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malatsion: Labor-Phantasien

Text: malatsion | Bereich: Beiträge von Künstlern

Übersicht: Die installativen Arbeiten der französischen Künstlerin malatsion beziehen sich auf die Biologie, die Botanik und die Medizin – auch kritisch, wenngleich die skulpturalen Schöpfungen aus ihrer Phantasie stammen. Sie werden jedoch mit wissenschaftlicher Präzision mittels Zeichnung und Fotografie analysiert. Der Beitrag stellt die Installation © semons vor, gibt Einblicke in malatsions Arbeitsweise und beschreibt die ironische Intention dieser Arbeit.

Kurz zu meiner Entwicklung: Von 1992 bis 1998 absolvierte ich an der Universität von Poitiers den Diplomstudiengang Kunstgeschichte und Archäologie; in der letzteren Disziplin spezialisierte ich mich auf die Archäozoologie, ein sich mit Tierresten (hauptsächlich Tierknochen) aus Ausgrabungen beschäftigendes Fach. Danach studierte ich in Straßburg an der Hochschule der Bildenden Künste der Marc Bloch Universität, wo ich 2003 das Diplom im Bereich Bildende Künste erwarb. Seit 2004 lebe und arbeite ich in Frankfurt am Main.

Wissenschaft als Inspirationsquelle beeinflusst einige meiner Arbeiten, daher können diese Werke als wissenschaftsbezogene Kunst eingeordnet werden. Nach dem Wechsel an die Kunsthochschule blieb mein Interesse für die Wissenschaften zunächst im Hintergrund; erst 2008 machte es sich wieder bemerkbar. Ich bediene mich der Wissenschaft vor allem als Bildquelle, um installative Arbeiten zu schaffen, die an Orte wie das Labor und naturwissenschaftliche Verfahren wie das Experiment erinnern.

Seit dem Beginn der Arbeit an © semons 2008 finden mehrere meiner Werke ihren Ursprung in ethischen Fragestellungen aus dem Bereich der Biotechnologien und besitzen folglich einen visuellen Bezug zur Biologie, Botanik oder auch Medizin. Dieser visuelle Bezug beschränkt sich aber auf Andeutungen, unter anderem mittels Requisiten. Im Zentrum jeder Installation befinden sich von mir sorgfältig handgefertigte Objekte (ich sehe sie als Skulpturen), die in Form, Material und Farbe keine realistischen Abbildungen sind, sondern Schöpfungen der Phantasie, inspiriert sowohl von Naturformen als auch von Design und Konsumgütern. Durch die Inszenierung werden sie zum Gegenstand eines fiktiven wissenschaftlichen Prozesses und auf diese Weise mit einer spezifischen Bedeutung aufgeladen. Außerdem wird jedes gefertigte Objekt während seiner Entstehung beziehungsweise gleich danach mittels Fotografie und/oder Zeichnung festgehalten und analysiert – und somit einem die Wissenschaft visuell nachahmenden Untersuchungsverfahren unterzogen.

Die bildlichen Ergebnisse tragen zum Aufbau der dargestellten Fiktion bei, selbst wenn sie nur bestimmte Merkmale wissenschaftlicher Bilderzeugnisse (zu denen z.B. Diagramme und Rasterelektronenmikroskop-Bilder gehören) frei umsetzen. Sie bieten kein neues Wissen an, eher eine Vertiefung der Wahrnehmung. Mit jeder neuen Arbeit entwickle ich eine neue Formensprache, die Sinne und Gefühle anspricht und zu einem intuitiven, d.h. nicht diskursiven Denken anregt. Ein intellektueller Diskurs interessiert mich paradoxerweise in meiner Auseinandersetzung mit ethischen Fragen an die Wissenschaft weniger als ein durch sinnliche Erfahrung hervorgerufenes empathisches Gefühl für die Veränderung und Ausnutzung der Natur bis zum Verlust ihrer Essenz, ihres ursprünglichen Wesens.

In meinem Beitrag stelle ich die erste meiner drei bisherigen wissenschaftsbezogenen Arbeiten vor. Im Schaffensprozess haben mich Fragen zum Respekt vor dem Leben, insbesondere im Rahmen wissenschaftlicher Forschung, begleitet: Ist es moralisch vertretbar, Lebewesen im Labor als bloßes wissenschaftliches Material zu behandeln, ein Genom als Baustelle zu betrachten, Organismen patentieren zu lassen?

malatsion: © semons (2010). Foto: malatsion.

In der raumgreifenden Skulptureninstallation © semons bilden vielfältige stilisierte Pflanzenobjekte in eckigen Kübeln eine sonderbare Waldkulisse – ganz in Weiß. Die kühlen Designobjekte erscheinen wie Produkte von Laborversuchen, die aus Kanistern mit einer weißen Flüssigkeit genährt werden. Die einzelnen Elemente jeder Pflanze sind jeweils wie in einem wissenschaftlichen Experiment nummeriert und gekennzeichnet. Daneben zeigen an Ständern hängende Zeichnungen jeweils im Maßstab 1:1 die einzelnen Teile einer Pflanze. Sie erinnern an botanische Tafeln oder technische Diagramme und legen wie Schnittmusterbogen den Herstellungsprozess offen.

malatsion: © semons (2010). Foto: malatsion.

Diese Installation ist das Ergebnis einer längeren Auseinandersetzung mit Fragen zur Veränderung und Schaffung von Organismen sowie den daraus folgenden Eigentumsrechten auf Leben. Im Hintergrund steht der enge Zusammenhang zwischen Wissenschaft und Industrie. Der Titel übernimmt den Schriftzug, der mehrmals auf jeder Skulptur angebracht ist und das Grundelement der inszenierten Fiktion bildet: „semons“ (franz. „sähen wir“), ein erfundener Name für den Hersteller der Pflanzenobjekte, sorgt dafür, dass jede Pflanzenform sein Eigentum bleibt; es geht um Reproduktionsrechte. Mein künstlerischer Ansatz ist in dieser visuellen Übertreibung spürbar. Ich eigne mir das ernste Thema mittels einer ironisch dargestellten Phantasiewelt an, die mir erlaubt, das Rationale mit dem Grotesken, das Ästhetische mit dem Spielerisch-Bühnenhaften zu vermischen.

malatsion: © semons, Projekt-Zeichnung (2008). Foto: Sabine Lippert.

Für die semons-Welt habe ich in meinen Zeichenstudien von Pflanzen und Ornamenten bzw. Design einige Strukturen und Formen ausgesucht und weiterentwickelt, um eine Stilisierung und Künstlichkeit zu erreichen, die mit der Wahl der hier steril erscheinenden Farbe Weiß noch gesteigert wird. Ohne realistisch zu sein sollen die Skulpturen sofort als Pflanzen wahrgenommen werden. Außerdem gehört eine gewisse Ambivalenz des Erscheinungsbilds zur ironischen Intention, da die Ästhetisierung der Formen sich an der Grenze zur Geschmacklosigkeit bewegt. Für die von mir bevorzugte mélange des genres sind vegetative Ornamente aus der Populärkultur (z.B. traditionelle Blumenmotive auf Stoffen) und dem Massenproduktionsdesign eine wichtige Inspirationsquelle. Die Stilisierung von Gewächsstrukturen betrachte ich als eine Schematisierung und Systematisierung des in der Natur Beobachteten; das Dekorative hat etwas Analytisches in sich. Hier knüpfe ich an Karl Blossfeldt an, dessen Herbarien-ähnliche Pflanzenfotografien als präzise Vorlagen für die ornamentale Gestaltung konzipiert waren.

Für die Inszenierung der künstlichen Organismen in einem fiktiven Labor- oder Gewächshaus-Kontext habe ich wenige, aber suggestive Requisiten ausgewählt. In Kontrast zu den üppigen skulpturalen Formen steht das scheinbar zweckmäßige Bewässerungssystem mit Kanistern und Schläuchen, das die Pflanzen wie Forschungsobjekte erscheinen lässt. Gleichzeitig mache ich sie mit der Nummerierung der Einzelteile und dem Copyright von semons zu Prototypen von Laborprodukten. Nicht nur diese kleinen Details weisen auf die Verbindung zwischen Wissenschaft und Industrie hin, sondern auch der zweite Teil der Installation, die an Ständern angebrachten Zeichnungen.

Diese handgezeichneten Tafeln stellen in der semons-Welt die Sammlung der für die Serienanfertigung nötigen Schnittmuster dar. Sie sind, ähnlich wie botanische Tafeln mit einzelnen Pflanzenteilen oder wie grafische Aufzeichnungen von Artefakten, als Objektstudien konzipiert. In dieser Arbeitsphase nähert sich meine Herangehensweise einer wissenschaftlichen Methode an. Schon während der Herstellung der Skulpturen entsteht bei mir das Bedürfnis, die Komplexität der Formen und ihrer Zusammensetzungen besser zu verstehen und grafisch festzuhalten. Das zu fertigende Objekt wird also sogleich untersucht und existiert danach sowohl als Skulptur als auch als Zeichnung; beide ergänzen einander. Die Skulptur als Ganzes ist unmittelbar sinnlich erfahrbar, während die Zeichnung eine Zerlegung vornimmt und so ein analytisches Verständnis des Objekts anbietet.

malatsion: © semons # 008 (2010). Foto: Sabine Lippert.

Die präzise Fertigung deutet darauf hin, dass ich der Herstellungsweise und dem Produktionsvorgang große Bedeutung beimesse. Mit dem handwerklichen Verfahren, der Haptik des Materials sowie der handgeschriebenen Kennzeichnung suche ich den Aspekt des Prototyps, des ersten Versuchsergebnisses, das in sich noch etwas Unsicheres und Fragiles hat.

Von ethischen Fragen an die Wissenschaft ausgehend, habe ich mich intensiv mit der Forschung für die industrielle Produktion beschäftigt. In einem zur Installation gehörenden Heft wird jede Skulptur wie in Hochglanzwerbebroschüren der Industrie einzeln präsentiert, mit dem Verlockungspotenzial ästhetisierender fotografischer Mittel. Unabhängig von diesem parodistischen Ansatz ist die Fotografie für mich eine weitere Methode, die Pflanzenschöpfungen in ihren sinnlichen und technischen Details zu beobachten.

Ich arbeite also auf den beiden eng miteinander verwobenen Ebenen der Labor-Phantasie und der künstlerischen Studie. Letztere schafft einen Abstand zur Fiktion und legt deren Mechanismen offen, wie auch Spiel und Ironie es tun. Dazu ist für mich die Betrachtung und Analyse der eigenen Produktion ein Mittel, den Schöpfungsakt in der Kunst wie auch in der Wissenschaft zu hinterfragen. Auf der Ebene der Fiktion erlaubt mir die Ambivalenz der Formensprache, das Werk undefiniert zu lassen – es kann sowohl als positive Utopie wie auch als Dystopie wahrgenommen werden.

Beitragsbild über dem Text: malatsion: © semons # 010, technische Zeichnung (2010). Filzstift auf Papier, 72 x 65 cm. Foto: malatsion.


* Präsentation im Begleitheft, Objekthöhe 183 cm.

Zitierweise

malatsion (2017): malatsion: Labor-Phantasien. w/k - Zwischen Wissenschaft & Kunst. https://doi.org/10.55597/d851

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