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Artist in Residence: Christian Kosmas Mayer

Christian Kosmas Mayer im Gespräch mit Peter Tepe | Bereich: Interviews

Übersicht: Der erste Teil des Interviews behandelt Christian Kosmas Mayers Aktivitäten als Artist in Residence beim Schaufler Lab@TU Dresden sowie seine Überzeugung, dass neueste Entwicklungen in der Gentechnik und der Künstlichen Intelligenz mit dem uralten Begehren nach Unsterblichkeit zusammenhängen. Der zweite Teil befasst sich mit Mayers aktuellem und viel Aufmerksamkeit erregenden Kunstprojekt Maa Kheru: Auf Basis von CT-Daten einer 2000 Jahre alten Mumie wird deren Stimme in einem vom Künstler angeregten wissenschaftlichen Forschungsvorhaben rekonstruiert und dabei entstandene Audioaufnahmen werden als Material für die Komposition eines 8-Kanal Soundstücks verwendet.

Christian Kosmas Mayer, seit September 2020 sind Sie Artist in Residence beim Schaufler Lab an der Technischen Universität Dresden. Wie sind Sie dazu geworden?
Es gab eine offene Ausschreibung, auf die hin sich meines Wissens weit über 100 Künstler*innen bewarben. In dieser Ausschreibung wurde die Künstliche Intelligenz (KI) als Themenschwerpunkt des Schaufler Lab skizziert, und eine Reihe an Anforderungen wurden an die Bewerbung gestellt, darunter die Beschreibung eines Projektvorhabens.

Ich zitiere aus der Ausschreibung:

„Im Schaufler Lab@TU Dresden befassen sich Wissenschaftler*innen und Künstler*innen mit Wechselwirkungen zwischen den Feldern Technik, Kunst, Wissenschaft und Unternehmertum. Der Fokus liegt dabei vor allem auf Technik als Ressource, als Verbreitungsmedium und als Diskurselement. Leitthema des Labs ist in der ersten Förderphase Künstliche Intelligenz und gesellschaftlicher Wandel (2019–2022)“.

In unserem Gespräch soll auch beleuchtet werden, wie die Zusammenarbeit zwischen Ihnen als Künstler und den anderen Beteiligten geplant ist – und wie sie tatsächlich funktioniert. Was wird in Dresden von einem Artist in Residence erwartet?
Ein spannender Aspekt an dieser Residency ist die Anbindung an das Schaufler Kolleg, in dem derzeit neun Stipendiat*innen aus verschiedenen Bereichen der Geistes- und Sozialwissenschaften zu dem großen Thema Künstliche Intelligenz als Faktor und Folge gesellschaftlichen und kulturellen Wandels forschen. Ein Austausch zwischen den Residency-Künstler*innen und dem Kolleg ist Teil des Curriculums. Darüber hinaus wird der Kontakt zu Wissenschaftler*innen an der TU gefördert, welche die Künstler*innen bei der Entwicklung der künstlerischen Vorhaben unterstützen sollen. Die Vermittlung dieses Prozesses an eine interessierte Öffentlichkeit ist den Organisator*innen ein großes Anliegen, deshalb gibt es unabhängig von der abschließenden Ausstellung laufend öffentliche Vortrags- und Gesprächsformate, die von den Künstler*innen konzipiert werden sollen. 

Was haben Sie bislang getan, um diesen Erwartungen zu entsprechen?
Grundsätzlich steht mein eigenständiger Prozess des künstlerischen Forschens und Erspürens im Mittelpunkt meiner Tätigkeit. In diesem Zusammenhang habe ich engeren Kontakt zu einigen Wissenschaftler*innen der TU hergestellt, der in der Folge zu einer Zusammenarbeit geführt hat. Ich nehme regelmäßig an den Kolloquien und Workshops des Kollegs teil, um hier einen möglichst engen Kontakt zu den anderen Stipendiat*innen aus der Wissenschaft zu halten. Und ich habe ein paar öffentliche Formate gestaltet, einen Werkvortrag an der Hochschule für Bildende Künste Dresden etwa, und ein öffentliches Gespräch mit Christoph Neinhuis, Professor für Botanik an der TU Dresden. Durch die Einschränkungen angesichts der Pandemie kam der weitere Plan dann aber so durcheinander, dass wir im Winter 2020 beschlossen, die Pause-Taste zu drücken, bis eine Form von Präsenz in Dresden ab dem Sommer 2021 wieder Sinn gemacht hat. Mit einem Symposium zu meinen Forschungsfragen sind wir dann im Juni erneut eingestiegen, und seitdem war ein intensiver Austausch in Dresden auch wieder möglich.

Werkvortrag „Chronopolitik der Form in unsicheren Zeiten“ von Christian Kosmas Mayer (2020). Foto: André Wirsig.
Christian Kosmas Mayer: Werkvortrag Chronopolitik der Form in unsicheren Zeiten (2020). Foto: André Wirsig.

Forschungsfragen

Welches sind die Forschungsfragen, die Sie als Artist in Residence verfolgen?
Ausgehend von Mythen über die Unsterblichkeit, die man bis an die Anfänge der Kulturgeschichte(n) der Menschheit zurückverfolgen kann, setze ich mich mit den gegenwärtigen technologischen Manifestationen dieses menschlichen Begehrens auseinander. Dabei gibt es zwei Bereiche, die mich interessieren, vor allem auch in ihrer Verschränkung. Der eine betrifft das Feld der Biologie und umfasst die materielle oder organische Ebene neuester Immortalitätsbestrebungen. Das konzentriert sich auf aktuelle Entwicklungen in der Gentechnik und Stammzellenforschung, bezieht aber beispielsweise auch Kryonik mit ein, eine Form der künstlichen Konservierung lebloser Körper in extremer Kälte, um sie in der Zukunft wiederbeleben zu können.

Der andere Fokus liegt auf Künstlicher Intelligenz und der Idee, aus den gesammelten Daten von Verstorbenen über algorithmische Lernprozesse eine Art von digitaler Wiederbelebung herzustellen. Daraus entstehen digitale Geister, die wir auf unseren mobilen Geräten immer mit uns herumtragen könnten. In all diesen Bestrebungen zeigt sich der Wunsch nach einer Auflösung des Zeitbegriffs, mit dem sich die Menschheit bislang zu dieser Welt in Beziehung setzte. Diesen Übergang möchte ich spüren und spürbar machen.  

Mythen über die Unsterblichkeit

Womit haben Sie sich intensiver befasst? Haben Sie selbst z.B. bestimmte Mythen dieser Art genauer analysiert bzw. Fachliteratur über Unsterblichkeitsmythen studiert? Was haben Sie in der Hauptsache rezipiert?
Ich habe mir einige alte Mythen genauer angeschaut, in denen Unsterblichkeit thematisiert wird, bis hin zum Gilgamesch-Epos, einer der ältesten Geschichten, die wir überhaupt kennen. Spannend fand ich auch die Berichte aus dem Leben des ersten chinesischen Kaisers Qin Shi Huang Di (259–210 v. Chr.), der wie besessen davon war, einen Weg zur Unsterblichkeit zu finden. Auf der anderen Seite haben mir moderne Erzählungen weitergeholfen, in denen die Idee von Unsterblichkeit konsequent zu Ende gedacht wird, wie beispielsweise die Kurzgeschichte Der Unsterbliche von Jorge Luis Borges.

Zu welchen aus Ihrer Sicht wichtigen Erkenntnissen sind Sie durch diese Studien gelangt? Konnten Sie sich der Auffassung dieses oder jenes Mythosforschers weitgehend anschließen oder haben Sie sich eine eigenständige Position erarbeitet? 
Es war mir einerseits wichtig, eigenständig nachzuvollziehen, dass das Begehren nach Unsterblichkeit die Menschheit seit Urzeiten begleitet und antreibt. Auf der anderen Seite hat mich der psychologische Blickwinkel interessiert: Warum übt diese Vorstellung eine solch starke Anziehungskraft auf die Menschheit aus? Dabei hat mir das Buch Immortality: The Quest to Live Forever and How It Drives Civilization (New York 2017) von Stephen Cave weitergeholfen. Er beschreibt prägnant das sogenannte Sterblichkeitsparadoxon: Einerseits wissen wir genau, dass wir eines Tages sterben werden, andererseits ist es uns unmöglich, uns diese Welt vorzustellen, ohne dass wir selbst ein Teil davon sind. Wir können uns einfach nicht vorstellen, nicht zu existieren. Aus dieser nur schwer ertragbaren Spannung gibt es, wie schon Sigmund Freud erkannt hat, im Grunde nur ein Entrinnen: die Idee der Unsterblichkeit. Und um dieser Idee eine Form zu geben, erschaffen wir Menschen schon seit Urzeiten Geschichten, die davon handeln. Manche Theoretiker*innen vermuten sogar, dass gerade der Wunsch nach Unsterblichkeit der maßgebliche Antrieb für alle kulturellen Errungenschaften ist. Der Schriftsteller Bryan Appleyard hat das in seinem Buch How to Live Forever or Die Trying (New York 2007) so zusammengefasst: „Jeder stirbt, daher muss auch ich sterben. Da das unvorstellbar ist, erfinden wir die Unsterblichkeit, und aus dieser Erfindung entsteht Kultur.“ (22) Demnach gibt es eine direkte Beziehung zwischen dem Begehren nach Ewigkeit und unserer Vorstellung von Fortschritt.

Was sieht man anders, wenn man wissenschaftliche Vorhaben der beschriebenen Art vor dem Hintergrund von Mythen über die Unsterblichkeit und anderen kulturhistorischen Dokumenten des Unsterblichkeitsverlangens interpretiert? Geht es Ihnen darum, eine große kulturhistorische Entwicklungslinie herauszuarbeiten oder ist noch mehr im Spiel?
Ich halte diese gedankliche Verbindung zwischen der heute dominierenden Sichtweise und den mythischen Urerzählungen für sehr wichtig, um den eigentlichen Antrieb hinter den gerade stattfindenden technischen und technologischen Innovationen besser verstehen zu lernen. Diese Erzählungen geben auch einen Ausblick auf einige der Probleme, die als Folge solcher Vorhaben auf die Menschheit zukommen könnten. Mich interessiert in diesem Zusammenhang aber auch, was diese neuen, von technischen Innovationen getragenen Unsterblichkeitsbestrebungen von denen anderer Zeiten unterscheidet.

Immortalitätsbestrebungen in den Naturwissenschaften

Was macht aus Ihrer Sicht den Unterschied aus? Sie sprechen auch bezogen auf einige neuere naturwissenschaftliche Projekte von Immortalitätsbestrebungen.
Grundsätzlich lässt sich sagen, dass das Begehren nach Unsterblichkeit zwar uralt ist, es aber in jeder Epoche immer wieder neue Interpretationen der Unsterblichkeit und Versuche technologischer Realisierungen gegeben hat. Spätestens seit der Moderne hat sich das Verhältnis zum Tod in den sogenannten westlichen Gesellschaften, befördert durch die Abnahme des Glaubens an religiöse Unsterblichkeitserzählungen, immer stärker an naturwissenschaftliche und technologische Narrative gebunden. Der Tod erscheint in dieser Logik, die stark vom Kapitalismus geprägt wurde, als eine Krankheit, die man bekämpfen muss. Und seit relativ kurzer Zeit gibt es sowohl auf dem Feld der Biotechnologie wie auch der KI Innovationen, die solche technologisch bestimmten Hoffnungen auf Unsterblichkeit antreiben.

Was genau haben Sie im Blick?
Es gibt da ein breites Feld, das man in diesem Zusammenhang erwähnen könnte. Im Bereich der Biotechnologie beinhaltet das die Hoffnung auf eine deutlich verlängerte Lebensdauer – z.B. durch Aktivierung eines Unsterblichkeitsgens, auf dessen Existenz einige Forscher*innen hoffen. Das erinnert an die alten Mythen vom ewigen Jungbrunnen. Es wird auch viel Forschung in die Zellreparatur mittels Nanotechnologie gesteckt. Aber auch das Klonen oder die Kryotechnik stehen in direktem Zusammenhang mit Unsterblichkeitsbestrebungen.

Im digitalen Bereich gibt es einerseits die Spekulation, dass eines Tages eine Super-KI einen Raum schaffen könnte, in dem wir als digitale Klone mit unserem Bewusstsein auch ohne unsere Körper scheinbar ewig weiterleben. Für meine Recherchen im Rahmen des Schaufler Lab hat mich aber vor allem interessiert, inwiefern die Daten, die wir während unseres Lebens ansammeln, nach unserem Ableben verwendet werden können, um eine Art von animiertem Gespenst zu erschaffen. Es wäre in dem Sinne also weniger eine bewusst erlebte Unsterblichkeit als ein scheinbares Am-Leben-Bleiben für die Hinterbliebenen, eine Art Anwesenheit der Abwesenden. Und diese Form der Unsterblichkeit lässt sich in Ansätzen schon heute vorfinden.

Enthält Ihre Intervention als Künstler auch eine kritische Komponente, etwa dergestalt, dass es für Wissenschaften, die in dieser oder jener Form vom Unsterblichkeitsbegehren angetrieben werden, besser ist Modell a als Modell b zu folgen? Betrachten Sie bestimmte Tendenzen als Fehlentwicklungen?
Generell sehe ich den Wunsch, mithilfe technologischer Mittel einen Zustand von Unsterblichkeit herzustellen, in vielerlei Hinsicht kritisch. Allein die Tatsache, dass die Pioniere auf diesem Gebiet allesamt reiche weiße Männer reiferen Alters sind, finde ich problematisch und entlarvend. Mich interessiert dabei die ethische Fragestellung: Wie gehen wir damit um, dass uns die Technologie bestimmte Möglichkeiten bereitstellt, um die Grenze zwischen Leben und Tod zu verschieben? Es geht mir also nicht um Vergleiche zwischen der einen oder anderen Form der wissenschaftlichen Realisierung, sondern um unser Verhältnis zum Tod und wie sich dieses im Moment zu verändern scheint, auch wenn wir es noch nicht bewusst wahrnehmen. 

Bearbeitung des 3D-Modells vom Vokaltrakt anhand der vorhandenen Computertomografie-Daten der Mumie.
Bearbeitung des 3D-Modells vom Vokaltrakt anhand der vorhandenen Computertomografie-Daten der Mumie.

Im ersten Teil des Interviews ging es mir darum, einige Hintergrundüberzeugungen herauszuarbeiten, die Ihre Arbeit als Artist in Residence am Schaufler Lab bestimmen. Im zweiten Teil soll Ihr aktuelles Mumien-Projekt genauer beleuchtet werden. Worum geht es hier?
Mein Ziel war es, auf Basis digitaler Daten einer Mumie eine Stimme zu synthetisieren und mit Audioaufnahmen dieser Stimme ein mehrkanaliges Soundstück zu komponieren. In der Soundinstallation Maa Kheru erklingen nun Stimmtöne, die auf den Körper einer 2000 Jahre alten ägyptischen Mumie zurückführen.

Das ist offenkundig ein sehr komplexes Projekt. Für w/k ist es wichtig, das hier stattfindende Zusammenspiel von Kunst und Wissenschaft möglichst genau zu bestimmen. Daher würde ich gern mit Ihnen die einzelnen Komponenten des Vorhabens und damit die konkreten Verbindungen zwischen Kunst und Wissenschaft herausarbeiten. Komponente 1: Das künstlerische Projekt einer singenden Mumie setzt voraus, dass sich mit wissenschaftlichen Mitteln die Stimme eines mumifizierten Menschen rekonstruieren lässt. Konnten Sie sich in dieser Sache auf vorliegende wissenschaftliche Forschungsergebnisse stützen?
Britische Wissenschaftler*innen hatten wenige Monate zuvor die Rekonstruktion der Stimme einer Mumie vorgestellt. Ich fand diesen Gedanken faszinierend, war aber von dem zu hörenden Ergebnis enttäuscht. Was sie vorstellten, war eine einsekündige Aufnahme, die für mich nicht nach einer menschlichen Stimme klang. Offensichtlich war der Weg, den das britische Team gewählt hatte, um das wissenschaftlich-technische Problem zu lösen, nicht der richtige gewesen oder hatte zu früh geendet. Aus meiner Enttäuschung entstand der Entschluss, die synthetische Rekonstruktion der Stimme einer Mumie mit anderen Mitteln zu realisieren, um zu einem wissenschaftlich überzeugenderen Ergebnis zu kommen. In der Folge wollte ich mit diesen Tönen dann künstlerisch weiterarbeiten.

Was haben Sie als Fehler identifiziert? Was musste hinzukommen?
Die britischen Forscher*innen hatten den Vokaltrakt einer Mumie nachgebaut, also den Teil unseres Körpers, in dem sich – zwischen Kehlkopf und Mund – die Stimme formt. Ein großer Teil der Charakteristik der Stimme wird aber durch die beweglichen Weichteile bestimmt, und dabei vor allem durch die Zunge und deren unterschiedliche Stellungen. Da die Briten diese völlig ignorierten, entstand nur ein einziger unveränderlicher Ton, dem das charakteristisch Menschliche fehlt.

Die zweite Komponente Ihres Projekts besteht also aus der Entwicklung einer künstlichen Zunge?
So ist es. Erst durch die Zunge können wir variable Töne und Vokale wie A oder I erzeugen. Um bei der Mumie Entsprechendes stattfinden zu lassen, muss daher in den Vokaltrakt eine flexible, verformbare Zunge eingesetzt werden – man spricht auch von einer fluiden Zunge. Eine solche Zunge musste wie der Vokaltrakt der Mumie erst in einem wissenschaftlich-technischen Arbeitsprozess konstruiert werden.

Das ist eine ungewöhnliche Verbindung von Kunst und Wissenschaft: Ein Künstler verfolgt ein bestimmtes künstlerisches Ziel (hier: eine Mumie singen zu lassen). Um dieses Projekt zu realisieren, muss mit wissenschaftlich-technischen Mitteln zweierlei geleistet werden: Erstens ist der Vokaltrakt der Mumie zu rekonstruieren, und zweitens muss dieser mit einer verformbaren Zunge ausgestattet werden. Als Artist in Residence verfügen Sie über die Möglichkeit, Kontakte zu Wissenschaftlern herzustellen, die bereit sind, die Komponenten 1 und 2 gemeinsam mit Ihnen zu erarbeiten – und so die Realisierung des künstlerischen Projekts zu ermöglichen. Es wäre lohnend, in weiteren w/k-Beiträgen zu untersuchen, ob es vergleichbare Kunst-Wissenschaft-Konstellationen gibt; bleiben wir jedoch beim Mumien-Projekt: Welche konkreten Kooperationen mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern hat es gegeben, und was haben sie erbracht?
Ich habe zunächst die Verantwortlichen des Schaufler Lab gebeten, einen Kontakt mit Professor Peter Birkholz vom Institut für Sprachtechnologie und Kognitive Systeme an der TU Dresden aufzubauen, dem ich daraufhin meine Idee vorstellen konnte. Im weiteren Gespräch machte er mir einen Vorschlag, wie wir meinem Ziel mit Hilfe eines wissenschaftlichen Experiments näherkommen könnten. Daraufhin haben wir gemeinsam ein Bachelor-Projekt an seinem Institut ausgeschrieben, für das sich drei Studierende meldeten. Unter Anleitung von Professor Birkholz und mir – und betreut von Patrick Häsner, der für dieses Projekt als wissenschaftlicher Mitarbeiter angestellt wurde – hat sich diese Gruppe ein Semester lang um die Erarbeitung der Komponente 2 bemüht. Nach fünf Monaten experimenteller Forschung war es schließlich so weit, dass ich in einem Audiostudio die Töne aufnehmen konnte, aus denen meine Soundinstallation besteht. 

Gab es darüber hinaus weitere wissenschaftliche Kooperationen?
Ja. Nachdem ich die Zusage von Professor Birkholz für die Zusammenarbeit erhalten hatte, nahm ich mit Professor Wilfried Rosendahl Kontakt auf, dem Generaldirektor der Mannheimer Reiss-Engelhorn-Museen und Leiter des German Mummy Projects. Im Zuge dieses Projekts wurden und werden zahlreiche Mumien mit Hilfe neuester Technologie untersucht, um zu neuen Erkenntnissen zu gelangen. Nachdem ich ihn als Unterstützer für mein Projekt gewonnen hatte, bekamen wir Zugang zu den Computertomografie-Daten verschiedener Mumien, von denen wir eine aussuchten, deren Vokaltrakt besonders gut erhalten war. Auf Basis dieser Daten hat Patrick Häsner dann ein druckbares 3D-Modell erstellt, das einer exakten Kopie des Mumien-Vokaltrakts entspricht. Erst dann begann der experimentelle Teil des Forschungsvorhabens.

3D-Druck einzelner Teile für das Zungenmodell. Foto: Patrick Häsner.
3D-Druck einzelner Teile für das Zungenmodell. Foto: Patrick Häsner.

Die Zusammenarbeit würde ich gern noch etwas genauer beleuchten. Sie stellten Wissenschaftlern Ihr künstlerisches Projekt vor, das Sie aus eigener Kraft nicht realisieren können. Sie skizzierten das wissenschaftlich-technische Projekt, die Komponenten 1 und 2 zu erarbeiten. Die Fachleute lassen sich darauf ein und buchstabieren das Forschungsvorhaben mit den Mitteln ihrer Disziplin(en) aus. Daraus ergibt sich die Frage, ob Sie über die Formulierung der allgemeinen Problemstellung hinaus auch am wissenschaftlich-technischen Forschungsprozess beteiligt waren und wenn ja, wie.
Ich war dauerhaft Teil dieses wissenschaftlichen Teams, das sich vorgenommen hatte, ein mechanisches Vokaltrakt-Modell erstmals mit einer fluiden Zunge auszustatten. Da dies noch nie zuvor versucht wurde, mussten wir experimentell vorgehen und Materialien erproben, um zur besten Lösung zu kommen. Bei wöchentlichen Treffen wurden die Ergebnisse diskutiert und neue Lösungen vorgeschlagen, die dann von den Studierenden in den folgenden Tagen umgesetzt wurden. Unsere Experimente haben uns schließlich zu einer Zunge aus verformbarem Silikon geführt, die aus drei mit Wasser befüllbaren Kammern besteht. Jede Kammer kann entweder durch Wasser gedehnt oder durch Unterdruck verkleinert werden, was zu sehr guten Ergebnissen führte. Da dies im Bereich der akustischen Sprachsynthese noch nie zuvor versucht wurde, war dies für die beteiligten Wissenschaftler*innen ein bedeutsamer Erfolg.

Sie arbeiteten also zusammen an einem gemeinsamen Projekt, aber hatten Sie auch dasselbe Ziel vor Augen?
Die Tatsache, dass der Vokaltrakt von einer Mumie stammte, war für die Wissenschaftler*innen nebensächlich. Sie haben am Ende eigene Tonaufnahmen gemacht, die immer nur eine Sekunde lang waren, und das Ziel verfolgt, einen bestimmten Vokal zu erzeugen, das A zum Beispiel. Für sie war es entscheidend, den Beweis zu erbringen, dass es mit Hilfe der Zunge gelungen ist, dieses Ziel zu erreichen. Mir ging es demgegenüber um den musikalischen Klang, den man mit dieser synthetischen Stimme erzeugen kann, um einen Raum zu schaffen, der sowohl auf intellektueller wie auf emotionaler Ebene in Resonanz zu uns tritt. 

Patrick Häsner, Christian Kosmas Mayer und Professor Peter Birkholz. Foto: Adrian Sauer.
Patrick Häsner, Christian Kosmas Mayer und Professor Peter Birkholz (2021). Foto: Adrian Sauer.

War es für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht aufregend, mit einer Mumie zu arbeiten?
Persönlich wahrscheinlich schon, aber vom wissenschaftlichen Standpunkt aus betrachtet war es für sie sogar ein Problem. Wir haben die Form der Weichteile im Vokaltrakt intuitiv vervollständigen müssen, da sie in der Mumie nicht gut erhalten waren. Als seriöse Wissenschaftler*innen schrecken sie deswegen vor der Aussage zurück, dies sei die exakte Rekonstruktion der Stimme einer 2000 Jahre alten Mumie. Auf mich als Künstler wirkt dieser spekulative Anteil dagegen anziehend, denn mein Anliegen ist nicht die Präsentation einer objektiven Wahrheit. Die Kunst gibt mir bestimmte Werkzeuge zur Hand, mit denen ich diese ursprünglich im naturwissenschaftlichen Kontext beheimatete Thematik weiterbearbeiten kann: Poesie, Ästhetik, Philosophie oder, was ich oft sehr produktiv finde, subtilen Humor.

Hat das Projekt auch im wissenschaftlich-akademischen Raum Spuren hinterlassen?
Professor Birkholz hat soeben bei einer Fachzeitschrift einen wissenschaftlichen Aufsatz über unser Projekt zur Publikation eingereicht, in dem ich als Mitautor aufgeführt bin. Das ist das erste Mal, dass ich im rein wissenschaftlichen Kontext als Autor erscheine.

Audioaufnahmen mit dem Vokaltrakt der Mumie im Tonstudio der TU Dresden. Foto: Adrian Sauer.
Audioaufnahmen mit dem Vokaltrakt der Mumie im Tonstudio der TU Dresden. Foto: Adrian Sauer.

Wie sind Sie nach der Lösung der wissenschaftlich-technischen Probleme vorgegangen, d.h. auf welche Weise haben Sie Ihr künstlerisches Ziel realisiert?
Mein Ziel war es von Anfang an, Audioaufnahmen von der Mumienstimme zu machen, um mit ihnen kompositorisch weiterarbeiten zu können. Mithilfe einer künstlichen Tonquelle und der verformbaren Zunge konnte ich den Mumien-Vokaltrakt schließlich wie ein Instrument bespielen. Je nach Tonquelle und Zungenstellung klangen die erzeugten Töne mal mehr, mal weniger menschlich, und ich musste zunächst ein Gefühl dafür entwickeln, wie ich dieses für mich neue Instrument zu spielen hatte. Die dabei entstandenen mehrstündigen Aufnahmen waren die Basis für die vorläufig letzte Phase meiner künstlerischen Arbeit: ein Mehrkanal-Soundstück für den Ausstellungsraum zu komponieren.

Wie sind Sie im Einzelnen vorgegangen?
Es war mir wichtig, den Eindruck eines großen Raumes zu schaffen, aus dem diese Töne in unseren Raum herüberklingen. Jeden der acht Lautsprecher einzeln anspielen zu können, gab mir die Möglichkeit, die Töne aus verschiedenen Richtungen kommen oder über die Wand wandern zu lassen. So entstand eine siebenminütige Komposition, in der die Stimme manchmal vereinzelt, manchmal im Chor erklingt, was an spirituelle Wehklagen erinnert. Begleitet werden diese Rufe von Klängen, die ebenfalls mit dem Vokaltrakt-Modell entstanden sind und eher an einfache Blasinstrumente erinnern. Mein Ziel war es, eine komplexe Klangkomposition zu schaffen, bei der die kühle Technologie, die zu ihrer Entstehung führte, ganz hinter ein poetisches Geheimnis zurücktritt und die Hörer*innen sich in einen Strudel der Zeit hineingezogen fühlen.

Installationsansicht: A&I, Altana Galerie der Kustodie der TU Dresden (2021). Foto: Adrian Sauer
Installationsansicht: A&I, Altana Galerie der Kustodie der TU Dresden (2021). Foto: Adrian Sauer.

Wie hängt das Mumien-Projekt mit den Überlegungen zum Thema Unsterblichkeit zusammen, die Sie im ersten Teil unseres Gesprächs vorgebracht haben?
Ägyptische Mumien sind körperliche Relikte einer uralten Hochkultur, in der das Streben nach Unsterblichkeit ein bestimmender kultureller Antrieb war. Die altägyptische Vorstellung, dass die Stimmen der Toten wieder erklingen müssen, damit sie ewiges Leben erreichen, hat mich besonders interessiert. Mit neuer Technologie ist es heute möglich, diese Stimmen wieder zum Klingen zu bringen, wenn auch nur in einer spekulativen Annäherung. Diese Verbindung eines uralten vormodernen Glaubenssystems mit neuer Technologie fasziniert mich. Hinzu kommt aber auch ein in die Zukunft weisender Aspekt dieser Arbeit: Sprachsynthese, wie wir sie verwendet haben, wird zukünftig die Stimmen unserer Verstorbenen erklingen lassen können, wenn deren Körper nicht mehr da sind. In Verbindung mit KI sind hier Konversationen mit solchen Gespenstern denkbar, die täuschend echt wie unsere Verstorbenen klingen und zu richtigen Gesprächen fähig sein werden.

Das Thema Zeit ist im Interview mehrfach angeklungen. Können Sie Ihre Sichtweise noch etwas genauer darlegen?
Ich möchte diese Frage mit den leicht abgewandelten Worten der Philosophin Rosi Braidotti beantworten, die für die Publikation zu dieser Ausstellung einen Essay über meine Arbeit verfasst. In ihrem Buch The Posthuman (Cambridge 2013) schreibt sie (in Bezug auf eine andere Thematik):

„[Diese Stimme] entstammt gleichzeitig dem 1. Jahrtausend v. Chr. und dem 21. Jahrhundert, archaisch und hypermodern zugleich. Sie ist ein Verbund von Anachronismen, der unterschiedliche Zeitachsen übergreift, angesiedelt in komplexen und widersprüchlichen Zeitzonen. [Diese Stimme] sprengt die zeitliche Linearität, sie existiert in kontinuierlicher Gegenwart […]. Das Nachdenken über [diese Stimme] verwirrt unsere überkommenen Denkkategorien – sie überfordert die lineare und laterale Logik des Denkens selbst, fügt ihm Tiefe, Intensität und Widersprüchlichkeit hinzu.“ (79)

Streben Sie als Künstler nach Unsterblichkeit?
Spätestens seit der Antike ist der Gedanke überliefert, ewiges Leben winke dem Helden, der sich einen Platz in der kulturellen Sphäre zu sichern vermochte. Deswegen zieht Achill auf dem Schlachtfeld von Troja den Heldentod einem langen Leben vor: Er hofft auf ewigen Ruhm. Dieses Narrativ der Vermächtniserzählungen hat sich bis heute erhalten, und wir Künstler*innen schreiben daran weiter, wenn wir davon träumen, dass unser Werk unser Leben einmal überdauern wird.

Christian Kosmas Mayer, ich danke Ihnen für das aufschlussreiche Gespräch.

Beitragsbild über dem Text: Modell des Vokaltrakts einer 2000 Jahre alten Mumie im Maßstab 1:1 mit eingebautem Zungenmodell aus Silikon (2021). Foto: Adrian Sauer.

Zitierweise

Peter Tepe (2022): Artist in Residence: Christian Kosmas Mayer. w/k - Zwischen Wissenschaft & Kunst. https://doi.org/10.55597/d16015

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