Ein Gespräch mit Peter Tepe | Bereich: Interviews
Übersicht: In ihren wissenschaftsbezogenen Arbeiten interessiert sich malatsion für die moderne Biologie und die ethischen Fragen, die diese aufwirft. Im Interview stellt die Künstlerin die Installation Genese/genesen vor, eine deutungsoffene Arbeit, die die Sinne besonders anspricht und deswegen auch zum Nachdenken anregen soll. malatsion kombiniert bewährte visuelle Effekte und feinfühlige Kreationen in einer räumlichen BioArt-Fiktion.
Im w/k-Beitrag Labor-Phantasien haben Sie das wissenschaftsbezogene Projekt © semons aus dem Jahr 2010 präsentiert. Im Interview wenden wir uns nun der Arbeit Genese/genesen zu, die 2016–2017 entstanden ist. Sie wurde im Herbst 2016 im Museu de Arte Contemporânea de Sorocaba (São Paulo, Brasilien) sowie 2017 in der Ausstellung Naturliebe – erneuerbare Haltungen im Künstlerverein Walkmühle (Wiesbaden) gezeigt. Beschreiben Sie bitte Ihre Arbeit.
Skulpturen, Fotografien und Requisiten werden wie in anderen Arbeiten von mir in einer räumlichen Fiktion inszeniert, die Realismus und Fantasie vermischt. Hier handelt es sich um eine Installation mit sechs Aquarien auf mit weißen Laken bedeckten Hochtischen. Im Wasser schweben weiche Skulpturen von 15–40 cm Länge (aus Silikonelastomer, Pastellpigmenten und Steinen). Aquariumspumpen und -lampen tragen zu einem lebendigen Effekt der organisch anmutenden Objekte bei. Weiße Handtücher sind hier und da gestapelt. Auf einem der Tische liegt ein aufgeschlagener Ordner mit Fotografien, die als Behandlungsblätter fungieren. Unter einer Behandlung verstehe ich ein Verfahren, dem die Organe/Organismen unterzogen werden, um sie zu verändern, z. B. um sie zu entwickeln oder ihren Zustand zu verbessern. Die Behandlungsblätter bilden in dieser Arbeit die fotografische Dokumentation solcher Prozesse.
Welchem künstlerischen Konzept folgt diese Arbeit?
Genese/genesen präsentiert Wasserorganismen oder Organe als fragile Experimentierobjekte in einem Setting, das auf aseptische Orte der wissenschaftlichen Forschung oder der Therapie verweist. Jeder Organismus oder jedes Organ trägt die Spuren der durchgeführten Behandlung, die durch die Fotografien dokumentiert wird. Unangenehme Details (z. B. Nähte, frische Narben, Blutergüsse) kontrastieren mit der Situation der Ruhe und Entfaltung im Wasser. Der „Aquarium-Effekt“, also die entspannende Wirkung des Unterwasser-Spektakels, ist integraler Bestandteil der Installation und stellt den Zusammenhang zwischen Sinnlichkeit, Emotionen und Empathie her. Diese künstlerische Arbeit über das Leben in seiner Anfangsphase und/oder in einem Prozess der Regeneration fragt nach der Möglichkeit der engen Verbindung zwischen Empathie und der Formulierung einer Ethik in Bezug auf unser Eingreifen in das Lebende und in die natürlichen Prozesse.
Geht es Ihnen künstlerisch um eine kritische Sicht auf bestimmte Formen der biologischen Forschung, die von einer bestimmten „Ethik in Bezug auf unser Eingreifen in das Lebende und in die natürlichen Prozesse“ getragen wird?
Nein. Ich vertrete keine bestimmte Ethik der biologischen Forschung. Es geht mir nicht um eine kritische Sicht im Sinne eines negativen Urteils oder einer Ablehnung.
Wenn es Ihnen nicht darum zu tun ist, mit künstlerischen Mitteln und vor dem Hintergrund einer bestimmten Ethik z.B. auf gefährliche Tendenzen der modernen Biologie hinzuweisen, was ist dann der Kern Ihres Konzepts?
Durch die gezielte Kombination von Aquarium-Effekt, Bewegung und Beleuchtung wirkt die Installation auf viele Zuschauer faszinierend. Diese emotionale Erfahrung soll zu ethischen Gedanken im Zusammenhang mit den neuesten technologischen Entwicklungen in der Biologie einladen. Zu welcher Reflexion die Installation inspiriert, ist aber dem Betrachter überlassen. Wie bereits in Laborphantasien beschrieben, suche ich künstlerisch keinen intellektuellen Diskurs: Die Sinnlichkeit der Formen und des weichen Materials in Bewegung ist eine Möglichkeit, sich dem Thema durch ein empathisches Gefühl in unserem eigenen Körper direkt zu nähern. Nach der geläufigen Auffassung sollen wissenschaftliche Vorgänge eine Interferenz des Subjektiven ausschließen – faktisch ist sie allerdings unvermeidbar, worauf z.B. Birgitta Weimer hinweist. Ihrerseits könnte wissenschaftsbezogene Kunst durch ihre Subjektivität einen erkenntnisfördernden Abstand schaffen. Um meine Vorstellung einer bereichernden Wechselwirkung zwischen Kunst und Naturwissenschaften deutlicher zu machen, möchte ich Sabine Roeser, Professorin für Ethik an der TU Delft, sprechen lassen:
„Emotions like sense of responsibility, outrage or disgust uncover several moral insights that are hard to detect when we look at [bio]technologies in a purely scientific way. […] Many artists are fascinated by new technologies and play with their ambiguities. This can be helpful to think explicitly and critically about the moral pros and cons.”[1]
Wenn ich Sie richtig verstanden habe, streben Sie an, durch Ihre Arbeit eine „bereichernde Wechselwirkung zwischen Kunst und Naturwissenschaften“ herbeizuführen, und zwar so, dass die Zuschauer auf nicht von Ihnen vorgegebene Weise über die moralischen Probleme nachdenken, welche durch die moderne Biologie aufgeworfen werden. Ist das korrekt?
Ja, es geht mir letztlich aber um viel mehr als die moralischen Probleme. Die Installation evoziert auch mehrere positive Einstellungen, etwa die Fürsorge, die die sanft agierenden Hände in den Behandlungsblättern suggerieren. Es geht mir außerdem um die Komplexität des Themas selbst, um die vielen Zusammenhänge (in dieser Arbeit ganz besonders mit der Umwelt), und somit um die grundsätzliche Schwierigkeit solcher Reflexion.
Mich interessiert im Augenblick, was Sie selbst über diese Dinge denken. Das hängt mit der Überzeugung zusammen, dass es einen engen Zusammenhang zwischen der künstlerischen Produktion und der Denkweise von X gibt. Deshalb frage ich: Zu welchen Ergebnissen kommt Ihre eigene Reflexion im Zusammenhang mit den neuesten technologischen Entwicklungen in der Biologie?
Als Künstlerin sind meine Ergebnisse die Kunstwerke selbst und keine formulierten Gedanken. In meine Arbeit fließen primär Bilder, Eindrücke und Gefühle ein. Ich entwickle in ihr also keine ergebnisorientierte Reflexion. Gedanken begleiten den Schaffensprozess aber im Hintergrund: Es ist ein Hinterfragen unserer Macht, das Lebende um uns herum und in uns zu modifizieren und als eine technologische Ressource anzuwenden. Es ist aber auch eine Frage nach unserer Verantwortung für die Folgen unserer Intervention im Kern des Lebens. Denn ich denke, so spannend sich die Naturwissenschaften heute auch entwickeln, sind wir noch weit davon entfernt, die Komplexität des Lebens erfasst zu haben beziehungsweise angemessen zu verstehen und die daraus folgende Fragilität richtig einzuschätzen. In diesem Zusammenhang schließe ich mich Birgitta Weimer an: Das komplexe Netzartige, das sich permanent Wandelnde kann mit dem weiter dominanten linearen Denken kaum erklärt werden. Hier könnten die rhizom-artigen Denkprozesse in der Kunst zu einer weiteren bereichernden Wechselwirkung zwischen Kunst und Naturwissenschaften beitragen.
Ich komme auf die Deutungsoffenheit Ihrer Arbeiten zurück. Es scheint, dass Sie ganz unterschiedliche Deutungen gezielt begünstigen wollen. Warum und durch welche Mittel?
Die Unbestimmtheit der dargestellten Prozesse, Objekte und des angedeuteten Orts ist für mich ein Mittel, durch freie Assoziationen eine sinnlich-emotionale Annäherung zu begünstigen. Obwohl die Thematik der Arbeit in den Naturwissenschaften liegt, bediene ich mich des Poetisch-Bizarren in den Skulpturen und der Symbolik bei den ausgesuchten Requisiten (Farbe Weiß, Laken, Tücher). Da sie nicht klar definierbar sind, wirken die schwebenden Objekte und die Fotografien destabilisierend, störend; sie führen zu Fragen. Für die visuellen Referenzen finde ich Inspiration hauptsächlich in den Naturwissenschaften, aber auch in der Populärkultur, vor allem in Science-Fiction-Filmen und Comics. Dabei interessieren mich die darstellerischen Mechanismen und wie die ausgewählten visuellen Elemente funktionieren, um Spannung und Faszination zu erzeugen.
Ich komme jetzt zur Einordnung Ihrer Arbeiten in einen größeren Kontext. Ist es korrekt, Sie der BioArt zuzuordnen? Darunter verstehe ich eine variantenreiche Kunstrichtung, welche sich primär auf die (moderne) Biologie bezieht und sich durch deren Theorien/Methoden/Ergebnisse inspirieren lässt.
Meine künstlerische Position ist nicht generell der BioArt zuzuordnen, denn nur wenige meiner Arbeiten beschäftigen sich mit diesem Thema. Aber die Installation Genese/genesen kann in diesem Sinne als BioArt bezeichnet werden. Auch die Arbeiten © semons und du n° 026B77 au n° 033L89 weisen Bezüge zur modernen Biologie auf, wenngleich die Stilisierung der darin inszenierten Objekte keinen realistischen organischen Effekt erzeugt, wie es in der BioArt oft geschieht.
Weisen diese Arbeiten darüber hinaus noch weitere Bezüge auf?
Der Bezug zur modernen Biologie ist im breiteren Rahmen meines Interesses an den Wechselwirkungen zwischen den menschlichen Gesellschaften und der Natur zu verorten. So hat mich die Arbeit an Genese/genesen dazu gebracht, mich mit der Zerstörung der Unterwasserwelt zu beschäftigen. Das Werk sollte also nicht ausschließlich in Bezug zur modernen Biologie wahrgenommen werden. In du n° 026B77 au n° 033L89 geht es im Hintergrund um die Frage nach dem Artenschutz in den Ökosystemen selbst versus Konservierung von Erbgut einzelner Arten in Seedbanks oder Genbanks.
Die BioArt ist eine sehr vielfältige Kunstströmung. Welchen Ansätzen fühlen Sie sich verwandt?
Meine Installation gehört zu den spekulativen, d.h. die klassischen, darstellerischen Medien der Kunst verwendenden Werken. So fühle ich mich der Arbeitsweise von Pinar Yoldas verwandt; allerdings habe ich ihr Werk Ecosystem of Excess (2014) erst nach der Realisierung von Genese/genesen kennengelernt. Gegenwärtig ist aber lebendiges Material das Medium vieler BioArt-Künstler, die über eine entsprechende Ausbildung in den Naturwissenschaften verfügen. In diesem Bereich finde ich die australische Künstlerin Svenja Kratz besonders interessant, weil sie gescheiterte Experimente positiv bewertet und sich davon inspirieren lässt, z. B. für ihre Serie The Contamination of Alice (2009–2014). Ich schließe nicht aus, in Zukunft lebendiges Material anzuwenden, wenn auch Skulptur, Zeichnung und Fotografie meine bevorzugten Medien bleiben werden. Meine Arbeit colméias [Bienenhäuser] (2016) mit brasilianischen Wildbienenschwärmen war ein erster Schritt in diese Richtung. In diesem Werk, das ich zusammen mit dem Umweltschutzverein SOS abelhas sem ferrão [SOS stachellose Bienen] realisieren konnte, ging es weniger um ein menschliches Eingreifen in die Biologie eines Tieres als um die Anpassungsfähigkeit der wilden Bienen im lebensfeindlichen urbanen Raum, der selbst ein Ökosystem bildet.
Gibt es in der BioArt auch Strömungen, von denen Sie sich abgrenzen, weil sie ganz anders vorgehen als Sie es für richtig halten?
Ich kann keine direkte Antwort geben, weil ich nur einige BioArt-Positionen kenne und keinen Überblick habe. Eine moralische Sicht auf die Arbeit von Kolleginnen habe ich nicht, da ich mich in der Sache vorzugsweise auf die Freiheit der Kunst berufe. Provokationen und Grenzüberschreitungen in der Kunst können Katalysatoren gesellschaftlicher moralischer Debatten werden. Ob deshalb BioArt-Künstler sich mehr Freiheiten nehmen dürften, als der ethische Rahmen der biologischen Forschung es erlaubt? Selbst das Forschungsprojekt Trust Me, I’m an Artist gibt keine klare Antwort. Was mir Sorge macht, ist nicht die BioArt selbst, sondern vielmehr ihre Instrumentalisierung, die auch in Trust Me, I’m an Artist angesprochen wird:
„Roeser, educated as an artist herself, says smilingly that some scientists have the idea that artists could be helpful explaining controversial researches to society. […] She too gets asked now and then how researchers and industry can make sure the public accepts new technologies.“[2]
Eine Strategie der Industrie ist z.B. das „artwashing“, d.h. die Industrie verbessert ihren Ruf, indem sie sich für die Kunst einsetzt und die für sie relevanten Bereiche fördert (etwa Kunst, die mit den neuen Technologien arbeitet). Die unauffällige Omnipräsenz der Förderung durch Stiftungen und Partnerschaften (Preise, Stipendien, Ausstellungen usw.) schafft zwangsläufig ein Klima der Akzeptanz.
malatsion, ich danke Ihnen für das aufschlussreiche Gespräch.
Beitragsbild über dem Text: malatsion: Genese/genesen (2016–2017). Foto: malatsion.
[1] W. Koops: Ethical Trilemmas. In: Trust Me, I’m an Artist. Developing Ethical Frameworks for Artists, Cultural Institutions and Audiences Engaged in the Challenges of Creating and Experiencing New Art Forms in Biotechnology and Biomedicine in Europe. http://trustmeimanartist.eu/ethical-trilemmas, Beitrag vom 22.06.2017.
[2] ibid.
Zitierweise
Peter Tepe (2019): malatsion: Genese/genesen. w/k - Zwischen Wissenschaft & Kunst. https://doi.org/10.55597/d10182
Gib den ersten Kommentar ab