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Biennale Venedig 2017: Kunst und Wissenschaft

Text: Moritz Niehues und Irene Daum | Bereich: Beiträge über Künstler

Übersicht: Die 57. Biennale von Venedig beinhaltet zahlreiche Projekte mit Wissenschaft-Kunst-Bezug. Der Pavillon Österreichs befasst sich mit Fragen von Selbstwahrnehmung und Kommunikation, die dem Betrachter durch Spiegel-Objekte und Licht-Installationen näher gebracht werden. Der Pavillon Griechenlands greift in Videoarbeiten übergeordnete Fragen von Ethik und Moral auf. Die Workshops und Ausstellungen im Research Pavillon haben einen intensiven Dialog von Kunst und wissenschaftlicher Forschung anhand von Themen wie virtueller Realität zum Ziel.

Die 57. Kunst-Biennale, die vom 13. Mai – 26. November 2017 unter dem Titel Viva Arte Viva in Venedig stattfindet und 85 nationale Pavillons umfasst, ist für deutsche Künstler außerordentlich erfolgreich gestartet. Zum ersten Mal in der Geschichte der Biennale erhielt Deutschland die beiden wichtigsten Preise gleichzeitig. Der in Fulda arbeitende Künstler Franz Erhard Walther wurde für sein großformatiges Werk Textil als bester Künstler mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet. Der Preis für den besten nationalen Beitrag ging an den von der Frankfurter Künstlerin Anne Imhof gestalteten Deutschen Pavillon, der am 10. Mai von Bundesaußenminister Sigmar Gabriel eröffnet wurde. Anne Imhofs mehrstündige Performance Faust steht der Künstlerin zufolge für das Recht, anders zu sein.

Sigmar Gabriel eröffnet den deutschen Pavillon. Foto: Moritz Niehues.
Sigmar Gabriel eröffnet den deutschen Pavillon. Foto: Moritz Niehues.

Verbindungen zwischen Wissenschaft und Kunst in den Länderpavillons

Zu den nationalen Beiträgen mit Wissenschaft-Kunst-Bezug gehören die Pavillons Österreichs und Griechenlands auf dem traditionellen Ausstellungsgelände der Giardini im Stadtteil Castello. Der Pavillon Österreichs präsentiert neben dem Werk von Erwin Wurm Spiegel-Objekte und Licht-Installationen der Künstlerin Brigitte Kowanz, in die die Projektion von Zeichen, Zahlen und Begriffen einfließt. Ihre Arbeiten lassen vielgestaltige Räume entstehen, in denen sich der Betrachter mit multiplen Spiegelungen der eigenen Person konfrontiert sieht, die die psychologischen Mechanismen von Selbstwahrnehmung und Selbstbezügen hinterfragen sollen. Darüber hinaus sollen die Arbeiten der Künstlerin durch die Kombination von Licht, Sprachzeichen, Raum und Betrachter die Komplexität von Kommunikationsstrukturen reflektieren und für eine neue Verbindung von Malerei, Architektur und Sprache stehen. Brigitte Kowanz und Erwin Wurm sind mit Arbeiten in Glas auch in der Ausstellung Glasstress im Palazzo Cavalli-Franchetti, dem Sitz des Istituto Veneto di Scienze, Lettere ed Arti (der venezianischen Akademie der Wissenschaft und Künste), vertreten.

Brigitte Kowanz: Infinity and Beyond (2017). Foto: Moritz Niehues.
Brigitte Kowanz: Infinity and Beyond (2017). Foto: Moritz Niehues.
Erwin Wurm: Stand quiet and look out over the Mediterranean Sea (2016 - 2017). Foto: Moritz Niehues.
Erwin Wurm: Stand quiet and look out over the Mediterranean Sea (2016–2017). Foto: Moritz Niehues.

Der griechische Pavillon

Der Pavillon Griechenlands befasst sich in einer Installation mit übergeordneten Fragen von Ethik und Moral, die ein medizinisch-wissenschaftliches Experiment und dessen Folgen zum Thema hat. Das Ausstellungsprojekt Laboratory of Dilemmas, das sich an Aischylos‘ Drama Hiketides anlehnt, wird durch den Videokünstler Giorgios Drivas und den Kurator Orestis Andreadakis vorgestellt. In einem dokumentarisch anmutenden Video wird ein fehlgeleitetes Laborexperiment gezeigt, in dem unerwartet neue Zellen entstehen, die eine Bedrohung für die existierenden Zellkulturen darstellen. Die Wissenschaftler – zum Teil von namhaften Schauspielern dargestellt – verhandeln in dem Video darüber, wie in der Öffentlichkeit mit den potenziell gefährlichen Folgen des Experiments umgegangen werden soll, inwiefern sie Angst auslösen werden und welche Konsequenzen daraus resultieren. Das Projekt steht für Dilemmata in Bezug auf Nutzen und Risiken des wissenschaftlichen Fortschritts, aber auch für das Abwägen von Für und Wider im Umgang mit dem Unbekannten im Allgemeinen. Der Künstler und der Kurator wollen einen Beitrag zum Überwinden von Angst und Vorurteilen leisten, z.B. im Kontext aktueller politischer Diskussionen zur Migration.

Aus dem Ausstellungsprojekt von Giorgios Drivas: Laboratorium der Dilemmata (2017). Foto: Moritz Niehues.
Aus dem Ausstellungsprojekt von Giorgios Drivas: Laboratorium der Dilemmata (2017). Foto: Moritz Niehues.
Aus dem Ausstellungsprojekt von Giorgios Drivas: Laboratorium der Dilemmata (2017). Foto: Moritz Niehues.
Aus dem Ausstellungsprojekt von Giorgios Drivas: Laboratorium der Dilemmata (2017). Foto: Moritz Niehues.

Support von Lorenzo Quinn

Neben den Ausstellungen an den traditionellen Orten im Arsenale und in den Giardini finden zahlreiche weitere in unterschiedlichen Museen, Palazzi und an anderen Orten in der historischen Altstadt statt. Eine technische Meisterleistung stellt die neun Meter hohe Skulptur des italienisch-amerikanischen Bildhauers Lorenzo Quinn mit dem Titel Support dar, die in Zusammenarbeit mit der Halcyon Galerie London und der Stadt Venedig realisiert wurde. Riesige weiße Hände ragen aus dem Canal Grande am Campo Santa Sofia und scheinen den Palazzo Sagredo zu stützen; andererseits stehen sie aber auch für die Gefahr der Zerstörung der Stadt durch den Menschen und für eine Warnung vor den Folgen des globalen Klimawandels wie verstärkten Niederschlägen und Hochwasser. Die monumentale Skulptur entstand in enger Zusammenarbeit des Künstlers mit einem großen Team von Ingenieuren und Technikern, die die besonderen Herausforderungen des Transports mit Booten, der Befestigung im Canal Grande und ständigem Wechsel des Wasserspiegels meistern mussten (Campo Santa Sofia 4198).

Lorenzo Quinn bei der Eröffnung seiner neun Meter hohen Skulptur Support (2017).
Lorenzo Quinn: Support (2017). Foto: Moritz Niehues.
Lorenzo Quinn: Support (2017). Foto: Moritz Niehues.
Lorenzo Quinn: Support (2017). Foto: Moritz Niehues.
Lorenzo Quinn: Support (2017). Foto: Moritz Niehues.

Research Pavillon auf der Insel Giudecca

Nach dem Pilot-Projekt im Rahmen der Biennale 2015 gehört zum Programm der diesjährigen Veranstaltung wieder ein Pavillon, der sich mit Fragen der Verbindung von Kunst und Wissenschaft unter dem Titel Utopia of Access auseinandersetzt. Der Research Pavillon befindet sich am Campo San Cosmo auf der Insel Giudecca.1 Das Projekt beinhaltet mehrwöchige Kunstausstellungen und 46 multidisziplinäre Veranstaltungen, an denen über 100 Künstler-Forscher beteiligt sind. Veranstalter ist die Universität der Künste Helsinki in Zusammenarbeit mit dem Norwegian Artistic Research Programme (NARP) und mehreren schwedischen universitären Kunstinstitutionen. Darüber hinaus sind die Akademie der Schönen Künste Wien und die Universität der Künste Zürich an der Gestaltung der Ausstellungen und Vortragsveranstaltungen beteiligt. Nach Auskunft der Kommissarin des Pavillons, Prof. Anita Seppä, ist das Ziel die Stärkung des Dialogs zwischen zeitgenössischer Kunst und wissenschaftlicher Forschung sowie die Entwicklung neuer multidisziplinärer Ausstellungspraktiken. Thematische Schwerpunkte sind u.a. die Bezüge der Kunst zur Geopolitik und die Wirkung neuer visueller Techniken, der Einsatz experimenteller und empirischer Methoden und die Bedeutung virtueller Welten.

Microhistories

In der von der Assoziation schwedischer Kunstuniversitäten am 10. Mai 2017 organisierten Eröffnungsveranstaltung mit dem Titel Microhistories wurden die Beziehungen und Wechselwirkungen zwischen Geschichte, Politik und bildender Kunst thematisiert. Im Zentrum der Präsentation der aus Mazedonien stammenden und an der Polytechnischen Universität in Mailand arbeitenden Wissenschaftlerin Dr. Suzana Milevska stand der Vortrag über die Gestaltung von Bau- und Kunstwerken im öffentlichen Raum in Zusammenhang mit dem Projekt Skopje 2014. Sie betonte, dass nach politischen Vorgaben vor allem klassische Sujets wie ein Triumphbogen oder ein monumentales Denkmal Alexanders des Großen realisiert wurden, um eine historische und politische Vergangenheit zu suggerieren, die nicht den historischen Tatsachen entspricht (Alexander der Große war nie in Skopje) und die vor allem die jüngere Vergangenheit ausklammert. Kunst wurde so eingesetzt, um falsche Erinnerungen an die Vergangenheit des Landes zu induzieren.

Weitere Termine im Research Pavillon

Vom 8. Juli – 13. August 2017[1] wird im Research Pavillon eine Ausstellung von Florian Dombois mit dem Titel Galleria del Vento gezeigt. Während der Laufzeit wird der Künstler in den Ausstellungsräumen des Pavillons einen Windtunnel bauen, der mit Hilfe einer Maschine aus seinem Forschungslabor in Zürich realisiert wird. In das Projekt wird er Material einbauen, das er täglich mit einem Boot in der Lagune aufsammelt. Während der Ausstellungszeit finden an jedem Samstag Workshops und Diskussionen zu dem Projekt statt. Im Anschluss daran organisiert die Universität der Schönen Künste Wien vom 8.9. – 15.10.17 eine Ausstellungs- und Diskussionsreihe zum Thema Hauntopia/What If.


[1] Research Pavillon, Adresse: Campo San Cosmo 621, Giudecca, Venedig, 11. Mai – 15.Okt. 2017. Öffnungszeiten: Dienstag-Sonntag 10 – 18 h, Eintritt frei (wegen Umbau der Ausstellungen in der Zeit zwischen 3. – 7. Juli, 14 – 17. Aug. und 28. Aug. – 7.Sept.2017 geschlossen).

Zitierweise

Irene Daum (2017): Biennale Venedig 2017: Kunst und Wissenschaft. w/k - Zwischen Wissenschaft & Kunst. https://doi.org/10.55597/d847

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