Ein Gespräch mit Irene Daum | Bereich: Interviews
Übersicht: Der Bildhauer Odo Rumpf schafft Skulpturen aus Stahl und Industrie-Fundstücken. Der Kölner Künstler studierte Maschinenbau und arbeitete als Ingenieur, bevor er sich der Bildhauerei zuwandte. Im Interview geht er auf seine persönliche Entwicklung und seinen Arbeitsprozess beim Bau von Skulpturen ein und erläutert, wie das Wissen aus seinem Studium in sein künstlerisches Schaffen einfließt. Odo Rumpf ist ein Grenzgänger zwischen Wissenschaft und bildender Kunst, der bei einigen Projekten auch mit Wissenschaftlern/Technikern kooperiert.
Herr Rumpf, Sie haben in den letzten Jahren mit Odonien ein einzigartiges Kultur- und Veranstaltungszentrum geschaffen, das weit über Köln hinaus bekannt ist. Ab 13. Juni diesen Jahres wird in Odonien eine umfassende Retrospektive Ihres Schaffens als Bildhauer gezeigt. Sie sind vom Maschinenbau-Ingenieur zum Künstler geworden; in w/k ordnen wir Sie als Grenzgänger zwischen Wissenschaft/Technik und bildender Kunst ein – und interessieren uns für solche Konstellationen. Skizzieren Sie bitte diese Entwicklung.
Wie bei vielem in meinem Leben spielte der Zufall eine Rolle. Während meines Maschinenbau-Studiums in Aachen bestand mein Freundeskreis aus Künstlern und Designern. Um mein Studium zu finanzieren, arbeitete ich bei dem Bildhauer Thomas Virnich. Ich war an der Entwicklung von Installationen beteiligt, es war zuerst ein Brot-Job. Im Nachhinein war aber schon vieles, mit dem ich mich während meines Studiums beschäftigte, künstlerisches Arbeiten. Ich baute in meiner Wohnung Möbel und Objekte, probierte breit gefächert Kreatives aus – für mich, nicht als Künstler.
Während meines Studiums in den 1980er Jahren kam die Videotechnik auf. Ich lieh im Medienzentrum der Hochschule Geräte aus und experimentierte mit Effekten in Video-Arbeiten, lebte meine Kreativität aus. Ich machte bei Wettbewerben mit und gewann lokale Preise. Dann bin ich nach Neuseeland, um dort meine Diplomarbeit zum Thema Automatisierung und Expertensysteme in der Schweißtechnik bei Edelstahl zu schreiben. Danach bereiste ich Asien und Australien, bis ich kein Geld mehr hatte und mir klar wurde, dass ich mir einen Job als Diplom-Ingenieur suchen musste.
Warum entschieden Sie sich für ein ingenieurwissenschaftliches Studium?
Ich bastelte schon als Kind immer gerne, schraubte an Fahrrädern und Mofas, später an Motorrädern. Nach der Schule war die Richtung mehr oder weniger vorgegeben. Mein Vater war Ingenieur, und ein Studium im technischen Bereich entsprach meinen Interessen und meinem Knowhow. Es war eine Vernunftentscheidung, da gab es nicht viel zu überlegen. Hinzu kam, dass ich sofort nach dem Zivildienst einen Studienplatz an einer Elite-Hochschule, der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) in Aachen, bekam, was eine große Chance war. Ich nahm aber das Studium nicht im klassischen Sinne richtig ernst, ich wurstelte mich so durch.
Wie kamen Sie nach Ihrem Diplom in Maschinenbau an der RWTH Aachen zur Kunst?
Da war wieder ein Zufall im Spiel. Wegen einer hohen Abfindung nach dem Verkauf des Hauses, in dem ich lange zur Miete gewohnt hatte, hatte ich unerwartet viel Geld zur Verfügung. Ich arbeitete zunächst als Maschinenbau-Ingenieur an der Optimierung von Roboter-Straßen bei Renault in Paris. Ich war sehr engagiert, tüftelte auch nach Feierabend daran. Ich erkannte aber schnell, dass ein Schreibtisch-Job für mich nicht in Frage kam. Mit dem Geld von der Abfindung machte ich mit Video-Arbeiten und Filmen weiter. Ich drehte einen Dokumentarfilm über ein Kraftwerk und einen Werbefilm für einen Bohrer-Hersteller. Nach meinem Umzug nach Leverkusen begann ich dann, mit Hilfe der Schweißtechnik Möbel zu gestalten. Ich schuf Möbel aus Schrott, die durch technisches Knowhow ein edles Aussehen und eine zweckmäßige Funktion erhielten – an der Oberfläche glatt, ohne scharfe Kanten; dazu gehörte auch ein Stuhl mit Rollen, der sich leicht bewegen ließ. Das schlug 1991 wie eine Bombe ein. Dann kam ein weiterer Zufall ins Spiel. Der Besitzer des Fotoladens, bei dem ich die Fotos meiner Möbel entwickeln ließ, war von meinen Arbeiten begeistert und organisierte eine kleine Ausstellung in seinem Laden. Ich erstellte eine Mappe und ging damit zu Möbelläden in Köln und zu Zeitschriften. Im Jahr 1992 hatte ich schon 12 Ausstellungen mit meinen Möbeln, auch in Kunstvereinen.
Sie arbeiteten bei dem bekannten Bildhauer und Maler Prof. Thomas Virnich. In welchem Umfang hat er Ihre Entwicklung als Künstler beeinflusst?
Thomas Virnich hat mich stark geprägt. Wir haben gleich gedacht. Wir mochten es, Sachen auszuprobieren, zu experimentieren, Fundstücke zu bearbeiten. Von ihm habe ich gelernt, welche Faszination Kunst ausüben kann, aber auch, wie der Kunstmarkt funktioniert, wie man Ausstellungen macht. Ich bin von seiner Persönlichkeit, seiner Leichtigkeit, Lockerheit und seinem Humor sehr beeindruckt. Er lebt in einer Fantasiewelt, Kunst ist wie ein Eintauchen in eine Fantasiewelt. Wir haben vieles gemeinsam. Wir können beide sehr viel Arbeit in Kleinkram investieren, und die Ergebnisse der künstlerischen Arbeit (Objekte, Skulpturen) sind dann wie Kinder oder wie Lebewesen.
Seit 1991 arbeiten Sie hauptberuflich als freier Künstler, und Sie haben mehrere Kunstpreise erhalten. War die Hinwendung zur Kunst die richtige Entscheidung?
Mit Sicherheit. An Anfang überlegte ich oft, ob ich nicht doch als Ingenieur arbeiten sollte, da ich Geld verdienen musste und meine Studienkollegen gute Jobs hatten. Im Nachhinein erscheint meine Entwicklung zur Kunst hin alternativlos. Ich habe bei Null angefangen, war aber irgendwann so tief in der neuen Welt drin, dass es für mich keinen Weg zurück gab.
Eines Ihrer Markenzeichen sind Skulpturen aus Industrie-Fundstücken und Schrott; das sind eher ungewöhnliche Materialien. Was sind die Gründe für diese Wahl? Wo finden Sie Ihre Materialien, und wie entsteht ein Objekt?
Ich bin ein Sammler, ich sammle die Welt, die ich sehe. Manche Leute sammeln Blumen oder Briefmarken. Ich finde Dinge, die mich faszinieren, die nehme ich dann mit. Das machte ich schon als Kind. Ich sah z.B. einen verbogenen Träger in einer ausgebrannten Kapelle in Frankreich. Den arbeitete ich mit dem Brenner heraus, nahm ihn mit und machte einen Tisch daraus. Mich interessiert die Aura eines Fundstücks, die Assoziationen, die es mit sich bringt. Jedes Stück, das ich sammle, hat eine Bedeutung. Eine alte Niete aus einem Schiff löst eine Art Zeitreise aus in eine Zeit, in der noch mit Niettechnik gearbeitet wurde.
Wenn ich eine Skulptur oder ein Gebilde schaffe, funktioniert das wie ein Baukasten-System, aber dieser Begriff trifft es nicht ganz. Ich nehme alte Bleche, brenne sie aus, verforme sie mit dem Hammer, mache aus einem dreidimensionalen Stück etwas Zweidimensionales. So entsteht z.B. ein Wandrelief. Mich interessiert auch, was entsteht, wenn ich eine Struktur zuerst baue und dann wieder zerstöre, platt drücke. Vor einigen Jahren hatte ich einen meiner großen Saurier aus alten Blechteilen gebaut, fuhr damit zum größten Schrottplatz in Köln und wollte ihn in die Presse drücken, um zu sehen, was daraus entsteht. Die Schrotthändler wollten das nicht, fanden den Saurier viel zu schade dafür und kauften ihn mir ab. So fing das mit den Sauriern an. Der Mediapark hier in Köln beauftragte mich dann, zum Erscheinen des Kinofilms Lost World, dem Nachfolger von Jurassic Park, Saurier zu konstruieren. Parallel dazu machte ich eine Ausstellung. Mich interessiert immer wieder das Spielerische.
Sie vergleichen Ihre Arbeit mit der eines Archäologen, der Gefundenes zu einem neuen Ganzen zusammenfügt und dabei Kreatives mit handwerklichen Prozessen kombiniert. Könnten Sie den Vergleich und den Prozess, auf den er sich bezieht, näher erläutern?
Wie ich vorhin schon sagte, ist die Aura, die Geschichte eines Fundstücks von herausragender Bedeutung. Die Fundstücke werden von mir liebevoll sortiert und gelagert. Wenn dann eine Idee oder eine Vorgabe wie z.B. ein Thema für eine Ausstellung kommt, fange ich mit einem einzelnen Stück an. Die Sachen aus meinem Lager fügen sich zusammen, jedes Teil kommt dahin, wo es hingehört. Wie bei einem Archäologen, der Scherben zusammen setzt, die nicht zusammen gehören müssen, fügen sich bei mir Teile zu einem Ganzen zusammen. Ein Beispiel sind meine neuen Buddha-Arbeiten. Ich hatte in Indonesien eine Ausstellung mit Fundstücken von Buddha-Figuren. Ich ließ mir die Figuren später nach Köln schicken und integrierte sie in Odonien in Objekte aus hiesigen Industrie-Fundstücken.
Sie bauen häufig neuartige Maschinen. Viele Ihrer Skulpturen haben Großformate und sind mehr als 12 m hoch. In welchem Umfang sind Kenntnisse als Ingenieur erforderlich, um solche Formate zu schaffen?
Das Wissen über Eigenschaften von Materialien und Kräfteverläufe ist unerlässlich, wenn es um Großformate geht. In der Regel machen Künstler kleine Modelle, die dann groß gebaut werden. Bei mir ist es anders. Ich arbeite selten mit Modellen. Ich fange an und lasse Arbeiten wachsen. Bei einem Projekt in Monheim z.B. war meine Idee die eines angeschwemmten Ur-Sauriers. Teile des Sauriers kommen an vier Stellen aus der Erde, von oben betrachtet sieht man einen liegenden Drachen. Fragmente kommen aus dem Boden, riesige Drachenflügel aus Förderbändern, der umgedrehte Rumpf einer alten Hafenbarkasse bildet den Schädel. Stück für Stück werden dann die Augenhöhlen oder die Zähne durch andere Teile ergänzt. Es ist ein Prozess, bei dem ein Schritt den nächsten ergibt. Mit jedem neuen Teil ergeben sich neue Richtungen. Bei mir ist es wie bei einem Maler, der eine Idee im Kopf hat, es ist ein kontinuierlicher Schaffensprozess.
Ich muss bei meinen Großformaten auf vieles achten – auf Fundamente, Windkräfte, auf alles, was die Arbeit zum Einsturz bringen könnte, Gewichte und Verbindungen. Die Skulptur soll leicht wirken. Ich baue von Anfang an mein Knowhow als Ingenieur mit ein. Bei Audrey z.B., der Skulptur einer fleischfressenden Pflanze, die ich für ein Musical gebaut habe und die sich gewunden hochschlängeln sollte, habe ich von vornherein eingeplant, wie der Sockel gebaut werden muss, wo die Schwerpunkte liegen müssen usw. Bei Symposien treffe ich häufiger Künstler, die mit einer Skizze für ein Großformat zu mir kommen. Ich erkenne es sofort, wenn die Realisierung technisch nicht möglich ist, wenn die Skulptur von den physikalischen Gegebenheiten her so nicht gebaut werden kann.
Typisch für Ihr künstlerisches Werk sind solar angetriebene kinetische Skulpturen, wie z.B. die Arbeit Solarvogel aus dem Projekt BIRDS an der Rheinpromenade zwischen Maritim-Hotel und Schokoladenmuseum in Köln, bei der mittels Mikroprozessor, Sensoren und Servomotor die Flügel in Bewegung gesetzt werden. Andere Beispiele sind Ihre feuerspeienden Dinosaurier. Geht die Beschäftigung mit solchen Dingen auf Ihr Studium zurück?
Ich studierte im Hauptfach Konstruktionstechnik. Zu den neuen Entwicklungen gehörten damals Solartechnik und Energierückführung. Diese Erkenntnisse habe ich dann in meinen Kunstobjekten umgesetzt und dafür den europäischen Solarkunstpreis von Eurosolar e.V. bekommen. Damals war es neu, Sonnenenergie durch Bewegung direkt sichtbar zu machen. Bei meinen Objekten ist wichtig: Wenn die Sonne scheint, dann bewegt sich etwas – ohne Akkus.
In Ihrem Werk finden sich neben naturalistisch gestalteten Frauenskulpturen wie den Nova-Arbeiten und Fantasie-Figuren auch die Pflanzenobjekte. Pflanzen stehen auf den ersten Blick im Widerspruch zu Schrott und Industriefundstücken und lassen an die Botanik und an Belebtes denken.
Das Thema Pflanzen kam auf, als ich nach meinem Studium in alten Hallen arbeitete. Ich sah Pflanzen, die in einem alten Ausbesserungswerk aus der Wand kamen und in Schienen und Waggons wuchsen. Es hat mich fasziniert, wie die Natur sich Nischen sucht, um sich alles zurückzuerobern. Ich denke hier auch an das Musical Der kleine Horror-Laden im Ehrenhof in Düsseldorf, wo ich 1995 als Künstler für das Foyer und den Außenbereich zuständig war und meine Pflanzen zeigte. Wenn sie sich dann noch bewegen, kommt eine weitere Ebene hinzu. Eine Maschine, die sich ohne Funktion und Zweck bewegt, etwas in Bewegung setzt – für mich als Ingenieur ist das eine besondere Herausforderung. Hinzu kommen noch das Problem der Langlebigkeit bei bewegten Objekten, Fragen wie Materialauswahl, Regensicherheit, Verschleiß, Wartung.
Arbeiten Sie mit Wissenschaftlern anderer Disziplinen zusammen?
Ich kooperiere mit anderen Ingenieuren, z.B. aus dem Bereichen Pneumatik und Steuerungssysteme, sowie mit Fachleuten aus der Anwendung. Ich habe natürlich Grundkenntnisse aus dem Studium, aber es müssen aktuelle Hightech-Kenntnisse dazu kommen, wie z.B. bei meinem Solarvogel.
Wie kam es zur Gründung von Odonien und zum Schritt vom Künstler zum Kultur-Manager?
Die Entstehung von Odonien geht auf die Neugestaltung meines Arbeitsumfeldes im Jahr 2005 zurück. Ich musste auf ein brach liegendes Industriegelände in Köln umziehen. Ich brauchte viel Platz, um mein Material, dessen Transport 50 LKW-Fahrten erforderlich machte, zu lagern. Ich baute Räume und organisierte Stromanschlüsse. Künstler von der Kölner Medien-Kunsthochschule und der Düsseldorfer Kunstakademie fragten wegen einer Nutzung des Geländes für Installationen und Performances an, dazu kamen noch öffentliche Proben von Musikern. Im Laufe der Zeit kamen professionelle Veranstalter hinzu. Die Strukturen für Kunstaktionen sind da, und es kristallisieren sich immer wieder neue Ideen für die Nutzung von Odonien heraus.
In Odonien finden neben Ausstellungen auch zahlreiche Konzerte statt. Hat Ihre Arbeit einen Bezug zur Musik?
Besonders in den Anfangsphasen einer neuen Arbeit fasziniert mich die Erforschung der Geräusche, die beim Bearbeiten von Metall mit dem Schweißbrenner oder dem Winkelschleifer entstehen. Für mich war das immer Musik. Ich nahm Rhythmen und Klänge wahr und war erstaunt darüber, wie schweres Material wie eine Glocke hohe Töne erzeugen kann. In den 1990er Jahren erforschte ich das intensiv und komponierte zusammen mit einem Musiker Stücke auf der Grundlage der Klänge, schuf Sound-Installationen. Wir bauten Schlagwerke, bei denen die unterschiedlichen Fundstücke, aus denen eine Arbeit besteht, beim Anschlagen unterschiedliche Klänge abgeben. Ein Kunstwerk wurde somit nicht nur visuell, sondern auch akustisch erfahrbar. Wir haben eigene Instrumente gebaut, Kompositionen geschaffen und tolle Konzerte veranstaltet.
Herr Rumpf, ich danke Ihnen für dieses interessante und informative Gespräch.
Beitragsbild über dem Text: Odo Rumpf neben seiner Skulptur Schlagwerk 2 (1993). Foto: Irene Daum.
Zitierweise
Irene Daum (2019): Skulpturen aus Fundstücken: Maschinenbauer Odo Rumpf. w/k - Zwischen Wissenschaft & Kunst. https://doi.org/10.55597/d10929
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