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Über Konzepte der künstlerischen Forschung 3. Zusammenfassung

Text: Peter Tepe | Bereich: Allgemeines zu „Kunst und Wissenschaft“

Übersicht: In Lieferung 3 der Reihe Über Konzepte der künstlerischen Forschung wird der von Corina Caduff, Fiona Siegenthaler und Tan Wälchli herausgegebene Band Kunst und künstlerische Forschung, der 2010 in Zürich veröffentlicht worden ist, behandelt. Der ausführliche Kommentar ist im Mythos-Magazin erschienen und hier zugänglich.

Meine Ziele und die Vorgehensweise sind ausführlich dargelegt in Über Konzepte der künstlerischen Forschung: Programm der Reihe. Ich wähle diejenigen Texte aus, die – zumindest ansatzweise  – eine Kunsttheorie und/oder -methodologie der künstlerischen Forschung entfalten, ein bildungspolitisches Konzept der künstlerischen Forschung vorstellen oder Auskünfte über dieses oder jenes individuelle Kunstprogramm der künstlerischen Forschung enthalten. Zu meinen Zielen gehört es auch, Möglichkeiten der Zusammenarbeit auszuloten und zur Weiterentwicklung bestimmter Überlegungen beizutragen. Auf der anderen Seite bemühe ich mich, die mir problematisch erscheinenden Thesen überzeugend zu kritisieren.

1. Nina Malterud: Gibt es Kunst ohne Forschung?

(1) Nina Malterud nimmt erstens an, dass sich klar zwischen guter und schlechter Kunst unterscheiden lässt; zweitens wird behauptet, es sei die Forschung – eben die künstlerische Forschung –, welche Kunst zur guten Kunst mache: Ohne künstlerische Forschung keine gute Kunst.

(2) Beide Annahmen sind problematisch. Wer behauptet, man könne auf allgemeingültige Weise zwischen guter und schlechter Kunst unterscheiden, muss auf wissenschaftlicher Ebene die Grundlagen seiner wertenden Kunsttheorie darlegen und rechtfertigen. Insbesondere ist zu diskutieren, ob es Fälle gibt, in denen die Anwendung verschiedener ästhetischer Wertsysteme zu unterschiedlichen Ergebnissen führt, die ernsthaft zu erwägen sind. Bei Malterud werden solche Fragen nicht diskutiert.

(3) Wenn Forschung – künstlerische Forschung – das ist, was Kunst allererst zu guter Kunst macht, so ist auf wissenschaftlicher Ebene ein gehaltvoller Begriff der Forschung erforderlich, der die starke These zu stützen geeignet ist. Es müsste z.B. gezeigt werden, dass dann, wenn keine künstlerische Forschung im zu präzisierenden Sinn vorliegt, keine gute Kunst dabei herauskommt. Malterud begnügt sich demgegenüber mit vagen Aussagen. Es erscheint wenig aussichtsreich, die These ‚Ohne künstlerische Forschung keine gute Kunst‘ auf eine wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Weise zu vertreten.

(4) Malterud unterscheidet das „Forschen“, das der Kunstpraxis zugeordnet wird, von der „institutionalisierte[n] Forschung“. Zur Forschung gehört z.B. die Anwendung von „Standards der Qualitätsbeurteilung“ auf konkrete Ausstellungen oder Aufführungen. Die „Debatten über das Wesen Künstlerischen Forschung“ werden der institutionalisierten Forschung zugeordnet.

(5) Die Debatten über künstlerische Forschung mögen zwar über einen längeren Zeitraum vorrangig als bildungspolitische Diskussionen über die an Kunsthochschulen vorzunehmenden Reformen stattgefunden haben, aber seitdem sich eine steigende Anzahl von Künstlerinnen und Künstlern explizit der künstlerischen Forschung zuordnet, wird die Diskussion auch in „den professionellen Kunstszenen und -kontexten“ geführt.

(6) Das norwegische Hochschulgesetz ist ein bildungspolitischer Text, in den Ziele und Interessen der an der Gesetzgebung beteiligten Instanzen einfließen. Behauptet wird, „dass Künstlerische Forschung der akademischen Forschung gleichwertig sei“. Auf wissenschaftlicher Ebene ist demgegenüber zunächst zu klären, was genau unter künstlerischer Forschung verstanden wird, um sich dann ergebnisoffen mit der Frage zu befassen, ob die so aufgefasste künstlerische Forschung tatsächlich die „Hauptquelle und Grundlage künstlerischer Bildung“ bzw. die Grundlage der Künste darstellt. Von keiner der bislang festgestellten Bedeutungen der Wortverbindung kann behauptet werden, es handle sich bei der künstlerischen Forschung um die „Hauptquelle und Grundlage künstlerischer Bildung“ bzw. um die Grundlage der Kunst im Allgemeinen.

(7) Das norwegische Hochschulgesetz und andere Texte scheinen auf der Voraussetzung zu beruhen, dass es nur eine Möglichkeit gebe, eine Gleichwertigkeit zwischen Wissenschaft und Kunst zu etablieren, nämlich durch die Annahme, dass beiden die Forschung im Allgemeinen gemeinsam ist. Ich behaupte demgegenüber, dass Erfahrungswissenschaft und Kunst anthropologisch unterschiedlich verankert sind. Die Erfahrungswissenschaften sind verankert in der Angewiesenheit der menschlichen Existenzform auf verlässliches Erfahrungswissen über lebensrelevante Gegebenheiten. Die Künste sind demgegenüber verankert in der Bindung menschlichen Lebens an variierende Überzeugungs- und speziell Wertsysteme. Wissenschaft und Kunst sind nach dieser Auffassung gleichwertig, weil diese unterschiedlichen Bereiche für die menschliche Lebensform gleichermaßen wichtig sind – und nicht, weil ihnen etwas gemeinsam ist, aus dem dann die Gleichwertigkeit logisch abzuleiten ist.

(8) Das Konzept der Peer Review ist vor allem von wissenschaftlichen Zeitschriften her bekannt, in denen eingereichte Beiträge vor der Veröffentlichung von kompetenten Fachleuten begutachtet werden. Besonders strenge Formen einer solchen Qualitätskontrolle werden dort praktiziert, wo Zeitschriften strikt nach erfahrungswissenschaftlichen Kriterien arbeiten. Hier spreche ich von Peer Review im engeren Sinn. In den „Kunst- und Designdisziplinen“ wird immer schon mit Qualitätskriterien bestimmter Art gearbeitet. Deren Anwendung z.B. auf „Ausstellungen, Publikationen, Aufführungen“ kann als Peer Review im weiteren Sinn eingeordnet werden.

(9) Für die Erfahrungswissenschaften gibt es bei allem Streit zwischen konkurrierenden Strömungen und Theorien einige allgemeine Kriterien zur Beurteilung des wissenschaftlichen Werts z.B. eines bei einer Zeitschrift eingereichten Aufsatzes. Dazu gehören die möglichst klare und substanzielle Kritik ermöglichende Argumentation, die Explikation der verwendeten theoretischen Annahmen, die Klärung der zentralen Begriffe, die grundsätzliche Überprüfbarkeit der Thesen. Für die Künste gibt es vergleichbare allgemeine Kriterien zur Beurteilung des künstlerischen Werts z.B. bestimmter Werke nicht. Zu jeder von einem Kunstprogramm gesteuerten Kunstrichtung gehören nämlich spezifische normative Qualitätskriterien, die von konkurrierenden Kunstprogrammen und -richtungen nicht anerkannt werden. Daher lässt sich das im erfahrungswissenschaftlichen Spektrum praktizierte Modell einer Peer Review im engeren Sinn nicht direkt auf das künstlerische Spektrum übertragen.

2. Marcel Cobussen: Der Eindringling. Differenzierungen in der Künstlerischen Forschung

(1) Marcel Cobussen interessiert sich eher für die Frage ,Wie funktioniert Künstlerische Forschung in der Praxis?‘ als für die ontologische Frage ‚Was ist Künstlerische Forschung?‘. Hier gibt es Berührungspunkte mit meiner Auffassung, die bei dem ansetzt, was Künstlerinnen und Künstler unter künstlerischer Forschung verstehen. Künstlerische Forschung im Sinne der Bedeutungen a, b, c usw. findet an vielen Orten statt, und es bilden sich ständig neue Formen heraus. Im bildungspolitischen Diskurs hingegen legt eine Instanz fest, was künstlerische Forschung eigentlich ist; in diesem Sinn wird die Frage „Was ist Künstlerische Forschung?“ gestellt und beantwortet.

(2) „Ist Kunst immer schon von Forschung geprägt oder infiziert? Gibt es Kriterien, die eine Unterscheidung zwischen Künstlerischer Forschung und Kunst erlauben? Anders gesagt: Ist Forschung ein untrennbarer Bestandteil aller Kunstproduktion?“ Diese Fragen gehören zum kunsttheoretischen Diskurs. Cobussen fasst künstlerische Forschung als untrennbaren Bestandteil aller Kunstproduktion auf. Dabei arbeitet er jedoch mit einem zu weiten Forschungsbegriff. Dass Künstlerinnen und Künstler in ihrer Arbeit explizit oder implizit bestimmte Fragen stellen wie z.B. ‚Welche Kleider können meine Gewinnchancen erhöhen?‘ oder ‚Welche Farben sind für das geplante Bild am besten geeignet?‘ wird üblicherweise nicht als Forschung angesehen. Kunstproduktion ist – wie jede andere Produktion von etwas – damit verbunden, dass man sich explizit oder implizit mit bestimmten Fragen beschäftigt, z.B. bei der „Vorbereitung eines neuen Theaterstücks“ mit der Frage „Welches Publikum wollen wir ansprechen?“ Explizite und implizite Fragen werden außerdem in allen Lebensbereichen gestellt. Auf wissenschaftlicher Ebene ist es nachteilig, jede Beschäftigung mit einer Frage, einem Problem als Forschung einzuordnen, denn dadurch wird vorentschieden, dass es keine Kunstproduktion ohne Forschung geben könne.

(3) Corbussen befasst sich mit „der Künstlerischen Forschung innerhalb eines akademischen Kontextes“. Seine Ausführungen entsprechen weitgehend der von Borgdorff vertretenen Position. Diese läuft vor allem darauf hinaus, dass unter der Benennung „künstlerische Forschung“ ein Profil für Arbeiten an Kunsthochschulen – insbesondere für Abschlussarbeiten – propagiert wird. Man orientiert sich an einem in vielen wissenschaftlichen Disziplinen akzeptierten Verständnis wissenschaftlichen Vorgehens und überträgt dieses auf die verschiedenen Kunstformen.

(4) Ich plädiere dafür, bildungspolitische Konzepte der künstlerischen Forschung von Theorien der künstlerischen Forschung, die als Kunsttheorien einzuordnen sind, abzugrenzen und gesondert zu diskutieren. Aus einer bestimmten Kunsttheorie ergibt sich nicht automatisch, dass „ein Künstlerischer Forscher grundsätzlich das Recht zur Erlangung der Doktorwürde haben soll“; dazu müssen bildungspolitische Annahmen und Entscheidungen hinzukommen. Das von Cobussen – in Übereinstimmung mit Borgdorff – vertretene Konzept begreift akademische Forschung so, dass künstlerische Forschung einen Teil von ihr darstellt.

3. Corina Caduff: Literatur und Künstlerische Forschung

(1) Corina Caduff konstatiert, dass die Kunstform Literatur „in all den Debatten über Künstlerische Forschung […] noch gar nicht behandelt wurde“. Versteht man unter künstlerischer Forschung ein bestimmtes Kunstprogramm, so besteht hier kein grundsätzliches Problem: Allgemeine Ziele künstlerischer Art können in allen Kunstformen verfolgt werden. So lässt sich etwa ein expressionistisches Programm in allen Künsten umsetzen. Die Einbeziehung der Literatur in die Debatten über künstlerische Forschung erscheint insofern unproblematisch.

(2)  „Wie ist Künstlerische Forschung im Hinblick auf Literatur zu denken?“ Will man „literarische Forschung geltend machen, so benötigt man dazu einen klar definierten Forschungsbegriff“.  Ich unterstütze dieses Vorgehen.

(3) Caduff entfaltet ihr Verständnis von literarischer Forschung anhand des Romans Blueprint. Blaupause von Charlotte Kerner. Die sich auf das Klonen beziehende „Fragestellung ist im literarischen Text selbst klar erkennbar und wird auch in Paratexten wie Verlagskatalog, Klappentext, Vor- oder Nachwort dargelegt.“ So informiert die Autorin im Nachwort „über die biologische Geschichte des Klonens, und in einer abschliessenden Danksagung führt sie die wissenschaftlichen Publikationen auf, die sie für den Roman benutzt hat.“ „Der Roman stellt die massiven Identitätsprobleme zur Debatte, mit denen menschliche Klone konfrontiert sein könnten.“

(4) Caduffs Vorgehensweise steht im Einklang mit dem w/k-Begriff der wissenschaftsbezogenen Kunst im Allgemeinen (hier angewandt auf Literatur). Gemeint ist damit Literatur, bei der die Schriftstellerin oder der Schriftsteller im Produktionsprozess, der stets im Rahmen eines bestimmten Literaturprogramms stattfindet, auf wissenschaftliche Theorien und/oder Methoden und/oder Ergebnisse aus dieser oder jener Disziplin zurückgegriffen hat. Ich schlage daher vor, den Roman Blueprint. Blaupause der wissenschaftsbezogenen Literatur zuzuordnen; das ist zugleich ein Präzisierungsvorschlag für Caduffs Rede von literarischer Forschung.

(5) Bezogen auf allgemeine Aussagen über wissenschaftsbezogene Literatur schlage ich einige Modifikationen vor: Es ist z.B. mit der Möglichkeit zu rechnen, dass ein literarischer Text zwar Wissenschaftsbezüge enthält, aber nicht in klar erkennbarer, sondern sozusagen in verklausulierter Form, sodass nur Lesern, die über spezifische Vorkenntnisse verfügen, die Verbindung zwischen bestimmten Textpassagen und einer Wissenschaft herzustellen vermögen. Entsprechend ist auch mit der Möglichkeit zu rechnen, dass die Wissenschaftsbezüge eines literarischen Textes nicht „in Paratexten wie Verlagskatalog, Klappentext, Vor- oder Nachwort dargelegt“ werden. Kurzum, in wissenschaftsbezogener Literatur findet zwar stets eine „Befragung von ausserliterarischen Wissenssystemen“ statt; diese muss aber nicht „deutlich erkennbar“ sein. Mit Caduff kann jedoch gesagt werden: „Bei literarischer Forschung [= wissenschaftsbezogener Literatur, P.T.] handelt es sich um eine literarische Erprobung von Wissen, das sich der Schriftsteller ausserhalb von Literatur angeeignet hat, mit dem er einer spezifischen Fragestellung nachgeht und das er seinerseits literarisch inszeniert und verhandelt.“

(6) Dass es schon vor dem Aufkommen des Terminus künstlerische bzw. literarische Forschung wissenschaftsbezogene Literatur gegeben hat, liegt auf der Hand. Caduff weist darauf hin, dass Goethes „verschiedene Tätigkeiten als Naturforscher sich auch in seinen Romanen manifestieren“; ein weiteres Beispiel sind „die Musikerzählungen von E.T.A. Hoffmann, der auch komponiert hat und sich in der Literatur dezidiert mit musikalischem Fachwissen auseinandersetzte“.

(7) Caduff betont richtig, dass es „für alle Künste möglich [ist], sich mit nicht künstlerisch vermittelten Wissensinhalten auseinanderzusetzen“. Die vorgeschlagene Definition ist im Prinzip sinnvoll: „Die explizite Auseinandersetzung mit nicht künstlerisch vermittelten Wissensinhalten ist ein konstitutiver Bestandteil von Künstlerischer Forschung [= wissenschaftsbezogener Kunst im Allgemeinen, P.T.]“. Bei dieser Definition ist jedoch zu bedenken, dass auf der Ebene des Kunstprogramms und der ihm folgenden künstlerischen Praxis mehrere Programme unter der Flagge der künstlerischen Forschung segeln. Daher ist Caduffs Definition als Präzisierungsangebot nur für einige Programme der künstlerischen Forschung aufzufassen.

(8) Der Übergang zum weiter gefassten Begriff der wissenschaftsbezogenen Kunst erweist sich auch bei der Vorläufersuche als vorteilhaft, denn für frühere Formen wie z.B. die von Caduff angegebenen gilt nicht durchgehend, dass sie „einer klaren Fragestellung [folgen], die zum einen im vorliegenden Kunstwerk selbst deutlich erkennbar ist und zum anderen zusätzlich in Paratexten explizit angeführt wird“.

Beitragsbild über dem Text: Debate on Artistic Research (2021). Illustration: Till Bödeker.

Zitierweise

Peter Tepe (2022): Über Konzepte der künstlerischen Forschung 3. Zusammenfassung. w/k - Zwischen Wissenschaft & Kunst. https://doi.org/10.55597/d15926

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