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Gartmann, Thomas/Urchueguía, Cristina/Ambühl-Baur, Hannah (Hg.): Studies in the Arts II. Künste, Design und Wissenschaft im Austausch. Bielefeld 2024

Text: Anna-Maria Stadler | Bereich: Rezensionen

Wie sähe ein Spital aus, würden es Kinder gestalten? Was erzählen Bilder in Palliative-Care-Einrichtungen? Und welches Bild vom „Orient“ entsteht aus Gertrude Bells umfassendem Fotoarchiv? Diesen und anderen Fragen nähert sich der Band „Studies in the Arts II“ interdisziplinär in einer Suchbewegung zwischen Kunst, Design und Wissenschaft an. 

Der Band, der sich weniger als programmatische Schrift, denn als Lesebuch versteht (vgl. S.10), ist aus dem Doktoratsprogramm Studies in the Arts heraus entstanden, welches eine Kooperation der Philosophisch-historischen Fakultät der Universität Bern und der Hochschule der Künste Bern HKB ist. Die Beiträge stammen teils von Dozent:innen dieses Programms, teils von Doktorand:innen oder Absolvent:innen und bewegen sich dabei in und zwischen verschiedenen Disziplinen: von Visueller Kommunikation, Komposition, Musikwissenschaft, über Bildende Kunst, Fotografie bis hin zu Kunstgeschichte, Germanistik, Philosophie, Soziologie u.a. 

In dem weiten Feld, das dieser Sammelband damit aufspannt, werden zwei Schwerpunkte gesetzt: einmal die Thematik des Designs als Querschnittfeld, und dann das wiederum breite Spektrum von Kunst und Wissenschaft im Dialog. Was zunächst ausufernd erscheint, erhält im tieferen Eintauchen in die einzelnen Beiträge eine stärkere Fokussierung, indem man schnell darauf aufmerksam wird, wie sich die einzelnen Fragestellungen ergänzen, Verweise gesetzt, Motive wiederholt und auf andere Weise an anderer Stelle wiederaufgegriffen werden. Was auf den ersten Blick ins Inhaltsverzeichnis zu zerfransen droht, fügt sich im Blättern durch den Band zu einem raffinierten Gebilde. 

So findet an verschiedenen Stellen eine Auseinandersetzung mit der Wirkkraft von visueller Gestaltung und den Möglichkeiten der Mitgestaltung statt. Marika Anja Simon etwa setzt Cultural Probes – Materialsammlungen und Artefakte zur Erforschung unterschiedlicher Kontexte – auf Pädiatrie-Abteilungen ein, um die Gestaltungswünsche von Kindern auf diesen Stationen zu erforschen und diese zu Co-Forschenden zu machen. Dabei wählen die Teilnehmenden beispielsweise für jeden Raum auf der Station eine neue Farbe, gestalten die Kittel der auf der Station Arbeitenden und benennen die Abteilung neu. Es zeichnet sich in diesem Beitrag bereits ein Anspruch ab, der in der Einleitung des Sammelbandes folgendermaßen nachgezeichnet wird: „Anders als herkömmliche künstlerische Forschung ist diese Forschung in und mit den Künsten sowie Designmethoden oft stark gesellschaftspolitisch engagiert“ (S.8). Diese Setzung wird auch in Tina Brauns Beitrag Visuelle Narrative zum Lebensende spürbar. Sie entwickelt in ihrer Forschung neue Bildwelten für Palliative-Care-Einrichtungen, indem sie auf ihre Analyse bestehender Narrative reagierend versucht in Zusammenarbeit mit Fotografinnen Bilder zu erzeugen, die persönlichere Erzählungen anbieten als die in Palliative-Kontexten vielfach eingesetzten Stockfotografien. Sie konzentriert sich dabei insbesondere auf Blind Spots, die sie in ihrer Forschung festgesellt hat, wie etwa eine visuelle Auseinandersetzung mit Schmerz. Das künstlerische Bildmaterial, das aus diesem Prozess entsteht, findet in unterschiedlichen Kontexten im Bereich der Palliative-Care Anwendung und wird in diesen Settings wiederum untersucht. Diese Herangehensweise ist nur ein Beispiel dafür, wie sich wissenschaftliche mit künstlerischen Handlungsweisen verbinden lassen.

Im Zusammendenken wissenschaftlicher und künstlerischer Forschungspraktiken drängt sich die Frage nach dem „Wie“ auf. Auf welche spezifische Weise werden die unterschiedlichen Zugänge miteinander konfrontiert, wie lassen sich Schwierigkeiten, die aus dieser Verwebung entstehen, umschiffen, und an welchen Nahtstellen sind die einzelnen Forschungsprojekte situiert? Thomas Gartmann und Hannah Ambühl-Baur stellen einleitend dar, wie sich, was zunächst noch sorgfältig erläutert werden musste (vgl. S.9), nach nunmehr dreizehn Jahren und 28 Absolvent:innen inzwischen etabliert hat. Was im Rahmen von SINTA – dem Doktoratsprogramm Studies in the Arts – vorgeschlagen wird, kann als Berner Modell verstanden werden, nicht aber, wie die Herausgeber:innen des Bandes verdeutlichen, als Berner Schule. Keine festgeschriebene und vorgefertigte Praktik soll Anwendung finden, sondern viel mehr eine Vielfalt an Zugängen und Methoden ermöglicht werden. Oder in anderen Worten: „Unter Forschung in den Künsten wird das verstanden, was in diesem Rahmen betrieben wird“ (S.9). Meta-Diskurse über das Verhältnis von Künsten und Wissenschaften seien dabei nicht vorrangig Gegenstand der Forschungsprojekte, sondern die theoretischen Rahmungen der Arbeiten würden individuell vorgenommen. 

Es ist solcherart ein weites Forschungsfeld, in das dieser Band verschiedene Einblicke gibt. Und ein Feld, in dem viele verschiedene Spielarten und Fragestellungen möglich werden. Wenn etwa die Fotografin Linda Herzog Getrude Bells Fotoarchiv untersucht, das sie mit Said als ein „Fotoarchiv des britischen Imperalismus“ (S.159) versteht, wird deutlich, wie sich aus der forschenden und künstlerischen Herangehensweise an die Thematik eine sinnvolle Gleichzeitigkeit ergibt. Neben der Analyse des Archivmaterials unternimmt Herzog fotografische Exkursionen, bei denen sie die abgebildeten Baudenkmäler selbst fotografiert. Diese Wiederholung ermöglicht ihr nicht nur eine andere Art der Auseinandersetzung mit der fotografischen Repräsentationsästhetik des untersuchten Gegenstands, sondern ebenso mit ihrem eigenen Blickregime. Wie in einem Reenactment wird solcherart im körperlichen Nachvollzug vor Ort ein anderes und situierteres Wissen zugänglich als durch die alleinige Bildanalyse. Es findet ein Weiterdenken statt, das die Fragen auftut, welche alternativen Interpretationen möglich und welche visuellen Kommentare auf Bestehendes denkbar sind. Wie auch in anderen Beiträgen des Sammelbandes wird dabei nicht nur die Frage danach gestellt wird, warum etwas gestaltet ist, wie es gestaltet ist, sondern daran anschließend auch die Frage, welche Umgestaltungen vorstellbar wären. 

 Beitragsbild über dem Text: Titelbild von Studies in the Arts II. Künste, Design und Wissenschaft im Austausch (2024).

Zitierweise

Anna-Maria Stadler (2024): Gartmann, Thomas/Urchueguía, Cristina/Ambühl-Baur, Hannah (Hg.): Studies in the Arts II. Künste, Design und Wissenschaft im Austausch. Bielefeld 2024. w/k - Zwischen Wissenschaft & Kunst. https://doi.org/10.55597/d19372

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