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Herbert W. Franke VISIONÄR

Text: Susanne Päch | Bereich: Beiträge über Künstler | Reihe: Ausstellungen

Übersicht: Das oberösterreichische Landesmuseum Francisco Carolinum veranstaltet 2022 die Ausstellung Visionär über Herbert W. Franke, einen der bedeutendsten Grenzgänger zwischen Wissenschaft und Kunst. Franke ist Physiker und Höhlenforscher, einer der Begründer der Computerkunst und Math Art, ein führender Vertreter der deutschsprachigen Science Fiction-Literatur. Darüber hinaus hat er eine rationale Kunsttheorie entwickelt. Im Grenzbereich zwischen Wissenschaft und Kunst gibt es nur wenige, die so breit aufgestellt sind wie er.

Anlässlich des 95. Geburtstags von Herbert W. Franke, Pionier des Brückenschlages zwischen Wissenschaft und Kunst, ehrt das Francisco Carolinum, das Landesmuseum von Oberösterreich, das Lebenswerk dieses prominenten Grenzgängers: Das Kunstmuseum in Linz, seit 2014 UNESCO City of Media Arts, präsentiert unter dem Titel VISIONÄR vom 31. März bis zum 3. Juli 2022 eine umfangreiche Einzelausstellung über diesen Wanderer zwischen den Welten. Es geht dabei zuerst einmal um Kunst, denn der promovierte Physiker und Höhlenforscher ist einer der Wegbereiter und Begründer der Computerkunst und Mitbegründer der Ars Electronica. Franke ist zudem einer der prominentesten deutsch schreibenden Science Fiction-Autoren. Als Literat war er bereits seit 1960 – mit seinem ersten Werk Der grüne Komet (Goldmann, München) – ein Vordenker virtueller Welten. Daneben hat er für die Höhlenforschung mit der Datierung von Tropfsteinen eine Pionierleistung erbracht, mit der er auch bedeutende Aufschlüsse für die Klimatologie seit der letzten Eiszeit offenlegen konnte.

Die Bedeutung des Werkes im Überblick

Schon im Jahr 1957 erbrachte Franke im Buch mit dem Titel Kunst und Konstruktion (Verlag F. Bruckmann, München) den Beweis, dass Technik „ungeahntes künstlerisches Neuland erschließt“. Der Österreicher erkundete es sein ganzes Leben lang konsequent und wie kaum ein anderer mit analytischen Methoden und der Hilfe von Maschinen. Er experimentierte bereits 1953 mit generativer Fotografie, mit der nicht mehr die Wirklichkeit abgebildet, sondern ungegenständliche Bilder auf Basis von Strukturen gestaltet wurden. Franke nutzte ab 1954 einen analogen Computer für seine Lichtzeichnungen und untersuchte ab den sechziger Jahren die ersten Großrechner bezüglich ihrer ästhetischen Fähigkeiten. Damit war er Wegbereiter der digitalen Kunst, die er in den folgenden Jahrzehnten maßgeblich in ihrer Entwicklung beeinflusst und auch als Publizist und Kurator begleitet hat. Im Jahr 1970 war er mit einem Siebdruck aus seiner Serie Quadrate bei der Biennale in Venedig vertreten. Es ist sein erstes mit einem Digitalcomputer geschaffenes Werk, bei dem er den Zufall mit einem Algorithmus zusammenarbeiten ließ. 1980 erwarb Franke einen der ersten Apple II 8-Bit-Mikrocomputer – heute eine Ikone der PC-Welt –, mit dem er seine Werke fortan selbst programmierte.  

Herbert W. Franke: Bandformen (1954–58). Foto: Archiv art meets science.

Sein Werk und seine Schriften, seine Visionen und Gedanken sind heute besonders interessant geworden – in einer Zeit, in der digitale Kunst mit den Non-Fungible Token, den NFTs, einen mächtigen Aufschwung erlebt hat. Diese Token entsprechen einem digitalen Wasserzeichen, das in der Blockchain-Technologie generiert wird und jeder Datei angehängt werden kann, auch Kunstwerken. Damit ist jedes Kunstwerk im Internet digital gesichert, authentifiziert und so gegen Missbrauch geschützt. Für diese mit Token ausgerüstete Kunstform hat sich der Begriff Kryptokunst eingebürgert. Die Community der Kryptokünstler tauscht sich auf Twitter weltweit aus. Die Kryptokunst steht heute neben den klassischen Medien Malerei und Skulptur als neue Form der Medienkunst. Als Franke am 8. März 2022 auf Twitter aktiv wurde, wuchs der Account von @HerbertWFranke schon innerhalb von 24 Stunden auf 10.000 Follower an. Sein erster Tweet kam auf über 15.000 Likes und über 2.000 Retweets.

Frankes schriftstellerische Laufbahn und sein künstlerisches Schaffen lassen sich jedoch noch weiter zurückverfolgen. Ihren Ausgangspunkt nahmen beide schon Ende der 1940er Jahre tief unter der Erde in den Höhlen Europas. Damals machte er seine ersten Höhlenfotografien, bei denen ihn bereits die Ästhetik von Tropfsteinen zu faszinieren begann. Er hat seither in Forschungsteams zahlreiche Großhöhlen, unter anderem im Dachsteinmassiv, erforscht und ist bis ins hohe Alter als Höhlenforscher aktiv geblieben. Als theoretischer Physiker befasste er sich mit der Entstehung von Tropfsteinhöhlen, aber ebenso mit Fragestellungen der Kybernetik und mit Wahrnehmungsprozessen, die zu seiner rationalen Kunsttheorie führten. Neben zahlreichen Fach- und Sachbüchern schrieb er vielfach preisgekrönte Science Fiction-Bücher. Im Herbert W. Franke Archiv im Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe (ZKM) befinden sich über 1.800 Manuskripte, die derzeit erfasst und digitalisiert werden.

Vernissage der Ausstellung Herbert W. Franke VISIONÄR (2022). Foto: Francisco Carolinum Linz.

Weiterführende Hinweise: Anlässlich des 80. Geburtstags Frankes erschien 2007 mit Ex machina – frühe Computergrafik bis 1979: die Sammlungen Franke und weitere Stiftungen in der Kunsthalle Bremen im Rahmen der gleichnamigen Ausstellung eine umfassend kontextualisierte Monografie (Deutscher Kunstverlag, München). Weitere ausführliche Angaben zu Frankes Biografie und seinem Schaffen, unter anderem zu seinen zahlreichen seriellen Arbeiten, finden sich auch auf der Webseite art meets science.

Zur Ausstellung Herbert W. Franke VISIONÄR

Frankes umfangreiches Werk beruht auf der Rationalität des Forschers und der Kreativität des Künstlers. Diesem außergewöhnlichen Brückenschlag zwischen Kunst und Wissenschaft und der enormen Imaginationskraft – von der Kunst bis zur Science Fiction-Literatur, von der Mathematik bis zur Höhlenforschung – widmet sich diese Ausstellung. Mit 26 Serien seines umfangreichen Werkes zeigt sie in vier exemplarischen Themenbereichen, wie Franke ab den frühen 1950er Jahren bis heute die Zukunft der digitalen Kunst als Künstler und Theoretiker entscheidend geprägt hat. 

Die Zukunft: art meets science – Stiftung Herbert W. Franke

Am 31. Mai 2022 hat Franke hundert Bilder der Math Art – Werke, die mathematische Formeln visualisieren (siehe auch: Ausführungen zu Raum 3) – auf der Plattform Quantum in die Blockchain gestellt. In 30 Sekunden war die gesamte Edition ausverkauft, eine Aktion, die als Fundraising für eine Stiftungsgründung diente: die art meets science – Stiftung Herbert W. Franke. Diese Stiftung möchte die Pionierleistungen und Werke Frankes für die Öffentlichkeit weiter erschließen, diese zudem in Ausstellungen und Events publik machen sowie wissenschaftliche Symposien zu einschlägigen Themen unterstützen. Ebenso wird die noch im Sommer 2022 entstehende Stiftung Forschungsprojekte mitfinanzieren oder selbst realisieren, die die vom Visionär im 20. Jahrhundert geschlagene Brücke zwischen der Welt der Kunst auf der einen Seite und der Naturwissenschaft auf der anderen im 21. Jahrhundert weiter ausbauen soll.

Herbert W. Franke: Math Art (1980–1995). Foto: Archiv art meets science.

Raum 1 –Kunst als Experiment und das Prinzip der Stetigkeit in Natur und Kunst

Ausstellung Herbert W. Franke VISIONÄR (2022). Foto: Francisco Carolinum Linz.

„Bis auf wenige Ausnahmen haben […] alle mathematischen Formeln, die physikalische Erscheinungen beschreiben, eine Eigenschaft, die die Mathematiker Stetigkeit nennen […]. Kein Künstler könnte Linienschaaren anmutiger legen, als das eine stetige Kurvenschaar durch eine Art Selbstkontrolle automatisch besorgt.“ (Herbert W. Franke: Kunst und Konstruktion. München 1957, S. 30f.)

Franke suchte immer nach bekannten oder auch neu entdeckten mathematischen Prinzipien, um sie für seine künstlerischen Experimente einzusetzen. Ihm war klar, dass es Aufgabe des Künstlers sein kann, neue Technologien mit ihrer großen gesellschaftlichen Bedeutung auf ihr kreatives Potenzial hin zu untersuchen. Denn sie sollten nicht nur Technokraten, dem Kommerz oder gar dem Militär vorbehalten bleiben, wie Franke in Vorträgen und Interviews immer wieder betonte, zuletzt mit der Medienkunstwissenschaftlerin Charlotte Kent in der Juni-Ausgabe 2022 von The Brooklyn Rail.

Als theoretischer Physiker experimentierte Franke im Rahmen seiner Dissertation in elektronenoptischen Versuchen mit Lichtphänomenen. Dabei wurde für ihn offensichtlich, dass das Medium nicht nur wissenschaftliche Zusammenhänge erhellt, sondern die dabei entstehenden Bilder oft einen hohen ästhetischen Mehrwert zeigen. Franke begann, mit Lichtgrafiken abstrakte Bildwelten analytisch zu konstruieren. Seine frühen Werke führten ihn zwangsläufig zur Frage nach den darunter liegenden ästhetischen Prinzipien. Während in der klassischen Malerei das Ordnungsprinzip der Symmetrie schon damals von großer Bedeutung war, führte er – mit nur fotografisch festhaltbaren Lichtwellen experimentierend – die Stetigkeit als neues mathematisch formulierbares Prinzip in die ästhetische Betrachtung ein. Stetige Linien und Kurven sowie Wellen und Schwingungen zeigen einen glatten Verlauf ohne Unterbrechungen oder Knicke. Früh erkannte der Höhlenforscher Franke, dass diese Stetigkeit für natürliche Wachstumsprozesse, wie beispielsweise bei Tropfsteinen, von großer Bedeutung ist. So suchte er nach stetigen Formen auch in seiner Lichtkunst, die im Fotolabor mit gezielt gestalteten Lichtexperimenten begann, ihn aber bald auch zum Einsatz unterschiedlicher Maschinen führte: 
Die Serie Tanz der Elektronen entstand beispielsweise ab 1954 mit Hilfe eines Analogrechners. Die damit kalkulierten Schwingungsformen wurden auf einem Oszillographen sichtbar gemacht und dann fotografisch dokumentiert. Während diese stetigen Lichtgrafiken gänzlich synthetisch erzeugt wurden, nutzte Franke bei der Serie Bandformen das natürliche Prinzip der Stetigkeit. Zur Vorbereitung wurden transparente Folienstreifen gekrümmt und verdrillt, zuletzt ihre beiden Enden so zusammengeklebt, dass jeweils ein geschlossenes Band zustande kam. Wird es losgelassen, nimmt das Band in dieser geschlossenen Form durch seine natürliche Elastizität von selbst den energieärmsten, also stetigen Zustand ein.

Raum 2–Zufall und Informationstheorie: Der Computer als Partner

Ausstellung Herbert W. Franke VISIONÄR (2022). Foto: Francisco Carolinum Linz.

„In Wirklichkeit wird nun die schöpferische Produktivität auf eine andere Ebene verlegt. Es ist nicht mehr ein unbewusstes dumpfes Wollen, sondern eine klare, bewusste Absicht, die zur Geltung drängt. Es wird nicht mehr der Stimmung und Intuition überlassen, welchen Charakter ein Werk erhält, sondern einer genauen, umfassenden Kenntnis der Gesetzmäßigkeiten.“ (Franke: Kunst und Konstruktion, S. 70.)

Franke betrachtete die Mathematik mit ihrer abstrakten Formelwelt seit seinen Anfängen in den 1950er Jahren als das Wesen der bildenden Kunst. Während er den Künstler in der Rolle des analytischen Schöpfers sah, der mit mathematischen Methoden Strukturen erschafft, wies er dem Computer die Aufgabe zu, diese Ordnungsprinzipien durch variierende Zufallsprozesse zu modulieren. Damit wurde der Computer bei Franke zu einem Partner in der Produktion von Kunst.  

1967 entwickelte Franke erstmals selbst einen digitalen Code: das Basis-Programm für QUADRATE. Er konzipierte das Flussdiagramm, das vom Nachrichtentechniker Georg Färber in der frühen Programmiersprache Fortran umgesetzt wurde. Der Künstler steuert hier den analytischen Prozess der Strukturbildung bei und wird damit immer mehr zu einem Konstrukteur von Ästhetik, während der Computer durch Zufallsprozesse kreativ wird. Gleichzeitig rückt damit der zugrundeliegende Code von allen möglichen Bildern in den Blickpunkt, nicht mehr das Realisat eines einzelnen Bildes.

Als theoretischer Physiker, der vom Prinzip der Wechselwirkung in Systemen fasziniert war, befasste sich Franke früh auch mit Fragestellungen der Kybernetik. Sein besonderes Interesse galt dabei den Zusammenhängen von Wahrnehmungsprozessen und Kunst, die er 1967 im Fachbuch Phänomen KunstDie naturwissenschaftlichen Grundlagen der Ästhetik (Heinz Moos Verlag, München) veröffentlichte. Sein Modell beschreibt Kunst als ein mit Hilfe der Informationstheorie erfassbares Konstrukt. 

Anlässlich der Eröffnung der Ausstellung fand eine Podiumsdiskussion zum Thema Das Potential des Digitalen in der Kunst – damals und heute statt. Der international anerkannte Pionier der Kryptokunst Kevin Abosch beantwortete die Frage, warum es so lange gedauert hat, bis Frankes künstlerische Arbeit von der breiten Öffentlichkeit als visionär anerkannt wurde:

„Die künstlerischen Werke von Herbert W. Franke zeigen, wie er fast schon obsessiv neu entstehende Technologien wissenschaftlich erforscht hat. Das machte damals kaum jemand, obwohl es auch anderen möglich gewesen wäre. Aber es hat lange gedauert, auch den emotionalen Wert der Arbeiten zu erkennen. Man wird seinem Werk nicht gerecht, wenn man ihm die emotionale Komponente abspricht. Es war absolut visionär und futuristisch, was Franke gemacht hat. Aber erst jetzt erkennen wir, es ist retro, es ist cool, es ist nostalgisch – und immer noch visionär. Sein Werk ist in unserer künstlerischen DNA, ob wir das wollen oder nicht. Alles, was wir machen, hat er schon vor Zeiten gemacht. Die kulturelle Landschaft zeigt jetzt die Früchte seiner Arbeit.“ (Mitschnitt der live übertragenen Podiumsdiskussion).

Raum 3 – Bild statt Formel: Mathematik als ästhetische Formensprache

Ausstellung Herbert W. Franke VISIONÄR (2022). Foto: Francisco Carolinum Linz.

„Es ist sogar möglich, die mathematische Methode in einer ganz ungewöhnlichen Form anzuwenden – nämlich nicht für wissenschaftliche, sondern für künstlerisch-gestalterische Zwecke. Dann gilt es zu untersuchen, welche Formen besonderen ästhetischen Reiz haben, wie man sie mit Hilfe mathematischer Formeln beschreibt und durch welche mathematischen Prozesse sie sich weiterverarbeiten lassen.“ (H. W. Franke: Schönheit der Mathematik. In: Naturwissenschaftliche Rundschau 12 (1990), S. 513.)

1980 begann Franke eine fünfzehn Jahre andauernde Zusammenarbeit mit Horst Helbig, dem Programmierer eines Instituts des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). Sie untersuchten mathematische Formeln und Disziplinen in Bezug auf ihre ästhetische Dimension, wobei die umfangreiche Serie Math Art entstand. Die Ergebnisse ihrer Forschungsarbeiten an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Kunst offenbaren die faszinierende Welt einer bildgewordenen Mathematik mit überraschendem Formenreichtum.

Die Farbe diente dabei der Codierung bestimmter Strukturelemente und war von elementarer Bedeutung. Das für die damalige Zeit leistungsstarke Rechnersystem im DLR in Oberpfaffenhofen hatte ein integriertes Ausgabe-Equipment, mit dem die digital entwickelten Bildwelten direkt auf hochauflösenden Fotofilm übertragen wurden. Vorarbeiten für die bestechend farbenfreudige Ästhetik dieser mathematischen Forschungen entwarf Franke am eigenen DOS-PC.

Am Anfang standen algebraische Formeln für dreidimensionale Raumflächen: Die drei Dimensionen wurden in zweidimensionale Landschaften übertragen, wobei die Höhenlinien, also die z-Achse des Raumes, farblich mit speziell entwickelten Farbrastern codiert wurden. Beginnend mit algebraischen Landschaften arbeiteten sich Franke und Helbig über Wellenfunktionen, Fourier-Transformationen, gebrochene Dimensionen und logische Verknüpfungen durch verschiedenartige Disziplinen, bis sie schließlich sogar komplexe und irrationale Zahlen sowie Zufallsprozesse und logische Verknüpfungen mit ihrer Methode visualisierten. 

Raum 4 – Phantastische Welten: Künstler und Kurator im Metaverse

Ausstellung Herbert W. Franke VISIONÄR (2022). Foto: Francisco Carolinum Linz.

„So gibt es phantastische Möglichkeiten für die Kunst, wobei der Künstler zu einem Schöpfer wird, der, wenn er will, neben den Landschaften und der Architektur auch die physikalischen Grundgesetze ändert. Er schafft Welten, in denen er schwerelos schwebt, sich unsichtbar macht oder durch Mauern hindurch spaziert – und er kann sein Publikum in diese Welten mitnehmen. Prinzipiell könnte auch unsere Welt ein Cyberspace sein. Doch das lässt sich weder beweisen noch widerlegen.“ (Herbert W. Franke: Die Zukunftsmaschine. Wetzlar 2007, S. 46.)

​​Mit der Mathematik eindimensionaler zellulärer Automaten als Modell für den physikalischen Weltablauf befasste sich Franke in den 1990er Jahren intensiv. Auf ihrer Basis lassen sich Eigenschaften unserer Welt diskutieren, die sich jeweils in Abhängigkeit von gesetzten Anfangsbedingungen entwickeln. Franke hat für seine evolutionären Weltmodelle vor allem Einfluss und Bedeutung des Zufalls untersucht – davon überzeugt, dass es diesen unvorhersehbaren, echten Zufall in unserem Universum gibt und dieser im Lauf der Geschichte immer wieder für Innovationen sorgt. 

Jahrzehntelang bewegte sich Franke als Wanderer zwischen den Welten an der Schnittstelle von bildender Kunst und Science-Fiction. Seinem Stil rationaler Nüchternheit blieb der Pionier der deutschsprachigen Nachkriegs-Science Fiction sowohl als bildender Künstler als auch als utopischer Schriftsteller treu. Einzig in der Serie Phantastische Welten, die erstmals in der Ausstellung VISIONÄR gezeigt wird, verließ er mit realistisch-utopischen Darstellungen karger, einsamer Landschaften und technoider Objekte seine charakteristische, ungegenständlich-konkrete Formensprache. 

Der Vordenker alternativer digitaler Räume realisierte eine virtuelle Welt ab der Mitte der 2000er Jahre. Damals begann er sich gemeinsam mit seiner Ehefrau Susanne Päch mit der 3D-Plattform von Active Worlds zu befassen. Anders als bei Second Life, wo Bausteine im Legoprinzip zusammengesetzt werden können, bietet Active Worlds die für Franke attraktive Möglichkeit, eigene programmierte Elemente in die virtuelle Welt einzubetten. Die 40.000 qm der Welt Z-Galaxy konnten Franke und Päch für rund hundert Dollar pro Jahre mieten.

Für die Z-Galaxy konstruierte Franke mit der Programmiersprache Mathematica Gebäudestrukturen sowie synthetische Pflanzen – und zwar ausschließlich auf der Grundlage mathematischer Formeln. Diese virtuell konstruierten Objekte bettete er dann in die Z-Galaxy ein und zeigte auf dem Freigelände sowie in den Ausstellungshallen eigene Werke und Skulpturen. 2008 entwickelte er die Z-Galaxy zu einem Ausstellungsgelände weiter, in dem er nicht mehr nur eigene Werke im Metaspace zeigte, sondern auch Werke befreundeter Künstler wie des Konstruktivisten Eugen Roth, des Weltraumkünstlers Andreas Nottebohm und eine virtuelle Skulptur von Derrick Woodham. Die Z-Galaxy kann via Download des Browsers von Active Worlds bis heute besucht werden. 

Ausstellung Herbert W. Franke VISIONÄR (2022). Foto: Francisco Carolinum Linz.

  1. Welches ist das Konzept der Ausstellung?
    Ziel ist es, einen Überblick über das Gesamtwerk eines Grenzgängers zwischen Wissenschaft (Physik und Höhlenforschung) und bildender Kunst sowie Literatur zu geben.
  1. An welche früheren Ausstellungen wird angeknüpft? Werden dabei neue Akzente gesetzt?
    Angeknüpft wird an die Ausstellung Wanderer zwischen den Welten, die 2010 im ZKM gezeigt wurde. Auch damals stand schon das Lebenswerk von Franke in einer die Grenzen zwischen Wissenschaft und Kunst sprengenden Ausstellung im Fokus.
  1. Auf welchen Überlegungen und Überzeugungen beruht Ihr Ausstellungskonzept, und welche gezeigten Positionen und Werke untermauern das?
    Das Ausstellungskonzept möchte verdeutlichen, dass die von Franke selbst lange Zeit getrennt gehaltenen Aktivitäten für die Höhlenforschung, für die bildende Kunst wie für die Schriftstellerei einen gemeinsamen Kern zeigen. Sie sind alle gekennzeichnet durch seine Suche nach dem Unbekannten, nach Neuland: sei es in der unterirdischen Höhlenwelt als Forscher, in den phantastischen Welten der Zukunft als Schriftsteller oder in der bildenden Kunst mit dem Einsatz innovativer Technologien und der Erforschung der mathematischen Gesetzmäßigkeiten und Ordnungsprinzipien visueller Gestaltung. 
  1. Soll durch die Ausstellung dazu beigetragen werden, bestimmte Veränderungen zu erreichen?
    Vielfach wird der Eindruck erweckt, als seien die Krypto- und KI-Kunst und das jetzt von Facebook-Gründer Mark Zuckerberg popularisierte Metaverse eine ganz neue Entwicklung des 21. Jahrhunderts. Dabei werden in der öffentlichen Diskussion die Vordenker dieser Trends gänzlich vernachlässigt. Herbert W. Franke, Wissenschaftler, Künstler und Philosoph, gehört hier zu den bedeutendsten Visionären, der in Wissenschaft und Kunst Grundsteine für diese Entwicklungen legte.  
  1. Wie ist das Ausstellungskonzept in den Gesamtkomplex Kunst und Wissenschaft einzuordnen?
    Antwort der Redaktion auf der Grundlage der in 5 Jahre w/k: Was bisher geschah formulierten Definitionen: Herbert W. Franke ist ein Grenzgänger zwischen Wissenschaft (Physik und Höhlenforschung), bildender Kunst und Literatur. Bei den von ihm entwickelten Formen bildender Kunst handelt es sich um wissenschaftsbezogene und technologiebezogene Kunst. Bei einzelnen künstlerischen Projekten kooperierte er außerdem mit Wissenschaftlern und Technikern. Kunstbezogene Wissenschaft liegt bei Franke nicht vor, und er ordnet sich auch nicht der vielgestaltigen Großrichtung der künstlerischen Forschung zu.

In w/k wurde bereits ein zweiteiliges Interview mit Franke über sein Lebenswerk als Grenzgänger zwischen Kunst und Wissenschaft veröffentlicht:

Herbert W. Franke: Grenzgänger zwischen Wissenschaft und Kunst
Herbert W. Franke: Science Fiction-Autor und Kunsttheoretiker

Der erste Teil des Interviews wurde im Magazin Francisco Carolinum – Das Magazin für Fotokunst und Medienkunst (OÖ Landes-Kultur GmbH, Nummer 2 / 2022, S. 18–21) als Nachdruck in leicht gekürzter Fassung veröffentlicht.

Beitragsbild über dem Text: Herbert W. Franke in der Ausstellung VISIONÄR (2022). Foto: Francisco Carolinum Linz.

Zitierweise

Susanne Päch (2022): Herbert W. Franke VISIONÄR. w/k - Zwischen Wissenschaft & Kunst. https://doi.org/10.55597/d16547

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