Text: Jonas Kellermeyer | Bereich: Allgemeines zu „Kunst und Wissenschaft“ | Serie: Künstlerische Forschung
Übersicht: Im ersten Teil stellt Jonas Kellermeyer sein Konzept der künstlerischen Forschung vor: Er versteht darunter eine gemeinsame Wissensproduktion, an der gesellschaftliche Akteure ebenso teilhaben wie Wissenschaft und Kunstbetrieb. Im zweiten Teil wird dieser Ansatz auf ein Projekt zum Ubiquitous Computing angewandt und so beispielhaft verdeutlicht.
Künstlerische Forschung – oder Artistic Research – ist ein heikles Unterfangen. Das erkennt man nicht zuletzt daran, wie kontrovers der Diskurs rund um den Begriff und die Bedeutung künstlerischer Forschung geführt wird (vgl. Weberger 2017): So sieht sich künstlerische Forschung weder an kanonische Methoden gebunden, noch will sie als unernst wahrgenommen werden. Die künstlerische Forschung läuft ganz generell Gefahr, sich entweder selbst zu marginalisieren, oder aber ihre eigene Bedeutung zu überhöhen. Die von mir vertretene Position sieht in ihr vor allem die gemeinsame Wissensproduktion, an der gesellschaftliche Akteure ebenso teilhaben wie Wissenschaft und Kunstbetrieb. Dieser Sichtweise entsprechend wird künstlerischer Intervention eine Berechtigung im diskursiven Gefüge der Wissenschaften zugestanden, wobei relative Grenzen bestehen bleiben. Im ersten Teil wird dieses Konzept der künstlerischen Forschung genauer dargelegt. Dabei wird eine Einordnung in den bestehenden Diskurs vorgenommen – Gemeinsamkeiten wie auch Unterschiede zu anderen Auffassungen stehen hier im Fokus.
Im zweiten Teil soll anhand einer exemplarischen Betrachtung des Kunst-Forschungsprojekts Technology, Human, Design – Paradigms of Ubiquitous Computing versucht werden, die zuvor angesprochenen Hauptpunkte besser begreifbar zu machen. Die konkrete Bedeutung und die spezifische Anwendung von künstlerischen Methoden mit konkretem Bezug zum Thema der allgegenwärtigen Rechenleistungen stehen hier im Mittelpunkt.
Artistic Research
Es existieren viele, teilweise konträre, Definitionen künstlerischer Forschung. Um die hier vertretene Sichtweise in den Diskurs einzuordnen, lohnt es sich, einen Blick auf das größere diskursive Gefüge zu werfen. Die Definition von Artistic Research, wie sie im Folgenden geliefert wird, schickt sich lediglich an, eine partikulare Perspektive eines weiten Spektrums abzubilden, geht dabei aber auf einige der bereits existierenden Definitionen ein.
Dass Kunst unsere Wahrnehmung nachhaltig zu beeinflussen imstande ist, wurde an anderer Stelle schon statuiert (vgl. u.a. Hochberg 1977). Kunst hat somit einen Anteil an der Art und Weise des Erkennens, ist ein eigenständiger, epistemologisch wertvoller Akteur. Es kann der künstlerischen Forschung nicht daran gelegen sein, sich eines klassisch-wissenschaftlichen Vokabulars und entsprechender Verfahrensweisen zu bedienen; das käme einem Understatement gleich. Das, was das methodologische Repertoire der künstlerischen Forschung meines Erachtens auszeichnet, ist eine emanzipatorische Qualität, die es erlaubt, sich einem Gegenstand auf Grundlage eines profanen Interesses – ja weitestgehend naiv – sinnvoll zu nähern und in diesem Zuge neue Formen des Wissens herzustellen, die den Rahmen des Sag- und Denkbaren erweitern. Diese Bestimmung schließt bereits lose an die Definition des künstlerischen Forschens als genuin „eigenständige[s] Erkenntnisunternehmen[]“ (Tepe 2022: 15) an. Es kann aber, so meine These, nicht darum gehen, dem disziplinären Wissenschaftsbetrieb ein fundamentales Defizit zu unterstellen oder ihm gar in derselben Sprache Konkurrenz machen zu wollen. Vielmehr müssen Übersetzungen stattfinden, gewissermaßen eigene Standards etabliert werden, die neue Sichtweisen auf epistemologisch relevante Sachverhalte hervorzubringen vermögen. Dazu ist es nötig, dass sich Kunstbetrieb und Wissenschaftssystem auf Augenhöhe begegnen. Die „Ausrichtung künstlerischer Forschung ‚an wissenschaftlichen Standards oder einem anwendungsorientierten Forschen‘“ (ebd.) ist dementsprechend als problematisch zu betrachten. Denn so würde im Umkehrschluss die Kunst lediglich als ein Steigbügelhalter für die hegemonial verstandenen Wissenschaften fungieren, verlöre jegliches kritisches Potenzial und stünde lediglich im Schatten klassischer Forschung. Diese Perspektive kommt einer Aufgabe des kritisch-spielerischen und fundamental unbequemen Potenzials gleich, das in künstlerischen Praktiken (mehr oder minder) offen zutage liegt. Diese kritische Qualität ist nicht gleichzusetzen mit offen zutage liegender Negativität. Sie offeriert viel eher alternative Sichtweisen der Realität. Die hier vertretene Position ist dennoch keine, die „die strikte Orientierung der künstlerischen Forschung an wissenschaftlichen Standards“ gänzlich ablehnt, sondern eine solche, die eine „effektive Zusammenarbeit“ (ebd.: 16) zwischen den verschiedenen Akteuren des kreativen Sektors und solchen der klassischen Wissenschaften in Aussicht stellt.
Es geht letzten Endes um eine informierte Re-Definition des Standpunktes, von dem aus sich wissenschaftliche Erkenntnis entwickelt, und damit verbunden um eine Neudefinierung der Grundlage von Forschung: Ob man sich nun mittels naturwissenschaftlicher Methodologie oder nach den Maßgaben der Kunst einem Gegenstand nähert, die Ergebnisse der jeweiligen Prozesse sind idealerweise komplementär zueinander aufzufassen.
In einem methodologischen Standardwerk der künstlerischen Forschung heißt es: „artistic research is characteristically not research about or of but a participatory act and reflection with a strong performative element“ (Hannula et al. 2014: 3 f.). Die explizite Performativität steht hier im Vordergrund. Es geht nicht so sehr um den konkreten Gegenstand, als vielmehr um die künstlerische Verfahrensweise, die eine potenzielle Partizipation ebenso fördert, wie sie den gesamten Forschungszusammenhang reflexiv auf sich zurückwirft. Der Begriff der Wissensproduktion ist zentral für Artistic Research – verstanden als „das Forschen aller“ (Peters 2013: 7 ff.) – und bezieht neben Wissenschaft und Kunst auch die Gesellschaft als Ganzes ein. In ihrem Ansatz zeigt Sybille Peters, dass künstlerische Forschung ein Konzept ist, unter dem verschiedene Forschungsweisen zusammenkommen und das „die Frage ‚Was ist Forschung?‘ [für] gesellschaftlich verhandelbar [hält]“ (ebd.: 8).
Fernab jeglicher Trivialisierung können im Rahmen des künstlerischen Vorgehens disziplinäre Forschungsprozesse in ästhetische Erfahrungen übersetzt werden, auf dass der Wert und die Relevanz der jeweiligen Forschung für die individuelle Lebensrealität gesellschaftlicher Akteure in den Vordergrund rücken. Es geht darum, einem weitestgehend nüchternen Forschungsprozess involvierende Qualitäten abzuringen, damit disziplinäre Sehgewohnheiten sukzessive aufbrechen. Die Gegenstände, an denen in den Laboratorien dieser Welt geforscht wird – sei es in der Physik, im Rahmen virologischer Unternehmungen oder eben mit Bezug zur technologischen Auskleidung unserer Alltagswelt – verbleiben nur allzu häufig in einem Stadium professioneller Nüchternheit, was zwar der Ernsthaftigkeit solcher Bestrebungen zuträglich sein mag, sich jedoch, die nachhaltige Einbindung der allgemeinen Öffentlichkeit betreffend, als eher hinderlich herausstellt. Um eine Dringlichkeit im Erleben des Einzelnen zu evozieren, bedarf es (medialer) Übersetzungen wissenschaftlicher Erkenntnisse in eine allgemeinverständliche Sprache. Diese, gemeinhin dem Feld der Wissenschaftskommunikation zugerechnete Funktion spielt in der vorliegenden Konzeption künstlerischer Forschung eine zentrale Rolle. Im Gegensatz zur reinen Wissenschaftskommunikation wird allerdings nicht bloß retrospektiv kommuniziert, sondern die Herstellung von Erkenntnissen selbst wird durch den Übersetzungsprozess vollzogen. Es geht also weniger darum, das geneigte Publikum vor vollendete Tatsachen zu stellen, als vielmehr darum, den Diskurs rund um Forschung zu einem gewissen Grad zu demokratisieren.
Es kann künstlerischer Forschung somit keineswegs darum gehen, die bestehenden Wissenschaften in populistischer Manier gänzlich abzulösen, sehr wohl aber darum, ihr generelles Vorgehen bisweilen kritisch zu hinterfragen. Artistic Research ist ein Unternehmen, das neue Sichtweisen gemeinsam mit dem Publikum entwirft, Wissensproduktion aktiv betreibt. Ein Beispiel für eine solche Übersetzung ist etwa im Werk des Medienkunstduos semiconductor zu finden. Bezogen auf ihr Werk Halo äußerten sich die beiden wie folgt:
„Scientists always tell us that these types of [particle] collisions [at CERN, J.K.] would likely to have occurred at the Big Bang, when there were the types of speeds necessary for particles to collide and emerge in this way. We like the idea that we are placing the viewer at the very beginning of the universe, a time that is impossible to imagine“ (Art Basel 2018).
Auch Timothy Mortons Lehre der Hyper-Objekte ist ein interessanter theoriegeleiteter Ansatzpunkt, um für Artistic Research als eigenständiges Vermittlungs- und Erkenntnisprogramm Partei zu ergreifen. Diese Hyper-Objekte sind „massively distributed entities that can be thought and computed, but not directly touched or seen“ (Morton 2013b: 37), die aber trotz dieser offensichtlichen Unverfügbarkeit massiven Einfluss auf die menschliche Existenz haben. Nach Ansicht von Levi Bryant, einem langjährigen Wegbegleiter Mortons, sind
„hyperobjects […] like our experience of a pool while swimming. Everywhere we are submersed within the pool, everywhere the cool water caresses our body as we move through it, yet we are nonetheless independent of the water“ (Bryant 2010).
Der Klimawandel ist ein gutes Beispiel für ein verschwommenes, non-lokales Hyper-Objekt (vgl. Morton 2013a: 38). Sich in einen hyper-objektiven Sachverhalt einzuschalten, heißt zunächst einmal erkennen, dass man selbst an ihm teilhat. Damit verbunden ist ein subjektiver Zugriff auf die Realität. Die künstlerische Forschung ist insofern eine vermittelnde Instanz, als es ihr immer darum geht, rezipiert zu werden. Damit wird der hermetisch sonst so abgeschottet stattfindende Teil wissenschaftlicher Wissensproduktion bis zu einem gewissen Grad demokratisiert. Potenziell allen wird Forschung nicht nur zugänglich gemacht (was reine Wissenschaftskommunikation wäre), sondern die Einbeziehung der Menschen in die Wissensproduktion selbst findet statt.
Die Gefahr einer jeden künstlerischen Forschung liegt letztlich darin, eine „Kunst ohne Publikum“ (Peters 2012: 11) hervorzubringen, sich eben zu stark an wissenschaftlicher Forschung und dem entsprechenden Habitus zu orientieren – und damit eben die allgemeine Öffentlichkeit als drittes Element neben Wissenschaft und Kunstbetrieb aus den Augen zu verlieren. Die Antizipation eines Perspektivwechsels und die damit verbundene spekulative Neu-Rahmung drängender Fragen und Prozesse mit ästhetischen Mitteln ist das Herzstück der künstlerischen Forschung, wie sie hier verstanden wird. Diese Sichtweise ist vor allem normativ (und vermittelnd) geprägt: Die Annahme, dass Forschung, wie sie in Laboren und disziplinär gefärbten Projekten stattfindet, keinen (oder nur einen geringen) Anklang bei einem Gros der Bevölkerung findet, kann durch den experimentell-spielerischen Charakter, den künstlerische Einflussnahme zu verstärken imstande ist, verändert werden. Das gesellschaftliche Subjekt wird so nachhaltig in den wissenschaftlichen Betrieb eingewoben; existenzielle Teilhabe steht in Aussicht. Gerade bezüglich der weitreichenden gesellschaftlichen Konsequenzen, wie sie durch die zunehmende Abwanderung von technologischen Rechenleistungen in die Peripherie der menschlichen Wahrnehmung bevorstehen, erscheint ein künstlerisch-spekulativer Zugang zur Forschung als lohnend, wobei sich das Spekulative vor allem an einem Hang zur Fiktionalisierung der wissenschaftlichen Vorgehensweise festmachen lässt.
Zwischen affirmativem Gebaren und kritischer Reflexion – Ubiquitous Computing Revisited
Die im ersten Teil bereits angesprochene Neu-Rahmung wissenschaftlicher Erkenntnisse zum Zweck der Einbindung einer generellen Öffentlichkeit funktioniert auch und gerade bezüglich solcher Forschung, die sich mit ganz und gar alltäglichen, ja profanen Sachverhalten beschäftigt. Smarte Gerätschaften sind aus dem Alltag der allermeisten Bürger*innen nicht mehr wegzudenken. Das Internet der Dinge und die Industrie 4.0 deuten eine Wiederverzauberung der Welt an (auf Grundlage deren vorangehender Entzauberung (vgl. Hartmann 2005: 276 f.)) – Toaster kommunizieren mit Kühlschränken, Autos mit Thermostaten, Mobiltelefone mit Laternen und autonome Produktionsroboter mit ihren Kolleg*innen (diese können sowohl menschlicher, wie auch nicht-menschlicher Natur sein). Die Nutzung digitaler (Assistenz-)Technologien ist teilweise so unterschwellig, dass die notwendig stattfindende Kopplung vollständig ohne sichtbare Nahtstellen auskommt. Die viel beschworene Seamlessness, d.h. die scheinbar nahtlose Form der Verbindung zwischen singulären Geräten – von Zauberhand – ist dabei Segen und Fluch zugleich: Auf der einen Seite funktionieren die Dinge einfach, ohne dabei großartiges Knowhow des Einzelnen vorauszusetzen, auf der anderen Seite liegt hier auch das Gefühl einer unbestimmten Ohnmacht begründet, die den Einzelnen im Angesicht der Technologie schnell zu überkommen vermag. Der künstlerische Ansatz bezüglich der Forschung rund um den Themenkomplex Ubicomp ist vor allem mit dem Versuch verbunden, sich diesem Sachverhalt spielerisch, gleichsam kritisch, zu nähern.
Das Konzept des Ubicomps geht maßgeblich auf die wegweisende Arbeit von Mark Weiser Anfang der 1990er Jahre am XEROX PARC im Silicon Valley und genauer auf seinen Aufsatz mit dem programmatischen Titel The Computer for the 21st Century zurück (Weiser 1991). Weiser setzt sich mit der zeitgenössischen Dynamik des Abwanderns von expliziten Rechenleistungen in die Peripherie der Wahrnehmungssphäre des Einzelnen auseinander: „The most profound technologies are those that disappear. They weave themselves into the fabric of everyday life until they are indistinguishable from it“ (ebd.: 94).
Die von Weiser imaginierte (und heute weitgehend realisierte) Dezentralisierung von Rechenleistungen ist eine jener Entwicklungen, die einen massiven Beitrag zur Gegenwartskultur leisten: Stabilisierend verbleiben solche Rechenprozesse gewissermaßen infrastrukturell und sind damit die Grundlage, auf der sich, quasi-organisch, eine neue Normalität zu entwickeln vermag; die Bedeutung, die die hochgradig technologisierte und sensorgestützte Erzeugung eines vermeintlich ganzheitlichen Bildes des Menschen für den sozialen Zusammenhang bildet, ist nicht zu unterschätzen. Dass die Idee allgegenwärtiger Rechenleistungen und ihres Einflusses auf das Alltagsgeschehen konzeptionell kein wirkliches Novum ist, zeigen viele Publikationen der frühen 2000er Jahre:
„Nachdem die Kommerzialisierung des Internets Mitte der 1990er-Jahre die vorläufig letzte Welle von Gesetzesänderungen ausgelöst hatte, steht nun bereits die nächste technische Revolution bevor: die der smarten Alltagsgegenstände und allgegenwärtigen Computer“ (Langheinrich 2005: 335).
Wir befinden uns im Jahr 2022, so ließe sich mit einem Blick auf das (potenziell netzwerkende) Interieur eines durchschnittlichen Haushalts feststellen, gar mitten in dieser technikhistorischen Umbruchphase. Digitale Assistenten und die mit ihnen verbundenen algorithmischen Zugriffe auf soziale Realitäten sind dieser Tage geradezu allgegenwärtig: Alexa, Siri, Cortana, Bixby – es existieren viele Variationen dieser und ähnlicher technisch-funktionaler Zugriffe auf soziale Realitäten. Adam Greenfield (2006: 34) fasst diesen Sachverhalt visionär unter dem Begriff „Everyware“ zusammen:
„[E]veryware […] isn’t so much a particular kind of hardware, philosophy or software design, or [a] set of interface conventions as it is a situation – a set of circumstances.”
Um sich der Essenz allgegenwärtiger Rechenleistungen adäquat zu nähern, erscheint ein affirmativ-analytischer Ansatz der künstlerischen Forschung besonders fruchtbar: Mittels eines solchen können eben jene Paradigmen, die das gegenwärtige Handeln und Denken sozialer Akteure in bestimmte Bahnen lenken, spielerisch auf den Prüfstand gestellt werden. So ist denn auch die Installation Ubicombs ein narratives Instrument, das durch spielerische Einbindung der Proband*innen Erkenntnisse hervorzubringen vermag, die, in leicht entschärfter Form, auch auf die Tendenz zur generellen Verdatung des Menschen im öffentlichen Raum referieren. Spielerisch und spekulativ werden in Ubicombs bestimmte Annahmen über die seit knapp einer Dekade etablierten, quasi-infrastrukturellen Technologien des Ubiquitous Computings (Ubicomp) auf den sprichwörtlichen Prüfstand gestellt. Das Zusammenspiel von datengetriebenen Versuchen der Kategorisierung von Nutzer*innen sowie deren Reaktion auf die extensiven Schlüsse auf deren vermeintliche Persönlichkeitsstrukturen, die allein durch das Verhalten innerhalb der Installation getroffen werden, steht im Mittelpunkt der konzeptuellen Kunstforschung, wie sie in diesem Projekt verstanden wird.
Die Installation (resp. die Forschungsanlage) besteht aus fünf verbundenen sechseckigen Räumen, die mittels einer Vielzahl an Sensoren und entsprechenden technischen Elementen, die die Eingangssignale in neuartige Ausgangsgrößen übersetzen, auf die Präsenz und das jeweilige Verhalten einer Person zu reagieren vermögen. Die Gestaltung der Räume folgt sowohl einem historischen Narrativ, als auch der Identifikation von fünf exemplarischen Paradigmen der gegenwärtigen Form des Ubicomp. Zusammen mit einem eigens für die Installation gestalteten Gewand soll man sich beim Durchlaufen der Installation auf Verhaltensweisen der Personen im Angesicht responsiver Umgebungen, d.h. Räume, die auf ihre Bewohner zu reagieren vermögen, konzentrieren. Die von den verschiedenen Sensoren erhobenen Daten werden miteinander korreliert und fügen sich über die Zeit des Durchlaufs zu einem datenbasierten Abbild der Person zusammen.
Dabei geht es vor allem um die dem jeweils gezeigten Verhalten zugrundeliegenden Motivationen in Bezug auf verschiedene Dimensionen: Zeigen die (Test-)Personen Anzeichen für eine systematisch-rationale Erschließung der Umgebung, oder lassen die Verhaltensmuster auf eine intuitive Form des Sense-Makings schließen? Ist Neugier oder Langeweile dominierend? Deuten die Signale auf einen unbekümmert gelassenen Umgang mit Neuem hin, oder spiegelt das Verhalten Vorsicht wider? Diesen Fragen wird sich auf drei parallelen Ebenen genähert: 25 Items werden anhand von Antonymen, wie z.B. privat/öffentlich, aktiv/passiv oder eingebunden/ausgeschlossen, aufgespannt und auf drei Arten zu beantworten versucht: Das technische Aktor-Sensor-System nähert sich der Beantwortung der Fragen selbstständig anhand zuvor von den Forschenden festgelegter Schwellenwerte, zugleich wird eine Echtzeit-Bewertung des Durchlaufs von einem Teammitglied erstellt, und schließlich folgt eine Selbsteinschätzung der jeweiligen (Test-)Person im direkten Anschluss an ihren jeweiligen Durchlauf. Wie nah oder wie fern sind sich die verschiedenen Beobachtungsweisen? Ist es möglich, den zugrunde liegenden Motivationen durch eine technisch-algorithmisierte Form der Beobachtung nahezukommen?
So spielerisch und der gemeinen Lebenswelt entrückt die Installation mit ihren karikaturesk anmutenden Räumen auch wirken mag, so relevant sind die aufgestellten, bisweilen provokativen Hypothesen, legen sie den Fokus doch auf unterschwellig stets mitlaufende Objektivierungsprozesse, denen ein menschliches Subjekt im Angesicht der allgegenwärtigen Sensortechnik tagtäglich ausgesetzt ist. Im Rahmen der künstlerischen Forschung ist es möglich, Zuspitzungen vorzunehmen, ethische Grenzen partiell zu überschreiten und sowohl provokativer als auch spekulativer vorzugehen, als dies im Rahmen klassischer Forschung möglich wäre. In dieser Hinsicht kommt eben jene Affirmation zum Tragen, wie man sie im Rahmen kommerzieller Entwicklungsvorgänge häufig zu Gesicht bekommt: Die großen Tech-Firmen des Silicon Valley etwa testen ihre Produkte (& Services) zunehmend in ähnlich spielerischen Settings (vgl. u.a. Gangadharbatla & Davis 2016; Dey & Eden 2016). Solch explizit kommerziellen Unterfangen innerhalb der Technologie-Branche stehen künstlerische Strategien stets kritisch gegenüber: Das Ziel ist eben gerade nicht die Marktreife eines spezifischen Gadgets oder Services, sondern vielmehr die sukzessive Offenlegung (und damit verbunden auch die Kritik) von algorithmischer Handlungsmacht und zugehörigen Schlussfolgerungen. „Die bestehende Infrastruktur ist keine Stufe des Kapitalismus, die zu zerschlagen wäre“ (Srnicek & Williams 2013: 30), sondern sie bietet sich als materielle Grundlage für weitreichende Spekulationen an. In diesem Sinne soll auch die Bedeutung des Ubiquitous Computings verstanden werden: denn, „[u]m voranzukommen, müssen wir sowohl eine geistige Kartierung des bestehenden Systems als auch ein spekulatives Bild eines zukünftigen ökonomischen Systems entwickeln“ (ebd.: 31). Gleichzeitig bedarf es auch einer konsistenten Vision gehaltvoller techno-sozialer Interaktion. „Wenn ein offenes System von irgend etwas determiniert ist, dann von dem Ziel, SICH GLEICH ZU BLEIBEN.“ (Plant 2000: 193) Der als Ubicomp benannte Zusammenhang ist somit ein strukturkonservatives Unterfangen, dem vor allem an der Errichtung stabiler Strukturen und vereinfachender Normierung gelegen ist (vgl. u.a. Dourish & Mainwaring 2012). Mit der Installation Ubicombs soll der Überwachungstechnik eine widerspenstige Qualität abgerungen werden. Zu diesem Zweck eignet sich das spekulative Vorgehen der künstlerischen Forschung, wie es hier präsentiert wurde, ungemein.
Literatur
Art Basel (2018): Artist duo semiconductor are bringing an intergalactic experience to Art Basel with Halo. Online unter https://www.artbasel.com/news/artist-duo-semiconductor-are-bringing-an-intergalactic-experience-to-art-basel-with-halo, aufgerufen am 10.07.2022.
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Dey, Sharmistha & Eden, Rebekah (2016): Gamification: An Emerging Trend. In: Hung, S Y/Liang, T P (Eds.): Proceedings of the 20th Pacific Asia Conference on Information Systems (PACIS). Taiwan.
Dourish, Paul & Mainwaring, Scott D. (2012): Ubicomp’s Colonial Impulse. In: Ubicomp 12 proceedings (Sep 5 – Sep 8, 2012). Pittsburgh, Pennsylvania.
Gangadharbatla, Harsha & Davis, Donna Z. (2016): Emerging Research and Trends in Gamification. Hershey.
Greenfield, Adam (2006): Everyware. The dawning age of ubiquitous computing. Berkeley.
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Langheinrich, Marc (2005): Die Privatsphäre im Ubiquitous Computing – Datenschutzaspekte der RFID-Technologie. In: Fleisch, Elgar & Mattern, Friedemann (Hrsg.): Das Internet der Dinge. Ubiquitous Computing und RFID in der Praxis: Visionen, Technologien, Anwendungen, Handlungsanleitungen. Berlin/Heidelberg.
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Morton, Timothy (2013b): Poisoned Ground: Art and Philosophy in the Time of Hyperobjects. In: Symploke 21(2013), No. 1–2. Lincoln, Nebraska, S. 37–50.
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Srnicek, Nick & Williams, Alex (2013): #Accelerate. Manifest für eine akzelerationistische Politik. In: Avanessian, Armen (Hrsg.) #Akzeleration. Berlin.
Tepe, Peter (2022): Über Konzepte künstlerischer Forschung 4. Online unter http://mythos-magazin.de/erklaerendehermeneutik/pt_kuenstlerische-forschung4.pdf, aufgerufen am 12.08.2022.
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Weiser, Mark (1991): The Computer for the 21st Century. In: Scientific American 265 (3). New York, S. 94–104.
Beitragsbild über dem Text: Cedric Spindler & José Navarro: EvaluationViewer (2021).
Zitierweise
Jonas Kellermeyer (2022): Künstlerische Forschung als gemeinsame Wissensproduktion. w/k - Zwischen Wissenschaft & Kunst. https://doi.org/10.55597/d16832
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