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KF als gemeinsame Wissensproduktion – Diskussion Runde 1

Bereich: Allgemeines zu „Kunst und Wissenschaft“ | Serie: Künstlerische Forschung

Übersicht: Die neue Arbeitsgruppe Künstlerische Forschung befasst sich in Runde 1 mit Jonas Kellermeyers w/k-Artikel Künstlerische Forschung als gemeinsame Wissensproduktion. Alexander Damianisch, Lutz Hengst, Christin Lübke und Till Bödeker/Peter Tepe formulieren Statements dazu, welche die Diskussion eröffnen.

Arbeitsgruppe zum Thema „Künstlerische Forschung“

In w/k  soll über einen längeren Zeitraum eine anspruchsvolle Pro- und-Contra-Diskussion über Konzepte der künstlerischen Forschung stattfinden. Zu diesem Zweck ist die Arbeitsgruppe Künstlerische Forschung gebildet worden. Diskutiert werden soll vor allem über Texte, denen in Kreisen der künstlerischen Forschung aktuell größere Bedeutung beigemessen wird. Das können neue (aber auch etwas ältere) Aufsätze sein, Kapitel aus Büchern, die eine Theorie der künstlerischen Forschung entfalten, usw. Begonnen wird mit Jonas Kellermeyers w/k-Beitrag Künstlerische Forschung als gemeinsame Wissensproduktion.

In Runde 1 geben die Teilnehmenden pointierte Statements ab. In Runde 2 hat zunächst Jonas Kellermeyer die Gelegenheit, darauf – und insbesondere auf die vorgetragenen Kritikpunkte – zu reagieren; darüber hinaus können die Mitglieder der Arbeitsgruppe untereinander diskutieren.

Die aus der Arbeitsgruppe hervorgegangenen Texte werden in w/k kurzfristig,  d.h. wenige Tage nach Fertigstellung, veröffentlicht. Die Publikation erfolgt zunächst im deutschen Teil. Die Statements werden nach dem zeitlichen Eintreffen geordnet.

Wer macht mit?

In Runde 1 wird mit einer relativ kleinen Arbeitsgruppe gestartet, zu der gehören:

  • Prof. Dr. Alexander Damianisch, Leiter Support Kunst und Forschung an der Universität für angewandte Kunst Wien.
  • HD Dr. Lutz Hengst, Leitung des Lehrgebiets Geschichte und Theorie des Designs, der Kunst und Ästhetik an der Akademie Mode und Design, AMD Berlin.
  • Dr. Christin Lübke, Vertreterin der Professur für Theorie des künstlerischen Gestaltens an der TU Dresden.
  • Aus der w/k-Redaktion wirken Till Bödeker und Prof Dr. Peter Tepe mit, die als Team auftreten.

Im Lauf der Zeit können weitere Fachleute, die sich mit dem Thema Künstlerische Forschung befassen, hinzukommen.

1. Statement von Lutz Hengst

Ich möchte bei einer Prämisse in Jonas Kellermeyers Aufsatz ansetzen. Sie besagt, dass künstlerische Forschung ein „heikles Unterfangen“ sei. Obschon das Risiko, heikel zu erscheinen, durchaus kalkuliert sein kann, stimme ich zu, wie ich noch etwas verdeutlichen werde. Zuerst will ich feststellen, dass dank der erwähnten Prämisse die Frage außen vor bleibt, ob künstlerische Forschung überhaupt sei. Nicht, dass eine solche Diskussion jeweils wieder aufgenommen werden müsste. Doch, ob mit Bedauern, Zustimmung oder Gleichgültigkeit zur Kenntnis genommen, kann keineswegs allgemein angenommen werden, dass allerorten von einer Existenz künstlerischer Forschung ausgegangen würde. Das aber bleibt hier und darf hier einmal Exkurs bleiben. Lediglich wäre an den Autor des adressierten Aufsatzes die Frage zu richten, inwiefern sich Ansatzpunkte für eine Diskussion, die sonst mit Blick auf Existenz oder Nicht-Existenz künstlerischer Forschung geführt wird, sozusagen verlagern auf die Frage, wer (und wie wer) Wissen produziert. Wobei ich für eigentlich relevanter halte, welches Wissen für wen produziert wird. Denn, dass es distinkte Formen von Wissen und auch Forschung gibt (oder sie zumindest gedacht werden können), davon kann ausgegangen werden. Wenn es aber um akademisches Wissen geht, das wesentlich, wo nicht gleich auf Allgemeingültigkeit, auf Nachprüfbarkeit gründet, dann wird es in der Tat heikel. Einen Grund dafür benennt Jonas Kellermeyer klar: Die Gefahr, dass sich Kunst zu sehr an wissenschaftliche Standards anpassen könne. Damit stelle sich zugleich die Gefahr, sozusagen selbstreferentiell zu werden und die Öffentlichkeit zu verlieren. Wobei mir der zweite beim Autor auch explizite Gefahrenhinweis tatsächlich diskussionswürdiger als der erste scheint. Denn eine selbstreferentielle Kunst wäre wohl per se weniger problematisch oder widersprüchlich zu nennen als eine entsprechende, jedoch wesentlich Erkenntnisobjekt-bezogene Wissenschaft. Außerdem scheint schwer zu entscheiden, was von beiden mehr der Öffentlichkeit bedarf. Womöglich kann in einem Kern beides ohne sie auskommen. Für ihre Anerkennung, Durchsetzung und letztlich Finanzierung wiederum braucht es mindestens die Beteiligung einer Teil- oder Fachöffentlichkeit. Um nun aber, inspiriert durch den Text und seine Thesen, nicht immer mehr und ausgreifendere Fragen zu stellen, will ich mich abschließend lieber auf ein anderes Problem konzentrieren. Es ergibt sich gewissermaßen aus der Geschichte künstlerischer Forschung, zumindest dann, wenn man deren Beginn nicht wenigstens bis zu Leonardo rückdatiert und damit in eine Zeit, in der die artes eben noch nicht solch separatistischen Vorstellungen wie in späteren Jahrhunderten unterworfen waren. Ich beziehe mich mit meiner Schlussbemerkung auf post-minimalistische Kunst der Zeit, vornehmlich der 1970er Jahre. Damals griffen beispielsweise Claudio Costa, Nikolaus Lang und die Poiriers Verfahren der Materialerschließung vorzugsweise aus dem Kanon historisch arbeitender Kulturwissenschaften auf. Allerdings waren ihre individuellen Archäologien, wie man den zugehörigen künstlerischen Ansatz zusammenfassend und in Anlehnung an den Kurator Günter Metken bezeichnen kann, recht frei ausgestaltet. So frei, dass neben der Adaption von wissenschaftlichen Forschungsweisen Idiosynkrasie, Ironie und zugleich Kritik an (Ausschluss-)Formen akademischer Wissensgewinnung standen. Auch in diesem historischen Sinne wäre künstlerische Forschung also heikel, ein Januskopf, dessen eines Gesicht fröhlich wissenschaftlichen Geist spiegelt, während ihm auf der Rückseite die Zunge heraus- und entgegengestreckt wird.      

2. Statement von Christin Lübke

Ich habe den wissenschaftlichen Beitrag vor allem aus der Perspektive einer forschenden und lehrenden Kunstpädagogin gelesen, die ihr Fachverständnis sowohl aus kunsttheoretischen, kunsthistorischen, kunstpraktischen und kunstdidaktischen Zuführungen speist. Dabei möchte ich zuerst betonen, dass mir das performative Kunstverständnis, welches Kellermeyer seinen Ausführungen zu Grunde legt, sehr nahe ist und ich dieses als sehr fruchtbar für seine Auseinandersetzung erachte. Kunst tritt als eine Form der kollaborativen Auseinandersetzung mit einem Gegenstand, eine des vielsinnlichen Um-Gangs mit pluralen Phänomenen oder auch der mehrperspektivischen Be-Handlung von gesellschaftlich relevanten Fragestellungen in Erscheinung. Meine Kritik am Text setzt an der Stelle an, an der die Kunst und mit ihr die künstlerische Forschung als Gegensatz zur (Natur-)Wissenschaft ins Feld geführt wird. Auch wenn die Dichotomie zwischen Kunst und Wissenschaft in den Ausführungen Kellermeyers lediglich aufgespannt wird, um im gleichen Zuge den Anspruch zu formulieren, dass sich beide Bereiche sinnstiftend durchdringen sollten, erachte ich diese Gegensätzlichkeit als eine auf die Argumentation des Textes hin zugerichtete. Denn auch Wissenschaft kann als eine Form der kollaborativen Auseinandersetzung, des Um-Gangs und der Be-Handlung verstanden werden, insofern auch sie ihre Gegenstände – wenn auch unter zielgerichteteren Prämissen – performativ hervorbringt. Auch nehme ich eine Fokussierung auf decodierte, quantitativ (naturwissenschaftliche) wissenschaftliche Forschung als verkürzt wahr. Qualitative empirische Forschung findet in diesem Wissenschaftsverständnis keinen Platz. Der im Text erörterte Wissenschaftsbegriff erscheint mir in diesem Sinne zu eng. Das zum Ende des Textes angefügte Beispiel habe ich als sehr spannungsreich wahrgenommen, wenngleich der Übergang zu Diskursen von Postdigitalität und New Materialism recht abrupt vollzogen wurde.

3. Statement von Alexander Damianisch

Allgemeine Überlegungen anhand konkreter Beispiele zu belegen, aus konkreten Beispielen allgemeine Überlegungen abzuleiten, sind einander meist konkurrierende Praktiken. Die Wahl, welcher dieser beiden Wege besser zu wählen ist, nimmt einem niemand ab. Das ist eine Entscheidung, die auch im Kontext der künstlerischen Forschung viel Fingerspitzengefühl verlangt. Eines für alles, alles für eines: Es ist verlockend, etwas Besonderes allgemein zu setzen. Im konkreten Fall dieses bereichernden Beitrages, der scheinbar von allgemeinen Überlegungen ausgeht, um dann ein konkretes Beispiel zu referieren, scheint der eingeschlagene Weg klar. Es stellt sich bei der Lektüre aber die Frage, ob hier nicht zuerst die künstlerische Forschungsarbeit war und diese dann ihren motivierten Titel gefunden hat?

Zum Ende wird also eine Versuchsanordnung beschrieben, womit geschlossen wird, dass innerhalb des künstlerischen Kontexts mehr erlaubt sein darf und muss, als in anderen Feldern möglich ist. Das ist sicher der Fall, ich möchte aber hier hinzufügen, dass auch die Meinung zulässig ist, gerade die künstlerische Praxis erweitere die Grundlage, wenn sie als Forschung verstanden wird, nicht nur die Bedeutung ihrer Relevanz, sondern auch die Notwendigkeit zur Nachvollziehbarkeit entscheidend. Nicht nur was wirkt, sondern auch wie es wirkt, muss explizit gemacht werden, denn alle Ambiguität und Toleranz braucht Bestimmtheit. Der Wahrnehmungsspielraum muss präzise gestaltet sein, damit der Bedeutungshorizont in der Erweiterung sich entfalten kann.

Künstlerische Forschung, die sich auf Unschärfe beruft und das mit künstlerischer Freiheit entschuldigt, muss anders ernst genommen werden. Ich meine dies jetzt nicht konkret auf den Beitrag und seine Schlüsse bezogen, sondern als Anmerkung zum praxis- und ergebnisoffenen Raum der künstlerischen Forschung an sich. Qualitäten dürfen nicht locker preisgegeben werden. Zum konkreten Thema muss ich sagen, ich bin in diesem Feld kein Experte zu beurteilen, ob hier die adäquaten Arbeiten und Referenzen reflektiert wurden, es nimmt sich zumindest in seiner Darstellung so aus; wenngleich aktuelle Entwicklung im Feld experimenteller Spieleentwicklung oder auch der digitalen Kunst evtl. auch interessante Hinweise liefern könnten.

Im allgemeinen Teil der Ausführungen bin ich ganz der Meinung des Autors, die künstlerische Forschung ist ein lebendiges Angebot zur Vermittlung komplexer thematischer Fügungen im Erkenntnisfeld für einen womöglich bisher nicht erreichten oder mittlerweile verlorengegangenen Adressat*innenkreis, inklusive möglicher Forscher*innen, auch aus den Wissenschaften selbst: Die Kunst kann helfen, das Eis des Selbstverständlichen im Blick auf das Besondere zum Knacken zu bringen, damit man darunter mehr erkennt als bekannt. Kunst und künstlerische Forschung müssen wieder ins Zentrum zur Bewertung von Möglichkeits-, Umsichts- und Verständnisentwicklungsräumen geholt werden. Sie darf nicht marginal abgeschottet in primär einander vertrauten Zirkeln verhandelt werden, sie muss öffentlich und von Bedeutung sein, ein Anliegen von uns allen, damit eine Aufklärung nicht bei dem Halt macht, was vor 300 Jahren bedacht wurde, sondern, was heute möglich ist. Es geht um die Erschließung von Sinn(es)feldern, auch jenen, die verschüttet werden, auch vom alltäglichen – wie im Beitrag angesprochenen – Aufmerksamkeitsschrott inklusive seiner Camouflage. Dabei müssen sämtliche Möglichkeiten von heute ausgeschöpft werden, gemeinsam und engagiert, offen und rigoros, dann auch sind Exzellenz und Engagement einmal weniger einander fremd, und diese beiden Seiten passen beide auf ein Bild, ohne dass es zerspringt, dennoch all seine Teile im Licht des Verstehens funkeln, worin dann auch sich so zeigen kann, was heimlich nur wirkt, aber besser entdeckt werden sollte.

4. Statement von Till Bödeker und Peter Tepe

Im Vorfeld ihres Statements haben sich Till Bödeker und Peter Tepe bemüht, das in Jonas Kellermeyers w/k-Beitrag wirksame Verständnis von künstlerischer Forschung (= KF) zusammen mit dem Autor weiter zu klären. Nach mehreren Korrekturrunden ist das folgende Ergebnis erreicht worden:

Vorklärungen

Im Artikel bestimmt Kellermeyer KF als „gemeinsame Wissensproduktion, an der gesellschaftliche Akteure ebenso teilhaben wie Wissenschaft und Kunstbetrieb“. Bezogen auf die Frage nach den an einer solchen Wissensproduktion Beteiligten zieht er mittlerweile die Rede von Expert*innen vor; darunter versteht er alle Personen, die sich einem Thema – wie digitale Assistenten, Gentechnik, Quantenphysik usw. – informiert nähern, sich also vor der Gruppenbildung bereits bestimmte Kenntnisse angeeignet haben. Das können Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sein, die in einer bestimmten Disziplin (wie etwa Informationswissenschaft, Biologie, Physik) tätig sind, oder auch Studierende solcher Fächer. Es können ausgebildete Künstlerinnen und Künstler, aber auch Studierende sowie Kunst-affine Laien sein. Hinzu kommen können Bürgerinnen und Bürger, die sich mit dem jeweiligen Thema bereits beschäftigt haben.

Vier Aspekte der gemeinsamen Wissensproduktion sind zu unterscheiden:

  1. Es bildet sich eine Gruppe von Leuten aus unterschiedlichen Bereichen (vor allem aus Wissenschaft und Kunst), die sich mit einem Thema intensiv beschäftigen will; alle Beteiligten verfügen bezogen auf das gewählte Thema über mehr oder weniger umfassende Vorkenntnisse.
  2. Zur Auseinandersetzung mit einem Thema gehört auch die kritische Diskussion.
  3. Die (kritische) Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Thema wird in mindestens einer „künstlerischen Intervention“ zum Ausdruck gebracht. Ergänzend kommen in der Regel Texte hinzu, in denen die Beteiligten über das, was sie als KF bezeichnen, reflektieren.
  4. Der so verstandenen KF kommt wie der in Disziplinen organisierten wissenschaftlichen Forschung eine Autonomie zu: Auf ihre eigene Weise erweitert die KF unser Wissen.

Nun zum Statement: Die Punkte (1)-(3) bereiten uns keine Schwierigkeiten: Wir haben nichts dagegen einzuwenden, dass sich Gruppen der beschriebenen Art bilden, welche sich mit bestimmten Themen intensiv – auch kritisch – beschäftigen, die Ergebnisse ihres Nachdenkens in künstlerischer Form artikulieren und in Texten über ihren Arbeitsprozess reflektieren. Mehr noch: Da die Aktivitäten einer solchen Gruppe auch als für w/k relevante Kooperation zwischen Wissenschaft und Kunst eingeordnet werden können, begrüßen wir sie und bieten eine Veröffentlichung in unserem Online-Journal an.

Da wir dem Prinzip der terminologischen Freiheit folgen, respektieren wir es außerdem, dass diese Aktivitäten als künstlerische Forschung bezeichnet werden; wir sind bestrebt, einen Streit um Benennungen zu vermeiden.

Unsere Kritik bezieht sich nur auf Punkt (4). Thesenhaft zugespitzt: In der jeweiligen Gruppe findet bezogen auf das gewählte Thema eine kritische, Bewertungen einschließende Meinungsbildung statt. Die kritischen Meinungen und Bewertungen variieren, abhängig von den Wertprämissen der Beteiligten. Eine solche Meinungsbildung ist von der Erweiterung empirischen Wissens beschreibender und theoretisch-erklärender Art grundsätzlich zu unterscheiden. Daher empfehlen wir, die jeweilige „künstlerische Intervention“ genauer als eine zu bestimmen, in der die kritische Meinungsbildung zu einem Thema artikuliert, nicht aber das Wissen erweitert wird. Die künstlerische Forschung dieses Typs ist somit anders einzuordnen, als das bei Kellermeyer geschieht.

Fazit: Das, was die jeweilige Gruppe tut, ist unproblematisch, während der für die Ergebnisse des eigenen Tuns erhobene Erkenntnisanspruch unberechtigt ist.

Beitragsbild über dem Text: Bing Image Creator: Scientists work together with artists on sculptures, in a large studio with computers (2023). Prompt: Till Bödeker.

Zitierweise

Till Bödeker (2023): KF als gemeinsame Wissensproduktion – Diskussion Runde 1. w/k – Zwischen Wissenschaft & Kunsthttps://doi.org/10.55597/d18089

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