.B. in Basel praktiziert werden.
5. Künstlerische Forschung in der Wissenschaft
Fernand Hörner fragt aus Perspektive der Wissenschaft, wie man wissenschaftliche Erkenntnisprozesse durch künstlerische Verfahren bzw. Methoden bereichern kann; diese Verfahren ordnet er der KF zu. Geht es um den Einsatz künstlerischer Verfahren in der Wissenschaft, so ist genauer zu untersuchen, was das jeweilige Verfahren leistet und was nicht. In dem von Anne Hemkendreis veranstalteten kunsthistorischen Proseminar Wissenschaft und Naturwahrnehmung: Überwältigung, Staunen und Wundern in der Kunst der Moderne brachten die Studierenden ökologiebezogene (Laien-)Kunst hervor – künstlerische Arbeiten, die im Gestaltungsprozess auf von bestimmten Wissenschaften erlangte Erkenntnisse zurückgreifen, aber kein neues ökologisches Wissen hervorbringen. Zu klären ist also, inwiefern die so verstandene KF ein Verfahren der Erkenntnisgewinnung ist oder ob es sich um etwas anderes handelt wie z.B. die Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse mit künstlerischen Mitteln.
In w/k sprechen wir hier von kunstbezogener Wissenschaft. Diese liegt vor, wenn eine Wissenschaftlerin oder ein Wissenschaftler in der Lehre, der Forschung, den Fachpublikationen auf künstlerische Konzepte und/oder Methoden und/oder Ergebnisse zurückgreift. Kunstbezogene Wissenschaft bringt – ebenso wie wissenschaftsbezogene Kunst – in der Regel kein neues Wissen hervor (Sonderfälle sind eigens zu diskutieren). Wir sprechen daher nicht wie Hörner von künstlerischer Forschung als Wissenschaftsdisziplin: „Die künstlerische Forschung ist bestrebt, sich als wissenschaftliche Forschung künstlerischer Art zu etablieren.“
6. Theorien der künstlerischen Forschung
Im Zentrum unserer bisherigen Aktivitäten stehen die Theorien der künstlerischen Forschung, wie sie vor allem von 2009 an in den ersten deutschsprachigen Sammelbänden zum Thema KF vertreten werden. Bödekers Abhandlung erweitert das Spektrum. Die in unserem Theorietext erneut veröffentlichten w/k-Zusammenfassungen enthalten die wichtigsten Würdigungen und Kritikpunkte. Unsere Theorie tritt nicht selbst als KF-Theorie auf, sondern hat die KF in der Vielfalt ihrer Erscheinungsformen zum Gegenstand.
Wir erhoffen uns eine ertragreiche Diskussion zum Thema KF und werden auf alle Einwände reagieren.
Zitierweise
Till Bödeker & Peter Tepe (2024): Über Konzepte der künstlerischen Forschung 6: Theorie. Zusammenfassung. w/k - Zwischen Wissenschaft & Kunst. https://doi.org/10.55597/d18939
Der Begriff der wissenschaftsbezogenen Kunst erscheint auch in historischer Perspektive bzw. mit Blick gerade auf eine Tradition im deutschsprachigen Raum plausibel. So hatte der Schweizer Kurator Günter Metken (zus. mit Uwe Schneede) seit 1974 Künstler wie Nikolaus Lang insbesondere hinsichtlich ihrer Bezogenheit auf einige wissenschaftliche Forschungszweige unter dem Rubrum „Spurensicherung“ gruppiert, wobei einer, in dieser Ausstellungstradition stehenden, documenta-Sektion 1977 die – beinahe Nietzscheanisch anmutende – Formulierung „schöne Wissenschaften“ beigegeben wurde. In einem Fall wie der jahrelangen Bezugnahme vorzugsweise auf archäologisches Arbeiten im Werk Nikolaus Langs spricht indes technisch viel (mehr) für den eingangs genannten Begriff. Allerdings konnte Lang durchaus eigentliche wissenschaftliche Methodik insoweit vorwegnehmen, dass er im erprobenden Nacharbeiten mit historisch relevanten Materialien im Feld (wie Erdfarben, Torf etc.) Formen später als ‚experimentelle Archäologie‘ bekannt gewordener Forschung gewissermaßen antizipierte – was hier weiterhin nicht gegen den Begriff wissenschaftsbezogener Kunst an sich spricht, sondern lediglich eine mögliche Grenze mitdefinieren hilft, ab der sich solche Kunst zu wissenschaftsidentisch werdender Kunst entwickelt.
Etwas Begriffskritik möchte ich zum Schluss dennoch formulieren, und zwar mit Blick auf den sozusagen komplementären Begriff, also den der kunstbezogenen Wissenschaft, und wie dieser hier gebraucht sowie, unter Punkt fünf, exemplifiziert wird: Im Fall einer hochschulischen Proseminar-Gruppe nämlich, für die ein Wissenschaftsbezug institutionell vorausgesetzt werden muss und die wissenschaftlich entsprechend abgesicherte Informationen kreativ verarbeitet, scheint mir das Ergebnis weder automatisch wissenschaftlich noch künstlerisch zu sein. Vielmehr scheint es sich in einem solchen Fall der Grundanlage nach um eine Form freierer Wissensaneignung und -aufbereitung zu handeln (womit der didaktische Erfolg ja keineswegs geschmälert wäre).
Eine unserer Hauptthesen besagt, dass sich Positionen, die als künstlerische Forschung auftreten, in einigen Fällen genauer bestimmen lassen als wissenschaftsbezogene Kunst. Wissenschaftsbezogene Kunst liegt nach unserer Definition vor, wenn eine Künstlerin oder ein Künstler im Arbeitsprozess auf Theorien und/oder Methoden und/oder Ergebnisse dieser oder jener Wissenschaft zurückgreift. Die Wissenschaftsrezeption findet dabei stets im Rahmen eines individuellen Kunstprogramms statt. Wir freuen uns darüber, dass Lutz Hengst den von uns vorgeschlagenen Begriff für sinnvoll hält. Bezeichnungen wie „Spurensuche“ und „schöne Wissenschaften“ weisen in dieselbe Richtung.
Auf Hengsts Differenzierung reagieren wir folgendermaßen: In den meisten Fällen nutzt wissenschaftsbezogene Kunst zwar vorliegende wissenschaftliche Theorien/Methoden/Ergebnisse, aber prinzipiell ist es möglich, dass ein wissenschaftskundiger Künstler zu wissenschaftlich relevanten neuen Ergebnissen vordringt, z.B. eine neue wissenschaftliche Methodik entwickelt. Ein bestimmtes Individuum kann einerseits Wissenschaftsanwender in künstlerischer Absicht sein und andererseits zur Lösung kognitiv-wissenschaftlicher Probleme der jeweiligen Disziplin beitragen.
Zum komplementären Begriff der kunstbezogenen Wissenschaft: Kunstbezogene Wissenschaft liegt vor, wenn eine Wissenschaftlerin oder ein Wissenschaftler in der Lehre, der Forschung, den Fachpublikationen auf künstlerische Konzepte und/oder Methoden und/oder Ergebnisse zurückgreift. Peter Tepe hat diesen Begriff vor einigen Jahren eingeführt, um Phänomene wie die eigene theatralische Vorlesung von 1993/94 und die nachfolgenden drei dialogischen Vorlesungen mit künstlerischen Anteilen systematisch einordnen und von der wissenschaftsbezogenen Kunst abgrenzen zu können. Daran halten wir fest; streiten kann man indes darüber, wie das im Fach Kunstgeschichte verankerte Proseminar von Anne Hemkendreis am besten einzuordnen ist. „Die Teilnehmer*innen bekamen die Aufgabe, sich in eigenständig konzipierten und durchgeführten Projekten auf experimentelle Weise mit den historischen und gegenwärtigen Bezügen zwischen Ökologie und Kunst auseinanderzusetzen.“ Das Problem lässt sich durch die Unterscheidung von zwei Aspekten des Projekts lösen: Die Studierenden bringen wissenschaftsbezogene Kunst im weiteren Sinn des Worts hervor (die von professioneller ökologiebezogener Kunst zu unterscheiden ist): Es liegt „eine Form freierer Wissensaneignung und -aufbereitung“ vor. Das ungewöhnliche Seminarkonzept der Dozentin lässt sich demgegenüber der kunstbezogenen Wissenschaft zuordnen: Es handelt sich nicht um ein kunsthistorisches Seminar üblicher Art, sondern die Studierenden werden dazu angehalten, selbst praktisch tätig zu werden – in diesem Sinne greift Hemkendreis in der universitären Lehre auf künstlerische Konzepte und Methoden zurück. Anders gelagert ist die erwähnte theatralische Vorlesung: Hier werden nicht die Studierenden zu künstlerischer Tätigkeit angeleitet, sondern der Dozent verwendet selbst künstlerische Mittel, um eine Vorlesung neuen Typs zu erzeugen.
Das ist ein interessanter Aufsatz, der einen sehr guten Überblick zum Thema KF gibt. Es wäre spannend zu sehen, wie dieses Verständnis von KF sich positioniert zu Bereichen/Begriffen wie „artistic research“, „practice-led research“, „practice as research“ (PAR), „creative practice research“ (CPR), die in internationalen Kontexten verwendet werden. Inwieweit ist eine Übersetzbarkeit gegeben? Zeichnet sich die deutsche bzw. deutschsprachige KF-Landschaft durch besondere Merkmale aus?
Es liegt nahe, von Australien aus die internationale Artistic Research-Debatte ins Zentrum zu rücken. Das ist letztlich auch unser Interesse. Wir nähern uns dem größeren Kontext jedoch auf einem Umweg. Unser Theorietext konzentriert sich vorrangig auf „die deutsche bzw. deutschsprachige KF-Landschaft“, um diese genauer zu beleuchten – mit dem Ziel, eine Würdigungs- und Kritikstrategie zu entwickeln, die dann auf alle KF-Konstellationen anwendbar ist.
Sollte es uns gelingen, einige Mitstreiterinnen und Mitstreiter zu finden, so könnten wir arbeitsteilig herausarbeiten, welche weiteren KF-Positionen im deutschsprachigen Raum sowie international zu finden und wie sie im Licht unseres Analysemodells einzuschätzen sind. Dabei ist immer auch zu klären, was verwendete Begriffe wie „practice-led research“, „practice as research“ (PAR), „creative practice research“ (CPR) jeweils bedeuten.
Fener ist zu berücksichtigen, dass in den untersuchten Sammelbänden einerseits viele Texte von Autoren zu finden sind, die auch international eine wichtige Rolle spielen (Henk Borgdorff, Nina Malterud, Marcel Cobussen, Claudia Mareis usw.) und dass andererseits zwei der untersuchten fünf Bände auch auf Englisch erschienen sind („Kunst und künstlerische Forschung“ (Zürich 2010) und „Kunst und Forschung. Können Künstler Forscher sein?“ (Wien 2011) – insoweit werden internationale Kontexte bereits berücksichtigt. Die Konzentration auf die deutschsprachige KF-Landschaft erfolgt in Phase 1 nicht im Licht der Annahme, dass dieser „besondere Merkmale“ zukommen, die in anderen Teilen der weltweiten Diskussion nicht zu finden sind, sondern aus pragmatischen und theoriestrategischen Gründen.
In dem Bestreben, die KF in die Ausbildung an Kunsthochschulen einzubinden (Diskurs 1), sehe ich auf der einen Seite ein großes Potenzial für die Entwicklung komplexer künstlerischer Projekte und Innovationen. Auf der anderen Seite frage ich mich, ob nicht insbesondere der künstlerische Schaffensprozess durch Impulse und Prozesse abseits rational nachvollziehbarer Vorgehensweisen getrieben sein muss.
Wir begrüßen es, dass bei der Reform der Kunsthochschulen auch mehrere Konzepte künstlerischer Forschung umgesetzt werden und sehen darin „ein großes Potenzial für die Entwicklung komplexer künstlerischer Projekte und Innovationen“. Konzeptionelle Konkurrenz belebt das Geschäft.
Wir bestreiten nicht, dass „der künstlerische Schaffensprozess durch Impulse und Prozesse abseits rational nachvollziehbarer Vorgehensweisen getrieben“ wird. So wird die Lösung eines bestimmten Gestaltungsproblems häufig intuitiv und nicht durch rationale Analyse gefunden. Das können auch Positionen der KF einräumen. Dass z.B. Henk Borgdorffs Ansatz auf eine wissenschaftsähnliche Vorgehensweise bei der Kunstproduktion hinausläuft, ist mit einer Anerkennung der Wichtigkeit der Intuition durchaus vereinbar.
Eine traditionelle Kategorie der Ästhetik, nämlich den „(Selbst)ausdruck“, könnte man unter Punkt 2 (Selbstanalyse/-interpretation/-kritik) fassen. Es geht dabei darum, im Kunstwerk etwas „Inneres“ (die ontologische Einordnung bleibt bewußt vage) explizit zu machen, ihm dadurch eine Form zu geben, es anschaulich und erkennbar zu machen. Der Vorgang des Ausdrucks im Kunstwerk wird dabei als „intuitiv“ oder „an Formen der Sinnlichkeit“ gebunden verstanden und in Kontrast zur begriffs-, quantitäts- oder generell methodengebundenen wissenschaftlichen Vorgehensweise gesetzt. Angenommen, die Kategorie des Ausdrucks sei sinnvoll: In einem weiten Sinne könnte man wohl sagen, sie verfolge „dieselben Ziele wie die entsprechende wissenschatliche Untersuchung“, doch ob „beide Zugriffe […] zu vergleichbaren Ergebnissen kommen“, scheint schon zweifelhafter. Zu fragen wäre also: Ist das in Punkt 2 unterstellte Verständnis von künstlerischer Forschung zu sehr am Muster der Wissenschaft (welcher Wissenschaft? der Psychologie?) orientiert, bleiben grundsätzlich andere Verfahrensweisen außer Acht, die ebenso als Verfahrensweisen des Erkennens betrachtet werden können?
Uns geht es unter der Überschrift „Künstlerische Selbstanalyse, -interpretation und -reflexion wird als KF verstanden“ nicht um eine allgemein gehaltene Parallelisierung zwischen der Hervorbringung von Kunstwerken und wissenschaftlichen Untersuchungen. Unsere theoretischen Überlegungen sind zum größten Teil auf folgende Weise entstanden: Peter Tepe hat sich die ersten fünf Sammelbände zum Thema künstlerische Forschung vorgenommen, die im deutschen Sprachraum seit 2009 erschienen sind. Ein Hauptziel war es, die verschiedenen Verständnisse von KF auf möglichst klare Weise voneinander zu unterscheiden; die Ergebnisse werden in Kapitel 9 des ausführlichen Theorietextes zusammengefasst. Einige Künstlerinnen und Künstler verstehen nun die Analyse und Interpretation ihrer eigenen Arbeiten sowie die Reflexion über die Prinzipien, denen sie in Produktionsprozessen intuitiv folgen, als KF.
Unsere These bezieht sich auf das Verhältnis einer solchen künstlerischen Selbstanalyse, -interpretation und -reflexion zur wissenschaftlichen Analyse, Interpretation und Reflexion künstlerischer Arbeiten (vor allem kunstwissenschaftlicher Art): Versteht man z.B. unter Interpretation die Herausarbeitung der jeweiligen künstlerischen Ziele und der die Kunstproduktion leitenden Hintergrundannahmen, so kann dieses Ziel sowohl in der Selbstinterpretation als auch in der kunstwissenschaftlichen Interpretation verfolgt werden. Entsprechendes gilt für die Selbstanalyse und die Selbstreflexion. Wir stellen also nicht die allgemeinen Thesen auf, dass bei der Hervorbringung von Kunstphänomenen dieselben Ziele wie bei wissenschaftlichen Untersuchungen verfolgt werden und dass beide zu vergleichbaren Ergebnissen kommen, sondern vergleichen nur die künstlerische Selbstanalyse und -interpretation mit der wissenschaftlichen Analyse und Interpretation derselben Werke, um ein spezifisches KF-Verständnis genauer zu beleuchten.
Diesem Verständnis von künstlerischer Forschung kann daher auch nicht vorgeworfen werden, es orientiere sich „zu sehr am Muster der Wissenschaft“ – wir arbeiten die Verwandtschaft z.B. zwischen der künstlerischen Selbstanalyse und der wissenschaftlichen Analyse von Kunstphänomenen heraus.
Danke für den klärenden Kommentar! Mir ist nun beim Nachlesen deutlich geworden, daß der Anspruch der Zusammenfassung in der Tat deskriptiv-systematisierend und nicht normativ ist. Insofern richtet sich meine Frage eher an das Selbstverständnis künstlerischer Forschung generell – und an ihr Verhältnis zur Tradition der Ästhetik. In dieser gibt es ja die lange zurückreichende Idee, daß auch Kunst ein Erkenntnisinteresse hat – das bringt sie vom Ziel her in grundsätzliche Nähe zur Wissenschaft. Ob man den romantischen Ausdrucksbegriff, auf den ich mich bezogen habe, hier einreihen kann, ist sicherlich strittig – ich würde sagen, ja (das müßte man aber systematisch und historisch genauer untersuchen). Möglicherweise spielen für das Verhältnis zu dieser Tradition (oder die Abgrenzung von ihr?) auch kunstinterne Differenzen zwischen Kunstrichtungen (z.B. Abgrenzung vom Neo-Expressionismus?) eine Rolle? Da kenne ich mich leider nicht genug aus. (So viel kurz zum Hintergrund meiner Frage.)
Was das „Selbstverständnis künstlerischer Forschung“ anbelangt, so haben unsere bisherigen Untersuchungen zu dem Zwischenergebnis geführt, dass – wie in Kapitel 9 des Theorietextes ausgeführt wird – mehr als 10 Konzepte der KF zu unterscheiden sind, die zunächst einmal einzeln diskutiert werden sollten. Nur in wenigen Fällen wird das Verhältnis der KF „zur Tradition der Ästhetik“ thematisiert.
Hier ist vor allem Henk Borgdorffs in Lieferung 1 ausführlich kommentierter Text Die Debatte über Forschung in der Kunst zu nennen. In seinen erkenntnistheoretischen Überlegungen beruft sich Borgdorff auf viele Vertreter der philosophischen Ästhetik und anderer Formen der Philosophie, z.B. auf Baumgarten, Kant, Schelling, Adorno, Derrida, Lyotard, Deleuze. Als gemeinsamer Nenner wird angesehen, dass diese mit einer „in der Kunst verkörperten nicht-begriffliche[n] Erkenntnis“ rechnen. Aufgrund der Heterogenität der in den Ästhetiken vertretenen Thesen ist es jedoch nicht möglich, diese in eine in sich stimmige Ästhetik bzw. Kunsttheorie zu integrieren. Hinzu kommt die in mehreren Borgdorff-Kommentaren entfaltete Kritik an seiner Auffassung von KF. Darüber hinaus kann natürlich versucht werden, einzelne Positionen der KF eigenständig auf die Tradition der Ästhetik zu beziehen: ein weites Feld.
Im dritten Abschnitt „Die (variantenreiche) Produktion von Kunstphänomen wird als KF begriffen“ wird eine „Einzelfallprüfung“ der KF gefordert (das Akronym KF wird übrigens im Text nicht eingeführt). Jedoch bleibt für mich unklar, welche Kriterien dieser Prüfung zu Grunde gelegt werden. Die drei folgenden Beispiele sind alle positiv, sodass auch hieraus nicht extrapoliert werden kann, wann denn eine solche Prüfung zum Schluss kommt, dass keine KF vorliegt. Besteht hier nicht die Gefahr, dass – ähnlich wie bei einem Ready-made, das durch seinen Kontext zu Kunst wird – Schaffende KF mehr proklamieren und durch den Kontext herstellen, als dass es an den Inhalten gemessen wird, was ja doch die Richtschnur für Forschung ist?
Martin Skrodzkis Kommentar gibt uns Gelegenheit, die Vorgehensweise zu verdeutlichen und ein Missverständnis auszuräumen. Unser Ausgangspunkt ist der sprachanalytische Befund, dass die Wortverbindung „künstlerische Forschung“ ganz unterschiedlich verwendet wird – es gibt eine Pluralität der feststellbaren Bedeutungen. Die angesprochene „Einzelfallprüfung“ bezieht sich auf die Frage, welches Verständnis von KF von mehreren möglichen z.B. bei einer bestimmten Künstlerin vorliegt. Wir wollen dieses korrekt erfassen und einordnen. Hier geht es also nicht darum, nach angebbaren Kriterien zu prüfen, ob bestimmte Kunstphänomene unter einen Begriff der KF fallen oder nicht.
Eine Prüfung dieser Art findet nach unserer Theorie jedoch in einem weiteren Analyseschritt statt. Ist in Schritt 1 geklärt, welches KF-Verständnis vorliegt, so fragen wir in Schritt 2, ob eine Präzisierung möglich ist, etwa so: Das, was hier als KF verstanden wird, lässt sich genauer als wissenschaftsbezogene Kunst im Sinne der w/k-Definition verstehen. Diese Definition enthält die Kriterien, nach denen geprüft wird, ob wissenschaftsbezogene Kunst vorliegt oder nicht.
Kurzum, wir praktizieren ein Zwei-Schritte-Verfahren: In Schritt 1 wird geklärt, was Schaffende unter KF verstehen, was sie „proklamieren“, in Schritt 2 kommen hingegen „Inhalte“ zur Geltung, indem z.B. überprüft wird, ob ein Künstler im Produktionsprozess auf mathematische Theorien/Methoden/Ergebnisse zurückgegriffen hat oder nicht. Dieses Zwei-Schritte-Verfahren hat den Vorteil, dass die Pluralität der Bedeutungen von KF bei der Theoriebildung berücksichtigt und respektiert wird. Würden wir gleich mit einer festen KF-Definition beginnen, so würde das auf eine Ausschaltung theoretisch relevanter Phänomene hinauslaufen.
Kurz zum Punkt: „das Akronym KF wird übrigens im Text nicht eingeführt“. Das haben wir inzwischen korrigiert.