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Talk To Me – Eine Kollaboration zwischen Kunst und Wissenschaft

Text: Natalie Sontopski | Bereich: Über „Kunst und Wissenschaft“

Übersicht: Eine Auseinandersetzung mit Künstlicher Intelligenz (KI) erfordert für Kulturwissenschaftler*innen und Kunstschaffende interdisziplinäre Kompetenzen zwischen Wissenschaft, Technik und Kunst – wie aber lassen sich diese erfolgreich vermitteln? Dieser Erfahrungsbericht schildert anhand der experimentellen Hochschulkooperation My Home is my Burg den Versuch, das Zusammenspiel von Technik und Kultur künstlerisch-wissenschaftlich zu bearbeiten. Ziel ist ein tieferes theoretisches Verständnis von Chatbots, Robotern und maschinellem Lernen sowie von KI im Allgemeinen zu erzeugen und die Fähigkeit herbeizuführen, zwischen diesen Systemen und Gegenständen zu unterscheiden. Außerdem wird die Etablierung einer Mensch-Maschine-Interaktion angestrebt. Diesbezüglich soll mit künstlerischen Mitteln ein sorgsamerer Umgang mit Daten vermittelt sowie Sensibilität bezüglich des Umgangs mit Normativitätsvorstellungen geschaffen werden, die oftmals in Datensätze eingeschrieben sind.

In der Arbeit des Komplexlabors Digitale Kultur der Hochschule Merseburg steht von Beginn an die Vermittlung digitaler Kultur im Fokus. Denn die neue digitale Kultur, welche sich im Zuge der Digitalisierung entwickelt hat, wird oft mit digitaler Technik und den mit ihr verbundenen Technologien gleichgesetzt. Diese Definition ist allerdings unzureichend:

„Weder wird der Mensch der Maschine angepasst, noch wird die Maschine dem Menschen angepasst.“ (Meißner 2017: 285)

Zunächst muss ein intuitives Zusammenspiel der beiden hergestellt werden. Digitale Kultur ist dabei keine bloße Ansammlung von Robotern, 3D-Druckern, Virtual-Reality-Brillen, Computern oder Tablets, sondern meint das Zusammenspiel von Technik und gestaltender Gesellschaft sowie die Reflexion dieser Verflochtenheit:

„What matters is not technology itself, but the social or economic system in which it is embedded.“ (Langdon 1980: 122)

Diese Entschlüsselung gelingt im Komplexlabor durch interdisziplinäre angewandte Forschung, um z.B. die Beziehung zwischen Gestaltung, imaginären Bildern und Stereotypen bei digitalen Assistenzsystemen wie Apples Siri oder Amazons Echo zu beleuchten. Ein Beispiel: 2019 wurde der Prototyp MiauMiau gebaut, eine alternative Sprachassistenz, welche in der Interaktion mit Nutzer*innen gelangweilt, unfreundlich oder schmollend reagiert. Die erfolgreiche Kollaboration mit MiauMiau erlaubte eine Verbindung von spekulativem Design, d.h. einem forschungsorientierten, experimentellen Designansatz (vgl. Dunne/Raby 2013) und qualitativer Sozialforschung, durch die alternative Szenarien digitaler Kultur im Rahmen einer künstlerisch-ästhetischen Erfahrung erprobt und erforscht werden konnten. Aus diesem Projekt entstand der Wunsch, diese interdisziplinäre Zusammenarbeit von Wissenschaft und Kunst in einen institutionellen Kontext zu übersetzen und auszuweiten.

Amelie Goldfuss und Natalie Sontopski: MiauMiau (2020). Prototyp einer alternativen Sprachassistenz. Foto: Natalie Sontopski.
Amelie Goldfuss und Natalie Sontopski: MiauMiau (2020). Foto: Natalie Sontopski.

In diesem Artikel soll am Beispiel des Projekts Talk To Me – Disembodied Voices and the Politics of Human-Machine-Conversation die Einbettung dieser interdisziplinären Kollaboration in einen institutionellen Rahmen zwischen Wissenschaft und Kunst dargestellt werden.

AI-Literacy vermitteln

Unter der Leitung von Professor Stefan Meißner ist das Komplexlabor Digitale Kultur seit 2018 als Teil des Verbundprojekts TransINNO_LSA an der Hochschule Merseburg angesiedelt. Der Ausgangspunkt für die Forschung des Labors ist, dass ein wesentlicher Teil unserer Lebenswelt digital geworden ist und sich die Omnipräsenz von Digitalität als digitale Kultur begreifen lässt. Diese Kultur hat kein Wesen, sondern wird fortwährend durch Praktiken von Akteur*innen und Institutionen hervorgebracht und geformt. Darunter fallen jene Praktiken, die von Akteur*innen in der virtuellen Realität, also einer interaktiven virtuellen Umgebung, entstehen und gestaltet werden. Ebenso gehören dazu Praktiken, die im Kontext eines sogenannten Makerspace hervorgebracht werden. Darunter wird im Allgemeinen eine offene Werkstatt nach Do-it-Yourself-Prinzip verstanden, welche den Zugang zu vor allem digitalen Fertigungsverfahren eröffnet. Dazu zählen z.B. 3D-Druck, Computerized Numerical Control (CNC) Maschinen, Fräsen, simple Microcontroller wie Arduino oder Laser-Cutter. Außerdem zählen zur digitalen Kultur Praktiken, die durch Akteur*innen und Institutionen im Kontext von maschinellem Lernen und KI hervorgebracht werden. Der Oberbegriff des maschinellen Lernens bezeichnet dabei ein durch Algorithmen gebautes statistisches Modell, das mit Hilfe von Daten an Beispielen trainiert wird und danach gelernt hat, Muster in Daten zu erkennen. Oft wird das verallgemeinernd auch als Artificial Intelligence (AI), zu deutsch KI, bezeichnet. Die Kultur des maschinellen Lernens, der Virtual Reality und des Makerspace bilden das Fundament der Arbeit im Komplexlabor. Durch experimentelle Aneignung und spielerisches Ausprobieren von digitalen Techniken sollen neue mediale Praktiken von Anwender*innen genutzt und weiter erforscht werden. Dabei spielen sowohl eine methodische Erforschung und theoretische Analyse der gesellschaftlichen und kulturellen Konsequenzen digitaler Kultur im Rahmen eines interdisziplinären Forschungsansatzes eine Rolle als auch die Entwicklung eines Sinns für die Komplexität und Kontingenz digitaler Kultur durch künstlerisch-ästhetische Erfahrbarkeit.

Eine Dimension digitaler Kultur, die im Komplexlabor untersucht wird, ist die Kultur maschinellen Lernens. Im Fokus des Forschungsinteresses steht dabei hauptsächlich die Vermittlung einer sogenannten AI-Literacy. Das Konzept von Literacy beschreibt einerseits ein Vermögen und eine Kompetenz, andererseits kann es auch als Literalität in Differenz zur Oralität begriffen werden. In Anlehnung an Stefan Meißners begriffliche Herleitung des Begriffs der Maker Literacy (vgl. Meißner 2022) wird AI-Literacy im Rahmen des Komplexlabors als eine Literalität in Differenz zur Sprache verstanden, welche durch Betrachtung von Prozessen des maschinellen Lernens eingeübt wird. Fähigkeiten wie Programmieren oder Medienkompetenz spielen hierbei zwar durchaus eine Rolle, im Fokus des medienhistorisch informierten Konzepts der AI-Literacy steht allerdings das Ziel, die „sich durch die Etablierung digitaler Kultur verschiebende[n] Selbst-, Sozial- und Weltverhältnisse“ (ebd.: 25) sichtbar zu machen. Der Erwerb von AI-Literacy ist demnach gleichzusetzen mit dem kompetenten Umgang mit diesen neuen Verhältnissen. Wie das im Einzelnen aussehen kann, soll im Folgenden ausführlich dargestellt werden.

Im Zuge der Arbeit an Einübungsformaten zur AI-Literacy kam es zu einer interdisziplinären Kollaboration zwischen Amelie Goldfuss (Kunsthochschule Burg Giebichenstein Halle) und mir. Das gemeinsame Projekt MiauMiau war bereits eine künstlerische Umsetzung einer alternativen Sprachassistenz, welche das gewohnt serviceorientierte Verhalten verweigerte, das man von ähnlichen Produkten wie Amazon Echo oder Google Home gewohnt ist (vgl. Sontopski 2021: 11). Im Zuge dieser Kollaboration entdeckten wir, dass die Kombination der unterschiedlichen disziplinären Hintergründe hilfreich bei der Arbeit an einem komplexen Thema wie KI und maschinelles Lernen war: So eröffneten sich durch scheinbar naive Nachfragen durch jemanden mit einem anderen disziplinären Hintergrund neue kritische Perspektiven, und es erweiterte sich die thematische Bandbreite der Diskussion. Außerdem half die Kollaboration bei der Ausdifferenzierung von komplexen Argumenten.

Diese Art der Kollaboration war auch geeignet, um aus dem Elfenbeinturm akademischer Forschung auszubrechen: Als Soziologin bekam ich eine Einführung in spekulatives Design und praxisbasierte Forschung, in denen Artefakte und Prototypen selbst gebaut wurden. Statt lediglich über Phänomene der digitalen Kultur zu lesen und zu schreiben, lag der Fokus auf der eigenen Partizipation am Prozess sowie der praktischen Arbeit. Die Industriedesignerin Amelie Goldfuss wiederum bekam durch die Zusammenarbeit einen Einblick in die Anwendung empirischer Methoden sowie einen theoretischen Forschungsansatz im Feld der Science and Technology Studies (STS), der vom Lesen und Anwenden geeigneter Forschungsliteratur begleitet wurde. Da wir beide diesen Gewinn von neuem Knowhow und frischen Perspektiven auf das eigene Forschungsthema als sehr wertvoll empfanden, entstand die Idee, unsere Zusammenarbeit in einen institutionellen Rahmen zu übersetzen und eine Kollaboration beider Hochschulen zu initiieren.

Amelie Goldfuss: My Home is my Burg (2021). Digitale Grafik. Foto: Amelie Goldfuss.
Amelie Goldfuss: My Home is my Burg (2021). Foto: Amelie Goldfuss.

Dank der Bemühungen von Professor Christian Zöllner (Burg Giebichenstein) und Professor Stefan Meißner (Hochschule Merseburg) konnte eine offizielle Kooperation zwischen den beiden Hochschulen etabliert werden. Mit dem Start im Sommersemester 2021 begann eine fortlaufende interdisziplinäre Kollaboration, in der Student*innen verschiedener Studiengänge zusammenkamen und -kommen, um die sozialen, kulturellen und ästhetischen Dimensionen von KI und maschinellem Lernen zu erforschen. Dies sollte zunächst in Form eines Seminars stattfinden, in dem Teilnehmende die Gelegenheit haben würden, in einem interdisziplinären Projekt zusammenzuarbeiten. Das Seminar sollte aus einem Mix von experimentellen Formaten, spekulativen Elementen, angewandter Praxis sowie einem theoretischen Framework bestehen, um Studierende dazu anzuleiten, Technik und Technologie aus einer neuen interdisziplinären Perspektive zu denken. Da sowohl Amelie Goldfuss als auch ich uns in unserer jeweiligen Forschung mit strukturellen Beziehungen von Geschlecht, Gender und Macht bei Sprachassistenzen wie Apples Siri oder Amazons Echo beschäftigen, war der Ausgangspunkt des Seminars die Suche nach alternativen Möglichkeiten, Sprache, Gender und Design bei diesen KI-Anwendungen zu gestalten, ohne Stereotype zu (re)produzieren. Folgende Forschungsfragen sollten dabei das Seminar strukturieren:

  • Müssen Sprachassistenzsysteme eine weibliche Stimme und Persona haben?
  • Müssen Sprachassistenzsysteme anthropomorphisierend dargestellt werden?
  • Was ist notwendig, um diesbezüglich alternative Prototypen, Geräte oder Interfaces zu entwickeln und zu gestalten?

Bereits in der Vorbereitungsphase traten die logistischen und administrativen Herausforderungen deutlich hervor: Wie z.B. lassen sich Studierende mit einem Design-Hintergrund mit Studierenden mit sozialwissenschaftlichem oder humanistischem Hintergrund zusammenbringen? Manche der Studierenden waren es gewohnt, selbstständig an eigenen Projekten zu arbeiten, während andere wiederum an standardisierte Tests und wöchentliche Seminarstrukturen gewohnt waren. Auch die technischen Fähigkeiten variierten stark: Einige der Studierenden hatten gute Kenntnisse in Programmiersprachen, Videoschnitt und dem Umgang mit Computer-Hardware, andere hingegen hatten sich in ihrer bisherigen akademischen Laufbahn wenig bis gar nicht mit den praktischen Seiten von Technik und Technologie auseinandergesetzt. Angesichts solcher Überlegungen wurde schnell klar, dass dieses Seminar nicht nur experimentell in der Natur der Fragestellung war, sondern auch ein Experiment in interdisziplinärer Administration und Kommunikation.

Maschinelles Lernen verlernen

Bereits sehr früh in der Planungsphase manifestierten sich Forschungsfragen, welche zum Ausgangspunkt von Lehre, Forschung und Vermittlung wurden. Um das weite Feld der KI inhaltlich einzugrenzen, wurde entschieden, sich auf eine Untersuchung von digitalen Assistenzsystemen, Smart Speakers und Voice Interfaces zu konzentrieren. Die folgenden Fragen sollten den Studierenden als Ausgangspunkt für ihre Projekte dienen:

  • Warum sind die meisten digitalen Assistent*innen weiblich?
  • Wieso müssen digitale Assistent*innen überhaupt vermenschlicht präsentiert werden? Wieso wohnen sie alle in zylinderförmigen Objekten?
  • Was sind die sozialen und politischen Dimensionen dieser Technik?
  • Wie lassen sich Themen wie der Umgang mit Daten durch Tech-Konzerne, der Verbrauch an Ressourcen wie Energie oder Metallen der seltenen Erden sowie die Ausbeutung menschlicher Arbeitskräfte adressieren?
  • Und schließlich: Können Strategien der Spekulation als Werkzeug feministischer Kritik in Bezug auf Sprachtechnologie und KI-Anwendungen wie digitalen Assistenzsysteme genutzt werden?

Ziel des Projekts war es, generell verbreitete Annahmen über Technik zu hinterfragen und zu verlernen – und im Laufe dieses Prozesses Konzepte von Sprache, Gender und Design in Frage zu stellen. Das Seminar war deswegen so aufgebaut, dass die Studierenden von einer Inspirationsphase über eine Phase des In-Frage-Stellens hin zu praktischem Prototyping angeleitet wurden.

Das Seminar begann mit einer Einführung in ausgewählte relevante Forschungsliteratur sowie in verschiedene Konzepte aus dem Bereich der Sprach- und KI-Technik, der Mensch-Maschine-Interaktion, feministischer Science and Technology Studies (STS) und Maschinenethik. Diese Einführung war dazu gedacht, die Studierenden zu kritischem Denken anzuregen und durch entsprechende Forschung zu inspirieren. Unter anderem gab es von uns als Buchclub betitelte regelmäßige Treffen, in denen Lehrende und Studierende zusammenkamen und Texte wie z. B. Internet of Things von Mercedes Bunz und Graham Meikles oder Zoe Sofias Container Technologies diskutierten. Die Lektüre sowie die daran anknüpfenden Diskussionen sorgten für ein theoretisches Fundament, das später die Entwicklung und den Bau der Prototypen unterstützte.

Beispielbild Buchclubtreffen: Digitale Diskussion (2021), Screenshot, Foto: Natalie Sontopski
Beispielbild Buchclubtreffen: Digitale Diskussion (2021). Foto: Natalie Sontopski.

Daneben wurde das Seminar mit einer Reihe von Workshops eingeleitet, in denen den Teilnehmenden praktische Fähigkeiten im Feld von Sprach- und KI-Technik vermittelt wurden. Dazu gehörte ein Workshop zum Prototyping von Chatbots, zur Nutzung des Katalogs von Machine-Learning-Modellen der Online-Plattform Runway und zu Techniken interdisziplinärer Kollaboration. Die dort erlernten Praktiken und Fähigkeiten konnten Studierende später für den Entwurf und die Gestaltung ihrer eigenen künstlerischen Arbeiten einsetzen.

Es erschien uns außerdem wichtig, den künstlerischen Horizont aller Teilnehmenden durch Gespräche mit Künstler*innen, Forscher*innen und Designer*innen zu erweitern, die zum Thema KI arbeiten:

  • Wie sieht Ihr Prozess aus?
  • Mit welchen Mitteln und Werkzeugen setzen Sie Ihre Ideen um?
  • Woher kommen Ihre Ideen?
  • Was kann uns Ihre Arbeit für den eigenen Prozess lehren?

So gab uns die KI-Forscherin Alexa Steinbrück einen faszinierenden Einblick in die Welt der Sprachtechnologie, die Science-Fiction-Expertin Isabella Hermann analysierte mit uns die Differenz zwischen Inspiration und Metaphern sowie deren Einfluss auf Produktdesign, und die Künstler*innen Libby Heany, Tobias Revell und Ottonie von Röder stellten uns ihre Arbeiten und den Prozess dahinter vor. Versehen mit diesem praktischen und theoretischen Rüstzeug begannen die Studierenden in interdisziplinären Teams oder alleine eigene Ideen zu entwickeln. Sie fragten:

  • Was können alternative Wege sein, um digitale Assistenzsysteme zu gestalten?
  • Worin liegt das pragmatisch-nützliche, wo das poetisch-narrative Potential von digitalen Assistent*innen?
  • Wie lässt es sich herausarbeiten?
  • Und wie lässt sich der Stimme eine Form geben?

Begleitet wurde diese Praxisphase von regulären Konsultationen mit jedem Team. Hier wurden die aktuellen Ideen und Entwürfe vorgestellt, Probleme sowie nächste Schritte besprochen. Die im Seminar durch die Studierenden produzierten Arbeiten beleuchteten unter anderem Aspekte des Anthropozäns, der Intimität und der Kehrseiten von Utopien. So widmete sich das Projekt response der Metapher des wood wide web und entwarf ein Szenario, in dem Fruchtkörper zur Hardware und Myzelgeflechte zum Datennetzwerk eines Sprachassistenzsystems werden.

Sasha Becker, Lara Kuom und Lena Hartmann: Response (2021). Beispielbild der Seminararbeit. Foto: Sasha Becker, Lara Kuom und Lena Hartmann.
Sasha Becker, Lara Kuom und Lena Hartmann: Response (2021). Foto: Sasha Becker, Lara Kuom und Lena Hartmann.

Durch den Fokus auf nichtmenschliche Kommunikation sollten Betrachter*innen eingeladen werden, die normalisierte Begegnung mit digitalen Assistenten*innen zu hinterfragen. Die Arbeit Christoph wiederum entwickelt den Prototypen einer digitalen Assistenz, welche körperlich im Verlauf der Kommunikation mit Nutzer*innen expandiert und diesen User*innen so neben Interaktion auch die Möglichkeit für physische und platonische Nähe bietet. Auf diese Weise wurde auch ein Vorschlag präsentiert, wie das Digitale sichtbar und fassbar gemacht werden und wie Nähe zu digitalen Artefakten aussehen kann.

Yang Ni: Christoph (2021). Beispielbild der Seminararbeit. Foto: Yang Ni.
Yang Ni: Christoph (2021). Foto: Yang Ni.

Das Projekt Stereolith 2.0 setzt sich in Anlehnung an Stanley Kubricks visionären Film 2001: Odyssee im Weltraum mit den Folgen von Mensch-Maschine-Interaktion auseinander und diskutiert anhand popkultureller Referenzen die Bedeutung des technischen Fortschritts.

Konrad Kosse und Joris Grahl: Stereolith (2021). Beispielbild der Seminararbeit. Foto: Konrad Kosse und Joris Grahl.
Konrad Kosse und Joris Grahl: Stereolith (2021). Foto: Konrad Kosse und Joris Grahl.

Fazit

Dieses Seminar war in jeder Sicht ein Experiment, das unsere Ziele und Hoffnungen in vielerlei Hinsicht erfüllte. So haben wir es geschafft, über Disziplinen und Hochschulen hinweg eine gemeinsame Sprache zu entwickeln, in der eigene Ideen kreiert und ausgedrückt werden können, wir waren erfolgreich darin, individuelle Fähigkeiten zu einem gemeinsamen Schaffensprozess zu verweben und damit des eigenen künstlerischen Potentials gewahr zu werden. Vor allem aber hat dieses Experiment den Teilnehmenden erfolgreich eine Einübung maschineller Lernprozesse geboten und so eine AI-Literacy vermittelt. Durch die Lektüre von Texten, durch Diskussionen und die Entwicklung eigener Prototypen konnten die durch die Etablierung von KI-Techniken verschobenen Selbst-, Sozial- und Weltverhältnisse sichtbar gemacht werden. Dies betraf insbesondere die Gender-Macht-Beziehungen zwischen Sprache, Design und KI-Artefakten.

Die Teilnehmenden – Studierende des Bachelor-Studiengangs Industriedesign an der Burg Giebichenstein sowie des Master-Studiengangs Angewandte Kultur- und Medienwissenschaften an der Hochschule Merseburg – brachten sehr verschiedene Kompetenzen in das Seminar mit: von Programmiersprachen und dem Umgang mit der Physical-Computing-Plattform Arduino, mit Sensoren und Codes über Filmdreh und -schnitt, bis hin zu empirischer Sozialforschung, Projektmanagement, Lektorat, Theater und Urban Design. Das Seminar erlaubte ihnen, erste Gehversuche im interdisziplinären Arbeiten zu unternehmen und ihre eigenen Fähigkeiten in gemeinsamen Projekten zu verbessern, über den akademischen Tellerrand hinauszuschauen und neue Kompetenzen im Arbeiten mit digitalen Techniken und Technologien zu erwerben. Aus diesem melting pot an verschiedenen Arten von Kreativität, Arbeitsabläufen und Kommunikationsstilen entwickelte sich im Laufe des Seminars ein gemeinsames Vokabular, um kollaborativ an Projekten zu arbeiten.

Gleichzeitig bedeutete das gemeinsame Arbeiten auch, erfolgreich Kompromisse auszuhandeln und nachhaltige Arbeitspakete mit konstruktiven Ergebnissen zu strukturieren. Dennoch kam es innerhalb des Seminars auch zu Frustrationen. Die Studierenden zweifelten beispielsweise phasenweise an der Aussagekraft ihrer Ideen oder kämpften mit deren Umsetzung. Solche Zweifel und das Ringen mit der Frage, wie sich die eigene Idee am besten umsetzen lässt, sind jedoch untrennbar mit dem kreativen Schaffensprozess verbunden.

Insgesamt lässt sich festhalten, dass das Experiment einer interdisziplinären Kollaboration in einem institutionellen Rahmen zwischen Wissenschaft und Kunst erfolgreich war. Ein tieferes theoretisches Verständnis sowie die Fähigkeit zur begrifflichen Differenzierung zwischen KI, Chatbots, Robotern und maschinellem Lernen konnte über disziplinäre und institutionelle Grenzen hinweg erarbeitet und erste Schritte in Richtung einer kritischen Mensch-Maschine-Interaktion konnten unternommen werden. Außerdem wurden so Berührungsängste mit Technik abgebaut und eine AI-Literacy wurde erworben, welche sich für das akademische und künstlerische Schaffen der Beteiligten als hilfreich erweisen mag.

Literatur

Mercedes Bunz und Meikle, Graham Meikle: The Internet of Things, Cambridge (GB) 2017.

Anthony Dunne und Fiona Rabe: Speculative Everything, Cambridge (MA, USA), London 2013.

Stefan Meißen: Techniken des Sozialen: Gestaltung und Organisation des Zusammenarbeitens in Unternehmen, Wiesbaden 2017.

Stefan Meißner: Maker Literacy. Welche Literalität evoziert die Makerkultur?, in: Medienimpulse (58/4), Wien 2022.

Zoë Sofia: Container Technologies, in: Hypatia (15/2), San Francisco 2000.

Natalie Sontopski: Siri, warum kannst Du nicht wütend werden? Strategien der Spekulation als Instrument feministischer Praxis, in: Freiburger Zeitschrift für Geschlechterstudien (27/11), Freiburg 2021.

Langdon Winner: Do Artifacts Have Politics?, in: Daedalus (109/1), Cambridge (MA, USA) 1980.

Zitierweise

Natalie Sontopski (2021): Talk To Me – Eine Kollaboration zwischen Kunst und Wissenschaft. w/k - Zwischen Wissenschaft & Kunst. https://doi.org/10.55597/d15468

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