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Sensorische Deprivation

Text: Till Bödeker | Bereich: Von Künstlerinnen

Übersicht: Till Bödeker erläutert die Wissenschaftsbezüge seiner künstlerischen Arbeit THINK OUTSIDE THE BOX, die aus einem Isolationstank besteht, in dem sich sensorische Deprivation erfahren lässt.

Mein w/k-Beitrag besteht aus einem Erfahrungsbericht, einem das künstlerische Konzept erläuternden Text und einem Video. Der Text arbeitet die Wissenschaftsbezüge meines Projekts heraus. Das Video hält eine während des Rundgangs der Kunstakademie Düsseldorf im Februar 2020 veranstaltete Performance fest, an der außer mir noch Konstantinos Angelos Gavrias beteiligt war.

THINK OUTSIDE THE BOX (2020). Foto: Till Bödeker.

Das Konzept von THINK OUTSIDE THE BOX beruht auf einem (aus einem Weinfass) selbstgebauten Isolationstank und dem Erlebnis der sensorischen Deprivation, d.h. dem Entzug jeglicher sensorischen Reize. Dafür legt man sich in den Tank und treibt für eine gewisse Zeit in warmem Salzwasser. In einem wissenschaftlichen Experiment würden mehrere Versuchspersonen die Erfahrung sensorischer Deprivation machen und darüber berichten. Im Kunstkontext war ich bislang der Einzige, der sich in den Tank gelegt hat. Daher möchte ich meine individuelle Erfahrung möglichst genau beschreiben. Diese Beschreibung betrachte ich als Teil der künstlerischen Arbeit:

Im Inneren des Tanks

Steigt man ins Innere des Tanks, wird alles schwarz und stumm. Dann legt man sich ins Wasser, wird getragen und wartet. Obwohl der Raum klein ist, fühle ich mich nicht eingeengt. Ich frage mich, was die Wahrnehmungskategorie Raum an diesem Ort, an dem es keine sichtbaren Wände gibt, überhaupt für eine Bedeutung hat. Da das Salzwasser auf Körpertemperatur beheizt ist, verschwimmt die gefühlte Außengrenze meines Körpers zur Umgebung. Meine Haut-Sensoren können nicht mehr fühlen, wo meine Arme räumlich aufhören. Gleichzeitig wird mir die Position meiner Gliedmaßen zueinander, die ich in eine ausgeglichene Stellung zu bringen versuche, sehr bewusst. Während meine Arme und Beine wie von alleine auseinandergleiten und nach einem halben Meter Abstand vom Rumpf zum Stillstand kommen, überrascht mich die Schwierigkeit, eine ausgeglichene Nackenhaltung zu finden. Ich muss erst lernen, wie weit ich meinen Kopf zurückstrecken soll, da es – anders als in einem Bett – keinen spürbaren Widerstand mehr gibt. Mit meiner Liegeposition beschäftige ich mich noch einige Minuten, bis die Bewegungen und kleinen Nachjustierungen aufhören, notwendig zu sein.

Es ist ein wirklich geborgener und in sich gekehrter Zustand. Mein Stresslevel, das während der hektischen Rundgangswoche der Kunstakademie immer konstant hoch ist, sinkt auf einmal drastisch. Es gibt keine Aufgaben mehr, die ich erfüllen muss, keine Gespräche, für die ich mich bereit halten muss und keine Erwartungen oder Zwänge. Es wundert mich, wie einfach und angenehm sich alles anfühlt. Trotz meiner zunehmenden Entspannung werde ich nicht müde, sondern aufmerksamer, konzentrierter und ruhiger. Im Vorfeld hatte ich mir diese Erfahrung irgendwie dramatischer oder existentieller vorgestellt.

Ich fange an, über das Konzept meiner Arbeit nachzudenken und gerate in einen längeren Bewusstseinsstrom, der sich im Nachhinein nur grob wiedergeben lässt. Ausgehend von der Frage, ob es möglich ist und was es bedeutet, nach außen zu denken, beschäftige ich mich zunächst mit dem Inhalt der Aussage THINK OUTSIDE THE BOX, ihren verschiedenen Lesarten und ihrer Funktion als Verbindung von Außen und Innen. Diese Verbindung führt mich assoziativ zum philosophischen Gedankenexperiment Gehirn im Tank, in dem es ebenfalls um ein Erkenntnisproblem geht. Die Untersuchung dieser Beziehung hat Potential, denke ich, aber verschiebe sie zunächst auf später. Nun wechseln sich die Themen beständig ab, werden mal kleinteiliger und detaillierter, dann wieder allgemeiner und grundsätzlicher; sie verweben sich auf eine interessante Weise. Mit der Zeit nehme ich mehr in Form gedanklicher Muster wahr und weniger logisch und auf konkrete Inhalte bezogen. Anders als im Traum kommt mir diese Wahrnehmung nicht verdichtet und beliebig vor, sondern sehr befreiend und entgrenzt. Es ist, als würde mein Bewusstsein in meinem Gehirn einmal gründlich alles aufräumen und zugleich dabei zusehen, wie sich dieses Aufräumen anfühlt.

Nach einer Stunde ertönt der Gong, und ich mache mich langsam zum Aufstehen bereit. Beim Aussteigen aus dem Tank reagiere ich etwas empfindlich auf das Licht und die allgemeine Lautstärke. Dennoch hält die tiefe Gelassenheit, die ich im Tank erfahren habe, an und bleibt für den Rest des Tages noch deutlich spürbar.


THINK OUTSIDE THE BOX (2020). Foto: Till Bödeker.
THINK OUTSIDE THE BOX (2020). Foto: Till Bödeker.

Der Isolationstank

Erfinder des Isolationstanks war der Neurophysiologe und Bewusstseinsforscher John C. Lilly, der diesen 1954 am National Institute of Mental Health (NIMH) entwickelt hat. Lilly wollte das menschliche Gehirn von äußeren Reizen isolieren. Sein Ziel war es, so Rückschlüsse auf die Funktionsweise des menschlichen Bewusstseins zu ziehen. Hintergrund seiner Forschung ist u.a. die auf früheren Isolationsexperimenten beruhende Annahme des Psychologen Donald Hebb, dass das Gehirn auf ständige Stimulation durch die Umwelt angewiesen sei. Blieben diese aus, würden die sensorischen Regionen des Gehirns anfangen, sich „mit sich selbst“ zu beschäftigen und z.B. Halluzinationen erzeugen; Lilly hingegen hielt diese Effekte nicht für „psychopathologische“ Halluzinationen, sondern verortete sie im „Bereich ‚normaler Geistesprozesse‘, allerdings mit erweiterter Sicht.“[1] Ihm diente der Tank als Versuchslabor für Selbstbeobachtung (Introspektion), teilweise unter Zuhilfenahme bewusstseinserweiternder Substanzen. Dabei machte er auch spirituelle Erlebnisse, von denen er in Büchern wie Das Zentrum des Zyklons oder Das Tiefe Selbst, die auf größeres populärwissenschaftliches Interesse z.B. in der New Age-Bewegung stießen, ausführlich berichtet.

Ein grundsätzliches Problem der Erforschung veränderter Bewusstseinszustände oder des phänomenalen Bewusstseins ist die sogenannte epistemische Asymmetrie. Dieses Problem besteht darin, dass Wissen über das Bewusstsein von innen und von außen erlangt werden kann: Von innen meint die Selbsterfahrung z.B. von Qualia (subjektiver Erlebnisgehalt), also die Perspektive der ersten Person. Im Gegensatz dazu steht die objektivierende Außenperspektive durch empirischen Zugriff auf den Gegenstand.[2] Aufgrund dieser zwei verschiedenen Zugangsweisen ist unklar, welche im Falle eines Widerspruches den besseren Erkenntnisanspruch hat. Ein solcher tritt z.B. auf, wenn ein subjektiv erfahrener Bewusstseinszustand nicht mit den gemessenen Gehirnwellen, bzw. dem bisherigen Wissen über deren Zusammenhang, übereinstimmt. Die Gegenüberstellung und das Zusammenwirken dieser zwei grundverschiedenen Methoden ist von wesentlichem Interesse für die Bewusstseinsforschung.[3]

Das Konzept

Die Struktur von THINK OUTSIDE THE BOX ist dem sehr ähnlich: Während sich die Erfahrung der Isolation als Kernkomponente der Arbeit nur von innen erleben lässt, ist der Tank selbst nur von außen sinnlich wahrnehmbar. Beide Zugangsweisen verweisen aufeinander; es ist nicht möglich, das Kunstwerk auf beide Weisen gleichzeitig zu erfassen. Gleichwohl soll man sie zusammen denken, wozu einen die titelgebende Aussage THINK OUTSIDE THE BOX, die an der äußeren Tankseite zu lesen ist, auffordert. Deren Gestaltung ist übrigens eine ironische Anspielung auf Pushed As If & Left As Is des Konzeptkünstlers Lawrence Weiner.

Isolation und Klangschalen

Im Kooperationsprojekt mit Konstantinos Angelos Gavrias benutzte dieser Therapieschalen (das sind Klangschalen, die aus dem Bereich der Musiktherapie kommen), um die Auswirkung von Klang und Schall auf meine Isolationserfahrung zu testen. Dies hatte zur Folge, dass mein Fokus nicht auf den eigenen Gedanken lag, sondern auf dem Klangerlebnis als einem auditiven und körperlichen Erlebnis. Da der Schall der Schalen auch durch das Wasser übertragen wurde, wurde er sozusagen fühlbar, was ich anschließend handschriftlich und zeichnerisch dokumentiert habe. Es ist geplant, noch weitere Experimente unter verschiedenen Voraussetzungen durchzuführen.

THINK OUTSIDE THE BOX, Performance mit Konstantinos Angelos Gavrias, Rundgang Kunstakademie 2020.

Die Arbeit wird dieses Jahr erneut gezeigt bei der 74. Internationalen Bergischen Kunstausstellung im Kunstmuseum Solingen (22.09. bis 01.11.2020).

Kunstmuseum Solingen: Pressemeldung

Beitragsbild über dem Text: THINK OUTSIDE THE BOX (2020). Foto: Till Bödeker.


[1] John C. Lilly: Das tiefe Selbst, Basel 1988, S. 75.

[2] https://www.spektrum.de/lexikon/neurowissenschaft/epistemische-asymmetrie/3611

[3] Dieter Vaitl: Veränderte Bewusstseinszustände: Grundlagen – Techniken – Phänomenologie. Stuttgart 2012, S. 13.

Zitierweise

Till Bödeker (2020): Sensorische Deprivation. w/k - Zwischen Wissenschaft & Kunst. https://doi.org/10.55597/d13241

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