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Biennale 2019: Kunst und Wissenschaft

Text: Irene Daum und Moritz Niehues | Bereich: Beiträge über Künstler

Übersicht: Zahlreiche Projekte der 58. Biennale von Venedig widmen sich wissenschaftsbezogenen Themen. Der Pavillon Österreichs befasst sich mit Fragen im Grenzbereich von Kunst und Philosophie, der Pavillon Islands mit der psychologischen Wirkung von Farben. Arbeiten im kanadischen und im griechischen Pavillon setzen sich mit Traditionen der Geschichtsschreibung auseinander. Im Zentrum des Research Pavillons stehen Fragen zum Verhältnis von Kunst und Ökologie. Installationen und Groß-Skulpturen im Zentral-Pavillon und im Arsenale sind das Ergebnis einer engen Kooperation von Künstlern, Wissenschaftlern und Ingenieuren.

May You Live in Interesting Times

Die vom 11. Mai bis zum 24. November 2019 in Venedig stattfindende 58. Kunst-Biennale wurde von Ralph Rugoff, dem Direktor der Londoner Hayward Gallery, kuratiert. Sie umfasst 87 nationale Beiträge und zahlreiche Nebenausstellungen (Eventi Collaterali) und steht unter dem Motto May You Live in Interesting Times (Mögest Du in interessanten Zeiten leben). Die Redewendung bezieht sich in diesem Zusammenhang nicht auf den chinesischen Fluch gleichen Wortlauts, der besagt, dass man bei Geburt zu einem ungünstigen Zeitpunkt im späteren Leben viel Kummer haben wird. Das Motto soll vielmehr dazu anregen, sich mit der Gegenwart auseinanderzusetzen, die Zeichen der Zeit zu erkennen und danach zu handeln. Zahlreiche Projekte der bei der Biennale vertretenen Künstler widmen sich in diesem Zusammenhang wissenschaftsbezogenen Themen oder spiegeln eine enge Kooperation von Künstlern und Wissenschaftlern wider.

Der Zentral-Pavillon und die Länder-Pavillons

Vor dem Eingang des Zentral-Pavillons im historischen Giardini Areal der Biennale werden die Besucher in dichte Nebelschwaden gehüllt. Durch das von Lara Favoretto konzipierte Projekt soll Kunst mit allen Sinnen körperlich erfahrbar werden und die Gegenwart spüren lassen. Dem Kurator Ralph Rugoff zufolge wirkt der Pavillon als eine Art Gehirn, das durch den Nebel die Gedanken der Besucher einfangen soll. Die Ausstellungen sollen die Besucher dazu motivieren, Alltagsrealitäten aus neuen Blickwinkeln zu betrachten und dadurch ihre Sicht auf die Welt zu verändern.

Zu den beeindruckendsten Installationen im Zentral-Pavillon gehört die Arbeit Can´t Help Myself der chinesischen Künstler Sun Yuan und Pen Yu. Der mehrere Meter hohe Roboter wurde vom deutschen Maschinenbau-Unternehmen KUKA gebaut und ist das Ergebnis einer engen Kooperation von Künstlern, Wissenschaftlern und Technikern. Er wurde so programmiert, dass 32 unterschiedliche Bewegungsabläufe ohne Pause eine zähe, blutähnliche Flüssigkeit in einer Glaskabine wischen. Die Installation weckt unterschiedlichste Assoziationen und symbolisiert den Künstlern zufolge die Kontrolle, die ein Mensch über Maschinen hat, während sich der Mensch selber und seine Gedanken nicht kontrollieren lassen.

Sun Yuan/Pen Yu: Can`t Help Myself (2019). Foto: Moritz Niehues.

Der Deutsche Pavillon

Natascha Sadr Haghighian, eine in Bremen lehrende Professorin für Bildhauerei, die für die Biennale das Pseudonym Natascha Süder Happelmann verwendet, gestaltete den von Bundesaußenminister Heiko Maas eröffneten Deutschen Pavillon. In ihrer Arbeit geht es ihr um die Entbindung des Künstlers von einer repräsentativen Rolle und politischer Instrumentalisierung. In einem Spiel mit Fragen der Identität tritt Natascha Sadr Haghighian mit einer Art Stein über dem Kopf öffentlich auf und kommuniziert ausschließlich über ihre Sprecherin Helene Duldung. Die Installation  Ankersentrum besteht aus einer Anordnung von Steinen und einer zunehmend brüchigeren Staumauer als Bild der Angst der Deutschen vor Überschwemmung, begleitet von einem Konzert für Trillerpfeifen. Ziele des Projekts sind die Beschäftigung mit der Integration unterschiedlicher Wahrnehmungskanäle und die Auseinandersetzung mit aktuellen gesellschaftspolitischen Fragen wie Migration und Identitätskrisen.

Bundesaußenminister Heiko Maas eröffnet den Deutschen Pavillon (2019). Foto: Moritz Niehues.
Natascha Süder Happelmann: Ankersentrum (2019). Foto: Moritz Niehues.
Natascha Süder Happelmann (rechts) und Helene Duldung (links) bei der Eröffnung (2019). Foto: Moritz Niehues.

Der Österreichische Pavillon

Der Österreichische Pavillon zeigt zum ersten Mal in der Geschichte der Biennale eine Einzelausstellung, die Installation Discordo ergo sum (Ich widerspreche, also bin ich) von Renate Bertlmann, einer Pionierin der Performance-Kunst. Sie beschäftigt sich mit Fragen im Grenzbereich von Kunst und Philosophie;  ihre Installation und ihr künstlerisches Motto amo, ergo sum sind Umformulierungen des Grundsatzes von Descartes cogito, ergo sum. Sie stehen für einen Protest gegen den Logozentrismus und den Einfluss gesellschaftlicher Symbole. Der Widerspruchsgeist der Künstlerin spiegelt sich in Schriftarbeiten, Fotografien und Zeichnungen im Inneren des Pavillons wider; die beeindruckende Installation Messer-Rosen im Außenraum soll die Ambivalenz menschlicher Erfahrungen verbildlichen.

Renate Bertlmann: Messer-Rosen (2019). Foto: Irene Daum.

Der Isländische Pavillon

Zahlreiche Pavillons befassen sich mit gesellschaftpolitischen Themen wie Migrationsfragen oder Klimawandel. So zeigt die auf virtuelle Realität spezialisierte Künstlerin Dominique Gonzalez-Foerster in einem Diorama eine Mars-Landschaft auf der Grundlage von Fotografien der Erde, Bilder von durch Klimaveränderungen verwüsteten Landschaften als Szenario der möglichen Zukunft der Erde. Auch der mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnete Pavillon Litauens befasst sich mit ökologischen Fragen. Von einer Ballustrade aus betrachten die Besucher Strandszenen, in denen die Strandbesucher Opernarien zu den Folgen der Erderwärmung (wie Weihnachtsfeiern bei sommerlichen Temperaturen) singen.

Ein Gegengewicht zu den gesellschaftskritischen Themen bildet der Pavillon Islands auf der Insel Giudecca, der von der in Reykjavik geborenen und in New York lebenden Künstlerin Shoplifter (Hrafnhildur Amardottir) unter dem Titel Chromo Sapiens gestaltet wurde. Sie zeigt eine farbenfrohe großformatige Installation aus echtem und synthetischem Haar, die eine Art Höhle bildet. Am Eingang des Pavillons dominieren dunkle Farben, die in der Mitte bis zum Ausgang hin in die leuchtenden Farben des Regenbogens übergehen. In Anlehnung an wissenschaftliche Erkenntnisse der Wahrnehmungspsychologie spielt die Künstlerin mit der Wirkung von Farben auf Stimmung und Befindlichkeit. Ihr Pavillon soll gute Laune verbreiten, zur Entspannung beitragen und die Fantasie des Betrachters anregen.

Shoplifter: Chromo Sapiens (2019). Foto: Moritz Niehues.

Der Griechische Pavillon

Der Pavillon Griechenlands, der von den Künstlern Panos Charalambous, Eva Stefani und Zafos Xagoraris gestaltet wurde, hinterfragt die Gültigkeit offizieller Berichterstattung und Geschichtsschreibung und lenkt das Augenmerk des Besuchers auf Aspekte der Geschichte, die im Laufe der Zeit ignoriert  werden und verloren gehen. In seiner Installation An Eagle was Standing widmet sich der Künstler Panos Charalambous Stimmen, die zum Verstummen gebracht wurden. Die Arbeit besteht aus 20000 Trinkgläsern, über die die Besucher laufen können und dadurch Geräusche und Klänge produzieren. Sie steht für die Fähigkeit des Körpers, Geschichten zu erzählen und eine Spur in der Gegenwart zu hinterlassen, die von Klanginstallationen des Künstlers begleitet wird.

Panos Charalambous: An Eagle was Standing (2019). Foto: Irene Daum.

Der Kanadische Pavillon

Auch der Kanadische Pavillon befasst sich mit Fragen der Weitergabe historischer Ereignisse und persönlicher Erlebnisse. Zum ersten Mal wird der Pavillon von Künstlern der Inuit gestaltet. Die vorgestellten Arbeiten und Fotografien stützen sich auf die Tradition der Inuit, historische Gegebenheiten durch Sehen und Hören weiterzugeben; eine Dokumentation in schriftlicher Form ist unbekannt. Eine zeitgenössische Variante dieser Tradition sind die Videoarbeiten des Künstlerkollektivs ISUMA. Die Filme halten Bilder vom Alltag der Inuit fest. Der Pavillon präsentiert darüber hinaus einen von ISUMA gedrehten Spielfilm über die Legende eines Inuit-Kriegers.

Der Research Pavillon

Wie bei den Biennalen 2015 und 2017 befasst sich auch in diesem Jahr ein von der Universität der Künste Helsinki organisierter Research Pavillon mit Forschungsfragen und Kooperationen im Bereich der künstlerischen Forschung (artistic research) . Thematischer Schwerpunkt des diesjährigen Research Pavillons sind Fragen im Spannungsfeld von Kunst und Ökologie, der Titel lautet Research Ecologies. Kooperationspartner sind neben der Ehrnrooth Stiftung die Aalto Universität in Finnland und universitäre Institutionen aus Göteborg, Wien und Seoul. In Workshops, Künstlergesprächen, Performances und Ausstellungen sollen den Besuchern die Ergebnisse unterschiedlicher Kooperationsprojekte näher gebracht werden.

Ein thematischer Schwerpunkt des Research Pavillons befasst sich mit dem Verhältnis von Kunst und Biologie. Im Projekt Insect Karaoke werden Geräusche präsentiert, die von Insekten produziert wurden, und der Besucher soll sie anhand von Kontaktmikrofonen imitieren und interpretieren. In Zusammenhang damit zeigt Tuula Närhinen eine Ausstellung zum Thema Entomological Encounters.

Ein weiterer Schwerpunkt mit dem Titel Klimawandel, Globalisierung und die Kunstwelt setzt sich mit den Auswirkungen eines internationalen Großereignisses wie der Biennale auf das fragile ökologische System der Stadt Venedig auseinander. Zu den Einflussfaktoren gehören neben den Besucherströmen das extrem hohe Verkehrsaufkommen auf dem Meer und in der Luft. Der Workshop zu diesem Schwerpunkt soll Möglichkeiten einer nachhaltigeren künstlerischen Arbeit und nachhaltiger Ausstellungskonzepte erarbeiten.

Nebenausstellungen und Ausstellungen parallel zur Biennale

Aus deutscher Sicht sind zwei Ausstellungen, die zu den offiziellen Nebenausstellungen (Eventi Collaterali) der Biennale gehören, von besonderem Interesse. Die Ausstellung Baselitz-Academy ist die erste Retrospektive eines zeitgenössischen Künstlers im Museum Gallerie dell‘ Accademia. Sie umfasst Werke aus über 60 Jahren des künstlerischen Schaffens von Georg Baselitz und zeigt neben Malerei Skulpturen und Grafiken in dem für ihn typischen figurativen expressiven Stil.

Georg Baselitz: Donna Via Venezia (2004). Foto: Moritz Niehues.
Georg Baselitz: Donna Via Venezia (2004). Foto: Moritz Niehues.

Die vom Dallas Museum of Art organisierte Ausstellung Förg in Venice zeigt über 30 Arbeiten des 2013 verstorbenen Künstlers Günther Förg im historischen Interieur eines Renaissance-Palasts am Canal Grande (Palazzo Contarini Polignac). Die Integration seiner abstrakten Malerei in das historische Ambiente des Palazzo erzielt eine einzigartige Wirkung und veranschaulicht eine gelungene Verbindung von Kunst und Architektur.

Ausstellung Günter Förg, Salon des Palazzo Contarini Polgniac (2019). Foto: Moritz Niehues.

Zu den Publikumsmagneten der Biennale 2017 gehörte die Skulptur Support von Lorenzo Quinn am Canal Grande. Auch bei der diesjährigen Biennale präsentiert der italienisch-amerikanische Bildhauer eine monumentale Skulptur, die Arbeit Building Bridges am Eingang der alten Schiffswerft Arsenale. Sie besteht aus sechs Paaren von ineinander verschränkten Händen aus weißem Harz. Jedes Paar ist 15 m hoch und 20 m breit. Die sechs Paare stehen für die universellen Werte Hoffnung, Liebe, Freundschaft, Vertrauen, Weisheit und Hilfsbereitschaft. Dem Künstler zufolge sind sie Ausdruck komplexer Emotionen, die sich in der Sprache von Gesten wiederfinden. Lorenzo Quinn bezeichnet Building Bridges als die in bezug auf Symbolkraft und Technik herausforderndste Arbeit seiner Karriere; sie entstand in enger Zusammenarbeit mit Ingenieuren.

Lorenzo Quinn: Building Bridges (2019) Gesamtansicht. Foto: Moritz Niehues.
Lorenzo Quinn: Building Bridges (2019). Foto: Moritz Niehues.
Lorenzo Quinn: Building Bridges (2019). Foto: Moritz Niehues.

Die von der belgischen Vanharents Art Collection konzipierte Installation The Death of James Lee Byars in der Kirche Chiesa di Santa Maria della Visitazione ist eine beeindruckende künstlerische Reflektion über Fragen von Tod und Vergänglichkeit. Sie besteht aus einer mit Blattgold überzogenen Grabkammer, die der Künstler im Angesicht des nahenden eigenen Todes für sich selbst gestaltete, einer goldenen Leere als Bild für das Vergängliche. Der zweite Teil der Ausstellung umfasst die Arbeit Vocal Shadows des libanesischen Künstlers und Komponisten Zad Moultaka, eine rhythmische Klanginstallation aus 16 symmetrisch angeordneten Lautsprechern, die als Requiem, Trauerchor und Meditation über die Vergänglichkeit angelegt ist.

Installation The Death of James Lee Byars in der Kirche Santa Maria della Visitazione (2019). Foto: Moritz Niehues.
Installation The Death of James Lee Byars in der Kirche Santa Maria della Visitazione (2019). Foto: Moritz Niehues.

Eine Ausstellung im Museum Fondazione Querini Stampalia widmet sich parallel zur Biennale dem umfangreichen Werk des Schweizer Künstlers Luigi Pericle, einem wichtigen Vertreter der Kunst des Informel, dessen Verdienste als Homo Universalis und Grenzgänger zwischen Kunst und Wissenschaft gegenwärtig in der Schweiz und in Italien umfassend gewürdigt werden. Seine erste Retrospektive im Carlo Scarpa Areal des Museums präsentiert nicht nur sein zeichnerisches und malerisches Werk, sondern auch seine Schriften zu Fragen von Philosophie, Psychoanalyse, Anthropologie bis hin zur Theosophie. Zahlreiche  Arbeiten wurden erst im Jahr 2016 zufällig entdeckt; sie bilden die Grundlage des 2018 in Ascona eingerichteten Archivio Luigi Pericle.

▷ Kunst Biennale Venedig. 9.5.–25.11.2019, Giardini und Arsenale, Venedig und zahlreiche Ausstellungsorte in der Innenstadt und auf den Nebeninseln; www.labiennale.org/it

▷ Research Pavillon. Adresse: Sala del Camino, Campo S. Cosmo 621, Giudecca, Venedig. Öffnungszeiten 9.5.–28.8.2019, 10–18 h (dienstags geschlossen), Eintritt frei. Informationen und aktuelles Programm www.researchpavilion.fi

Beitragsbild über dem Text: Innenansicht des Russischen Pavillons (2019). Foto: Moritz Niehues.

Zitierweise

Irene Daum (2019): Biennale 2019: Kunst und Wissenschaft. w/k - Zwischen Wissenschaft & Kunst. https://doi.org/10.55597/d11221

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