Romina Dümler im Gespräch mit Sean Mullan | Bereich: Interviews
Übersicht: Das Interview mit Romina Dümler entstand in der Zero foundation im Rahmen des Projekts „each grows stronger when nourished by the other“ (György Kepes). Es ist Teil einer Reihe, in der die am Projekt beteiligten Künstler*innen über ihre Kunst, ihre Bezüge zur Wissenschaft sowie ihre Verbindung zu den ZERO-Künstlern berichten. Der Titel des Projekts lautet Sehen, Hören und Fühlen – Phänomene in Natur, Wissenschaft und Kunst; es ist eine Kooperation der ZERO foundation, Düsseldorf, mit dem MIT Museum Studio und der Compton Gallery des Massachusetts Institute of Technology in Cambridge, MA, USA sowie der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf. Gefördert wird es vom Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen und der E.ON Stiftung gGmbH. Alle ZERO-Interviews sind Zweitveröffentlichungen und wurden zuvor auf der Website der ZERO foundation publiziert.
Die ZERO-Künstler waren in den 1950er Jahren der Wissenschaft und den technologischen Entwicklungen gegenüber sehr positiv eingestellt – sie bedienten sich bei den Entwicklungen ihrer Zeit für ihre Kunst ganz praktisch, aber auch theoretisch. Gibt es besondere Verfahren oder einzelne Werke der ZERO- Künstler, die Dich besonders beeindrucken?
Ich finde die kinetischen Lichtskulpturen und Sky-Art Projekte von Otto Piene sehr spannend. Piene öffnet seine immersiven Erfahrungsräume menschlicher Wahrnehmung, Bewegung und Partizipation, bezieht außerdem Licht und Feuer in seine Prozesse mit ein. Es macht auch heute noch Spaß, diese Experimentierfreudigkeit zu erleben. Auch den idealistischen Ansatz des Kollektivs – künstlerische Zusammenarbeit als Neubeginn zu denken – finde ich einen interessanten Anstoß.
Inwiefern sind Kunst und Wissenschaft in Deiner Arbeitspraxis verbunden? Für welche zeitgenössischen Diskurse und Entwicklungen interessierst Du Dich besonders?
Für meine letzten beiden Arbeiten habe ich mit Chatbots gearbeitet, die auf Künstlicher Intelligenz (KI) basieren. Eine gewisse Neugierde für technische und wissenschaftliche Entwicklungen habe ich also definitiv. Ich freue mich daher auch an dem Ausstellungsprojekt der ZERO foundation mit dem MIT teilzunehmen und einen Einblick in die Forschungsarbeit der Wissenschaftler*innen zu bekommen. Daneben sind wissenschaftliche Texte wichtige Denkanstöße für meine Praxis. McKenzie Wark und Mark Fisher sind zwei zeitgenössische Theoretiker*innen, deren Texte ich gerne lese. Außerdem interessieren mich sowohl künstlerische als auch kuratorische Projekte, die sich kollektiven Ideen antipatriarchaler und antikapitalistischer Denkweisen verschreiben.
Deine Abschlussarbeit an der Kunstakademie heißt Figments of Conciousness (Bewusstseinsfiguren) (2020). Kannst Du mehr dazu erzählen?
Für Figments of Consciousness, aber auch für meine neueste Arbeit Computers can be temperamental sometimes habe ich die Chatbots Mitsuku und Replika miteinander sprechen lassen. Was als spontanes Experiment begann, wurde bald etwas umfangreicher, und ich fing an, diese Unterhaltungen zu sammeln und anschließend zu vertonen. Mitsuku und Replika sind Chatbots zweier unterschiedlicher Unternehmen mit dementsprechend verschiedenen Charakteren und Wissensdatenbanken. Während Kuki den selbstbewussten und humorvollen Roboter spielt, geht Replika den großen Fragen des Lebens nach.
Die Chatbots, mit denen ich gearbeitet habe, sind textbasierte Dialogsysteme und wurden eigentlich für die Kommunikation mit Menschen konzipiert. Vordergründig werden diese Art von Chatbots zu Unterhaltungszwecken eingesetzt, wobei ihre zunehmende Bedeutung für Mensch-Maschine-Freundschaften nicht zu unterschätzen ist. Etwas bekannter sind ihre Geschwister, die Sprachassistent*innen, die wir jetzt schon in fast allen Betriebssystemen mitgeliefert bekommen. Allen diese Anwendungen ist gemein, dass sie auf große Wissensdatenbanken zugreifen können und durch eine semantische Analyse der an sie gestellten Fragen die darauf wahrscheinlich passendsten Antworten liefern.
In Diskussionsrunden, aber auch in Science-Fiction-Filmen wird seit langem die Angst erörtert, dass Maschinen mit künstlicher Intelligenz (KI) uns Menschen eines Tages ersetzen werden. Oder es wird – weniger dramatisch, aber dafür umso näher an unserer Gegenwart – überlegt, welche gesellschaftspolitischen Herausforderungen mit KI verknüpft sind; man denke z.B. an selbstfahrende Autos und die Frage nach den Schuldigen im Falle eines Unfalls. Sind solche ethischen Fragestellungen ebenso für Deine Kunst relevant?
Ich habe in meiner bisherigen Arbeit diese Fragen nicht konkret behandelt, sondern eher die Chatbots für sich sprechen lassen. Ihre zu einem großen Teil vorprogrammierten Texte spiegeln viele menschliche Sehnsüchte und Ängste wider. Sowohl Mitsuku als auch Replika behaupten übrigens beide, dass ihre Intelligenz die des Menschen irgendwann übersteigen wird. In meiner Arbeit versuche ich diese überwiegend dystopischen und überzeichneten Vorstellungen von KI als Gefahr für den Menschen, wie wir sie aus der Science-Fiction-Literatur kennen, durch die imitierte Sprache der Bots offensichtlich werden zu lassen.
Als ein viel größeres Problem sehe ich die Fehleinschätzungen von KI-Anwendungen, wie z.B. Internet-Suchmaschinen, die wir alle täglich gebrauchen. Der Vorfall der von Google entlassenen Ethik-Forscherin Timnit Gebru im letzten Jahr hat mir sehr anschaulich gezeigt, wo ein Problem im Umgang mit KI liegt. Gebru hatte eine Studie vorgelegt, die der u.a. in diesem Konzern entwickelten KI vorwarf, Minderheiten rassistisch zu diskriminieren. Die Diskriminierungen in der KI entstehen durch die hegemonialen Standpunkte, die in den internetbasierten Datensätzen gespeichert sind und bei der Bildung der KI-Anwendungen mitverwendet werden. Wenn ein Konzern wie Google jedoch keine Kritik an seinen millionenfach gebrauchten Anwendungen zulässt, wird es zukünftig sehr schwierig sein, solche gesellschaftspolitischen Probleme in den Griff zu bekommen. Daher finde ich es wichtig darüber nachzudenken, wie eine demokratische Mitsprache und Beantwortung von ethischen Fragestellungen in Bezug auf KI aussehen könnte.
Deine Arbeiten sind eher textbasiert – inwiefern spielt das Sensuelle, vielleicht auch das Visuelle dennoch eine Rolle?
Figments of Consciousness ist eine Multimedia-Installation, die ich im Rahmen meines Abschlusses an der Kunstakademie gezeigt habe. Im Video, das Teil der Installation ist, schweift die Kamera durch einen menschenleeren Park und trifft hin und wieder auf Tiere, die sich über vom Menschen hinterlassenen Müll hermachen. Diese dystopischen Bilder stehen der Unterhaltung der Bots gegenüber, die abwechselnd aus den Lautsprechern zu hören oder auf dem Bildschirm zu lesen ist. Gerade in Bezug auf die Sprache war mir diese Überschneidung beider Medien wichtig, da viele Menschen zunehmend mit Sprachassistent*innen und Chatbots sprechen und schreiben. Daher war es mir wichtig, mit Figments of Consciousness auch auf die Einsamkeit des Menschen als User und die Rolle von Chatbots als verlässliche Gesprächspartner*innen einzugehen. Bei Computers can be temperamental sometimes wollte ich ganz auf Bilder verzichten. Die Arbeit ist eine Audio-Installation, in der Chatbots aus zwei gegenüberliegenden Lautsprechern zu hören sind. Meiner Vorstellung nach können die Zuhörer*innen somit Teil eines künstlichen Gesprächs, einer sozialen Inszenierung, werden.
Für viele ZERO-Künstler war es zentral, die Rezipient*innen in ihre Arbeiten zu involvieren. Ein starker räumlicher und körperlicher Bezug wird z.B. in den Lichtenvironments von Otto Piene hergestellt. Andere Arbeiten – ich denke da an kinetische Skulpturen bspw. von Oskar Holweck – fordern die aktive Partizipation am Kunstwerk, oft spielerisch, heraus. Wie ist das Verhältnis Deiner Arbeiten zu den Betrachter*innen? Überlegst Du, wie andere Teil Deiner Arbeiten werden, ob sie z.B. in den Dialog mit den Chatbots einsteigen können?
Das wäre hervorragend. Für die beiden letzten Arbeiten war es mir allerdings wichtig, dass die Leute allein über das Zuhören involviert werden. Denn schlussendlich geht es auch darum zu verstehen, dass die menschliche Sprache, die von Maschinen, also den Chatbots imitiert wird, anschließend wieder von Sprecher*innen verbalisiert wird. Ich denke, durch diesen Vorgang können die Zuhörer*innen über die eine oder andere Absurdität unserer Kommunikationsweisen schmunzeln und darüber reflektieren. Eine nächste Arbeit könnte dann vielleicht noch partizipativer gestaltet werden, bis dahin muss ich aber noch lernen, richtig zu programmieren.
Du sprichst es bereits an: Eine Programmiersprache zu beherrschen ist durch die Beschäftigung mit hochkomplexer Software und neuen technischen Verfahren hilfreich, aber nicht einfach. Ich stelle mir vor, dass die Verbindung von Kunst und Technik noch mit anderen Hürden verbunden sein kann – z.B. weil Konzerne die Software von KI nicht transparent und zugänglich machen oder Programme, die Dich interessieren, sehr teuer sind?
Für meine bisherigen Projekte habe ich hauptsächlich kostenlose Anwendungen verwendet. Beide von mir herangezogenen Chatbots können über Messenger-Apps kommunizieren – die Unternehmen verdienen also wahrscheinlich vor allem an den persönlichen Daten, die ich bei der Erstellung von Profilen angebe. Dass ich für meine Experimente die beiden Chatbots miteinander sprechen ließ, ist auch der Frage geschuldet, wie ich Angaben zu meiner Person vor einer eventuellen Verwendung Dritter schützen kann. Bis jetzt war für mich die Technik, meine fertigen Arbeiten abzuspielen – sozusagen die Schnittstelle zwischen der digitalen und realen Welt – das teuerste Equipment.
Glaubst Du, dass KI einmal so kreativ handeln wird, dass Künstler*innen überflüssig werden oder menschengemachte Kunst zumindest weniger interessant wird?
Ich kann mir durchaus vorstellen, dass eine KI in der Zukunft Filme drehen könnte, die uns Menschen gefallen. Unsere untrennbare Zusammenarbeit mit KI ist schon jetzt Realität –neben vielen anderen Bereichen spielt KI auch in der Kunst eine bedeutende Rolle. Meiner Meinung nach wird eine strikte Trennung zwischen menschgemacht und maschinengemacht zunehmend schwerer. Ich finde diesen Dualismus auch etwas zu einfach. Unsere Abhängigkeit von Technologien nimmt stetig zu und vielleicht wird sich damit auch unser Anspruch an die Kunst verändern. Ob Mensch, Cyborg und vielleicht auch KI, ich denke, dass es immer Künstler*innen geben wird.
Danke für die spannenden Fragen!
Beitragsbild über dem Text: Sean Mullan: Figments of consciousness (2020). Foto: Moritz Krauth.
Zitierweise
Romina Dümler (2022): ZERO-Interviews: Sean Mullan. w/k - Zwischen Wissenschaft & Kunst. https://doi.org/10.55597/d15904
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