w/k - Zwischen Wissenschaft & Kunst
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Grenzgänger zwischen Wissenschaft und bildender Kunst

War dieser Wechsel als definitiver Abschied von der bildenden Kunst geplant?
Nein, nur als eine längere Übergangsphase: Ich wollte meinen philosophischen – und dann auch meinen stärker werdenden literaturwissenschaftlichen – Interessen eine Zeitlang intensiv nachgehen, um schließlich mit einem erweiterten Horizont wieder zur bildenden Kunst zurückzukehren. Dass daraus etwas Dauerhaftes wurde, war zunächst nicht geplant, nicht einmal gewünscht.

Weshalb wählten Sie Germanistik als zweites Fach?
Diese Entscheidung traf ich, weil ich während des Kunststudiums auch viele literarische Texte aus verschiedenen Nationalliteraturen mit großem Interesse und Gewinn gelesen hatte.

Hängt Ihre Umorientierung mit bestimmten Personen zusammen?
Die jahrzehntelange universitäre Berufstätigkeit hat mir letztlich der stark philosophisch ausgerichtete Germanist Herbert Anton ermöglicht – diesen lebensbestimmenden Glücksfall habe und werde ich nie vergessen. Er ging das Risiko ein, einen im Fach Philosophie promovierten ehemaligen Kunststudenten unter seine germanistischen Fittiche zu nehmen und so zu fördern, dass dieser an einer Universität zum außerplanmäßigen Professor werden konnte.

Wie lässt sich Phase 3 Ihrer künstlerischen Tätigkeit beschreiben und einordnen?
Während der ersten Universitätssemester konzentrierte ich mich auf die Fächer Philosophie und Germanistik, setzte auf kleiner Flamme aber die künstlerische Arbeit fort.

Peter Tepe: Gestörte Ordnungen 3 (1973). Foto: Tanja Semlow.

Hier kann von einer elementaren, noch auf das Studium bezogenen Form des Wissenschaftler/Künstlers gesprochen werden (wissenschaftliches Studium mit begleitender künstlerischer Tätigkeit). Das gilt in gewisser Hinsicht auch für die Promotionsphase. Hier ist jedoch hinzufügen, dass Doktoranden im Unterschied zu den Studierenden in der wissenschaftlichen Forschung mitwirken. Das kann als zweite Entwicklungsstufe eines Wissenschaftler/Künstlers eingeordnet werden (Promotionsstudium mit begleitender künstlerischer Tätigkeit).
Von 1976–1988 war ich dann so stark in der Lehre und Forschung in den Fächern Neuere Deutsche Philologie und Philosophie engagiert, dass für eine Fortsetzung der künstlerischen Arbeit keine Zeit und Kraft übrig blieb. Nebenbei entstanden nur ein paar Zeichnungen und Projektskizzen.

Haben Sie während der langjährigen Lehrtätigkeit am Germanistischen Seminar und am Philosophischen Institut auch Seminare zu Problemen der Kunstphilosophie und Ästhetik angeboten?
Ja, aber insgesamt dominierten andere Themen. Das Ausgangsinteresse des Schülers an Kunsttheorie und Ästhetik verwandelte sich mit der Zeit in ein Interesse an Literaturtheorien und Methoden der Textarbeit. Da ich – von kleineren frühen Versuchen abgesehen[5] – nicht selbst schriftstellerisch tätig war, gab es hier jedoch keine direkte Verbindung zu eigenen künstlerischen Aktivitäten. Primär verfolgte ich bezogen auf die Literatur und die Beschäftigung mit ihr wissenschaftliche Erkenntnisziele und übte mich in der möglichst innovativen Theoriebildung.

Die Phasen 4 und 5

Was hat es mit Phase 4 auf sich?
Nach der Habilitation im Fach Philosophie und der Begründung des Schwerpunkts flammte die künstlerische Tätigkeit wieder auf: Es entstanden erstens viele Bilder (die überwiegend der Objektkunst zugeordnet werden können), zweitens unternahm ich in Zusammenarbeit mit dem bildenden Künstler und Musiker Chris Scholl ein Experiment in Sachen Installationskunst, auf das wir noch zu sprechen kommen werden, und drittens integrierte ich künstlerische Komponenten in wissenschaftliche Lehrveranstaltungen und Publikationen.[6] Zum eigentlichen Grenzgänger zwischen Wissenschaft und bildender Kunst bin ich somit erst in Phase 4 geworden.

Wie erklären Sie sich das Wiederaufflammen der künstlerischen Tätigkeit in dieser Phase?
Bildet die künstlerische Aktivität längere Zeit das Lebenszentrum eines jungen Menschen, so ist damit zu rechnen, dass er, wenn seine Entwicklung dann in eine andere Richtung geht, unter günstigen Rahmenbedingungen – zu denen auch die berufliche Etablierung gehört – das Bedürfnis verspüren wird, das frühere Lebenszentrum zu reaktivieren. Für ein solches Individuum hat die Wiederaufnahme der künstlerischen Tätigkeit immer auch die Funktion, einen Gleichgewichtszustand der Persönlichkeitsanteile zu erzeugen: Das, was über längere Zeit einen zentralen Stellenwert hatte, dann aber beiseite geschoben worden ist, wird unter geänderten Vorzeichen wiederbelebt. Diese Integration des Abgespaltenen war und ist für mich lebenspraktisch von großer Bedeutung; das wird auch bei vielen anderen Grenzgängern so sein. In meiner Erklärungsskizze geht es übrigens nur um die Feststellung von Zusammenhängen und nicht um Wertung: Ob ein Wissenschaftler/Künstler in wissenschaftlicher und/oder künstlerischer Hinsicht z.B. innovativ war, muss gesondert untersucht werden.

Wie ist schließlich Phase 5 einzuordnen?
Sie knüpft nach einer Durststrecke von 17 Jahren an Phase 4 an, beschränkt sich aber auf Bilder/Bildobjekte und Arbeiten auf Papier. Auf die Verwendung künstlerischer Komponenten in Lehrveranstaltungen hatte ich schon in den vorangegangenen Jahren verzichtet. Neu kommt allerdings die Herausgeber- und Organisationstätigkeit für w/k hinzu. Bei der Realisierung dieses Projekts war es für mich wichtig, dass auch für Wissenschaftler/Künstler wie mich dort ein Platz vorgesehen ist.

Mehr zu den künstlerischen Entwicklungsphasen

Die Phasen Ihrer künstlerischen Tätigkeit sollten noch etwas genauer beleuchtet werden: Beschreiben Sie bitte, was Sie jeweils gemacht haben.
In Phase 1 sind meine Arbeiten beeinflusst durch Strömungen wie Informel, Abstrakter Expressionismus, Art Brut;[7] ich setzte mich ferner mit Willi Baumeister, Antoni Tapies und etlichen anderen Künstlern auseinander. Karl Otto Götz nahm mich vermutlich aufgrund dieser Prägung der eingereichten Mappe in seine Klasse auf.
In der Götz-Klasse setzte ich diese Linie nun aber nicht fort, sondern schlug in Phase 2 unter dem Einfluss damals aktueller Strömungen wie z.B. Konzeptkunst, Land Art, Minimalismus einen neuen Weg ein, für den alles Malerische verboten war. Bereits in den ersten Semestern entwickelte ich ein relativ eigenständiges künstlerisches Programm. Zu meinen Zielen gehörte es, mit dem Verhältnis zwischen räumlich-perspektivischem und flächigem Sehen zu spielen – insbesondere mit dem Umschlag des einen in das andere. Dabei folgte ich einem Prinzip, das in gewisser Hinsicht als minimalistisch bezeichnet werden kann: „Wähle für das, was du tun willst, möglichst einfache Mittel und verzichte auf jedes Beiwerk!“.[8]
In Phase 2 entstanden mehrere Serien, die mehr oder weniger eng mit der skizzierten künstlerischen Programmatik zusammenhängen. Dazu gehören auch auf Spanplatten gefertigte Bildobjekte, auf denen Drahtkonstruktionen angebracht sind.[9] An diese Arbeiten knüpfte ich in Phase 3 in der Form von Leinwandbildern an, um das Problem des Aufbaus und der Zerstörung von Raumillusionen und generell von Ordnungen auf andere Weise zu behandeln. Ich arbeitete – weiterhin minimalistisch eingestellt – mit einfachen Maler-Abtönfarben und verzichtete auch in diesem Genre auf Beiwerk.

Peter Tepe: Länder Afrikas (1975). Foto: Tanja Semlow.

Veränderte sich das in Phase 4?
Ja. Hier entstand eine größere Menge von Bildern/Bildobjekten. Ich verwendete einerseits Elemente, die sich in Phase 2 bereits bewährt hatten (einfache Spanplatten als Basis, Drähte und Wäscheleinen für Bespannungen, im Baumarkt erhältliche Schrauben zur Befestigung usw.), andererseits kommen neue Komponenten mit lebensgeschichtlichem Bezug zur Studienzeit hinzu. In Studientagen hatte ich Kants Kritik der reinen Vernunft, Fichtes Wissenschaftslehre, Hegels Phänomenologie des Geistes und viele andere Texte des sogenannten deutschen Idealismus sowie die aktuell diskutierten Texte der Frankfurter Schule, des kritischen Rationalismus, Wittgensteins und seiner Nachfolger, der Analytischen Philosophie gründlich gelesen und – zunächst handschriftlich, dann mit Schreibmaschine – exzerpiert. Die mit großer Intensität betriebene umfangreiche Lektüre war von dem Bedürfnis getragen, einen philosophischen Standpunkt zu finden, den ich guten Gewissens vertreten konnte. Besonders intensiv beschäftigte mich wie schon gesagt die Denkentwicklung von Kant über Fichte und Schelling zu Hegel, die ich in meiner ‚metaphysischen’ Phase abschreibend – nachdenkend – neu schreibend erneut durchlebte.

Sie bauten also Elemente der viele hundert Seiten umfassenden Exzerpte in die Bildobjekte ein. Welche Folgen hatte das?
Die Arbeiten wurden dadurch deutlich komplexer als diejenigen der Phasen 2 und 3. Auf der einen Seite wurden einige minimalistische Beschränkungen aufgehoben, auf der anderen Seite blieb das Element der minimalistischen Konstruktion jedoch erhalten. 1992 beschrieb ich die Machart dieser Schichtbilder so: „Jedes Bild besteht aus einer Vielzahl von Schichten; in der Regel lassen sich fünf bis zehn Ebenen unterscheiden. Die oberste Schicht bildet stets eine Bespannung: Draht, Bindfäden, Plastikschnüre werden hier verwendet. Viele Bilder weisen eine Schriftschicht auf, die aus eigenen früheren Manuskripten besteht; zuweilen werden auch Schreibmaschinen-Exzerpte eingearbeitet. Für die anderen Schichten sind Materialien wie Pappe, Plastikfolien usw. zugelassen. Einige Bilder nutzen das Glas von einfachen Wechselrahmen durch Lackübermalungen. Die Schichten werden durch Aufreißen und Aufschneiden füreinander durchlässig gemacht. Ich arbeite mit Vorliebe in kleinen Serien von drei oder vier Bildern. Den thematischen Bezugspunkt einer solchen Serie bildet häufig ein Foto, das als vergrößerte Schwarz-Weiß-Kopie in allen Arbeiten auftaucht und zu Variationen Anlaß gibt.“[10]

Durch die Verwendung von Exzerpten des Studenten und Doktoranden wird somit eine Verbindung zu Ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit hergestellt.
Das trifft zu, aber dabei geht es nicht um inhaltliche Bezüge zu Thesen und Argumenten von Kant, Hegel usw., d.h., ich stütze mich bei der künstlerischen Arbeit nicht auf die von den Denkern entwickelten Theorien – die Exzerpte dienen vielmehr als Spielmaterial für eine intuitiv-improvisierende künstlerische Arbeitsweise.

Einen Höhepunkt von Phase 4 bildete zweifellos der im Werstener Kulturbunker in Düsseldorf gemeinsam mit Chris Scholl veranstaltete Aktionsabend Setzen – Zusammen ­ – Setzen. Dreieck Kunst – Philosophie – Musik, zu dem es auch einen kleinen Katalog gibt. Was haben Sie dazu beigetragen?
Einerseits stellte ich im Treppenhaus einige Bildobjekte aus, andererseits und in der Hauptsache baute ich eine zusammen mit Chris Scholl entwickelte, aus mehreren Dreiecks- und Pyramidenformen bestehende Installation auf; zudem bemalte ich vor Ort Teile einer zur Installation gehörenden großen Plastikfolie. Außerdem stellte ich im Philosophieteil mein neues Buch Postmoderne/Poststrukturalismus vor.[11] Im musikalischen Teil trat die Trommelgruppe Drums off Chaos auf, zu der bekannte Musiker wie der früh verstorbene Frank Köllges (Gründer von Härte 10 und Intermission) und Jaki Liebezeit (vielen als Schlagzeuger der berühmten Gruppe Can bekannt) gehörten.
Eine Passage aus dem präsentierten Buch wurde auf die Plastikfolie projiziert, und in der Malaktion bearbeitete ich den Text so, dass außer den Wörtern „spürbar“ und „sagen“ nur einzelne Buchstaben übrig blieben. Diesen Teil der Folie baute ich dann später in ein Bildobjekt ein, welches wiederum im Jahr 2001 für das Cover des Buches Mythos & Literatur[12] verwendet wurde.

Peter Tepe: spürbar sagen (1993). Foto: Tanja Semlow.

Verbindungen zwischen der wissenschaftlichen und der künstlerischen Tätigkeit

Gibt es eine Verbindung zwischen den ausgewählten Wörtern und Ihrer wissenschaftlichen Arbeit?
Während bei der Bearbeitung der Exzerpte nur ein formaler Bezug zu meiner wissenschaftlichen Tätigkeit besteht, kommt hier ein inhaltlicher hinzu. Die projizierte Textpassage hatte ich bei einem beiläufigen Durchblättern des am Aktionsabend präsentierten Buches ausgewählt. Die in verschiedenen Zeilen stehenden Wörter „spürbar“ und „sagen“ sprangen mir ins Auge, und ich empfand die Wortverbindung als passenden Ausdruck eines Ziels, das ich bei der wissenschaftlichen Arbeit verfolge: Ich möchte das, was ich z.B. in einer Lehrveranstaltung sage oder in einem wissenschaftlichen Text schreibe, spürbar werden lassen – es soll die Hörer bzw. Leser berühren und sie dazu bewegen, dass sie ihr Denken und Handeln in bestimmten Punkten ändern.

Ein weiteres Highlight der Phase 4 ist die auch in Buchform vorliegende theatralische Vorlesung Mythisches, Allzumythisches, die im Wintersemester 1993/94 stattfand – die wahrscheinlich erste universitäre Vorlesung in Theaterform.[13]
Eine ein ganzes Semester andauernde wissenschaftlich-künstlerische Aktion dieser Art wird nur jemand unternehmen, zu dessen Persönlichkeitsstruktur ein künstlerischer Seelenteil gehört – und zwar in einer Phase, in der dieser auch vulkanisch aktiv ist.

Warum haben Sie Ihre Aktivitäten als Wissenschaftler/Künstler nach 1995 nicht weiter fortgeführt?
Nach 1995 wurden die universitären Belastungen immer größer – teils durch die selbstauferlegten Schwerpunkt-Aktivitäten in Lehre, Prüfung, Forschung und Publikation sowie durch das zeitaufwändige Engagement in Sachen Reform der Düsseldorfer Germanistik,[14] teils durch die objektiven Rahmenbedingungen akademischer Tätigkeit, noch einmal verstärkt dann 2004 nach Einführung der gestuften Studiengänge. Der künstlerische Persönlichkeitsanteil wurde so für rund 17 Jahre fast vollständig in den Hintergrund gedrängt. Wie nach dem Ende von Phase 3 entstanden nur nebenbei ein paar Zeichnungen und Projektskizzen.

Haben Sie auch nach passenden Benennungen für Ihre künstlerischen Arbeitsweisen in den Phasen 1–4 gesucht?
Ja. Das vorläufige Ergebnis sieht so aus:

  • Phase 1 (1965–1968): Informelle Materialbilder, wobei „informell“ – wie vorhin erläutert – in einem weiteren Sinn verwendet wird.
  • Phase 2 (1968–1970): Minimalistische Konstruktionen (Objekte und Bildobjekte mit Materialien wie Draht, Bindfaden, Wäscheleine). Findet ein Farbauftrag statt, so erfolgt dieser nicht ‚künstlerisch’, sondern auf grobe Weise.
  • Phase 3 (1970–1975): Konstruktionen auf Leinwand, ebenfalls minimalistisch gemalt.
  • Phase 4 (1989–1995): Verbindung des Informellen mit der minimalistischen Konstruktion (informelle Konstruktion). Dabei werden mehrere Serienkonzepte realisiert.

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Zitierweise

Peter Tepe (2016): Grenzgänger zwischen Wissenschaft und bildender Kunst. w/k - Zwischen Wissenschaft & Kunst. https://doi.org/10.55597/d542

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