Text: Stefan Oehm | Bereich: Beiträge über Künstler
Übersicht: Kunst und Wissenschaft. Das klingt für viele so gegensätzlich wie Feuer und Wasser. Dabei sind sich beide so nahe wie Geschwister. Und das schon seit antiker Zeit. Was damals galt, gilt auch heute: Die Kunst sucht die Nähe der Wissenschaft – und die Wissenschaft die Nähe der Kunst. Und Stefan Oehm begibt sich in der Reihe „Kunst und Wissenschaft“ in anderen Medien auf die Spurensuche: nach Ausstellungen, Aufführungen, Büchern, Symposien und Zeitungsartikeln zum Thema.
Wenn Sie auf weitere „Kunst und Wissenschaft“-Beiträge stoßen, so wenden Sie sich bitte an: stefan.oehm@betriebsbereit.de. Ihr Hinweis wird dann in der nächsten Runde dieser Reihe unter Nennung Ihres Namens veröffentlicht.
1. KUNSTFORUM International, Bd. 265:
Digital. Virtuell. Posthuman?
Die Digitale Transformation ist nicht mehr aufzuhalten, sie ist bereits jetzt allgegenwärtig. Die Frage ist längst nicht mehr, wann alle Bereiche unseres Lebens digitalisiert sein werden, sondern welche Konsequenzen dies für uns haben wird:
„Wie sieht die Schnittstelle von Mensch und Maschine künftig aus? Was wird es heißen, menschlich zu sein? Wie wird sich der Horizont menschlicher Erfahrung verändern?“
Diesen und weiteren Fragen zu Digitalität, Tendenzen in Trans- und Posthumanismus, Aktivismus und Netzkultur widmet sich die wohl namhafteste deutschsprachige Kunstzeitschrift zur zeitgenössischen Kunst, KUNSTFORUM International, in einem eigenen Themenband. Unter dem Titel Digital. Virtuell. Posthuman? Neue Körper in der Kunst versammelt der aktuelle Band 265
„die relevantesten neuen Bilder, Thesen und Ideen zum künftigen Verhältnis von Mensch und Maschine. Wie wird im Silicon Valley über die gesellschaftlichen Ausprägungen und Konsequenzen des digitalen Zeitalters gedacht; wie in Asien, wie hier in Europa?“
Dabei gibt der Band einen Überblick über neue bildkünstlerische Ansätze, die auf diese Themen reagieren.
▷ KUNSTFORUM International: Digital. Virtuell. Posthuman? Neue Körper in der Kunst, Band 265
2. Kunst trifft Wissenschaft – James Turrell und der Ganzfeld-Effekt
Vom 12. April 2018 bis 6. Oktober 2019 wurde im Jüdischen Museum Berlin mit Aural eine begehbare Installation der zur Werkserie der Ganzfeld Pieces gehörenden Arbeit von James Turrell gezeigt, in der der amerikanische Bildhauer des Lichts die Besucher in die Atmosphäre eines endlos erscheinenden Raumes eintauchen lässt, in dem sich weder die Dimensionen des Raumes noch die Quelle des Lichts erkennen lassen. Ihren Ursprung haben, so heißt es in einer Pressemitteilung des Jüdischen Museums, „Turrells Arbeiten in dem Art & Technology-Programm der University of California und dem Los Angeles County Museum, in dem Künstler*innen und Wissenschaftler*innen im Kontext der Weiterentwicklung der Raumfahrt gemeinsam die Thematik Ganzfeld untersuchten.“ In Kooperation mit der Schering Stiftung lud das Jüdische Museum am 10. September 2019 zu einem interdisziplinären Gesprächsabend ein, der den Ganzfeldeffekt aus zwei unterschiedlichen Perspektiven beleuchtete: Ernst Pöppel, ehemaliger Direktor des Instituts für medizinische Psychologie der Ludwig-Maximilians-Universität München, erläuterte die physiologischen und psychologischen Grundlagen der Wahrnehmungseffekte, Margarete Pratschke, Gastprofessorin für Kunst- und Bildgeschichte der Moderne und Gegenwart an der Humboldt-Universität zu Berlin, gab einen Einblick in das Art & Technology-Programm und stellte Turrells Arbeiten in den wissenschaftsgeschichtlichen Kontext ihrer Entstehung.
3. Hybrid Plattform: Berlin Open Lab
Die Hybrid Plattform ist ein innovatives Projekt der Universität der Künste (UdK) und Technischen Universität (TU) Berlin im Rahmen des Campus Charlottenburg, einem der größten zusammenhängenden innerstädtischen Universitätsareale Europas. Sie dient dem disziplinenübergreifenden Austausch zwischen Künsten, Wissenschaft und Technik. Im Mai 2019 wurde das neueste Projekt der Hybrid Plattform aus der Taufe gehoben: das Berlin Open Lab, ein experimentelles Forschungslabor für die digitale Gesellschaft. Es ist, wie es in einem offiziellen Statement heißt, ein „Ort für die digitale Forschung an den Schnittstellen zwischen experimenteller Gestaltung, Architektur und Ingenieurskunst“. Ausgestattet mit einem Labor für Computational Fabrication und Wearable Computing und einem Studio für Augmented und Virtual Reality widmet sich das Berlin Open Lab performativen Materialien, zum Beispiel intelligenten Textilien, der vernetzten Bildung der Zukunft oder der digitalen Selbstbestimmung.
4. Neue Zürcher Zeitung: Literatur im Zeitalter des Maschinozäns
In einem Gastbeitrag für die Neue Zürcher Zeitung dokumentiert Miriam Meckel, Professorin für Medien- und Kommunikationsmanagement an der Universität St. Gallen und ehemalige Chefredakteurin der Wirtschaftswoche, dass so manche aktuelle Entwicklungen diametral entgegengesetzte Einschätzungen zeitigen können. „Mit Erzählungen“, so sagt Meckel mit der kürzlich verstorbenen amerikanischen Schriftstellerin Toni Morrison, „schreibt die Menschheit sich überhaupt erst in ihre Existenz hinein.“ Doch „[m]it intelligenten Maschinen könnte das anders werden. Ein Algorithmus, der die Literaturgeschichte revolutioniert? Bis anhin scheint das ein Szenario aus der Science-Fiction. Aber nicht mehr lange.“ Was im Journalismus schon gang und gäbe ist – so nutzt die „US-Nachrichtenagentur Associated Press […] das Programm Wordsmith von Automated Insights, um mehr als 3000 Finanzberichte pro Jahr schreiben zu lassen“ –, hält sie bald auch für die Literatur für möglich, wenn nicht sogar für wünschenswert: „Im Maschinozän schreiben Maschinen bessere Texte als Menschen.“
5. Claudia Robles-Angel: dem Rand am fernsten, am weitesten innen
Wenn die Kunst der Wissenschaft voller Neugier und mit offenen Armen begegnet, kann solch künstlerische Experimentierfreude Artefakte hervorbringen, die den Betrachter staunen lassen. Aktuelles Beispiel: SKIN II, die interaktive audiovisuelle Performance mit biomedizinischen Signalen der Künstlerin Claudia Robles-Angel, die im September 2019 im NEUEN KUNSTRAUM (NKR), Düsseldorf zur Aufführung kam. Dabei interagierte die Künstlerin mit Klängen und Bildern mithilfe einer galvanische Hautreaktion, die die Feuchtigkeit ihrer Hautoberfläche misst, um so die audiovisuelle Umgebung zu transformieren – natürlich auftretende Schwankungen der Werte sind Indikatoren verschiedener psychologischer oder physiologischer Erregungszustände wie Stress, Irritation oder Entspannung. Das visuelle Umfeld der Performance wird durch mikroskopische Bilder der Haut der Performerin in Echtzeit geschaffen.
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Beitragsbild über dem Text: Unbekannter Autor (2016). Urheberrecht: Creative Commons CC0.
Zitierweise
Stefan Oehm (2020): „Kunst-und-Wissenschaft“ in anderen Medien – Teil VIII. w/k - Zwischen Wissenschaft & Kunst. https://doi.org/10.55597/d12546
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