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Über Konzepte der künstlerischen Forschung 2.1. Zusammenfassung

Text: Peter Tepe | Bereich: Allgemeines zu „Kunst und Wissenschaft“

Übersicht: Aus dem für die Debatte über die künstlerische Forschung ertragreichen Sammelband Kunst des Forschens werden in zwei Lieferungen relativ viele Artikel kommentiert. In Lieferung 2.1 kommen Texte von Elke Bippus, Hannes Rickli und Christoph Schenker zur Sprache. Der ausführliche Kommentar ist im Mythos-Magazin erschienen und hier zugänglich.

Die Fortsetzung der Reihe Über Konzepte der künstlerischen Forschung, die aus zwei Lieferungen besteht, befasst sich mit dem 2009 erschienenen und von Elke Bippus edierten Sammelband Kunst des Forschens. Praxis eines ästhetischen Denkens, der 2012 eine zweite Auflage erfahren hat. In 2.1 werden kommentiert: die Einleitung von Elke Bippus, der Aufsatz des Künstlers Hannes Rickli, der auf im wissenschaftlichen Kontext entstandene Audio- und Videoaufzeichnungen zurückgreift, sowie Christoph Schenkers Überlegungen zur künstlerischen Forschung, die auf eine Innovationstheorie der Künste hinauslaufen.  Lieferung 2.2, die in rund zwei Monaten erscheinen wird, enthält unter anderem Kommentare zu den Beiträgen von Kathrin Busch und Dieter Mersch.

Meine Ziele und die Vorgehensweise sind ausführlich dargelegt in Über Konzepte der künstlerischen Forschung: Programm der Reihe:  Ich wähle diejenigen Texte des jeweiligen Sammelbands aus, die erstens eine Theorie und/oder Methodologie der künstlerischen Forschung – zumindest ansatzweise – entfalten und/oder die zweitens Auskunft über dieses oder jenes Kunstprogramm der künstlerischen Forschung geben Zu meinen Zielen gehört es auch, Möglichkeiten der Zusammenarbeit auszuloten und zur Weiterentwicklung bestimmter Überlegungen beizutragen. Auf der anderen Seite bemühe ich mich, die mir problematisch erscheinenden Thesen überzeugend zu kritisieren.

1. Elke Bippus: Einleitung

(1) Bippus spricht zu Beginn vom „Erkenntnispotential der Kunst“, von  „Wissensgenerierung“ in der Kunst, vom „forschenden Charakter“ der Kunst, von „Kunst als epistemische[r] Praxis“. Nähert man sich von außen dem Gesamtkomplex der künstlerischen Forschung, so entstehen zunächst Verständnisprobleme: Was genau wird jeweils behauptet, worin wird z.B. das „Erkenntnispotential der Kunst“ gesehen?

(2) Für die Pro-und-Contra-Diskussion über Konzepte der künstlerischen Forschung ist Bippus’ Unterscheidung dreier Positionen relevant. Die  ablehnende Haltung befürchtet „eine zunehmende Akademisierung und Verwissenschaftlichung der Kunst“; die Autorin wirft ihr vor, künstlerisch nicht auf der Höhe der Zeit zu sein. Die erste Auffassung von künstlerischer Forschung (Position a) orientiert sich „an wissenschaftlichen Standards oder einem anwendungsorientierten Forschen“; ihr wird vorgeworfen, über „Eigentümlichkeiten künstlerischer Praxis“ hinwegzugehen. Bippus plädiert für ein zweites Konzept (Position b). Von der so verstandenen künstlerischen Forschung heißt es, „dass sie anders verfährt und auch anderes erzielt als die der Wissenschaften“. Position b erkenne, dass es sich sich um eine „epistemische Praxis“ besonderer Art handle, die sich von der wissenschaftlichen grundsätzlich unterscheidet.

(3) Zu den Aufgaben von Position b gehört es, „unbewusste Voraussetzungen der Wissenschaften zugänglich zu machen“. Zu klären ist, was das genau besagt und  wie man sich die Erschließung solcher Voraussetzungen mit künstlerischen Mitteln vorzustellen hat.

(4) Ich halte es für sinnvoll, in Anlehnung an die Autorin zwischen mehreren Positionen der künstlerischen Forschung zu unterscheiden und strebe an, diese Unterscheidung weiter auszubauen.

(5) Aus der von mir vertretenen alternativen Vorgehensweise ergeben sich folgende Einschätzungen:

  • Wissenschaftsbezogene Kunst ist gemäß dem Prinzip der künstlerischen Freiheit eine legitime Option für Künstlerinnen und Künstler.
  • w/k begreift sich als Online-Journal, das unter anderem wissenschaftsbezogene Kunst (und damit auch Formen der künstlerischen Forschung) fördert und genauer zu untersuchen bestrebt ist.

(6) Bei Typ b der künstlerischen Forschung lassen sich, sofern es sich um wissenschaftsbezogene Kunst handelt, zwei Varianten unterscheiden:

Variante 1: Es findet eine künstlerische Auseinandersetzung mit einer bestimmten Wissenschaft (der Quantenphysik, der Gentechnologie usw.) statt.

Variante 2: Im Licht einer bestimmten kritischen Theorie kommt es zu einer künstlerischen Auseinandersetzung mit Wissenschaften. Historische Beispiele für kritische Theorien sind die verschiedenen Varianten des Marxismus, die Positionen der Frankfurter Schule, Michel Foucaults Machtanalytik. Ein solche Überlegungen rezipierender Künstler kann etwa zu einer „kritischen Befragung“ bestimmter Wissenschaften gelangen. Zu klären ist in solchen Fällen, auf welche kritische Theorie sich diese Strategie stützt.

(7) Im Rahmen der von mir vertretenen Theorie lassen sich einige Thesen von Position b reformulieren bzw. präzisieren und einige Punkte, welche der zugehörigen Theorie Schwierigkeiten bereiten, vermeiden. Das wird im Kommentar im Einzelnen ausgeführt.

(8) Die entscheidende theoretische Differenz ist die folgende: Die wissenschaftsbezogene Kunst wird in meiner Theorie nicht als „epistemische Praxis“ besonderer Art gedacht, welche zu Erkenntnissen besonderer Art gelangt, sondern als künstlerische Praxis, die jeweils von einem bestimmten Kunstprogramm gesteuert wird; damit können Erkenntnisse verbunden sein.

(9) Wissenschaftsbezogen arbeitende Künstlerinnen und Künstler, die Typ b der künstlerischen Forschung zuzuordnen sind, rezipieren häufiger „Untersuchungen der Wissenschaftsphilosophie und -geschichte“. So entstehen Kunstprogramme, welche auf solche Untersuchungen reagieren. Hier liegt eine kritische Theorie besonderer Art vor: Folgt eine Künstlerin oder ein Künstler einer solchen kritischen Sichtweise, so entstehen künstlerische Entsprechungen zu den in kritischer Absicht erfolgenden Untersuchungen der Wissenschaftsforschung.

(10) Ein an eine bestimmte kritische Theorie gebundenes Kunstprogramm will die Rezipienten dazu bewegen, die jeweilige kritische Einstellung zu übernehmen und selbst zu einem kritischen „Forschen im Sinne des Erkundens, Nachspürens und Ermittelns“ überzugehen. Vor diesem Hintergrund werden Bippus’ Zweifel daran, dass „das Format Ausstellung einen adäquaten Raum für die Künstlerische Forschung schafft“, verständlich. Daher wird nach neuartigen Formen des Präsentierens gesucht, die „ein Experiment für Künstler/innen und Betrachter/innen gleichermaßen“ darstellen.

(11) Im Licht der w/k-Systematik ist Bippus’ Hauptlinie folgendermaßen einzuordnen: Es wird ein Programm der wissenschaftsbezogenen Kunst entfaltet, das auf einer kritischen Theorie der Wissenschaft beruht, wie sie Rheinberger, Latour und andere entwickelt haben. So entsteht ein kooperatives Klima besonderer Art, ein attraktives Gesamtpaket.

(12) Bippus setzt deutlich andere Akzente als – der in Lieferung 1 behandelte – Borgdorff, der sich an einem in den Wissenschaften etablierten Methodenkonzept orientiert und dieses auf die Kunst überträgt. Borgdorff will die künstlerische Forschung als eigenständige Wissenschaft etablieren und macht zu diesem Zweck aus einer in den Wissenschaften etablierten allgemeinen Methodologie ein Kunstprogramm.

(13) Bezogen auf Theorien der künstlerischen Forschung gilt: Auf wissenschaftlicher Ebene ist einerseits herauszuarbeiten, welche Theoretiker für ein bestimmtes Kunstprogramm als Leitautoren fungieren, andererseits ist unter Hinzuziehung von Fachleuten – hier von anderen Wissenschaftshistorikern, Wissenschaftstheoretikern usw. – zu klären, ob die erhobenen Ansprüche als hinlänglich begründet gelten können. Welche anderen Positionen werden vertreten? Gibt es Entkräftungsversuche?

(14) In Kapitel 1.6 stelle ich einige Elemente der von mir vertretenen Theorie genauer dar, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede zum herausgearbeiteten Konzept von Bippus zu markieren.

2. Hannes Rickli: Livestream Knurrhahn

(1) Gemäß der in w/k verwendeten Terminologie ist Rickli als wissenschaftsbezogen arbeitender Künstler einzuordnen; er artikuliert seine künstlerische Vorgehensweise und deren Hintergründe.

(2) In einigen künstlerischen Arbeiten greift Rickli auf „Audio- und Videoaufzeichnungen aus der Versuchsarena eines Experimentalsystems am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung auf der Nordseeinsel Helgoland“ zurück. Er interessiert sich dabei für „unbeabsichtigte Zeichenüberschüsse“ und „übersehene[] Signaturen“; diese werden von ihm „durch künstlerische Verfahren sichtbar gemacht“. Zu Ricklis Kunstprogramm gehört es somit, sich auf die bei bestimmten Experimenten unabsichtlich und unkontrolliert entstehenden Nebenprodukte, die auch als Spuren bezeichnet werden, zu konzentrieren, um einen Prozess des Spurenlesens auszulösen.

(3) Gegen Ende seines Textes skizziert Rickli auch Möglichkeiten, sich wissenschaftlich mit denjenigen unbeabsichtigten Zeichenüberschüssen zu befassen, die Gegenstand seiner Kunst sind. Eine solche Form der Wissenschaftsforschung kann Videobilder bzw. Registrierungen vor der Entsorgung bewahren und sich genauer mit diesen Phänomenen befassen; darüber hinaus kann der „‚instrumentelle[] Film“ oder „Gebrauchsfilm“ auch zum Gegenstand  der Filmtheorie werden. Den Hauptunterschied sehe ich darin, dass die künstlerische Tätigkeit stets von einem individuellen Kunstprogramm gesteuert wird, das auf bestimmten werthaft-normativen Prämissen beruht. Solche Prämissen spielen hingegen in der Wissenschaftsforschung in der Regel keine Rolle.

(4) Ricklis Arbeiten an im erfahrungswissenschaftlichen Kontext entstandenen Audio- und Videoaufzeichnungen können als künstlerische Entsprechungen zu – vorliegenden oder noch zu realisierenden – Formen der Wissenschaftsforschung eingeordnet werden.

(5) Ricklis Kunst enthält eine wissenschaftskritische Komponente, wie sie Bippus thematisiert hat. Er will durch seine künstlerische Arbeit auch auf „unbewusste Voraussetzungen der Wissenschaft“ aufmerksam machen und eine „kritische[] Befragung der Wissenschaften“ vornehmen; er spricht vom „‚Unbewusste[n]’ des Erkenntnisvorgangs“. Während Ricklis Kunstprogramm direkt als legitimer künstlerischer Weg anzusehen ist, stellt die weitergehende These eine Behauptung mit wissenschaftlichem Anspruch dar, über die auf wissenschaftlicher Ebene zu diskutieren ist. Fachleute aus Disziplinen wie Wissenschaftstheorie und Wissenschaftsgeschichte sind zu folgender Frage zu hören: Trifft es zu, dass die „Nebenprodukte des Experimentierens“ auf „unbewusste Voraussetzungen der Wissenschaft“ verweisen, die von den Wissenschaftlern normalerweise nicht bedacht werden – oder sogar prinzipiell nicht bedacht werden können? Auf wissenschaftlicher Ebene darf die Behauptung eines Künstlers, er decke durch seine Arbeit das Unbewusste der Wissenschaft auf, nicht einfach als zutreffend unterstellt werden.

(6) Rickli beruft sich auf Kracauer. Dieser Rückgriff scheint auch gesellschaftskritische Implikationen zu haben, die aber unklar bleiben. Bezogen auf das Helgoland-Projekt besagt das: Rickli orientiert sich nicht am „logisch operierende[n] Verstand“ der experimentierenden Wissenschaftler, sondern befasst sich mit den von diesen vernachlässigten Nebenprodukten des Experimentierens – in der Erwartung, so zu der von den Wissenschaftlern nicht kontrollierbaren „‚wahren’ […] Materialität“ vorzudringen und etwas zu erkennen, was den beteiligten Wissenschaftlern (notwendigerweise?) entgeht. Auch hier besteht Diskussionsbedarf: Ricklis Orientierung an Kracauer (und Benjamin) kann als Rückgriff auf kritische Theorien verstanden werden (vgl. Kapitel 1).

(7) Rickli will Kracauers Konzept der Raumbilder auf die Daten aus dem Akustiklabor auf Helgoland anwenden. Das wirft auf wissenschaftlicher Ebene jedoch Probleme auf: Gegenüber einer totalitären Gesellschaft mit antisemitischer Grundhaltung bedarf es auf allen Ebenen einer radikalen kritischen Distanznahme; bedarf es aber auch gegenüber den Erfahrungswissenschaften einer vergleichbar radikalen Kritik?

(8) Im Aufsatz geht es nicht zuletzt um „die Kategorie des impliziten Wissens“ in Ricklis künstlerischer Arbeit. Nach der Analyse liegt folgende Präzisierung nahe: Als Ricklis implizites Wissen fungiert die von ihm vertretene kritische Hintergrundtheorie, die sich an Kracauer und Benjamin orientiert. „Implizites Wissen entdeckt“ besagt dann „Im Licht dieser kritischen Theorie wird erkennbar, dass …“.

(9) Der von Theoretikern der künstlerischen Forschung häufig benutzte Begriff des impliziten Wissens ist, da Unterschiedliches darunter verstanden wird, mit Vorsicht zu gebrauchen. Insbesondere sollte dort, wo gruppenspezifische Wertüberzeugungen, zu denen es stets Alternativen gibt, im Spiel sind, nicht von Wissen gesprochen werden.

(10) Es überzeugt nicht, dass „in frühen Phasen experimenteller Handlungen“ ein „blindes Irren“ stattfinden soll. Erfolgt die Datengewinnung denn nicht stets vor dem Hintergrund einer bestimmten Theorie mit dem Ziel, eine überzeugende wissenschaftliche Erklärung bestimmter Phänomene hervorzubringen?

(11) Rickli ist ein Beispiel dafür, dass sich eine gut funktionierende Kooperation herausgebildet hat zwischen Künstlerinnen und Künstlern (welche aus einem bestimmten überindividuellen Kunstprogramm mehrere individuelle Programme erzeugen), sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern (welche genau dieses überindividuelle Kunstprogramm unterstützen und mit einem theoretischen Fundament ausstatten). In der Geschichte der Künste im Allgemeinen und der bildenden Kunst im Besonderen treten solche Formen der Zusammenarbeit selten auf; daher stellen sie ein ergiebiges Untersuchungsobjekt dar.

3. Christoph Schenker. Einsicht und Intensivierung. Überlegungen zur künstlerischen Forschung

(1) In der „gegenwärtigen Diskussion über künstlerische Forschung“ will Christoph Schenker auf einen Aspekt hinweisen, der bislang „kaum Beachtung findet“. Sein zentraler Begriff ist derjenige der künstlerischen Arbeit. Diese besteht darin, „in bestimmten Feldern neue Differenzierungen zu erzeugen und mit ihnen zu experimentieren“. „Ein Maler führt neue Nuancen von Farben, ein Musiker ein neues Timbre ein. Sie erkunden damit bislang nicht wahrgenommene visuelle und auditive Konstellationen.“

(2) Der von Schenker verwendete Begriff der künstlerischen Arbeit deckt nicht alles ab, was Künstlerinnen und Künstler tatsächlich tun – seine Beispiele zeigen, dass es ihm um Neuerungen geht. Das führt zu folgendem Präzisierungsvorschlag: Schenker bezieht sich nicht auf die künstlerische Arbeit im Allgemeinen, sondern auf die innovative künstlerische Arbeit. Schenkers Verständnis von künstlerischer Forschung lässt sich dann genauer fassen: Darunter versteht er die innovative künstlerische Arbeit dieser oder jener Art, die darin besteht, „neue Differenzierungen zu erzeugen und mit ihnen zu experimentieren“. Im Zentrum der von ihm entworfenen Theorie stehen somit die Innovationen in den Künsten.

(3) Schenker legt seine Innovationstheorie der Künste als Theorie der künstlerischen Forschung an – und auf diese Verbindung konzentriert sich mein Kommentar.

(4) Schenker äußert sich zum Entwicklungsstand der Theorien der künstlerischen Forschung. Einige dieser Theorien behaupten, dass „künstlerisches Forschen über Methoden besonderer Art verfügt“ und/oder, dass „es sich eines spezifischen Instrumentariums bedient“ und/oder, dass „es einen typischen Forschungsgegenstand hat“ und/oder dass „es ein Wissen produziert, das für Kunst charakteristisch ist“.

(5) Schenker legt dar, dass einige Theorieansätze wenig aussichtsreich sind; das wird im Kommentar im Einzelnen ausgeführt. Schenker fasst seine Untersuchungsergebnisse so zusammen: „So sind es weder Methoden noch spezifische Instrumentarien, die die künstlerische Forschung als eine besondere Art der Forschung auszeichnen, auch beschränkt sie sich nicht auf einen bestimmten Gegenstandsbereich.“

(6) Schenker ist bestrebt, das Ziel, „die künstlerische Forschung als eine besondere Art der Forschung aus[zu]zeichnen“, auf eine Weise zu erreichen, welche den von ihm vorgebrachten Einwänden entgeht. Dazu greift er auf die These zurück, „dass künstlerische Arbeit darin besteht, neue Differenzierungen zu erzeugen und mit ihnen zu experimentieren“, die ich als These über innovative künstlerische Arbeit reformuliert habe. Gefragt werden kann: Welche anderen Innovationstheorien der Künste gibt es? Weist der von Schenker vertretene Ansatz in kognitiver Hinsicht gegenüber den theoretischen Alternativen bestimmte Vor- und Nachteile auf, sodass Theorie a den Konkurrenten b, c usw. vorzuziehen ist?

(7) Ich weise auf zwei Arbeitsfelder der Innovationstheorie der Künste hin: Zum einen sind die verschiedenen Innovationen – z.B. in der Malerei – festzustellen, zum anderen sind Versuche zu unternehmen, das Zustandekommen dieser Innovationen mit wissenschaftlichen Mitteln der Psychologie, Soziologie usw. zu erhellen, sie in einem spezifischen Sinn zu erklären. Der künstlerische Forscher wird von Schenker, wenn man meinem Präzisierungsvorschlag folgt, als innovativer Künstler begriffen, und jede künstlerische Neuerung lässt sich dann formal als Erzeugung und praktische Anwendung/Umsetzung einer neuen Differenzierung fassen.

(8) In seinem Aufsatz inszeniert Schenker seine Theorie der künstlerischen Innovationen als Theorie der künstlerischen Forschung, welche die von ihm zuvor aufgewiesenen Probleme anderer Theorien dieser Art vermeidet. Das hat den Vorteil, dass sich durch den Anschluss an den attraktiven Diskurs über künstlerische Forschung die Verbreitungschancen für Schenkers Überlegungen vergrößern. Künstlerische Forschung ist seit einer Reihe von Jahren in, und man findet für die eigenen Überlegungen leichter Gehör, wenn man sich an diesem Diskurs beteiligt als wenn man das eigene Tun anderen Diskursen zuordnet.

(9) Nachteil 1: Der Begriff des innovativen Künstlers ist genauer und weniger missverständlich als der des künstlerischen Forschers und daher auf der wissenschaftlichen Ebene vorzuziehen. Es bringt in der Sache keinen Gewinn, wenn der innovative Künstler mit dem künstlerischen Forscher gleichgesetzt wird.

(10) Nachteil 2: Eine Theorie der künstlerischen Innovationen hat, wie in (7) dargelegt,  spezifische Aufgaben zu bewältigen. Wird nun eine Innovationstheorie als Theorie der künstlerischen Forschung angelegt, so entsteht eine Konstellation, welche die Weiterentwicklung eines aussichtsreichen innovationstheoretischen Ansatzes erschwert. Von einer Theorie der künstlerischen Forschung ist nämlich zu erwarten, dass sie sich intensiv auf die zentralen Probleme, mit denen Theorien der künstlerischen Forschung konfrontiert sind, einlässt und den eigenen Ansatz in diesem Kontext verortet.

(11) Zwei Beispiele sollen für die Zusammenfassung genügen: Zu den Basisaufgaben einer Theorie der künstlerischen Forschung gehört es erstens, den jeweils verwendeten Begriff der Forschung auf akzeptable Weise zu explizieren. Eine Theorie der künstlerischen Innovationen benötigt eine solche Explikation nicht; für sie reicht es aus, wenn Kunst als Medium aufgefasst wird, in dem Innovationen stattfinden. Eine Theorie der künstlerischen Forschung muss zweitens die verschiedenen Antworten auf die Frage „Wodurch denn zeichnet sich künstlerische Forschung aus?“ ausführlich diskutieren, um dann die eigene Antwort als überlegen zu erweisen. Für eine Theorie der künstlerischen Innovationen ist diese Diskussion unnötig. Für die Erforschung künstlerischer Innovationen gilt daher, dass sie von ihren zentralen Aufgaben abgelenkt wird, wenn sie genötigt ist, sich ausführlich mit den typischen Fragen herumzuschlagen, die Theorien der künstlerischen Forschung zu beantworten haben.

(12) Schenker skizziert eine aussichtsreiche Theorie der künstlerischen Innovationen. Zugleich verfolgt er aber das Ziel, „in der gegenwärtigen Diskussion über künstlerische Forschung“ auf einen bislang vernachlässigten Aspekt aufmerksam zu machen. Diese Verbindung behindert oder erschwert eine konsequente Entfaltung der Innovationstheorie. In einem solchen Fall sollte man der besonderen ‚Logik’ einer Theorie der künstlerischen Innovationen folgen.

(13) Der Begriff der künstlerischen Forschung ist ein Modebegriff. Für Modebegriffe gilt: Viele verwenden sie, weil das gerade angesagt ist, sie verstehen aber Unterschiedliches, manchmal sogar Gegensätzliches darunter. Es trifft daher nicht zu, dass alle von derselben Sache reden. Daher plädiere ich dafür, Modebegriffe im Allgemeinen und den Begriff der künstlerischen Forschung im Besonderen auf wissenschaftlicher Ebene, um Missverständnisse zu vermeiden, nie ungeklärt zu verwenden; wohlgemerkt geht es mir nicht darum, einen solchen Begriff vollständig durch einen anderen zu ersetzen.

Beitragsbild über dem Text: Debate on Artistic Research (2021). Illustration: Till Bödeker.

Zitierweise

Peter Tepe (2021): Über Konzepte der künstlerischen Forschung 2.1. Zusammenfassung. w/k - Zwischen Wissenschaft & Kunst. https://doi.org/10.55597/d15225

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