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Über „Leonardo im Labor“. Teil I

Text: Peter Tepe | Bereich: Über „Kunst und Wissenschaft“

Übersicht: Sabine B. Vogel liefert im neuen Heft von Kunstforum International auf beeindruckende Weise einen seit längerer Zeit benötigten Überblick. Vielfältige künstlerische Positionen, die sich dem großen Thema Kunst und Wissenschaft zuordnen lassen, werden präsentiert; deren Auswahl ist gut durchdacht.  Allen, die sich für dieses Thema interessieren, wird empfohlen, den mit vielen Abbildungen versehenen Text zu lesen. (Leonardo im Labor – Kunst & Wissenschaft im 21. Jahrhundert. Herausgegeben von Sabine B. Vogel. In: Kunstforum International, Bd. 277, Oktober 2021, S. 50–189.)

Meine Besprechung, die aus mehreren Teilen besteht, weist folgende Besonderheiten auf:

• Die wichtigsten Punkte werden mithilfe von Zitaten relativ ausführlich dargestellt, damit auch diejenigen, welche nicht dazu kommen, den Band zu lesen, erfahren, was auf dem Feld Kunst und Wissenschaft geschieht.

• Um den Überblick zu erweitern, wird auf w/k-Beiträge zu den von Vogel behandelten speziellen Themen verwiesen.

• An einigen Stellen wird skizziert, welche Vertiefungen mit der in w/k angewandten Methode möglich sind. Aufgrund der letzten beiden Punkte ist mein Text mehr als eine Rezension üblicher Art.

• Teil I bezieht sich auf die Seiten 52–­91. Die nächsten Teile werden in Kürze folgen.

1. Sabine B. Vogels Essay

Zu Leonardos Zeiten

„genossen Künstler*innen und Wissenschaftler*innen […] ein hohes gesellschaftliches Ansehen. Heute leben wir in einer vergleichbaren Situation, die Wissenschaften haben die Philosophie als Welterklärungsdisziplin abgelöst, ihre Erkenntnisse, Methoden und Materialien fließen unverkennbar in die Künste ein – die wiederum Wissenschaftler*innen zu neuen Fragen inspirieren.“ (54)

Erfinder von Maschinen

„Wie schon in der Renaissance erfinden auch heute Künstler*innen oft Apparate, die allerdings eng mit ihrer Kunst verbunden sind.“ (54)

Als Vorläufer werden Friedrich von Knaus, Ljudow Popowa und Wladimir Tatlin erwähnt.

„In den 1960er Jahren begann Panamarenko mit seinen Luftfahzeugen. Auf der großen Biennale Paris zeigte Jean Tinguely 1959 seine ‚Meta Matic’, eine zur Skulptur ausgebaute Maschine, die mit einem Stift auf Papier Spuren zog.“ (57).

Malmaschinen wurden von Rosemarie Trockel, Rebecca Horn, Angela Bulloch, der Gruppe Robotlab, Thomas Feuerstein, Goshka Macuga, Refik Anadol konstruiert. Maschinen anderer Art entwickelten Robert Rauschenberg, Pedro Reyes, Bill Vorn/Louis Philippe Demers.

„Innerhalb des Oeuvres vieler Künstler*innen sind Maschinen nur eine Ausnahme. Stelarcs Gesamtwerk dagegen basiert auf speziellen Apparaten. Der zypriotisch-australische Medien- und Performance-Künstler experimentiert seit rund 30 Jahren mit der Idee des Cyborgs, eines Mensch-Maschinen-Hybrids. Mit ‚Third Hand’ setzte er seinem Körper eine dritte, über die Beinmuskulatur gesteuerte Hand auf, ‚Scale Ear’ ist ein drittes Ohr an seinem Arm, ausgestattet mit einem GPS-Sender und Mikrophon, das die akustische Umgebung Stelarcs überträgt.“ (62)

In w/k wird unterschieden zwischen wissenschaftsbezogener Kunst, die auf Theorien/Methoden/Ergebnisse dieser oder jener Wissenschaft zurückgreift, und Kooperationen von Künstlerinnen und Künstlern mit Wissenschaftlern/Technikern/Firmen. Bei den genannten Maschinen wäre z.B. zu untersuchen, ob Wissenschaftsbezüge wirksam sind und wenn ja, welche – diese liegen nicht immer vor. Auch die Art der Kooperation, der „Zusammenarbeit mit Experten“ (64) könnte in Einzelstudien genauer bestimmt werden. Nicht nur im folgenden Fall würde sich eine vertiefende Analyse lohnen:

„Viele der heutigen Erfindungen basieren auf Kooperationen, die manchmal auch nur ein einziges Projekt betreffen wie Anish Kapooor mit ‚Vantablack’: das tiefste Schwarz, das ausschließlich ihm zur Verfügung stehen soll. […] In einem Zeitungsbericht las er über das schwärzeste Schwarz, kontaktierte die Firma und förderte seither die Realisierung dieser Farbe. Ursprünglich als Tarnfarbe für militärische Zwecke konzipiert, will Kapoor diese lichtschluckende Materie für seine Kunst nutzen.“ (63)

Hier lassen sich auch die w/k-Artikel über Thomas Schönauers Kooperation mit der Firma Henkel zur Gewinnung neuartiger Farben verorten:

Thomas Schönauer: Künstler/Philosoph (EN)

Thomas Schönauer: Wissenschaft – Technik – Kritik des linearen Denkens (EN)

KUNST INSPIRATION WISSENSCHAFT (EN)

Podiumsgespräch zur Schönauer-Ausstellung (EN)

Bio Art und mehr

Einige Künstlerinnen und Künstler arbeiten

„mit lebendem Material: In den 1980er Jahren begann der 1950 geborene US-Amerikaner Joe Davis im  Labor mit gentechnisch veränderter DNA und transgenen Mikroorganismen zu experimentieren […]. Davis arbeitete 1989 erstmals in einem Labor und trat 2010 als ‚Artist Scientist’ in das Labor der George Church in Harvard ein. Dort modifizierte er zusammen mit Kollegen die Gene von Seidenwürmern zur Herstellung von biomineralisierten transgenen Seiden.“ (65)[1]

„Auch Eduardo Kac gehört zu den Pionieren der transgenen Kunst, also Werken mit lebenden Bakterien, Zellen, Viren und gentechnisch veränderten Organismen. Kacs Ziel ist es, Lebewesen zu produzieren, die uns die möglichen Folgen und Auswirkungen dieser Technik zeigen sollen. […]  Berühmt ist er für seinen Albino-Hasen namens  Alba, der aufgrund des ‚Green Fluroescent Protein‘ (GFP) unter Schwarzlicht fluoreszierend leuchtet.“ (65)

„1996 gründeten Oron Catts und Ionat Zurr das ‚Tissue Culture and Art Project’. Die australischen Forscher-Künstler untersuchen anhand von semi-lebenden Zellkulturen Möglichkeiten, Tissue Engineering zur Entwicklung von Konsumgütern einzusetzen: Sie schaffen Lebensmittel aus dem Labor, Kleidung aus Gewebekulturen und semi-lebende Skulpturen. Dabei bedienen sie sich künstlerischer Mittel und Methoden. […] 2000 gründeten sie das SymbioticA- Forschungszentrum an der University of Western Australia in Perth als ‚Centre of Excellence in Biological Art’. Es ist ein kollaboratives künstlerisches Labor für Studium und Kritik der Biowissenschaften.“ (65f.)

In diesen Kontext gehören auch die w/k-Beiträge von Vera Meyer:

The Beauty and the Morbid: Fungi as Source of Inspiration in Contemporary Art

Merging Science and Art through Fungi

Jan Takita „entwickelte für ‘Light, Only Light’ (1996, Japan) ein transgenes Moos, das Licht emittieren kann. Anders experimentieren mit DNA-Sequenzen wie Svenja Kratz in ‚Contamination of Alice’ (2009–14). […] Für die Serie hat sie mit DNA gearbeitet, die von einem an Knochenkrebs erkrankten Kind extrahiert wurde. Das Kind starb 1973, aber die Krebszellen leben noch. 2009 formte Kratz eine Skulptur aus Gips mit Stahldraht, die sich auf die Infektion der Zellen und auf den Begriff der ‚kreativen Kontamination’ bezieht.“ (66)

„Die Werke mit DNA, Zellen und Bakterien werden der Bio Art zugeordnet. Die dafür verwendeten Medien, Methoden und Mineralien haben in den letzten Jahren zu verschiedenen Namen geführt, ‚Transgenic Art’, ‚Genetic Art’. […] Manche sprechen auch von ‚Wet Art’, ‚Life Science Art’ oder kurz ‚Science Art’.“ (66)

„In Anna Dumitrius’ ‚Pestkleid’ (2019) gestalten Bakterien das Werk maßgeblich mit. Denn die Stickereien auf dem historischen Seidenkleid sind mit der DNA von Yesinia pestis-Bakterien imprägniert: Diese Bakterien extrahierte die britische Künstlerin während ihres Stipendien-Aufenthalts am Labor der National Collection of Type Cultures von Public Health England aus abgetöteten Pestbakterien. […] Dumitriu kombiniert in ihren Werken Handwerkstechniken und biologische Medien, um unsere Beziehungen zu Infektionskrankheiten, synthetischer Biologie und Robotik zu thematisieren. “ (67f.)

Malatsions wissenschaftsbezogene Kunst bezieht sich auf die

„Grenze zwischen Fakten und Fiktionen. […] Sie integriert wissenschaftliche Elemente in ihre Werke, jedoch eher als Inspiration und Bildquelle.[…] In ‚Genese – genesen’ (2017) beschäftigt sich malatsion mit der Zerstörung der Unterwasserwelt, die Objekte erinnern an Organismen oder auch Organe, die gezüchtet oder erforscht werden.“ (68)

Ergänzend können zwei w/k-Artikel hinzugezogen werden:

malatsion: Labor-Phantasien (EN)

malatsion: Genese/genesen (EN)

Alexandra Daisy Ginsberg

„arbeitete über zehn Jahre experimentell im Gebiet der synthetischen Biologie. Für ‚Designing for the Sixth Extinction’ (2013–2015) fragt sie, wie die Wildnis in einer synthetischen biologischen Zukunft aussehen könnte. Dafür entwirft sie neue Instrumente“ (68).

Eine besondere Form der bildenden Kunst mit Biologiebezug wird im w/k-Beitrag vom Künstler Hugo Boguslawski vorgestellt:

Paläontologische Kunst (EN)

Künstlerische Forschung/Artistic Research

„Der Begriff steht für Forschung als Kunstpraxis, deren Ziel es ist, bestimmtes Wissen zu vermitteln oder zu erweitern. Künstlerische Forschung (kurz KF) vereint etablierte wissenschaftliche Methoden mit künstlerischen Praktiken. […] In der KF wird eine konkrete wissenschaftliche Fragestellung mit oft unkonventionellen methodischen Ansätzen verfolgt. Dieser Ansatz ist in der Kunst keineswegs neu: Künstler*innen integrieren seit Jahrhunderten wissenschaftliche Arbeitsweisen in ihre Kunst […]. Aber die dafür bereitstehenden Forschungsgelder und die eigens gegründeten Universitätsinstitute sind eine junge Entwicklung. Sie entstanden in den 1990er Jahren in Folge der europäischen Hochschulreform“ (69).

Künstler*innen übernehmen „Forschungsmethoden wie Feldforschung, positivistische Materialauswertung und Protokollieren […]. Wissenschaft und Kunst kommen in einem Vorstellungsraum der Regelüberschreitungen zusammen. Man denke hier an das Künstler*innenduo Helen Mayer & Newton Harrison, die schon in den frühen 1970er Jahren in den USA Kunst mit Biologie und Ökologie verbanden. […] Oft arbeiteten sie mit Landkarten, Landschaftsfotografie und Sound, kooperieren mit Biolog*innen, Architekt*innen, Urbanist*innen, thematisieren Biodiversität, Global Warming und Gemeinschaftswohl.“ (69f.)

Ich verweise auf meine Reihe Über Konzepte der künstlerischen Forschung, die im Mythos-Magazin (www.mythos-magazin.de) veröffentlicht wird. Sie setzt sich mit Sammelbänden zur künstlerischen Forschung auseinander, die seit 2009 im deutschen Sprachraum erschienen sind. In w/k erscheinen Zusammenfassungen der kritischen Kommentare. Künstlerische Forschung fällt vielfach, aber nicht durchgängig mit wissenschaftsbezogener Kunst zusammen. Meine Reihe befasst sich erstens mit Theorien der künstlerischen Forschung, die den Status von Kunsttheorien haben, zweitens mit bildungspolitischen Positionen und drittens mit Kunstprogrammen, die von Künstlerinnen und Künstlern vertreten werden.

Über Konzepte der künstlerischen Forschung 1. Zu Anton Rey/Stefan Schöbi (Hg.): Künstlerische Forschung. Positionen und Perspektiven

▷ In w/k: Über Konzepte der künstlerischen Forschung 1. Zusammenfassung

Über Konzepte der künstlerischen Forschung 2.1. Zu Elke Bippus (Hg.): Kunst des Forschens. Praxis eines ästhetischen Denken

▷ In w/k: Über Konzepte der künstlerischen Forschung 2.1. Zusammenfassung

„Ein interessanter Schwerpunkt von KF der letzten Jahre sind Insekten: die Vielfalt ihrer Farben, Formen und Verhaltensweisen, ihre Funktion als Indikator für Lebensraumqualität, aber auch als Modellorganismen für wissenschaftliche Forschung und nicht zuletzt ihre Bedrohung durch den Menschen stehen dabei im Fokus. Vor allem aber triggern Insekten Emotionen. Tuula Närhinen und Tytti Arolas Projekt ‚Insects Among Us’ war 2019 während der 58. Biennale Venedig im ‚Research Pavillon’ auf der Guidecca ausgestellt. Es ist eine Studie zur Vergänglichkeit von Insekten und besteht aus mehreren Elementen, darunter aufgepickste Tiere in kleinen Boxen, die Tagebücher ‚Diaries of a Serial Killer’ und die ‚Malaise-Falle’, ein Fangobjekt für Feldforschungen.“ (70)

„Der Research Pavillon wird seit 2016 von der Universität der Künste Helsinki parallel zur Biennale Venedig veranstaltet und bestand 2019 aus sechs ‚Forschungszellen’ zu Themen der Ökologie.“ (70)

Siehe dazu den w/k-Beitrag von Irene Daum:

Biennale 2019: Kunst und Wissenschaft (EN)

In Drosophila Karaoke Bar untersucht Ursula Damm

„zusammen mit der Neurowissenchaftlerin Birgit Brüggemeier die Kommunikation zwischen Menschen und Fliegen. Beide teilen sich einen gemeinsamen Lebensraum, ohne miteinander zu kommunizieren. Ein Steg führt in einen Erdhaufen, darin leben Fliegen. Über Kopfhörer hört man das Summen, über ein Mikrofon kommunizieren die Besucher mit den Fliegen, indem ihre Worte in Fliegengesang übersetzt werden.“ (71)

Hier kann ein w/k-Interview zur Vertiefung verwendet werden:

Ursula Damm & Birgit Brüggemeier: In der Sprache der Fliegen (EN)

Pinar Yoldas nutzt

„ihre Ausbildung in Neurowissenschaft, Biologie und Architektur, um die Wechselwirkungen zwischen kulturellen und biologischen Systemen zu untersuchen und neue Organe, Organismen und Spezies zu emtwickeln.“ (71)

„Einige Internet-Magazine haben sich auf Künstlerische Forschung spezialisiert, besonders detailliert, aktuell und auf bildende Kunst konzentriert ist „w/k – Zwischen Wissenschaft& Kunst“, herausgegeben von Peter Tepe.“ (71)

Diese Einordnung ist nicht ganz richtig. w/k befasst sich mit Verbindungen aller Art zwischen Wissenschaft und bildender Kunst (an den Rändern werden auch andere Kunstformen behandelt). Gearbeitet wird mit einer Typologie der Verbindungsformen zwischen Wissenschaft und Kunst sowie mit einer bestimmten Analysemethode. Dabei besteht keine Bindung an Theorien und Methodologien der künstlerischen Forschung: Diese gehört vielmehr zu den Gegenständen, die genauer untersucht werden.

Aufschluss über die generelle Stoßrichtung des Online-Journals geben folgende w/k-Artikel:

w/k in 5 Minuten (EN)

Mehr zum w/k-Programm (EN)

2. Integrativ, interdisziplinär, interaktiv

Für diesen Abschnitt wurden von Zhang Ga „7 Künstler*innen aus[gewählt], deren Werke vom Interesse an Erfindungen geleitet werden“ (75). Choco MacMurtrie arbeitet „an der Schnittstelle zwischen Robotererskulptur, neuen Medien und Performances. Seine aufblasbaren Roboter nennt er ‚soft machines’.“ (76)

Zwei w/k-Beiträge beziehen sich auf die künstlerische Arbeit mit Robotern:

It’s Alive! Aparna Rao on Bringing her Artworks to Life with Robotics

Martin Riedel & UliK: Techno-Zirkus (DE)

Anicka Yi kreiert „immer wieder Gerüche für Ausstellungen, oft kombiniert mit Objekten oder Leinwand, die wie in ‚Force Majeure’ mit Bakterien besiedelt sind.“ (77) Herwig Weiser entwickelt „Versuchsanordnungen, in denen technologisches Ausgangsmaterial […] in teils unvorhersehbare, instabile, metamorphische Stadien und autopoietische Eigenräume überführt werden.“ (78) Guy Ben Ari erklärt: „Ich will Technologien problematisieren, indem ich sie für die Inszenierung absurder Szenarien nutze.“ (79) June Campbell „gehört zu den Pionieren der LED-Lichtkunst. Peripheral Rhythm besteht aus einem in Glas gegossenen, milchigen Stuhl und einem LED-Pane hinter einer sandgestrahlten Glasscheibe.“ (80)

In w/k findet sich ein zweiteiliges Interview mit einem Lichtkünstler:

Wissenschaftsbezogene Kunst: Mischa Kuball (EN)

Mischa Kuball: Lichtprojekte und New Pott (EN)

Auf das Tissue Culture and Art Project bin ich bereits in Abschnitt 1 eingegangen.  Yunchul Kim macht „elektroakustische Musik“ und arbeitet mit „Strömungsmechanik und Metamaterialien, mit Photonikkristallen, Nanopartikeln, Magnetfeldern und unsichtbaren Submikropartikeln.“ (82)

3. Gespräch mit Peter Weibel über Medienkunst

Peter Weibel war „Leiter der Ars Electronica in Linz“; etr strebte ein Festival an, das sich „ausschließlich den elektronischen und digitalen Medien widmet“ (86).

„Das Hauptziel war, die Technophobien innerhalb des deutschsprachigen Raumes zu überwinden und ein größeres Verständnis für die humanen und künstlerischen Aspekte der technologischen Innovationen zu gewinnen.“ (86)

Medienkunst dieser Art kann in die w/k-Systematik zunächst einmal als technologiebezogene Kunst eingeordnet werden. Weibel unterscheidet zwei

„Typen von Medienkünstler*innen. […] Die einen verwenden die Geräte, wie sie ihnen von der Industrie vorgegeben sind. […] Die Künstler*innen konzentrieren sich darauf, mit den Hilfsmitteln der Industrie spannende narrative  Filme mit schönen Bildern zu drehen. […] Der zweite Künstler*innentypus […] arbeitet nicht nur gegen die kommerziellen Industriefilme à la Hollywood, sondern auch gegen die Art und Weise ihrer Verwendung der Apparate. […] Er macht keine schönen Bilder, wie sie aus der Tradition der Malerei ableitbar sind, sondern er macht Bilder, wie sie ausschließlich mit der jeweiligen Maschine zu machen sind. Er zeigt in seinen Werken, wie die Apparate funktionieren und wie diese Apparate Bilder konstruieren. Schließlich zeigt er auch, wie die Apparate nicht nur die Bildwelten, sondern auch die Weltbilder konstruieren. Er setzt die Apparate, Maschinen und Medien erkenntniskritisch, erkenntnistheoretisch ein.“ (87)

Als Vertreter werden u.a. Jeffrey Shaw, Bill Viola, Nam June Paik, Steina und Woody Vasulka genannt. „Medienkunst ist eine Dekonstruktion von Industrieapparaten, […] ist ‚Critical Engineering’.“ (89) Die in w/k angewandte Analysemethode fragt auch nach den Hintergrundüberzeugungen, welche eine bestimmte Kunstform geprägt haben. Weibel weist z.B. auf „Louis Althussers Theorie der ideologischen Staatsapparate“ (89) hin – eine Form der Ideologiekritik, die mit dem Versuch einer Erneuerung des Marxismus verbunden ist. Aus Hintergrundannahmen dieser Art ergeben sich spezifische künstlerische Ziele, die Weibel von den 1960er Jahren an verfolgte:

„Mein Ziel als Künstler war, die herrschende Ideologie, welche auch durch die Bild- und Tonapparate konstruiert wurde, subversiv zu unterlaufen, zu dekonstruieren und zu destruieren. […] Medienkritik als Wirklichkeitskritik.  Klarerweise habe ich auch Künstler*innen bevorzugt, welche auf diese  Weise arbeiteten.“ (89)

Die kritische Medienkunst hat sich allerdings nach Weibel dann „mehr oder minder von der Kritik zur Komplizenschaft der Massenmedien verwandelt“ (90). Von der ideologiekritischen Stoßrichtung unterscheide ich Weibels allgemeine Ausführungen über Apparate:

Mit neuen Instrumenten konnten Wissenschaftler vom 17. Jahrhundert an

„Mikrokosmos und Makrokosmos erforschen, das, was mit dem natürlichen Auge nicht erreichbar war. Was also der Maler nicht sehen konnte, konnte der Wissenschaftler mithilfe seiner Apparate sehen.“ (90)

Die neuen Apparate werden dann aber auch für künstlerische Zwecke genutzt.

„Mit Foto- und Filmkameras, mit Nahaufnahmen und Zeitlupen etc. konnten auch die Medienkünstler*innen in bisher für das natürliche Auge unsichtbare Zonen vordringen. Die Künstler*innen verwendeten im 20. Jahrhundert immer mehr Apparate, den Wissenschaftlern vergleichbar. […] Es gibt eine Schnittmenge von Werkzeugen, die Künstler*innen und Wissenschaftler*innen gemeinsam benutzen. Insofern stehen wir vor einer neuen Verwissenschaftlichung der Kunst, die ich vorläufig Renaissance 2.0 nenne.“ (90)

„Die Aufgaben des künstlerischen Gebrauchs all dieser Medien liegt immer darin, dass die Künstler*innen über den industriellen und kommerziellen Gebrauch der Apparate, Automaten, Maschinen und Medien hinausgehen. Deswegen sprechen wir heute von Critical Engineering.“ (91)

Dabei ist allerdings zu beachten, dass es mehrere kritische Theorien gibt, die als Hintergrundüberzeugungen einer kritischen Medienkunst wirksam werden können.

Fazit zu Teil I

Sabine B. Vogel verfügt über breite Kenntnisse des großen Felds Kunst und Wissenschaft, und ihr ist es darüber hinaus gelungen, wichtige Fachleute zur Mitarbeit an ihrem Projekt zu bewegen; in Teil I der Rezension sind die von Zhang Ga ausgewählten Künstlerinnen und Künstler zur Sprache gekommen. Eindrucksvoll sind auch die kompetent ausgewählten Abbildungen. In den Gesprächen wird immer wieder nach Bezügen des jeweiligen Projekts zu Leonardo da Vinci gefragt.

Wer sich künftig auf wissenschaftlicher Ebene zum Thema Kunst und Wissenschaft äußert, sollte Leonardo im Labor gelesen haben; Künstlerinnen und Künstlern, die sich auf diesem Feld bewegen, wird empfohlen, sich über den Stand der Dinge zu informieren, um ihre eigenen Arbeiten besser verorten zu können.

Beitragsbild über dem Text: Doppelseite aus Kunstforum International, Bd. 277 (2021). S. 52-53.


[1] Darüber hinaus betreibt er eine andere Form wissenschafts- und technologiebezogener Kunst: „seit gut einem Jahrzehnt versucht Joe Davis ein Signal in das Weltall zu senden. Adressat sind keine Fremdlinge, sondern Menschen. Es ist eine im Morsecode gehaltene Liste von Pandemien,  Naturkatastrophen und Genoziden der  letzten 20 Jahre. Erreichen soll diese Botschaft die Menschen um das Jahr 1935. ‚Swansong’ nennt er sein Projekt, mit dem er das Zeitrad umdrehen möchte.“ (65)

Zitierweise

Peter Tepe (2021): Über "Leonardo im Labor". Teil I. w/k - Zwischen Wissenschaft & Kunst. https://doi.org/10.55597/d15360

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