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Verbindungen zwischen Wissenschaft und (bildender) Kunst

Text: Peter Tepe | Bereich: Allgemeines zu „Kunst und Wissenschaft“

Übersicht: Hauptziel der Bestandsaufnahme des w/k-Herausgebers ist es, die Verbindungen zwischen Wissenschaft und bildender Kunst vollständig zu erfassen, voneinander abzugrenzen und auf wertneutrale Weise zu ordnen. In diesem Zusammenhang wird auch über das Verhältnis zwischen Wissenschaft und Kunst im Allgemeinen nachgedacht.

Vorwort: Zum Aufbau der Bestandsaufnahme

Zunächst zu den Begriffen „Wissenschaft“ und „Kunst“. Zu den Wissenschaften gehören die Mathematik, die Naturwissenschaften, die Medizin, die Sozialwissenschaften, die Geistes- bzw. Kulturwissenschaften, die Philosophie; möglicherweise kommen noch weitere Disziplinen hinzu. Zu den Künsten bzw. Kunstformen können gerechnet werden: Literatur, Theater, Film, Musik, bildende Kunst, Fotografie, Tanz, Architektur. Diese Einteilung folgt einer heute weithin üblichen institutionellen Trennung, die historisch gewachsen ist: Wissenschaften und Künste werden zumeist in unterschiedlichen Einrichtungen unterrichtet und praktiziert.

Über das Verhältnis von Wissenschaft und Kunst denkt man in den letzten Jahren (wieder) verstärkt nach. Häufiger begegnen in den Texten Aussagen und Fragen wie die folgenden:

„Das Verhältnis von Kunst und Wissenschaft scheint erneut in Bewegung geraten zu sein. […] Die Kunst wird als Wissenschaft, die Wissenschaft als Kunst begriffen. Die Unterscheidung zwischen beiden scheint hinfällig geworden zu sein – oder zu werden. Werden Kunst und Wissenschaft(en) durchlässiger für einander?“[1]

In solchen Fällen ist erstens immer zu klären, was die Thesen genau besagen, zweitens sind sie einer kritischen Prüfung zu unterziehen und drittens ist bei haltbaren Aussagen herauszufinden, ob die faktisch vorliegende institutionelle Trennung zwischen Wissenschaften und Künsten dadurch wirklich hinfällig wird. Diese wichtige Diskussion ist in w/k vor allem im Bereich Kunsttheoretisches zu führen.

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Hauptziel der Bestandsaufnahme des Herausgebers ist es, die Verbindungen zwischen Wissenschaft und bildender Kunst vollständig zu erfassen, voneinander abzugrenzen und auf wertneutrale Weise zu ordnen. In diesem Zusammenhang wird streckenweise aber auch über das Verhältnis zwischen Wissenschaft und Kunst im Allgemeinen nachgedacht. Die anderen Kunstformen stehen zwar nicht im Zentrum der Untersuchung, aber manchmal wird ein Blick auf sie geworfen.

Die Untersuchung ist in zweierlei Hinsicht als work in progress zu verstehen. Zum einen wird sie in sechs Kapiteln veröffentlicht; zum anderen wird sie danach regelmäßig aktualisiert und erweitert, um Fehler korrigieren und neue Entwicklungen erfassen zu können. Machen Nutzer etwa darauf aufmerksam, dass eine bestimmte Verbindung zwischen Wissenschaft und bildender Kunst bislang unberücksichtigt geblieben ist, so wird sie in die verbesserte Fassung einbezogen; Entsprechendes gilt, wenn erkennbar geworden ist, dass sich eine solche Verbindung präziser als bisher bestimmen und klarer von den anderen abgrenzen lässt. Die Nutzer sind aufgefordert, sich an der Fortscheibung der Bestandsaufnahme des Herausgebers zu beteiligen.

Zu unterscheiden ist zwischen individuellen und kollektiven Wissenschaft-Kunst-Verbindungen. Eine individuelle Verbindung dieser Art liegt vor, wenn ein Einzelner in seiner Arbeit eine solche Verbindung herstellt. Dafür gibt es bezogen auf die bildende Kunst grundsätzlich zwei Möglichkeiten:

  1. Ein bildender Künstler[2] setzt sich in seiner künstlerischen Arbeit mit bestimmten wissenschaftlichen Theorien/Methoden/Ergebnissen auseinander, ist aber nicht selbst wissenschaftlich tätig. In w/k wird er als wissenschaftsbezogener bzw. wissenschaftsbezogen arbeitender Künstler bezeichnet.
  2. Ein Individuum ist sowohl wissenschaftlich als auch künstlerisch tätig. Im Online-Journal werden solche Menschen als Grenzgänger zwischen Wissenschaft und bildender Kunst eingeordnet. Mit diesem Begriff ist keine Wertung verbunden: Fernzuhalten ist die Vorstellung, ein solcher Grenzgänger sei allein aufgrund seiner Doppelkompetenz ein besserer Künstler als ein Nur-Künstler und/oder ein besserer Wissenschaftler als ein Nur-Wissenschaftler. Das schließt jedoch nicht aus, dass sich eine solche Wertung im Einzelfall verteidigen lässt.

Wissenschaftsbezogene Künstler und Grenzgänger treten aber nicht nur in der bildenden Kunst auf, sie können in allen Kunstformen vorkommen. Das ist die erste Aussage über das Verhältnis zwischen Wissenschaft und Kunst im Allgemeinen.

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Genauerer Untersuchung bedarf der Komplex künstlerische Forschung/Artistic Research, der erst in Kapitel 5 ausführlicher behandelt wird. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt reicht die folgende Auskunft aus: In einigen Fällen steht „künstlerische Forschung“ für ein Denken und Handeln von (bildenden) Künstlern, das keinerlei Bezüge zur Wissenschaft aufweist; in anderen Fällen steht der Begriff hingegen für diese oder jene Form wissenschaftsbezogener (bildender) Kunst im Sinne der obigen Bestimmung. Manchmal wird auch der Anspruch erhoben, mit künstlerischen Mitteln wissenschaftliche oder wissenschaftsähnliche Erkenntnisse zu produzieren. Die zweite und die dritte Variante sind für w/k von vorrangigem Interesse, die erste wird aber ebenfalls berücksichtigt, um klare Abgrenzungen vornehmen zu können.

Nun zu den kollektiven Wissenschaft-Kunst-Verbindungen. Eine solche liegt vor, wenn mindestens ein Wissenschaftler und mindestens ein Künstler im Rahmen eines bestimmten Projekts zusammenarbeiten. Hierfür gibt es bezogen auf die bildende Kunst zunächst einmal zwei Möglichkeiten:

  1. Mindestens ein bildender Künstler wirkt an einem wissenschaftlichen Forschungsprojekt mit. Ein historisches Beispiel ist die Beteiligung eines Zeichners, Malers oder Fotografen an einer naturwissenschaftlichen Forschungsreise.
  2. Mindestens ein Wissenschaftler beteiligt sich an einem Gestaltungsprojekt, das nicht in allen Fällen in einem engeren Sinn als künstlerisch zu bezeichnen ist. Das kann z.B. ein Bauvorhaben sein oder eine große Installation, die auf wissenschaftliche Unterstützung angewiesen ist.

Bei den Kooperationen sind

  1. auch Konzepte der ästhetischen Wissenschaft zu verorten. Martin Tröndle versteht darunter einen „Prozess, der das spezifische Wissen und die Kompetenzen von Künstlern nutzt, um sie in anderen Kontexten als dem Kunstsystem zur Anwendung zu bringen: Künstlerische Kompetenzen und Arbeitsweisen werden mit wissenschaftlichen verwunden, um problemorientiert neues Wissen zu generieren. […] Zentral sind […] Formen der sinnlichen Erkenntnis in einem wissenschaftlichen Kontext zur Generierung neuen Wissens. […] Die Fabrikation von anderem Wissen, was ein allein wissenschaftliches oder künstlerisches Vorgehen nicht vermocht hätte, findet im Forschungsprozess als soziale Praxis selbst statt.“[3]

In Allgemeines zu „Kunst und Wissenschaft“ ist in der kritischen Diskussion zu klären, ob der Anspruch, durch eine spezifische Kooperation zwischen Künstlern und Wissenschaftlern neues Wissen zu erzeugen, das auf andere Weise nicht hätte gewonnen werden können, der Prüfung standhält.

Eine besondere Form der Verbindung zwischen Wissenschaft und Kunst aller Art stellt die Verwendung künstlerischer Komponenten bzw. Elemente in der wissenschaftlichen Lehre und/oder in wissenschaftlichen Publikationen dar. Hier ist ebenfalls zwischen individuellen und kollektiven Nutzungen zu unterscheiden:

  1. Eine Form der individuellen Nutzung künstlerischer Komponenten in diesen beiden wissenschaftlichen Kontexten ist die folgende: Ein Wissenschaftler zitiert in einer Lehrveranstaltung oder einer Publikation[4] Passagen aus einem Gedicht, einer Erzählung, einem Drama, um seine wissenschaftliche Argumentation durch ein Beispiel aus einem anderen Bereich auf leicht nachvollziehbare Weise zu verdeutlichen. Mit einem vergleichbaren Ziel kann er auch Abbildungen von Werken bildender Kunst verwenden, Fotos zeigen, Musikstücke abspielen usw. Ferner können sich sowohl die Darstellungsweise in wissenschaftlichen Arbeiten als auch deren Aufbau an künstlerischen Formen orientieren.
  2. Eine kollektive Nutzung künstlerischer Elemente im wissenschaftlichen Kontext liegt z.B. vor, wenn Theaterelemente in eine Vorlesung eingebaut werden. An einer solchen Aufführung sind außer dem Dozenten, der vielleicht selbst mitmacht, auch andere Personen beteiligt, etwa Studierende, andere Dozenten, professionelle Künstler von außerhalb der Universität.

Im Übergangsfeld zwischen einer individuellen und einer kollektiven Verwendung künstlerischer Elemente kann der Fall verortet werden, dass der Dozent in einem wissenschaftlichen Seminar die Studierenden z.B. eine spezifische Zeichen- oder Malaufgabe erledigen lässt, um für bestimmte wissenschaftliche Fragestellungen zu sensibilisieren.

Von der Verwendung künstlerischer Komponenten in der Wissenschaft ist der wissenschaftliche Rückgriff auf ästhetische Kriterien in einem weiten Sinn des Wortes abzugrenzen. So wird in der Mathematik und anderen Disziplinen häufiger gesagt, die Theorie a sei eleganter bzw. schöner als die Theorie b – und deshalb vorzuziehen.

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Die Bestandsaufnahme der Verbindungen zwischen Wissenschaft und (bildender) Kunst ist wie folgt gegliedert:

Kapitel 1: Grenzgänger zwischen Wissenschaft und (bildender) Kunst

Kapitel 2: Wissenschaftsbezogene Kunst

Die beiden ersten Kapitel konzentrieren sich auf die beiden Hauptformen der individuellen Wissenschaft-Kunst-Verbindung. Die wissenschaftsbezogen arbeitenden Künstler sind zwar deutlich häufiger anzutreffen als die Grenzgänger; begonnen wird aber mit den Letzteren, da diese das umfassendere Phänomen darstellen.

Kapitel 3: Kooperationen zwischen Wissenschaftlern und Künstlern

Kapitel 4: Künstlerische Komponenten in der wissenschaftlichen  Lehre und in Publikationen

Kapitel 5: Künstlerische Forschung/Artistic Research

Kapitel 6: Das Verhältnis der Wissenschaften zur ästhetischen Erfahrung

Das zuletzt genannte Kapitel ist erforderlich, da die z.B. auf wissenschaftliche Forschungsergebnisse gerichtete Erfahrung des Schönen, die der Sphäre der Kunst noch vorgelagert ist, öfter als Verbindung zwischen Wissenschaft und Kunst missverstanden wird.

Mit den im Vorwort vorgenommenen und später genauer zu behandelnden Unterscheidungen ist das Ziel verbunden, den auf das Verhältnis von Wissenschaft und Kunst bezogenen Sprachgebrauch im Sinne einer in die Öffentlichkeit hineinwirkenden Sprachkritik zu verbessern. Üblich ist es etwa, von einer Verbindung zwischen Wissenschaft und Kunst bzw. von einer Synthese zwischen beiden zu sprechen. Das ist nicht falsch, aber dort, wo es um die Erkenntnis des jeweiligen Zusammenhangs zwischen Wissenschaft und Kunst geht, nicht genau genug. Berücksichtigt man die Unterscheidungen, so gelangt man zu präziseren Auskünften: So ist z.B. die Nutzung wissenschaftlicher Theorien/Methoden/Erkenntnisse für die eigene künstlerische Tätigkeit, wie der wissenschaftsbezogen arbeitende Künstler sie vollzieht, eine deutlich andere Verbindung von Wissenschaft und Kunst als die Mitarbeit eines Künstlers in einem wissenschaftlichen Forschungsprojekt. Die unterschiedlichen Verbindungen von Wissenschaft und Kunst sollten nicht alle in einen Topf geworfen werden. Erkenntnismäßig ist es auch unbefriedigend, vage von einer Annäherung zwischen Künstlern und Wissenschaftlern zu sprechen, sondern die Art der Zusammenarbeit ist so genau wie möglich zu bestimmen.

Mit der Unterscheidung verschiedener Verbindungen zwischen Wissenschaft und (bildender) Kunst sind keine Vorhersagen der künftigen Entwicklung der Wissenschaften und der Künste verbunden. Angenommen, ein Künstler stützt sich im Jahr 2050 auf eine im Jahr 2045 neu begründete Wissenschaftsrichtung und bezieht sich künstlerisch auf deren Ergebnisse. Heute können weder valide Aussagen über diese neuartige Wissenschaft und deren Ergebnisse noch über die künstlerische Reaktion darauf gemacht werden. Man kann aber vorab Folgendes sagen: Wenn der Künstler die neuartigen wissenschaftlichen Ergebnisse, Methoden usw. nur rezipiert, nicht aber zusätzlich eigenständig wissenschaftlich forscht, so ist er den wissenschaftsbezogen arbeitenden Künstlern und nicht den anderen Formen der Verbindung zwischen Wissenschaft und Kunst zuzuordnen.

Beitragsbild über dem Text: Peter Tepe: Verbindungen zwischen Wissenschaft und Kunst (2016). Foto: Jens Helmus.


[1] G. Gamm: Vom Wandel der Wissenschaft(en) und der Kunst. In D. Mersch / M. Ott (Hrsg.): Kunst und Wissenschaft. München 2007, S. 35–51, hier  S. 35f.
[2] Mitzudenken sind stets auch die Künstlerinnen. Entsprechendes gilt für alle vergleichbaren Formulierungen.
[3] M. Tröndle: Zum Unterfangen einer ästhetischen Wissenschaft – eine Einleitung. In: M. Tröndle / J. Warmers (Hrsg.): Kunstforschung als ästhetische Wissenschaft. Beiträge zur transdisziplinären Hybridisierung von Wissenschaft und Kunst, Bielefeld 2012, S. XV–XVIII, hier S. XVI.
[4] Gemeint sind hier Lehrveranstaltungen und Veröffentlichungen, die nicht in einem weiten Sinn des Wortes kunstwissenschaftlicher Art sind, also z.B. naturwissenschaftliche Seminare. In den Kunstwissenschaften i.w.S. sind Kunstphänomene ja Gegenstände der Forschung.

Zitierweise

Peter Tepe (2016): Verbindungen zwischen Wissenschaft und (bildender) Kunst. w/k - Zwischen Wissenschaft & Kunst. https://doi.org/10.55597/d602

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