w/k - Zwischen Wissenschaft & Kunst
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Grenzgänger zwischen Wissenschaft und bildender Kunst

Phase 5

Wenden wir uns nun den seit 2013 entstandenen Serien anhand repräsentativer Beispiele zu.
Zu Beginn von Phase 5 im Jahr 2013 knüpfte ich zunächst an Phase 4 an. Das Prinzip der Schichtbilder kam in einigen Fällen weiterhin zur Geltung. Variationen führten aber auch zu neuen Akzentsetzungen. Es gab weiterhin Rückgriffe auf hand- und maschinenschriftliche Exzerpte des Studierenden. Das Beispiel, das ich gebe, ist als zweite Arbeit im Frühjahr 2013 entstanden. Diese besteht aus zwei Komponenten. Die erste ist ein im Format DIN A0 kopiertes handschriftliches Exzerpt, das sich auf Hegels Ästhetik bezieht. Grundlage der künstlerischen Bearbeitung, die in der zweiten Komponente erfolgt, ist eine auf Spanplatte aufgeklebte Kopie dieses Blatts, ebenfalls im Format DIN A0.

Die Lesebilder

Nun zu denjenigen Serien, die einen Bezug zu Ihrer wissenschaftlich-universitären Tätigkeit aufweisen.
Hier sind zwei Gruppen von Arbeiten zu nennen: Serie 1 – ich spreche hier von Lesebildern – greift auf eigene wissenschaftliche Texte zurück, die ich in meinen Vorlesungen verwendete, und Serie 2, die den Titel Vergangenheitsbewältigung trägt, bezieht sich auf meine Erfahrungen im Schwerpunkt Mythos, Ideologie und Methoden.

Wie gehen Sie in Serie 1 vor?
In meinen Vorlesungen verfuhr ich unabhängig vom jeweiligen Thema so: Auf einen Vortragsteil von 20–30 Minuten folgte ein die wichtigsten Punkte zusammenfassendes Fazit von 1–2 Seiten, und die Studierenden hatten einige Minuten lang die Möglichkeit, Fragen zu stellen; dann erst folgte der nächste Vortragsteil. Das Fazit hatte ich vor der jeweiligen Sitzung ausformuliert und eine Overheadfolie erstellt; der Text wurde dann an die Wand projiziert. Einige Bildobjekte verwenden nun solche Fazittexte als Grundlage. Ähnlich wie in Phase 4 erfolgte in der künstlerischen Arbeit jedoch keine Auseinandersetzung mit den Inhalten der eigenen Forschung und Lehre – die Fazittexte dienten wiederum als Spielmaterial für eine intuitiv-improvisierende Arbeitsweise.

Das erste Bildobjekt aus Phase 5, das im Frühjahr 2013 entstand, kann dafür als Beispiel dienen.
Diese Arbeit besteht wie das eben gebrachte Beispiel aus zwei Komponenten. Die erste ist ein in einer Vorlesung zur Mythosforschung verwendeter Fazittext. Grundlage der künstlerischen Bearbeitung, die in der zweiten Komponente erfolgt, ist eine auf Spanplatte aufgeklebte Kopie des Fazittextes. In beiden Fällen wird wiederum das Format DIN A0 verwendet.

Aus dem Text wurden einige Wörter bzw. Satzteile isoliert, der Rest wurde ganz oder teilweise übermalt; eine Bespannung kommt hinzu. Wenn aus dem Fazittext übrig bleibt „das Denken der … grünen Ameisen … vorbildlich“, so wird unter Bezug auf das in der Vorlesung Ausgeführte mit dem Fazittext poetisch – auch mit ironischer Brechung – gespielt, und die Phantasie des Betrachters, dessen Blick zwischen dem Ausgangstext und dem Bild hin und her wandert (wie auf andere Weise bei einigen Objekten der Phase 2)[15], angeregt.

Von Bildobjekten dieses Typs kann gesagt werden, dass sie auf freie künstlerische Weise Verbindungen zu Ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit herstellen.
So ist es. Aus dieser Serie bringe ich zwei weitere Beispiele:

Worin unterscheidet sich Ihre Arbeitsweise von der eines Wissenschaftler/Künstlers, der ein wissenschaftsbezogenes Kunstprogramm – wie etwa das der BioArt – verfolgt?
Ein solcher Künstler würde, wenn er formal ähnlich wie ich vorgehen würde, versuchen, bestimmte Inhalte seiner ausgewählten Vorlesung bildnerisch zu verarbeiten. Eine solche künstlerische Reaktion auf die vorgetragenen Forschungsergebnisse und die dort verwendeten Theorie-Methoden-Komplexe findet bei mir nicht statt. Die Lesebilder basieren wie schon gesagt auf einem poetischen Spiel mit bestimmten Wörtern und Satzelementen aus dem Fazittext, das verfremdete Sinnzusammenhänge erzeugt.[16] Auf der anderen Seite gehört jedoch der Ausgangstext selbst zum Werk; in einer Ausstellung würde er in gleicher Größe neben dem Bildobjekt platziert. Der Rezipient kann somit auch bestimmte Inhalte der ausgewählten Vorlesung zur Kenntnis nehmen und durch den Vergleich erschließen, was künstlerisch daraus gemacht worden ist. Manchmal erfolgt die Auswahl der Wörter und Satzelemente vor Beginn des bildnerischen Gestaltungsprozesses, manchmal ist sie in diesen eingebettet.

Vergangenheitsbewältigung

Das soll zu Serie 1 genügen. Wie ist die Serie Vergangenheitsbewältigung entstanden?
Zum Ende der universitären Dienstzeit gehört auch, dass man sein Büro räumen muss. Bei den Entsorgungsarbeiten stieß ich auf einen größeren Packen von Briefbögen mit dem Schwerpunkt-Logo sowie von Vorlagen für Vortragsankündigungen; diese wurden vor allem in den 1990er Jahren verwendet.[17] Dieses Material nutzte ich nun als Vorlagen für die 2014 entstandene Reihe Vergangenheitsbewältigung, in der ich – wiederum in intuitiv-improvisierender Form – über die 25-jährige Geschichte des Schwerpunkts Mythos, Ideologie und Methoden reflektierte. Serie 2 besteht insgesamt aus 39 Arbeiten. In den meisten Fällen handelt es sich um Bearbeitungen der Briefbögen im DIN A4-Format; hinzu kommen vier größere Arbeiten. In dieser Serie verwende ich übrigens – wie auch in einigen Bildobjekten – öfter Materialien, mit denen ich in der Arbeit als Wissenschaftler, die ja auch Büroarbeit ist, zu tun habe: Aufkleber, Post-its, Tipp-ex usw.

Ich gebe drei Beispiele:

Resteverwertung

Zur Abrundung wäre es gut, wenn Sie von den verschiedenen Serien, die von 2013 an entstanden sind, auch eine vorstellen könnten, die keinen direkten Bezug zu Ihren wissenschaftlich-universitären Aktivitäten aufweist.
2015–2016 ist die umfangreiche Serie 3, die aus mehreren kleineren Serien besteht, entstanden. Sie trägt den Titel Resteverwertung und hat eine amüsante Vorgeschichte. An einem Atelierbesuch im Frühjahr 2015 nahm auch die Redakteurin und Künstlerin Meral Alma teil, die wie ich im Werstener Kulturbunker ein Atelier hat. Als ich beiläufig auf Arbeiten aus den 1990er Jahren hinwies, in denen ich Bruchstücke eines alten Fußbodenbelags aus dem Abstellraum meines Elternhauses verwendet hatte, fiel ihr ein, dass von den Renovierungsarbeiten in ihrem Atelier noch einige Reste übrig geblieben waren. Sie fragte, ob ich diese haben wolle, und ich dachte „Einen Versuch ist es wert“. In der Folgezeit entstanden dann ziemlich viele Bildobjekte und Arbeiten auf Papier, in denen ich Teile von den drei Fußbodenbelagsresten verwendete.

Ich stelle vier Arbeiten vor: drei auf Spanplatte, eine auf Papier.

Über die von Ihnen vorgeschlagenen Bezeichnungen für die phasenspezifischen Arbeitsweisen haben wir bereits gesprochen. Wie bezeichnen Sie das, was Sie in Phase 5 betreiben?
Bezogen auf Phase 4 habe ich vorhin von der Verbindung des Informellen mit der minimalistischen Konstruktion gesprochen, von informeller Konstruktion. Diesem allgemeinen Kunstprogramm, das zu vielfältigen Serienkonzepten ausgeformt werden kann, folge ich auch in Phase 5. Dabei bin ich bestrebt, neue Serienkonzepte hervorzubringen, und einige der in Phase 5 entstandenen Serien unterscheiden sich stark von dem, was ich in Phase 4 gemacht habe.

Beitragsbild über dem Text: Peter Tepe: Großer Brief mit Streifen (2013). Foto: Tanja Semlow.


[1] Mitzudenken sind stets die Künstlerinnen. Das gilt auch für alle vergleichbaren Formulierungen.
[2] Die Entwicklung dieser Einrichtung ist umfassend dargestellt in P. Tepe: 25 Jahre Schwerpunkt Mythos, Ideologie und Methoden … und kein Ende. In: Mythos-Magazin (2013), online unter http://www.mythos-magazin.de/geschichtedesschwerpunkts/pt_25Jahre.pdf. Zusätzliche Informationen vermittelt die Dokumentation, darunter meine gleichnamige Abschiedsvorlesung; vgl. P. Tepe: 25 Jahre Schwerpunkt Mythos, Ideologie und Methoden… und kein Ende – Dokumentation 1. In: Mythos-Magazin (2014), online unter http://www.mythos-magazin.de/geschichtedesschwerpunkts/pt_25Jahre-Dokumentation1.pdf, S. 7–17.
[3] Vgl. P. Tepe: 25 Jahre Schwerpunkt Mythos, Ideologie und Methoden … und kein Ende. In: Mythos-Magazin (2013), Kapitel 7.3 und 23.1.
[4] Mythologica. Düsseldorfer Jahrbuch für interdisziplinäre Mythosforschung (8 Bände von 1993–2002 im Verlag Die blaue Eule, Essen). Mythos. Fächerübergreifendes Forum für Mythosforschung (4 Bände von 2004–2016 im Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg). Mythos-Magazin. Online-Journal für die Bereiche Erklärende Hermeneutik, Ideologieforschung und Mythosforschung (diverse Veröffentlichungsrunden seit 2005, zugänglich unter: www.mythos-magazin.de).
[5] Einige sind in der Schulzeitung des Ernst-Moritz-Arndt-Gymnasiums neue realität veröffentlicht.
[6] Vgl. P. Tepe: 25 Jahre Schwerpunkt Mythos, Ideologie und Methoden … und kein Ende. In: Mythos-Magazin, Kapitel 15: Erprobung neuer Veranstaltungsformen.
[7] Aus Gründen der Vereinfachung verwende ich den Begriff des Informellen nachfolgend als Oberbegriff für die angeführten Kunstrichtungen.
[8] Im zweiten Vortrag innerhalb meiner Abschiedsvorlesung werden Bildbeispiele und Erläuterungen gegeben; vgl. P. Tepe: Die andere Seite. In: P. Tepe: 25 Jahre Schwerpunkt Mythos, Ideologie und Methoden … und kein Ende. In: Mythos-MagazinDokumentation 1, S. 19–24 und P. Tepe: Bildpräsentation zum Vortrag – Die andere Seite. In: Mythos-Magazin (2014), online unter www.mythos-magazin.de/geschichtedesschwerpunkts/pt_bildpraesentation.pdf.
[9] Diese in der Kunstakademie auf dem Gang vor der Götz-Klasse gelagerten Arbeiten sind wahrscheinlich vom Hausmeister entsorgt worden; es existieren nur noch einige Fotos.
[10] P. Tepe: Künstlerische Konzeption. In: C. Scholl / P. Tepe: Multimedialer Aktionsabend. Dreieck Kunst – Philosophie– Musik. Setzen – Zusammen – Setzen. Düsseldorf 1992.
[11] P. Tepe: Postmoderne/Poststrukturalismus. Wien 1992.
[12] P. Tepe: Mythos & Literatur. Aufbau einer literaturwissenschaftlichen Mythosforschung. Würzburg 2001.
[13] P. Tepe / H. May: Mythisches, Allzumythisches. Theater um alte und neue Mythen 1. Ratingen 1995. Vgl. P. Tepe: 25 Jahre Schwerpunkt Mythos, Ideologie und Methoden … und kein Ende. In: Mythos-Magazin, Kapitel 15.2: Theatralische Vorlesung: Vorlesung in Theaterform und 15.3: Dialogische Vorlesung.
[14] Vgl. U. Welbers / M. Preuss (Hrsg.): Die reformierte Germanistik. Dokumentation zur Düsseldorfer Studienreform. Düsseldorf 2000.
[15] Vgl. P. Tepe: Bildpräsentation zum Vortrag – Die andere Seite. In: Mythos-Magazin (2014), online unterwww.mythos-magazin.de/geschichtedesschwerpunkts/pt_bildpraesentation.pdf.
[16] Vorläufer ist das oben abgebildete Bildobjekt spürbar sagen aus Phase 4.
[17] Auf den Briefbögen ist unter anderem auch vermerkt, wer gerade mein auf einer wissenschaftlichen Hilfskraftstelle beschäftigter Mitarbeiter war. Der Lehrstuhlinhaber Herbert Anton überließ mir, um den Schwerpunkt zu fördern, nicht nur diese Stelle, sondern darüber hinaus über viele Jahre immer wieder auch studentische Hilfskraftstellen.

Zitierweise

Peter Tepe (2016): Grenzgänger zwischen Wissenschaft und bildender Kunst. w/k - Zwischen Wissenschaft & Kunst. https://doi.org/10.55597/d542

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