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Wissenschaft als Kunst – Kunst als Wissenschaft

Text: Tabea Lamberti | Bereich: Allgemeines zu „Kunst und Wissenschaft“

Übersicht: Das zunehmende Interesse für die Verbindung von Kunst und Wissenschaft ist bereits seit mehreren Jahren beobachtbar. In den Fokus rückt dabei vermehrt der Brückenschlag zwischen Kunst und Naturwissenschaft. In Jena, einem klassischen Wissenschaftsstandort, möchte man mit dem Projekt Künstlerische Tatsachen nicht nur einen Dialog zwischen den Disziplinen ermöglichen, sondern Kunst und Kultur perspektivisch in Jena ansiedeln und mit den bestehenden wissenschaftlichen Institutionen vernetzen.

Künstlerische Tatsachen als dialogisches Projekt im Trafo Jena 

Lichtstadt ist die Selbstbezeichnung der kreisfreien Großstadt Jena in Thüringen. Die Profilausrichtung der Friedrich-Schiller-Universität Jena ist unter dem Slogan Light, Life, Liberty verschlagwortet, und die Losung der Ernst-Abbe-Hochschule Jena lautet Innovation für Lebensqualität. Jena ist als Wissenschaftsstandort für seine großen Forschungs- und Bildungseinrichtungen bekannt, so beispielsweise für das Max-Planck-, Frauenhofer- und Leibniz-Institut. Auch ist Jena ein prominenter Standort für Technikforschung – unter anderem durch das Institut für Datenwissenschaften des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt – und für die Naturwissenschaften, zu nennen wären hier das Max-Planck-Institut für Chemische Ökologie oder die Optikwerke Carl Zeiss Jena. Weniger präsent sind hingegen die Kunst- und Kulturszene, noch weniger die Ausläufer bildender Künste. Dabei steht die Verbindung von Kunst und Wissenschaft seit einigen Jahren im Interesse der Forschung und ist zum Ausgangspunkt diverser Diskurse geworden (Berger 2017; Borgdorff 2005; Fischer 2014).

Mit ihrem Projekt Künstlerische Tatsachen hat sich das Team rund um den Leiter Enrique Torres der Wechselwirkung beider Bereiche gewidmet. Für die damit zusammenhängenden Ideen und Konzepte wurde im Trafo in Jena ein Ort geschaffen: Der Kunst einen neuen Raum zu geben und diesen auf produktive Weise mit den zentralen Pfeilern der Stadt zu verbinden, ist das Anliegen. Seit 2014 wird die ehemalige Traformationenstation von In’s Netz e.V. als Innovationslabor genutzt und mit diversen Kulturangeboten im Vorderhaus – dem ehemaligen Trafobereich – bespielt. Nun wird mit dem Art-&-Science-Residenzprogramm auch das Magazin im Hinterhaus mit Ateliers für die Künstler*innen belebt. 

Zur Verbindung von Kunst und Wissenschaft

Einleitend wird eine kurze Rahmung des begrifflichen Umfelds erfolgen. Darin werden die – für den Beitrag relevanten – Bezüge zum Verhältnis von Kunst und Wissenschaft ideengeschichtlich gefasst. Nachfolgend wird die Beziehung von Kunst und Wissenschaft anhand dieses in Jena beheimateten Projekts aufgezeigt und an verschiedenen projektassoziierten künstlerischen Positionen und Werkbeispielen exemplifiziert. 

Die Verbindung von Kunst und Wissenschaft und die Frage nach ihrem Verhältnis sind nahezu so alt wie die Bereiche selbst. Während noch in der Renaissance Wissenschaft und Kunst im Bildungskanon zu gleichen Teilen Platz fanden, erfolgte eine Trennung beider Bereiche im späten 18. Jahrhundert (vgl. Ingrisch/Weinbhuber 2017: 44). Friedrich Schleiermacher reflektierte das Verhältnis von Kunst und Wissenschaft in seiner Dialektik und deutete damit auf ein wechselseitiges Verhältnis hin, das dem heutigen Verständnis nahe zu kommen scheint: „Jedem kunstmäßigen Verfahren kann ein Wissen vorangehen oder nicht. Im ersten Fall ist es vollkommener.“ (Schleiermacher 1822: 418).

Dass die über 100 Jahre später aufgestellte Behauptung von Theodor W. Adorno, die Trennung von Kunst und Wissenschaft sei irreversibel (vgl. Adorno 1958: 15) – die sich im Übrigen auf die Hybridform des Essays bezog –, längst überholt ist, steht außer Frage. Die neue Perspektivierung, die begrifflich mit Art-&-Science Einzug in die Forschungsdiskurse gehalten hat, stellt kein Novum mehr da, doch unterliegt sie einer Veränderung. Was Donna Haraway „Implosion von Natur und Kultur“ (Haraway 1995: 105) nennt und die Kunst- und Medienwissenschaftlerin Ingeborg Reichle erklärend als „Grenzüberschreitung, um zu einer Neuaneignung von ‚Welt‘ in einem weniger verstellten ideologischen Rahmen zu gelangen“ (Reichle 2015: 235), bezeichnet, beschreibt das veränderte Verständnis vom Verhältnis zwischen Kunst und Naturwissenschaft. Demnach verlagere sich die Kunst und deren Produktion bereits seit den 1980er Jahren immer häufiger in den Bereich der Labore. Technoscience, die Technowissenschaft, ersetzt damit die traditionelle Naturwissenschaft und ihr Naturverständnis und weckt das Interesse zahlreicher Künstler*innen (vgl. ebd.: 233f.). Reichle merkt in Analogie zu Haraway an, dass es in der Neuausrichtung der Technowissenschaft zwar nicht um eine grundsätzliche Aufhebung beider Bereiche, doch aber um die Auflösung der „Ideologie der Trennung“ (ebd.: 235) gehe. Anders ist Bruno Latours Verständnis, der durch seine Hybridtheorie die dichotome Trennung aufzulösen versuchte (vgl. Latour 1995). Analog dazu beziehen sich neuere Ansätze auf die Verbundenheit der Bereiche Kultur und Natur – aus der Perspektive einer neuen, technifizierten Naturwissenschaft. Die Frage, in welchem Verhältnis die beiden Bereiche stehen, ist Ausgangspunkt zahlreicher Debatten. Kunst ist, wie schon Schleiermacher bemerkte, eine Form der Wissensvermittlung: „Die Kunstlehre in der Kunst muß Wissenschaft, das Verfahren in der Wissenschaft muß Kunst geworden sein.“ (Schleiermacher 1822: 418). Elke Bippus verweist auf die Bedeutung künstlerischer Praxis, wenn es heißt, dass diese nicht mehr nur entlang der Werke, der Objekte und Ausstellungen gedacht, sondern durch die Verschränkung mit anderen Wissensbereichen, Theorien und Diskursivierungen diskutiert werde (vgl. Bippus 2009: 8). Dabei erscheint jedoch nicht die Untersuchung des Verhältnisses, sondern das Ergebnis einer solchen Verbindung besonders produktiv. Was entsteht also, wenn Kunst und (Natur-)Wissenschaft aufeinandertreffen?

Entstehung einer künstlerischen Tatsache – Kunst und Wissenschaft im Trafo Jena

Diese Frage ist ein Motor des Formats Künstlerische Tatsachen (KT), das nun in der lange Zeit ungenutzten Transformationsstation beheimatet ist. Unter anderem auf Initiative von Fridtjof Florian Dossin – wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Raumplanung und Raumforschung der Bauhaus-Universität Weimar – wurde der Raum um das Trafo herum erschlossen. Er kam 2020 auf Enrique Torres zu, um neue Ideen und Projekte zu realisieren. Für Torres, der in Wien Cross-Disciplinary-Strategies an der Universität für angewandte Kunst studiert hat und von Reichle inspiriert wurde, lag die Idee, ein Projekt rund um Art-&-Science zu entwickeln, nahe. In einer Stadt, in der ein tradierter Wissenschaftszugang großgeschrieben wird und bildende Kunst kaum institutionalisiert ist, bot sich ein Brückenschlag zwischen beiden Bereichen und ein Aufbrechen fester Normen und Vorstellungen an. Erste Ideen wurden 2020 in wöchentlichen, kollektiven Videokonferenzen und Arbeitsgruppen entwickelt. Wegweisend waren dabei die Anregungen und der Austausch mit Reichle sowie der Medienkünstlerin und Game-Designerin Margarete Jahrmann. Erstere konstatiert in ihrem Beitrag Art & Science Collaborations: The Question of the Limits in der KT begleitenden Publikation: 

„The program promotes collaboration between artist and scientists to amplify ways of knowing which will enable the circulation of epistemic reflection within diverse fields of knowledge through formal and informal get-togethers.“ (Reichle 2022: 8).

Das Miteinander verschiedener Forschungsformen und deren Perspektiven bildet den Ausgangspunkt des Projekts. So beschreibt auch Enrique Torres im Gespräch Künstlerische Tatsachen als „etwas, das entsteht, wenn viele verschiedene Köpfe aus unterschiedlichen Disziplinen zusammenkommen“. Der Projekttitel ist in Anlehnung an Ludwig Flecks Buch Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache (1935) entstanden, in dem dieser das Konzept einer sozial und kulturell verankerten Wissenschaft reflektiert. Diesem Ansatz folgend, versucht auch das KT-Team im Sinne einer Art-&-Science-Community das Wissenschaft-Kunst-Verhältnis neu zu denken. KT erweitert diese Dichotomie um eine Komponente: die der Bürger*innen. Neben dem Residenz-Programm, das den Kern des Projekts bildet, entsteht die Workshop-Reihe kT Fellows, konzipiert von dem Kunstvermittler und Gestalter Gabriel Dörner, die einen Dialog zwischen allen Akteur*innen ermöglichen soll. KT beabsichtigt mit der Öffnung die Partizipation der Bürger*innen, um darüber hinaus eine weitere – oftmals fachfremde – Perspektive zu gewinnen. So sind alle Interessent*innen dazu eingeladen, sich einzubringen und durch dialogische Formate am Projekt teilzuhaben. Gemäß dem diesjährigen Thema Tension widmete sich ein Workshop körperlicher und menschlicher Spannung und setzt die Ergebnisse performativ um. Der Workshop Wie Kunst Wissen schafft fragte nach der Bedeutung von Licht und erarbeitete mit der Lichtkünstlerin Rosemarie Weinlich unter anderem Schattenpanoramen, die filmisch festgehalten und in der Ausstellung präsentiert wurden. 

Interaktive Formate beim diesjährigen Mitmachprogramm: Teilnehmende erkunden beim Workshop mit Vanessa Flesch, wie Körper Spannung erzeugen. (2022). Foto: Anna Perepechai/Künstlerische Tatsachen.
Teilnehmende des Workshops Wie Körper Spannung erzeugen. (2022). Foto: Anna Perepechai/Künstlerische Tatsachen.

Mit dieser Trichotomie aus Kunst, Wissenschaft & Bürger*innenbeteiligung möchte KT Kunst perspektivisch in Jena etablieren. Im Innovationslabor für zeitgenössische Kunstformen und Medien nutzt Künstlerische Tatsachen mit seinem Residenzprogramm die vorhandene Infrastruktur und sorgt damit für eine Verstetigung der Transformationsstation als dialogischer Knotenpunkt für Gegenwartskunst in Jena. Das Residenzprogramm ermöglicht fünf internationalen Künstler*innen einen dreimonatigen Forschungsaufenthalt in Kooperation mit wissenschaftlichen und ortsansässigen Institutionen. Die anschließende Ausstellung schließt das Residenzprogramm ab.  

Das Projekt wird vornehmlich von der Carl-Zeiss-Stiftung und der Kulturstiftung Thüringen gefördert. Durch die Vernetzung mit anderen Kultureinrichtungen Jenas, wie beispielsweise dem Kassablanca, sollen regionale Ausstellungsformate enstehen, die eine Verstetigung ermöglichen und befördern. Dieser Ansatz unterstützt dabei ebenfalls das Ziel, den Austausch zwischen den verschiedenen Akteur*innen niederschwellig zu halten und Grenzen abzubauen. Mit der Schaffung von KT entsteht nicht nur ein besonderes Residenzprogramm, das Künstler*innen unterstützt, sondern auch eine Verortung von Kunst in einer von einem klassischen Wissenschaftsverständnis geprägten Stadt wie Jena.

Kunst, so die Annahme des kollaborativen Vorhabens, generiert neue ästhetische Zugänge zur Wissenschaft: So schafft Kunst in Verbindungen mit verschiedenen Wissenschaften andere, transdisziplinäre Methodenzugänge, fördert Diversifizierung – indem vermeintlich Nebensächliches behandelt wird –, erhält und setzt neue Impulse und fungiert nicht ausschließlich als Übersetzerin und vermittelndes Element, sondern richtet sich selbst an wissenschaftlichen Standards aus (vgl. Bippus 2009: 9). Synonym bietet der Standpunkt, Kunst als neuschaffende, nicht als ergänzende Komponente zu begreifen, andere Zugangsweisen zur und Betrachtungsweisen der Wissenschaft. Etwa wenn Kunst die „unbewussten Voraussetzungen der Wissenschaft zugänglicher machen“ (ebd.) soll. Von den ästhetischen und subjektiven Blickwinkeln der Kunst kann wiederum die Wissenschaft profitieren, wie die Projekte der Stipendiat*innen 2021 eindrucksvoll zeigen. Die Künstlerin Masami Saito beispielsweise arbeitete mit Wissenschaftler*innen des Hans-Knöll-Instituts zusammen und setzte sich mit Bakterien und Pilzen des Darms auseinander. Sarah Vielreicher benennt im Interview mit KT den methodischen Gewinn, den sie aus der Arbeit gezogen hat:

„I would say we definitely took away an incredible amount – both from the collaboration with Masami and from the opportunity we had to peek into the other artists’ studios. It’s that typical thinking outside the box. I think that will make us aware in our daily work how special some things can be for other people.“ (Torres 2022: 61).

Dabei sind die Grenzen zwischen beiden Wissensmodi fließend. Daher sollte einem diesbezüglich oftmals ins Feld geführten Dualismus eher mit der Betonung des dialektischen Potentials, also der gegenseitigen produktiven Wechselwirkung von Kunst und Wissenschaft, begegnet werden. Das Ziel des Formats KT ist es, Wissenschaft durch eine künstlerische Stimme sicht- und erlebbar zu machen: 

„We understand our practice as assigning value and creating trust in the results and impact of artistic research and establishing a stable cooperation with the local research institutes and the Friedrich-Schiller-University Jena plays a key role in that endeavour.“ (ebd.: 6) 

In einer reziproken Zusammenarbeit entstehen folglich unerwartete und innovative Ansätze, die sich für beide Seiten – für KT und die Universität Jena – als anregend erweisen, beispielsweise in der 2021 entstandenen Kooperation zwischen der Künstlerin Andrea Garcia Vasquez und der chemischen Ökologin Pooja Metha, die sich den Unterschieden und Gemeinsamkeiten von Mensch und Pflanze widmeten. In einem von zwei Projekten The Invisible Colony hat Vasquez mit dem Fusarium-Pilz gearbeitet und diesen auf Textil mit mikroskopischen Aufnahmen sichtbar gemacht. Die künstlerische Umsetzung transportiert wissenschaftliche Ergebnisse, die so für das menschliche Auge erkennbar werden. Durch die stoffliche Verarbeitung entsteht darüber hinaus eine Verbindung zwischen traditionell männlich gelesener Naturwissenschaft und weiblicher Textilkunst; sie bricht mit gängigen Stereotypisierungen (vgl. ebd.: 33-36). 

Ergänzt wird die naturwissenschaftliche Zusammenarbeit durch Kooperationen mit Partner*innen der Humanwissenschaften, wie etwa dem Lehrstuhl für Klinische Psychologie mit Ilona Croy, Yvonne Friedrich und Mehmet Mahmut. Mit Wolfgang Frietzsche vom Leibniz-Institut für Photonische Technologie und Franziska Eberl von der Universität Jena begann die erste gemeinschaftliche Arbeit. Seither sind neue Partner*innen hinzugekommen, in diesem Jahr zum Beispiel Cynthia Möller, Andreas Beelmann, Annika Kleinschmidt, Frederike Wistuba und Matthias Koch vom Zentrum für Rechtsextremismusforschung, Demokratiebildung und gesellschaftliche Integration. Auch das Deutsche Optische Museum mit Maria Dienerowitz und Sören Groß, das Hans-Knöll-Institut mit Cláudia Vilhena, Jakob Sprague und Zoltán Cseresnyés und das IMPULS research consortium,vertreten durch Olivia Engmann, sind Teil des Praxisteams (vgl. www.kuenstlerische-tatsachen.de/cooperations).

Die Künstlerin Lisa Hopf und die Wissenschaftlerin Ekaterina Podlesnaia arbeiten gemeinsam im Labor des Leibniz-Instituts für Photonische Technologien (2022). Foto: Anna Perepechai/Künstlerische Tatsachen.
Lisa Hopf und Ekaterina Podlesnaia im Labor des Leibniz-Instituts für Photonische Technologien (2022). Foto: Anna Perepechai/Künstlerische Tatsachen.

Das Residenzprogramm und seine Künstler*innen 

Im Mittelpunkt des Projekts steht das Residenzprogramm, für das jedes Jahr fünf internationale Künstler*innen ausgewählt werden und über den Sommer hinweg, von Juli bis zur Ausstellungseröffnung im Oktober, gemeinsam mit ihren Kooperationspartner*innen ein künstlerisch-wissenschaftliches Projekt erarbeiten. Der Auswahlprozess geschieht in einem Dreischritt: Zunächst werden die wissenschaftlichen Partner*innen ausgewählt, daraufhin können sich Künstler*innen bewerben, und erst dann werden die Teams zugeteilt. Die Zuordnung der Teams erfolgt durch ein Gremium, das nach Bewerbungsschluss sogenannte Matches erstellt. Durch den stetigen Austausch der Kooperationspartner*innen entwickelt sich ein kontinuierlicher Transformationsprozess der Kunst, aber auch des künstlerisch-wissenschaftlichen Verständnisses. Die „neuen Formen des Denkens“ (2017: 49), die Ingrisch und Weinhuber durch die Beschäftigung mit den Schnittstellen von Wissenschaft und Kunst postulieren, stehen ebenfalls im Einklang mit dem Erkenntnisinteresse von KT. Die Frage nach dem Verhältnis von Kunst und Wissenschaft wird in den Projekten selbst fortlaufend reflektiert und neu verhandelt. Dass Forschung in der Kunst für die Künstler*innen jeweils anders gedeutet und umgesetzt wird, zeigt sich an den vielen verschiedenen Zugängen, die gewählt werden. Auch darin liegt eine Besonderheit des Programms. 

Das Resultat wird in der anschließenden öffentlichen Ausstellung von Oktober bis November präsentiert. Durch die begleitenden Workshop-Formate werden die Teilschritte kontinuierlich transparent gemacht und können dank der Diskursformate von den Bürger*innen genutzt werden. Darüber hinaus bieten die Sozialen Medien (Instagram: kuenstlerische_tatsachen oder Twitter: KTatsachen) die Möglichkeit Produktionsprozesse zu begleiten, so etwa durch Video- und Liveformate mit kleinen Blicken hinter die Kulissen. Beteiligung wird nicht nur auf Bürger*innenebene großgeschrieben. So suchten die fünf Künstler*innen 2022 auch ihre Kuratorin selbst aus. 

Laut Doris Ingrisch und Katharina Weinhuber haben Künstler*innen, die sich an Grenzen von Disziplinen bewegen und gattungsübergreifend arbeiten, einen biographischen Hintergrund, der dieses ‚Sowohl-als-auch in irgendeiner Form‘ bereits erkennen lässt. Wenn etwa ein Elternteil eher praktisch und ein Elternteil künstlerisch-musisch orientiert ist, kann sich dies auf die Ausrichtung des Kindes auswirken (vgl. Ingrisch/Weinhuber 2017: 47). Ähnliches lässt sich auch bei KT beobachten: Beinahe alle Künstler*innen haben einen disziplinübergreifenden Lebenslauf. Kristina Cyan studierte Bildende Kunst und Architektur in St. Petersburg und Moskau, später Kunst und Digitale Medien an der Wiener Akademie der bildenden Künste. In Jena arbeitet sie mit dem Zentrum für Rechtsextremismusforschung zusammen und untersucht, welchen Einfluss Medien auf politische Entscheidungen haben. Ihre Arbeit hinterfragt Wechselwirkungen von Politik und Wissenschaft und verbindet diese mit Kunst. So zeigen die Arbeiten Efficient surveillance on invisible rays und Artefacts of the future 1/2/3 einen Videoessay sowie aus Acryl gefertigte und durch Hitze verformte Skulpturen an Ketten. Ihre Arbeit besteht aus einer Fülle an Materialien: Metall, Glas, Aluminium, Textil und Sand kamen zum Einsatz. 

Ausstellungsansicht von Kristina Cyans Videoessay Efficient surveillance on invisible rays (2022). Foto: Anna Perepechai/Künstlerische Tatsachen.
Ausstellungsansicht von Kristina Cyans Videoessay Efficient surveillance on invisible rays (2022). Foto: Anna Perepechai/Künstlerische Tatsachen.

In Kooperation mit dem Leibniz-Institut für photonische Technologie und der Abteilung für Biologische Psychologie und kognitive Neurowissenschaft betrachtet Lisa Hopf das Verhältnis von Wahrnehmung und menschlichem Gehirn. In Weimar und Jena hat sie Freie Kunst sowie Mathematik auf Lehramt studiert und arbeitet seither vorrangig plastisch. Die entstandenen Werke sind als Beitrag zu „spätkapitalistische[n] Arbeitsformen im Dienstleistungssektor“ (www.kuenstlerische-tatsachen.de/residency) zu verstehen. 

Maxime Chabal, der aktuell im Master an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg studiert, konzentriert sich in seinen Arbeiten auf menschliche Verfallsprozesse und setzt sich mit Körperlichkeit und Zerbrechlichkeit auseinander. Er arbeitet transdiziplinär, sowohl performativ als auch dreidimensional. Während seiner Residenz kooperiert er mit dem Lehrstuhl für Klinische Psychologie und dem Hans-Knöll-Institut. Das Ergebnis entfaltet sich in seinen installativ-arrangierten Arbeiten haut-le-coeur, untitled – My heart became my stranger: strange precisely because it was inside – Fireflies burn their wings on public lighting sowie in Core #3 und Core #4.

Monika Dorniaks Hintergrund ist so vielfältig wie ihre künstlerische Arbeit: In London und Berlin studierte sie Modedesign, Tanz und Bildende Kunst und ergänzte diese Ausbildung anschließend um ein Psychologiestudium in Trier. In Zusammenarbeit mit dem Lehrstuhl für Klinische Psychologie, dem IMPULS Forschungskonsortium und dem Deutschen Optischen Museum widmet sie sich der Sinneswahrnehmung psychisch erkrankter Personen und verarbeitet deren Erfahrungen in Performances und tragbaren Körperkartografien, wie ihre Arbeiten Pikaia’s Ossature und Your Body is a Water Vessel zeigen. 

Ausstellungsansicht von Monika Dorniaks Kunstwerk Pikaia’s Ossature (2022). Foto: Anna Perepechai/Künstlerische Tatsachen.
Ausstellungsansicht von Monika Dorniaks Kunstwerk Pikaia’s Ossature (2022). Foto: Anna Perepechai/Künstlerische Tatsachen.

Virtual Reality steht im Mittelpunkt der künstlerischen Arbeit Nahye Gus, die in Seoul Kunsthandwerk und zeitgenössische Kunst studierte. Sie untersucht in Verbindung mit Forscher*innen des Hans-Knöll-Instituts, wie krankheitserregende Bakterien von ihrem Wirt lernen und überführt die gewonnenen Erkenntnisse in ein installatives Arrangement ihrer Arbeiten Twins, Twins II und Three squares. 

Durch den disziplinübergreifenden Austausch entsteht auf diese Weise ein heterogenes Bild von Art-&-Science, dessen Implementierung in den Kunstdiskurs auch das Profil Jenas als Wissenschaftsstandort schärft. 

Literatur: 

Adorno, Theodor (1958): Der Essay als Form. In: Ders.: Noten zur Literatur I. Frankfurt am Main. 

Berger, Wilhelm (2017): Die Künste und die Wissenschaften – eine glückliche Begegnung? In: Wissenskulturen im Dialog. Vol. 120, S. 53-68. 

Bippus, Elke (2009): Einleitung. In: Dies. (Hg.): Kunst des Forschens. Praxis eines ästhetischen Denkens. Zürich/Berlin. 

Fischer, Roland (2014): Plädoyer für eine Begegnung auf Augenhöhe. In: Schwarz Weiss, Nr. 2, ohne Paginierung. 

Haraway, Donna (1995): Die Neuerfindung der Natur. Primaten, Cyborgs und Frauen. Frankfurt am Main/New York.

Ingrisch, Doris/Weinhuber, Katharina (2017): Wissenschaft, Kunst & Gender. Skizzen. In: Dies. et al. (Hg.): Wissenskulturen im Dialog. Bielefeld, S. 43-52.

Reichle, Ingeborg (2015): Kunst aus dem Labor – Im Zeitalter der Technowissenschaften. In: Andreas Hetzel/Gerhard Gamm (Hg.): Unbestimmtheitssignaturen der Technik. Eine neue Deutung der technisierten Welt. Bielefeld, S. 233-253. 

Saupe, Angelika (2002): Verlebendigung der Technik: Perspektiven im feministischen Technikdiskurs. Karlsruhe.

Reichle, Ingeborg (2022): Art & Science Collaborations: The Question of the Limits. In: Enrique Torres (Hg.): Entstehung einer künstlerischen Tatsache. Jena, S. 8-9.  

Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst (2002): Kritische Gesamtausgabe. [2. Abt. Vorlesungen. Bd. 10, Teilb. 1.] Berlin/New York. 

Torres, Enrique (2022): Entstehung einer künstlerischen Tatsache. In: Ders. (Hg.): Entstehung einer künstlerischen Tatsache. Jena. 

Internetquellen:

https://www.instagram.com/kuenstlerische_tatsachen. Zugegriffen: 09. November 2022

http://www.kuenstlerische-tatsachen.de/residency. Zugegriffen: 09. November 2022

http://www.kuenstlerische-tatsachen.de/cooperations. Zugegriffen: 09. November 2022

https://twitter.com/KTatsachen. Zugegriffen: 09. November 2022

Beitragsbild über dem Text: Die Künstlerin Nahye Gu zusammen mit den Wissenschaftler*innen Cláudia Vilhena und Zoltán Cseresnyés des Hans-Knöll-Instituts (Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie e. V. Hans-Knöll-Institut) Jena (2022). Foto: Anna Perepechai/Künstlerische Tatsachen.

Zitierweise

Tabea Lamberti (2022): Wissenschaft als Kunst – Kunst als Wissenschaft. w/k - Zwischen Wissenschaft & Kunst. https://doi.org/10.55597/d17641

Ein Kommentar

  1. hubert Mayer hubert Mayer 6. Januar 2023

    Danke für die breitere Aufstellung von K/W in Kooperation mit Mitwirkungsangeboten und Ausstellungsmöglichkeiten.
    Mein Interesse kreist um die Thematik „Transformation von Molekülen der Biologie im Mikro- und Nano-bereich in Malerei“. Em Wissenschaftler in molekularer Genetik und jetzt Maler. Siehe paper in W/K. An einer Ausstellungsmöglichkeit wäre ich interessiert

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