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KF als gemeinsame Wissensproduktion – Diskussion Runde 2

Text: Jonas Kellermeyer, Till Bödeker, Peter Tepe. Bereich: Allgemeines zu „Kunst und Wissenschaft“ | Serie: Künstlerische Forschung

Übersicht: Jonas Kellermeyer reagiert in Runde 2 auf die verschiedenen Kritiken der Arbeitsgruppe Künstlerische Forschung, siehe Runde 1. Anschließend antworten Till Bödeker/Peter Tepe auf Kellermeyers Replik.

1. Jonas Kellermeyers Replik

Zunächst einmal möchte ich einen großen Dank an Till Bödeker und Peter Tepe aussprechen, die dieses Format initiiert haben und meinen Text für gut genug befunden haben, um ihn einer distinguierten Auswahl an Forscher*innen zur Verfügung zu stellen, auf dass er einen Diskurs rund um die KF ermögliche.

In meiner nun folgenden Entgegnung auf die einzelnen Statements möchte ich vor allem auf die geäußerten Kritikpunkte reagieren.

1.1 Zum Statement von Lutz Hengst

Lutz Hengst stellt zunächst heraus, dass die Frage, was sich denn überhaupt als KF qualifiziere, die Frage nach der Existenz oder Nicht-Existenz von KF generell vorwegnehme. Er halte es darüber hinaus für relevanter, „welches Wissen für wen produziert wird.“ Der Aussage, dass KF generell keine kanonische, monolithische Angelegenheit ist, kann ich in diesem Zuge nur zustimmen! Vielleicht kam dieser Punkt tatsächlich ein wenig zu kurz im initialen Text, aber es ist natürlich so, dass verschiedene Akteure mit unterschiedlichen Ideen aufwarten, die allesamt eines gemeinsam haben: Sie sind potenzieller Teil einer künstlerischen Forschungsstrategie! Dem Umstand, dass „distinkte Formen von Wissen und auch Forschung“ existieren, wird eben gerade durch die konsequente Betonung der emphatischen Disziplinlosigkeit Rechnung getragen. Die Aussage, dass es zwecks Finanzierung der Anerkennung einer Fach- oder Teilöffentlichkeit bedarf, ist ebenfalls ein valider Einwand, sollte aber nicht davon ablenken, dass der Einfluss, den die KF auf diese Publika haben kann, ebenfalls nicht zu unterschätzen ist. Es handelt sich eben nicht um eine Einbahnstraße in die eine oder in die andere Richtung, sondern viel eher um einen weiteren Baustein in einem größeren fachlichen Diskurs, um eine bisweilen irritierende Perspektive, die mit den anderen Perspektiven resoniert.

1.2 Zum Statement von Christin Lübke

Das zweite Statement von Christin Lübke aus der Perspektive einer forschenden und lehrenden Kunstpädagogin ist demgegenüber vor allem auf die Vermittlungsleistung hin ausgelegt. Wenngleich auch mir daran gelegen ist, in KF eine didaktische Komponente zu erblicken, geht KF doch weit über die bloße Vermittlung hinaus! Vermittlung ist im Zeichen der KF eine Form der Produktion! Kunst und (Natur-)Wissenschaft sind keine Antipoden, in dieser Hinsicht ist Christin Lübke recht zu geben; sie sind allerdings sehr kanonisiert und verhalten sich mitunter, als wären ihre jeweiligen Weltentwürfe nicht auf den gleichen Gegenstand ausgerichtet. Dieser Umstand führt dazu, dass es umso wichtiger wird, kommunikative Leistungen zu betonen, keineswegs in Fundamentalopposition abzudriften.

1.3 Zum Statement von Alexander Damianisch

Alexander Damianisch fragt nach dem Unterschied von Induktion und Deduktion und geht auf die Bedeutung beider Modi für die Entfaltung eines sinnvollen Diskurses ein. Seine Diagnose: „Es ist verlockend, etwas Besonderes allgemein zu setzen.“ Der implizite Vorwurf des Opportunismus trifft nicht, weil es sich bei den Erläuterungen in meinem Aufsatz um das Ergebnis von zwei intensiven Forschungsjahren handelt. Es mag in der Tat so wirken, als sei der Titel einfach der Methode aufgepfropft worden, allerdings ist eher das Gegenteil der Fall: Am Anfang stand die Idee, sich mit techno-sozialen Hybriden auseinanderzusetzen. Die intensive Beschäftigung mit KF kam erst in einem zweiten Schritt zum Tragen, nachdem die enorme Wichtigkeit von spekulativen Ansätzen bewusst vor Auge trat und klar war, dass neue Sehgewohnheiten etabliert werden mussten. Und genau das ist es, was KF für mein persönliches Unterfangen so gehaltvoll macht: die Fähigkeit, „das Eis zum Knacken zu bringen“, wie Alexander Damianisch es so poetisch formuliert.

1.4 Zum Statement von Till Bödeker/Peter Tepe

Abschließend sei noch das Statement von Till Bödeker und Peter Tepe erwähnt, dessen Darstellungsteil in Resonanz mit mir formuliert wurde. Sie identifizieren in ihrem Statement vier zentrale Punkte hinsichtlich einer differenzierten Sichtweise der KF. Von der Tatsache, dass es 1. einer heterogenen Gruppe an Forschenden mit verschiedenen (biografischen) Hintergründen bedarf, über 2. die Notwendigkeit eines kritischen Diskurses und 3. die Notwendigkeit einer kritischen Reflexion anhand von künstlerischen Interventionen bis hin zu 4. einer (Teil-)Autonomie der KF, die es den Forschenden ermöglicht, relevantes Wissen selbstbewusst und fundamental gleichberechtigt in den größeren Diskurs einzuspeisen.

Bödekers und Tepes zentrale Kritik an meinem Text bezieht sich nur auf die in Punkt 4 angesprochenen (Teil-)Autonomie der KF: sie „empfehlen […], die jeweilige ‚künstlerische Intervention‘ genauer als eine zu bestimmen, in der die kritische Meinungsbildung zu einem Thema artikuliert, nicht aber das Wissen erweitert wird.“ Dies würde allerdings bedeuten, KF lediglich einen Platz an der Seite der ernsten Wissenschaften zuzugestehen, ihr die Möglichkeit zu nehmen, eigene gehaltvolle Impulse zu setzen. Sie bliebe dementsprechend immer darauf angewiesen, fundamental zu reagieren. Auch wenn diese Sichtweise in vielerlei Hinsicht dem Status Quo entspricht, wäre es wünschenswert, den epistemologischen Gehalt der KF in Gänze wahr- und ernstzunehmen und ihr entsprechend eine (heuristische) Autonomie zuzugestehen.

Danke an alle Teilnehmenden und jene, die meinen Text rezipiert haben. Jeder Einwand ist willkommen und kann dazu führen, dass meine ganz eigenen blinden Flecken ausgemacht werden können.

2. Zu Kellermeyers Replik

Christin Lübke, Lutz Hengst und Alexander Damianisch verzichten auf die Möglichkeit, auf Kellermeyers Replik erneut zu reagieren – Till Bödeker/Peter Tepe nutzen sie hingegen, da sie glauben, dass ihre Kritik nicht vollständig verstanden worden ist.

2.1 Till Bödeker/Peter Tepe erläutern ihre Kritik

Zusammen mit Kellermeyer haben wir sein Verständnis von KF als gemeinsame Wissensproduktion geklärt und das Ergebnis der Klärung in vier Punkten festgehalten. Dann folgt unsere Einschätzung:

„Die Punkte (1)-(3) bereiten uns keine Schwierigkeiten: Wir haben nichts dagegen einzuwenden, dass sich Gruppen der beschriebenen Art bilden, welche sich mit bestimmten Themen intensiv – auch kritisch – beschäftigen, die Ergebnisse ihres Nachdenkens in künstlerischer Form artikulieren und in Texten über ihren Arbeitsprozess reflektieren. Mehr noch: Da die Aktivitäten einer solchen Gruppe auch als für w/k relevante Kooperation zwischen Wissenschaft und Kunst eingeordnet werden können, begrüßen wir sie und bieten eine Veröffentlichung in unserem Online-Journal an.

Da wir dem Prinzip der terminologischen Freiheit folgen, respektieren wir es außerdem, dass diese Aktivitäten als künstlerische Forschung bezeichnet werden; wir sind bestrebt, einen Streit um Benennungen zu vermeiden.

Unsere Kritik bezieht sich nur auf Punkt (4). Thesenhaft zugespitzt: In der jeweiligen Gruppe findet bezogen auf das gewählte Thema eine kritische, Bewertungen einschließende Meinungsbildung statt. Die kritischen Meinungen und Bewertungen variieren, abhängig von den Wertprämissen der Beteiligten. Eine solche Meinungsbildung ist von der Erweiterung empirischen Wissens beschreibender und theoretisch-erklärender Art grundsätzlich zu unterscheiden. Daher empfehlen wir, die jeweilige „künstlerische Intervention“ genauer als eine zu bestimmen, in der die kritische Meinungsbildung zu einem Thema artikuliert, nicht aber das Wissen erweitert wird. Die künstlerische Forschung dieses Typs ist somit anders einzuordnen, als das bei Kellermeyer geschieht.“

Siehe Runde 1

In unseren veröffentlichten KF-Texten haben wir uns immer wieder mit den von Vertretern der künstlerischen Forschung erhobenen Ansprüchen auf Erweiterung des Wissens bzw. der Erkenntnis auseinandergesetzt, der berechtigt, aber auch unberechtigt sein kann. Unberechtigt ist er dann, wenn die genauere  Analyse zeigt, dass in einem KF-Konzept etwas anderes als die Erweiterung des Wissens beschreibender oder theoretisch-erklärender Art erfolgt. Das ist nach unserer Einschätzung hier der Fall: In der Gruppe findet eine kritische Meinungsbildung zu einem bestimmten Thema statt, das von einer Erweiterung des Wissens unterschieden werden sollte.

„Fazit: Das, was die jeweilige Gruppe tut, ist unproblematisch, während der für die Ergebnisse des eigenen Tuns erhobene Erkenntnisanspruch unberechtigt ist.“

Nun zu Kellermeyers Reaktion:

(1) Er trägt kein Argument vor, um unsere Kritik zu entkräften und zu zeigen, dass doch ein berechtigter Erkenntnisanspruch vorliegt.

(2) Kellermeyer weist auf Folgen unserer Kritik hin, die aus seiner Sicht abzulehnen sind. „Dies würde allerdings bedeuten, KF lediglich einen Platz an der Seite der ‚ernsten‘ Wissenschaften zuzugestehen, ihr die Möglichkeit zu nehmen, eigene gehaltvolle Impulse zu setzen. Sie bliebe dementsprechend immer darauf angewiesen, fundamental zu reagieren.“ Der Hinweis auf unerwünschte Folgen einer Kritik ist gesondert zu prüfen.

(3) Aus unserer Würdigung der Punkte (1)–(3) geht hervor, dass Kellermeyers KF-Konzept durch die Kritik keineswegs die Möglichkeit genommen wird, „eigene gehaltvolle Impulse zu setzen“. Die gehaltvollen Impulse werden nur anders interpretiert, nämlich als solche der kritischen Meinungsbildung über …

(4) Nach Kellermeyer „wäre es wünschenswert, den epistemologischen Gehalt der KF in Gänze wahr- und ernstzunehmen und ihr entsprechend eine (heuristische) Autonomie zuzugestehen.“ Da viele verschiedene KF-Konzepte vertreten werden, sollte nach unserer Auffassung jedes Konzept einzeln geprüft werden. Wir machen in unserem Statement daher keine Aussagen über die KF im Allgemeinen, sondern beziehen uns nur auf das Konzept der gemeinsamen Wissensproduktion, gegen das wir bei positiver Würdigung des Projekts einwenden, dass in ihm etwas anderes stattfindet als gemeinsame Wissensproduktion in einem in der Fachliteratur üblichen Verständnis des Begriffs. Das schließt „eine (heuristische) Autonomie“ dieses Projekts keineswegs aus. Oder hängt die Autonomie von KF Ihrer Ansicht nach zwingend von der Möglichkeit von Wissenserzeugung ab? Aus der Kritik ergibt sich aber, dass dieses KF-Konzept nicht den behaupteten „epistemologischen Gehalt“ besitzt. Denkbar ist natürlich eine Weiterentwicklung dieses KF-Konzepts, welche zu einer Fassung führt, die von unserer Kritik nicht getroffen wird.

(5) Am Beispiel des w/k-Interviews mit Oliver Thie weisen wir auf ein KF-Konzept hin, das einen berechtigten Erkenntnisanspruch erhebt. Thie versteht sich als forschender Zeichner, der Strukturen der Zikaden-Oberfläche mit zeichnerischen Mitteln erschließt. Er ordnet sich der künstlerischen Forschung zu. Welches KF-Verständnis liegt hier vor? Unter KF wird das Bestreben verstanden, die deskriptive Erkenntnis mit künstlerischen Mitteln zu erweitern:  Die Beschaffenheit der Zikade soll genauer als bisher erfasst werden.

Thie gelangt im Arbeitsprozess zu einer Vermutung über eine bestimmte Struktur der Zikaden-Oberfläche, und er artikuliert diese Vermutung nicht wie ein Wissenschaftler in schriftlicher Form in einem Fachtext, sondern in zeichnerischer Form. Bestätigt sich diese Vermutung im weiteren Prozess, so liegt eine Erweiterung der deskriptiven Erkenntnis mit künstlerischen Mitteln vor. Das kann als auf diesen Fall zugeschnittene Präzisierung von „Ich verstehe mich als künstlerischer Forscher“ aufgefasst werden.

Beitragsbild über dem Text: Künstlich generiertes Bild mithilfe von Stable Diffusion (2023).

Zitierweise

Jonas Kellermeyer, Till Bödeker und Peter Tepe (2023): KF als gemeinsame Wissensproduktion – Diskussion Runde 2. w/k - Zwischen Wissenschaft & Kunst. https://doi.org/10.55597/d18264

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