Ein Gespräch mit Anna-Sophie Jürgens | Bereich: Interviews / Zirkus & Wissenschaft
Übersicht: In diesem Gespräch reflektieren der Zirkuskünstler Martin Riedel und der Technikkünstler und Programmierer UliK über ihre produktive Zusammenarbeit an der Schnittstelle zwischen Performance-Kunst und Technologie. Sie beschreiben nicht nur, wie das gemeinsame Schaffen in und außerhalb der Manege ihr Verständnis von Kunst und Technik(en) beeinflusst(e), sondern auch, welches neues Wissen daraus entsteht. Dieses Gespräch widmet sich somit sowohl einem wissenschaftsbezogenen Zirkuskünstler als auch einer langjährigen Kooperation mit Wissenschaftlern, Technikern und Firmen.
Die preisgekrönte und Aufsehen erregende Performance RoboPole resultiert aus einer Zusammenarbeit zwischen dem Zirkuskünstler Martin Riedel und dem Programmierer und Technik-Showman UliK. Kooperationen dieser Art sind für w/k hoch interessant. Ziel dieses Gesprächs ist es, die Art der Zusammenarbeit bei RoboPole und anderen Projekten möglichst präzise und umfassend herauszuarbeiten sowie das der Performance zugrundeliegende künstlerische Konzept zu erschließen, um so ein vertieftes Verständnis dieser Kunstform und Kooperation zu ermöglichen.
Martin Riedel (R) & UliK (U): Darauf lassen wir uns gern ein.
Zur Einführung möchte ich Sie bitten, sich kurz unseren an den Schnittstellen zwischen Kunst und Wissenschaft interessierten Leser*innen vorzustellen und dabei zu skizzieren, inwiefern Ihre Performance mit einem Roboter etwas Überraschendes und Neues in der Manege darstellt. Sie haben schließlich nicht umsonst kürzlich einen Preis – auf dem renommierten Festival Mondial du Cirque de Demain – für künstlerische Innovation bzw. visionäre Kunst erhalten …
R: Mit sechzehn Jahren habe ich an einem Europäischen Jugendzirkus-Camp in Lingen teilgenommen und von da an den Entschluss gefasst, Zirkusartist zu werden. Drei Jahre später trainierte ich das erste Mal an einem Chinesischen Mast. Dies ist eine vertikale Kletterstange. Sie ist mit Gummi ummantelt und ca. sechs Meter lang. Es ist eine sehr traditionelle Zirkusdisziplin, die ihren Ursprung in China und Indien hat. Man zeigt daran akrobatische Elemente, wie die menschliche Fahne, schnelles Herunterrutschen, aber auch Pirouetten und Saltos. Seit mehr als 12 Jahren folge ich dieser Passion und habe diese Disziplin in den Niederlanden, Frankreich und China studiert. Seit 2015 kam dann die Arbeit mit dem Mast am Roboter hinzu. Die Zusammenarbeit mit UliK Robotic hat meine Sichtweise auf das Requisit komplett geändert, ein neues Denken und neue Ideen gefördert. Innerhalb von drei Jahren hat UliK Robotic eine Darbietung erforscht und entwickelt, die sich zu einer neuen und einzigartigen Disziplin im modernen Zirkus etabliert hat, da sie mit klassischen Zirkusrequisiten nicht vergleichbar ist. Es wurde eine neue Zirkusdisziplin erfunden, welche ich selber kinetisches Requisit nenne. Beim 39. Weltzirkusfestival 2018 hat UliK Robotic den Cirque du Soleil Innovationspreis gewonnen und bereits ein Jahr später waren und sind wir mit der Produktion Messi10 Teil der modernen Ära des weltgrößten Zirkusunternehmens. Das Neuartige an der RoboPole-Darbietung ist das harmonische Zusammenspiel an einem kinetischen Requisit – dem Roboter (ein Chinesischer Mast an einem Sechs-Achsen-Roboter), der sich eigenständig bewegt und nicht vom Künstler manipuliert wird. An den sechs Achsen kann sich der Artist durch den gesamten Raum bewegen und ist nicht mehr nur an die Vertikale gefesselt; vielmehr findet er neue Herausforderungen in Position und Bewegung am Requisit. Einerseits gibt so scheinbar der Roboter die Bewegungen vor, andererseits scheint der Roboter auf die Bewegungen des Artisten zu reagieren, und umgekehrt. Dadurch, dass der Roboter komplett durchprogrammiert ist, verlangt der Act höchste Präzision vom Artisten und lässt weitaus weniger Spielraum zu.
U: Auch Bernhard Paul von Circus Roncalli hat sofort verstanden, dass RoboPole eine Neudefinition dieser klassischen Zirkusnummer darstellt – und gleich einen Vertrag mit uns gemacht. Das heißt, wir haben aktuell drei Roboter: einer ist bei Circus Roncalli, einer bei Messi10 von Ciruqe du Soleil und einen habe ich ständig im Einsatz für Festivals und Events. Wie können so mit verschiedenen Circussen, Veranstaltern und Festivals arbeiten.
R: Der Act RoboPole war ein lang ersehnter Traum und nach ca. vier Jahren Recherche – der oben erwähnten ‚Erforschung‘ der Möglichkeiten – und vielem Probieren haben wir es gewagt, eine Version der Öffentlichkeit zu präsentieren. Der Act selbst ist sehr komplex, gefährlich und noch immer schwer für das Publikum zu verstehen. Stellen Sie sich vor, Sie haben noch nie ein Auto gesehen und sehen plötzlich jemanden auf einem Autodach einen Handstand machen. Dies ist meine Interpretation der Gesichter des Publikums, nachdem sie RoboPole gesehen haben.
Martin Riedel, schon während Ihrer Ausbildung waren Sie daran interessiert, Materialien Ihrer Performance neu zu denken. Woher kommt dieses Interesse, und wie hat es sich vor Ihrer Zusammenarbeit mit UliK gezeigt?
R: Es liegt in meiner Natur, interessiert, neugierig und etwas nervig zu sein. Der positive Aspekt dieser Charaktereigenschaften führte dazu, dass ich den klassischen Chinesischen Mast 2013 dekonstruiert habe und einen diagonalen Mast wollte. Mich interessierte schon immer die Architektur und Autonomie des Requisits, und ich fand, dass Künstler das Requisit meist nur bespielt haben. Ich wollte schon immer ein Requisit, das auch ein Eigenleben hat. Als ich UliK traf und das Potential des Roboters erahnte, war mir klar, dass dies eine einmalige Chance ist.
Sie haben sich über eine Agentur kennengelernt, die laut ihrer Webseite international(e) Künstler-Nummern produziert, präsentiert, managt und vermittelt. Wie kam es, dass Sie – UliK bzw. UliK Robotic – von einer Event-Agentur gefunden wurden, und was hat Sie dazu bewegt, mit Martin Riedel zusammenzuarbeiten?
U: Es war wirklich Fügung, da ich Martin durch einem gemeinsamen Freund kennengelernt habe. Der Magier Scott Nelson war mit mir auf der Freiburger Künstlermesse auf dem Stand von meiner Agentur (Rudi Renner Agentur) und ich erzählte ihm vom Projekt und dass ich einen Mastartisten suche. Er griff hinter mich und sagte: „Hier ist dein Mann!“ – durch Zufall stand da Martin Riedel, und das war wirklich ein Glücksfall.
UliK, Sie werden als „der Daniel Düsentrieb des Theaters im öffentlichen Raum“[1] bezeichnet – und im Internet sowohl als Künstler, als auch als Programmierer und Ingenieur beschrieben. Verstehen Sie sich selbst als ein Hightech-Marionettenspieler, eine Art Robo-Frankenstein, der Maschinen zum Leben erweckt, oder doch eher als Düsentrieb?
U: Seit 30 Jahren baue ich ausgefallene Maschinen und trete weltweit damit auf. Dies führte zu vielen erfolgreichen Kreationen und manchen Fehlschlägen, aber auch zu erteilten Patenten für ernsthafte Erfindungen. Roboter hatten mich immer schon fasziniert, aber früher waren die Roboter noch unbezahlbar, so dass es z.B. 1995 noch nicht möglich war, als Künstler einen zu erwerben. 2007 konnte ich meinen Traum erfüllen: Yaskawa lieh mir einen Roboter für ein erstes Projekt in Luxemburg. Schon bei meinen ersten Versuchen wurde mir klar, was selbst mit sechs Achsen möglich ist. Der Roboter wird lebendig und eröffnet unendliche Möglichkeiten. Das Schöne ist, dass man, wenn auch nicht physisch, so doch mit seiner programmierten Kreation, immer mit dabei ist. Wenn ich die Show längere Zeit nicht live gesehen habe, bin ich immer wieder überrascht, was wir geschaffen haben. Der Name Daniel Düsentrieb fällt immer wieder in diesem Kontext, auch wegen meiner Show Mecanocomic, mit der ich früher viel getourt bin. (https://www.ulik.com/mecanocomic)
Welche Arten von Maschinen und Robotern interessieren Sie als Künstler besonders und warum?
U: Wir werden auf unseren künstlerischen Höhenflügen immer wieder von den Realitäten eingeholt. Gewicht, Transportkosten und Sicherheit müssen von Anfang an in die Projekte eingerechnet werden. Wir brauchen Roboter, die hohe Tragkraft haben, aber noch transportierbar sind. Sechs Achsen sind Standard; wir arbeiten mit normalen Industrie-Robotern. Wir modifizieren unsere Roboter, um ihnen mehr Grazie und Eleganz zu verleihen. Ich arbeite aber auch mit von mir umgebauten Segways. Beispielsweise habe ich seit 2012 einen Vertrag mit Disneyland Paris für eine Zusammenarbeit an einer Parade, in der Feen und Zauberer mit von mir entwickelten Tanz-Segways auftreten (https://www.youtube.com/watch?v=RFVgGzooYu8). Zudem gibt es das Projekt UliK’s Glissendo mit dem französischen Orchester Le Snob, mit dem wir seit 2007 auf Tour sind (https://www.youtube.com/watch?v=KYykpRRuHQM).
Wie sieht Ihre Zusammenarbeit konkret aus, und wie hat sie sich entwickelt?
U: Wir konnten am Anfang in Meisenthal in Frankreich in der Verrerie (Centre International d‘Art Verrier) zusammen mehrere Intensiv-Workshops machen, wo wir uns kennenlernen und erste Arbeitsweisen entwickeln konnten. In der ersten Testphase hatte ich mit Martin an der Auswahl des Materials für den Mast und an der Grundprogrammierung für den Roboter gearbeitet. Später haben wir uns an verschiedenen Locations in ganz Europa zum Proben zusammengefunden. Wir beide mussten zwar unsere Arbeitsweisen umstellen, folgten aber dabei dem Grundsatz, dass die Maschine dem Menschen dienen muss und nicht andersherum – um so dem Akrobaten die bestmögliche Unterstützung zu geben.
Wie definieren Sie die Zusammenarbeit mit dem Roboter in der Manege, verstehen Sie ihn als einen Performance-Partner bzw. Sie beide (Riedel und Roboter) als künstlerisches Duo? Oder ist es doch der jenseits der Scheinwerfer wirkende UliK, der hier der künstlerische Partner ist? Kurz: Wie würden Sie Ihr zirkuskunstschaffendes Verhältnis während der Performance beschreiben?
U: Der Act besteht aus dem Akrobaten und dem Roboter, aber der Programmierer ist im Geiste doch immer mit dabei, denn er trägt Verantwortung gegenüber dem Artisten und dem Publikum. Neben dem Akrobaten ist der technische Bediener des Roboters extrem wichtig, der während der Darbietung den Ablauf überwacht, für das richtige Timing sorgt, den Wirkungsraum sichert und sozusagen den virtuellen Untermann darstellt.
Lassen Sie uns noch einmal auf die oben angedeutete, mit der Technik verbundene Forschungsdimension zurückkommen. Stützen Sie sich, Martin Riedel, in Ihrer künstlerischen Arbeit auf wissenschaftliche Theorien oder zusätzliche Berater aus dem Bereich Robotik?
R: UliK und ich haben bei Yaskawa alle nötigen Schulungen gemacht, um gewissenhaft mit der Technik arbeiten zu können. Anfangs hatten wir aber keine bzw. nur geringe technische Vorkenntnisse, was sehr von Vorteil war, da wir so unbefangen an das Projekt herantreten konnten. Ich glaube, man macht vieles und interpretiert es später. Mittlerweile glaube ich auch, dass dies häufig der gesündere Ansatz ist. Wir beginnen nun neue Methoden zu integrieren, um letzte Wünsche umzusetzen, die wir ohne das nötige Know-how nicht realisieren können. Aber auch hier kommt das Wissen mit dem Bedarf danach und nicht umgekehrt.
U: Wir haben ein bisschen den Tesla-Effekt: Tesla hat innovative Autos gebaut, ohne es je vorher gemacht zu haben. Ich hatte 2007 angefangen, mit einem kleinen Programmiertraining meine Visionen zu realisieren. Wenn ich vorher die klassische Programmierausbildung gemacht hätte, hätte ich vieles niemals gewagt. Selbst der Hersteller Yaskawa hatte am Anfang Sorgen, aber nachdem extra ein japanischer Chefingenieur eingeflogen wurde, der mit speziellen Messinstrumenten die Lasten vermessen hatte, war klar, dass es machbar ist und wir nichts Unmögliches von den Maschinen verlangen.
Martin Riedel, wie hat die Technik – UliKs insbesondere – Ihre künstlerische Arbeit beeinflusst?
R: Die Technik UliKs und seine Denkansätze haben mich seit 2015 sehr geprägt. Viele Artisten lernen eine Disziplin und führen ihre darin entwickelte Performance bis an ihr Karriereende weitgehend unverändert auf. Nachdem ich drei Jahre am normalen Chinesischen Mast trainiert hatte, diesen dann dekonstruierte und an einem diagonalen Mast neue Figuren und Möglichkeiten fand, kam sieben Jahre, nachdem ich mich diesem Requisit schon verschrieben hatte, RoboPole hinzu. Der Mast am Roboter kann sich in sechs Achsen bewegen und ist am oberen Ende nicht abgespannt. Alle erdenklichen Positionen einer Stange im Raum sind möglich, und demnach musste ich diese auch neu erlernen. Die weitaus größere Herausforderung war allerdings der Wechsel von einer Position zur anderen. Die damit verbundene Bewegung machte mir anfangs viele Sorgen und bereitet mir auch heute noch Freude, da es die größte Herausforderung ist. Gerade beim Probieren neuer Abläufe versuche ich zu erahnen, welche Achsen sich von einer Position zur nächsten verändern werden und was dies mit mir auf diesem Wege macht. Das ist es, was RoboPole prägt. Das Requisit ist nicht mehr statisch – und der Flux macht die Besonderheit für mich und das Publikum aus. Was den Zuschauer anregt und interessiert, ist die ständig wechselnde Herausforderung für den Artisten am Roboter; wie Maschine und Mensch kooperieren, kontrahieren und reagieren. Wie bewältigt der Künstler die nächste Herausforderung der Maschine im Raum? Hat die Maschine ein „Eigenleben“, oder ist alles programmiert? Fragen, die vorher für einen Zuschauer im Zirkus nicht relevant waren. Als Tierdressuren noch gängig waren, gab es einen ähnlichen Reiz: Wie reagiert der Dompteur, wenn es nicht wie programmiert vonstatten geht? Körperlich und psychisch war und ist dies nicht immer einfach, da man von Natur aus keine stetigen Änderungen bevorzugt. Die Arbeit am Roboter hat mich sehr geprägt und demütiger gemacht. Durch die ständige Selbstreflektion und das sehr rationale Betrachten von Sachverhalten habe ich eine Persönlichkeitsentwicklung erlebt, die ohne die Arbeit an der Maschine nicht stattgefunden hätte.
In Ihrem Interview für Circustalk (2018)[2] schreiben Sie, dass die Ergebnisse Ihrer Zusammenarbeit Zirkuskunst auf eine neue Stufe hebt (“This takes artistry and circus to a new level.“). Könnten Sie dies etwas ausführen und präzisieren?
R: Zirkus hat schon immer das Neue und Unbekannte gezeigt. In der modernen Zeit wird dies schwerer, und die Live-Situation ist wichtiger geworden. Etwas zu erleben, was den Betrachter im Raum anregt, also visuell in mehr als zwei Ebenen wahrgenommen werden kann, ist jetzt umso wichtiger. RoboPole hebt den modernen Zirkus auf eine neue Ebene, indem es den Elefanten (das damals Exotische) durch den Eisenelefanten (das heute Exotische) ersetzt. Das Publikum bekommt etwas zu sehen, zu dem es sonst keinen Zugang hätte. Insofern spielt die Logistik, also wie man einen 3,5 Tonnen schweren Industrie-Roboter transportiert und auf die Bühne bringt, eine sehr entscheidende Rolle, noch bevor man daran irgendetwas macht. Darin liegt für mich die eigentliche Kunst. All diese Faktoren machen es für mich zu einem Gesamtkunstwerk.
In welchem Verhältnis steht Ihre Auseinandersetzung mit Technik zur künstlerischen: Welche Wechselwirkungen gibt es zwischen beiden Bereichen?
U: Maschinen verleihen dem Menschen Superkräfte. Ob das der Traktor für den Bauern auf dem Feld oder ein Jetflugzeug für den Piloten auf Mach 2 ist. Auch der Roboter gibt dem Akrobaten Superpower, die er beherrschen können muss. Der Roboter kann zum Beispiel sehr schnell mit großer Kraft beschleunigen, aber auch abrupt abbremsen, was für den Akrobaten und das Material kritisch sein kann. Man steigert die Geschwindigkeiten sehr langsam …
Hat Ihre Auseinandersetzung mit Akrobatik Ihr Verständnis von oder Ihre Herangehensweise an Technik verändert bzw. wie würden Sie Ihren künstlerischen Zugang zu Technik beschreiben?
U: Seit meiner frühesten Jugend war ich sehr an Technik interessiert und analysierte viele Mechanismen. Ich konnte mit neun Jahren ein Mofa auseinander- und wieder zusammenbauen. Ich halte immer Ausschau nach Neuem, kaufe etwas und stelle fest, dass es eher uninteressant ist. Aber immer wieder stößt man dann doch auf wunderbare Apparate, die danach schreien, verkunstet zu werden.
UliK, welche Wirkung haben Ihre technische Leistung – Ihre Maschinen – auf andere Zirkuskünstler?
U: Die Zirkuswelt hat ihre traditionellen Techniken, die nach technischem Können und Präsentation beurteilt werden. Unsere Arbeit wurde am Anfang kritisch aufgenommen, und Juroren der Festivals hatten keine Referenz, wie sie uns beurteilen sollten. Ich denke, wir zeigen, dass es keine Limits gibt, dass alles möglich ist, wenn man sich nur traut. Durch die Tierwohlbewegung hat sich der traditionelle Zirkus dramatisch verändert. Tierdressuren sind dabei, komplett aus der Zirkusarena zu verschwinden, und unser Roboter ist wie ein beeindruckendes Tier – vegan und frisst nur Strom, also auch eine Antwort auf die Zeichen der Zeit.
Martin Riedel, worum geht es Ihnen in Ihrer Zusammenarbeit mit UliK: Welche künstlerischen Ziele verfolgen Sie in Ihrer Zusammenarbeit? Und wie stehen Sie hierzu, UliK?
R: Meine Zusammenarbeit mit UliK ist sehr tiefgreifend und entwickelte sich mit der Zeit organisch. So wie in jeder Beziehung muss man Vertrauen aufbauen, den anderen kennen lernen und am Ende von Zeit zu Zeit neue Energie in die Beziehung investieren, um weiterhin gemeinsam zu bestehen. Mir geht es am meisten um die Menschlichkeit und die gegenseitige Bereicherung. Wir haben ähnliche künstlerische und sehr offene Ansätze – und ich bin immer wieder von UliKs unkonventionellen Methoden und Ansätzen überrascht. Insofern bin ich eher der konventionelle Künstler und er der Querdenker. UliK ist für mich ein ewiger Lehrmeister, dem ich aber auf Augenhöhe begegnen kann. Aus seiner Erfahrung heraus ist er in der Lage, Dinge in mir zu sehen, die ich noch nicht erahnen kann, und fordert – bzw. fördert – dieses Potential aber auch. Dafür bin ich ihm jedes Mal aufs Neue dankbar.
U: Martin Riedel ist ein Akrobatik-Avantgardist, der es schafft, Ängste zu überwinden und sich den neuen Anforderungen zu stellen; er arbeitet sich mit viel Achtsamkeit an die schwierigen neuen Routinen heran. Auch Disziplin in Ernährung (Gewicht) und sein permanent hohes Fitnessniveau vereinfachen die Arbeit mit Martin. Der Broterwerb im Tagesgeschäft verlangsamt unsere kreative Arbeit. Martin und ich sind viel auf Tournee, so dass wir wenig Zeit haben, neue Nummern zu entwickeln. Ideen gibt es viele. Eigentlich stehen wir immer noch am Anfang, und jede Möglichkeit wird genutzt, um das Projekt weiterzuentwickeln.
Denken Sie, dass eine besondere Art von Wissen aus Ihrer Zusammenarbeit entsteht?
U: Über die letzten Jahre haben wir sehr viel über die Stärken und Schwächen der Roboter gelernt, aber das Wichtigste in Sachen Sicherheit! Wir haben Vorgehensweisen entwickelt und arbeiten nach dem Vier-Augen Prinzip, denn die größte Fehlerquelle ist der Mensch, und Fehler können fatal sein. Wir haben gelernt, was wir uns und dem Roboter zumuten können und tasten uns immer weiter.
R: Aus der Arbeit und Recherche am Roboter ergeben sich neue Formen und Herausforderungen und als Resultat neues Wissen. Wir haben viele neue Methoden entwickeln müssen, und daraus sind viele Erkenntnisse hervorgegangen. Ich betrachte den Mast am Roboter als kinetisches Requisit, was einer eigens dafür nötigen Lehrzeit bedarf. Um wirklich Verständnis für die Arbeit mit einer Maschine und deren Tool (Requisit) zu erlangen, muss man das System als Ganzes verstanden haben und im Bottom up-Prinzip erlernen und begreifen – sozusagen die Seele verstehen. Ich glaube, dass ich als logische Konsequenz vieles erlernen musste, was es mir erlaubt, den Roboter als Requisit zu bespielen. Meine persönliche Erkenntnis fasse ich gerne in folgendem Satz zusammen: „To be able to work with a machine, you have to become a machine!“ Um mit einer Maschine arbeiten zu können, muss man selber zu einer Maschine werden.
Martin Riedel, UliK, ich danke Ihnen für dieses ergiebige Gespräch.
Beitragsbild über dem Text: Messi10 by Cirque du Soleil: UliK Robotic Premiere Cirque du Soleil (2019). Copyright: Messi10 by Cirque du Soleil.
[1] Siehe https://www.welttheater-der-strasse.de/ulik-robotic-robocircus.html
[2] Siehe https://circustalk.com/news/robopole-circus-of-the-future-an-interview-with-the-artist-and-the-operator
Zitierweise
Anna-Sophie Jürgens (2020): Martin Riedel & UliK: Techno-Zirkus. w/k - Zwischen Wissenschaft & Kunst. https://doi.org/10.55597/d14507
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