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Sándor Barics: MARS und Sonnenflecken

Ein Gespräch mit Peter Tepe | Bereich: Interviews

Übersicht: Im Interview kommen zunächst die Entstehungsgeschichte der bei Sándor Barics vorliegenden Verbindung zwischen Kunst und Wissenschaft und die während des Kunststudiums in New York erlangten Impulse für die weitere Entwicklung zu Sprache. Der Besuch einer Veranstaltung über den Mars änderte dann seine künstlerische Position: Die Serie MARS entstand. Deren künstlerisches Konzept wird herausgearbeitet. Auf vergleichbare Weise wird schließlich die Serie Sonnenflecken behandelt.

Sándor Barics, in unserem Gespräch werden wir uns hauptsächlich mit Ihren Serien MARS und Sonnenflecken befassen. Für w/k sind aber auch Ihre früheren wissenschaftsbezogenen Arbeiten von Interesse. Am Ende des Artikels verweisen Sie auf eine an anderer Stelle zugängliche Auflistung der 15 Serien, die seit 1989 entstanden sind. Das ist eine eindrucksvolle Bilanz.
Bei Ihnen hat sich eine spezifische Verbindung zwischen Wissenschaft und Kunst herausgebildet. Deren Entstehungsgeschichte wollen wir beleuchten.
Von 1981–1984 lief in meinem Heimatland Ungarn die bekannte kulturwissenschaftliche Radiosendung Was wäre wenn …? Ich war ein Fan dieser Sendung, die inspirierende Fragen aufwarf. Sie motivierte mich, viel zu lesen und zu recherchieren. Ich liebe das Lesen seit meiner Kindheit. Meine Oma hatte wundervolle kleine Bücher über berühmte Maler in ihrer Bibliothek. Rubens, Rembrandt, el Greco, Dürer, van Gogh etc. Da es in meiner kleinen Heimatstadt keine Kunstgalerien gab, kannte ich Kunst nur aus Büchern. 
Außerdem haben mich seit meiner Kindheit Teleskope und Mikroskope fasziniert. Mit acht und neun Jahren war ich stets abends in der lokalen Sternwarte und beobachtete die Sterne. Aber trotz dieser großen Liebe zur Astronomie wollte ich dank Indiana Jones zu dieser Zeit ein berühmter Archäologe werden.

Welches sind die Hauptstadien Ihrer weiteren Entwicklung?
Ich wollte und will alles selbst entdecken. Die beste Quelle des Wissens ist die Erfahrung. So wollte ich die ganze Welt bereisen, selbst sehen, fühlen und erfahren. Ich war stets ein 1+ Schüler in Ungarn. Seitdem ich sechs war, lernte ich auch das Klavierspielen, bis zum Ende der 8. Klasse. Musik fördert die Kreativität und macht geistig fit.
Im Dezember 1985 flüchteten meine Eltern aus Ungarn nach Deutschland. Mein neues Leben fing 1986 in München an. Zuerst musste ich Sprachen lernen, nicht nur Deutsch, sondern Englisch, Französisch und Latein gleichzeitig. Eine große Herausforderung für einen 15-Jährigen. Außerdem wollte ich in den anderen Schulfächern auch gut sein. Mein Kopf rauchte oft vom Non-stop-Lernen. Entspannung fand ich in der Kunst.
Wir wohnten in der Nähe des Lenbachhauses, wo ich unzählige Tage verbrachte und die Meisterwerke des 19. Jahrhunderts, die beindruckenden Werke der Blaue Reiter-Gruppe und einige Meister der Gegenwartskunst kennenlernte. Das Lenbachhaus war für mich wie eine Wohlfühloase. 
Im Keller unseres Hauses hatte ich ein Miniatelier im staubigen, heißen und ziemlich lauten Heizraum einrichten können, und bereits mit 18 Jahren entstanden dort erste Arbeiten. Ich verbrachte viel Zeit in der Münchener Gasteig-Stadtbibliothek und arbeitete dort die Kunstgeschichte umfassend auf.

Begannen Sie nach dem Abitur ein Studium oder eine andere Ausbildung? 
Meine Eltern waren jahrzehntelang in der Gastronomie beschäftigt. In München gab es damals zwei ungarische 4 Sterne-Hotels, wo ich eine Ausbildung als Hotelfachmann begann. In der spannenden Hotelwelt lernte ich viele unterschiedliche Leute kennen. Darunter waren auch Künstler, die in den USA gelebt hatten. Durch sie sah ich zum ersten Mal Fotos der künstlerischen Arbeiten von Willem de Kooning, Richard Serra, Cy Twombly und hörte von Kunst-Performances. Langsam verfestigte sich der Wunsch, Amerika zu bereisen und die dortige zeitgenössische Kunst näher kennenzulernen.
1993 beschloss ich, nach New York zu ziehen, um dort Künstler zu werden. Meine Vorbilder waren Jackson Pollock, de Kooning und Mark Rothko. Als ich 1993 bei meiner ersten New York-Reise Werke von Antoni Tapiès sah, wusste ich, dass ich viel Zeit in dieser Stadt verbringen musste, um mehr über diese Art der Gegenwartskunst zu erfahren. 
Zwei Jahre später konnte ich mich bei der Art Students League of New York anmelden; ich wurde als Stipendiat für ein vierjähriges Programm aufgenommen. New York war voll mit Malerstars und spannenden Persönlichkeiten, und ich war mittendrin.

Welches sind die wichtigsten Einsichten, zu denen Sie während Ihres Studiums gelangt sind, und was waren die entscheidenden Impulse für die weitere Entwicklung? 
Nach dem Besuch von hunderten Kunstausstellungen und sämtlichen Museen und Kunst-Institutionen in New York begriff ich durch die Gespräche mit meinen Künstlerfreunden und Dozenten, dass Kunst zu machen für mich kein Handwerk ist, sondern eine unermüdliche Suche: Entscheidend ist die Neugier, das Unbekannte herauszufinden, die Mysterien des Lebens kennenzulernen und etwas Neues, noch nie Dagewesenes zu erschaffen. Meine Professoren Larry Poons und Bruce Dorfman betonten immer: „Neugier ist Ohren spitzen, Augen aufmachen und Fragen stellen. Damit beginnt ein Kunstwerk.“ 
Im Sommer 1997 war ich in den Sommerferien wieder in München, um meine Eltern zu besuchen. Ein guter Freund lud mich zu der Veranstaltung Pathfinder Landung auf dem Mars ein. Es war dieser 4. Juli 1997, der meine künstlerische Sichtweise änderte.

Beschreiben Sie diesen Entwicklungssprung bitte etwas genauer.
Ich entdeckte neue Landschaften für die Malerei, Landschaften, die durch den Mars Global Surveyor (MGS) und den Sojourner Rover aufgenommen worden sind. Ich hatte zwar immer geliebt, die Sterne zu beobachten, aber diese Nah-Aufnahmen übertrafen alles, was ich vorher gesehen hatte. Makellose, von Menschenhand unberührte Landschaften. Auch der spannende Wechsel der zwei gegensätzlichen Perspektiven auf identische Landschaften, also der Vogelperspektive der Satellitenaufnahmen und der menschlicheren Perspektive durch den Rover, waren fesselnd. Besonders die MGS-Fernerkundungsbilder fand ich wirklich fantastisch! Ich begann wie besessen zum Thema Mars zu recherchieren. Der Raumfahrtexperte Prof. Jesco von Puttkamer, den ich bei der genannten Veranstaltung kennenlernte, begeisterte mich für dieses Thema. Er verschaffte mir Unterlagen, Aufnahmen und Berichte von der NASA sowie der Deutschen Luft- und Raumfahrtbehörde. Eine enorme Menge an Zeichnungen und Kompositionsentwürfen entstand. Ich studierte diese Remote Sensing-Aufnahmen (Fernerkundungsbilder) und suchte interessante Landgebiete aus. Einige eigneten sich wegen der geologischen Formationen perfekt für ein Gemälde. 
Ich studierte nicht nur die geologischen Formationen, sondern auch die Farben. Wieso ist der Mars rot? Welche andere Farben gibt es noch dort zu sehen? Meine Bilder wurden ferner plötzlich auch plastisch. Das räumliche Denken in der Kunst war für mich eines der wichtigsten Ergebnisse der New Yorker Zeit. Ich trug wochenlang Farbschichten und Materialien wie Sand, Acrylfarbschichten und Verpackungsmittel auf, was den Werken eine reliefartige Wirkung verlieh. In diesem Prozess kam ich mir vor wie ein Archäologe, der Schicht für Schicht untersucht und dabei etwas Unbekanntes ausgräbt. Ich habe neuartige Landschaftsbilder erschaffen.
Viele dieser Arbeiten wurden damals in New York in kleineren Galerien ausgestellt. Danach wollte ich die MARS-Serie überall, vor allem auch in Deutschland, zeigen.

Sándor Barics: Arsia Mons, MARS (2004). Foto: Sándor Barics.
Sándor Barics: Arsia Mons, MARS (2004). Foto: Sándor Barics.
Sándor Barics: Martian Landscapes (2000). Foto: Sándor Barics.
Sándor Barics: Martian Landscapes (2000). Fotos: Sándor Barics.

Bleiben wir zur Vertiefung noch ein wenig bei der MARS-Serie.
Sie ist eine meiner intensivsten Serien. Mehrere hundert Zeichnungen, Aquarelle, Drucke und ca. 60 Gemälde entstanden. Ich stellte mir stets die Frage: Wie kann ich der Unberührtheit des Planeten noch mehr Würde verleihen?
2001 zogen meine Frau, die ich 1998 in New York kennengelernt hatte, und ich nach Berlin. Dort bezog ich ein Atelier und begann langsam, die Mars-Landschaften nicht mehr nur aus der technischen Perspektive zu betrachten, sondern fing an, auch die Ästhetik zu studieren: Wird es uns dort auf dem Mars gefallen? Wie unterscheidet sich die Mars-Landschaft von unserem Planeten? Dürfen wir diese unberührten Landschaften verändern? Ich fing an zu begreifen, dass eine interessante Landschaft nicht nur die Rundum-Erfahrung von Schönheit und Raum ist, sondern dass die ästhetische Erfahrung alle menschlichen Emotionen, Motivationen und Kognitionen durchdringt. Zusätzlich treten auch ethische und philosophische Fragen auf, z.B.: Wie prägen Landschaften unsere Identität und unser Gefühl von Zugehörigkeit? Ist es moralisch akzeptabel, durch Kunstwerke Emotionen zu manipulieren oder die Wahrnehmung der Realität zu verändern? Wie beeinflusst die Vergänglichkeit von Landschaften unsere Wahrnehmung von Zeit und Veränderung?
Ich fing also an, die Landschaftsmalerei mit anderen Augen zu betrachten. Durch die ästhetische Forschung entdeckte ich in den folgenden 15–20 Jahren viele wissenschaftliche Themenbereiche, die ich immer mit der Landschaft in Verbindung gebracht habe.
Mikroskopaufnahmen aus der Nanotechnologie inspirierten mich zu Fantasie-Kompositionen. So auch später die Welt der kosmischen Strahlung und der Wellenlängen, die Dunkle Materie sowie die Schwarzen Löcher. All diese Entdeckungen inspirierten mich in erster Linie zu neuen kosmischen Landschaften, aber auch zur Entdeckung der Unordnung im Kosmos, des gewaltigen Chaos, das uns alle umgibt.

Sándor Barics: Dark Matter- Vibrations (2020). Foto: Sándor Barics.
Sándor Barics: Dark Matter-Vibrations (2020). Foto: Sándor Barics.

2017 sah ich zum ersten Mal Nahaufnahmen der Sonnenflecken. Ich wusste natürlich von den Sonnenflecken, schenkte dem Thema aber keine große Beachtung. In Gyula, einer der schönsten Kleinstädte in Ungarn, veranstaltet die Ungarische Sonnenphysik-Stiftung jährlich eine Bildungswoche zum Thema Sonne. Dort konnte ich mit einem Hochleistungsteleskop Sonnenflecken auf der Oberfläche der Sonne sehen. Ich fand sie sehr spannend – besonders unter ästhetischen Aspekten. Neue Landschaften! Neue Formen! Durch meine Gespräche mit der Sonnenforscherin Marianna Korsós erfuhr ich spannende Einzelheiten über die Sonnenflecken. So zum Beispiel, dass diese zwischen 400 und 800 km tief sein, dass die Field Loops (das sind Schleifen, die durch Magnetfelder gebildet werden und ab und zu sichtbar sind) Sonnenflecken miteinander verbinden und Höhen von bis zu 90.000 km erreichen können.
Ich studierte die Formen, die Formationen und die Bewegung dieser faszinierenden Objekte. Wie bewegen sich Sonnenlandschaften? Wie ändern sich die Formen und Formationen? Verraten uns die Formen etwas?

Über die Sonnenflecken-Serie würde ich gern noch mehr erfahren.
Die dunklen Flecken auf der Sonnenoberfläche haben manchmal die mehrfache Größe unsere Erde – es sind gewaltige und gefährliche Kraftwerke. Entfesselte Magnetkräfte können interessante Formen annehmen. 
Die Serie besteht aus zwei Teilen. Der erste Teil behandelt die Erscheinung und die Ästhetik. Die ursprüngliche Idee war, die Clusterung und die Bewegungsabläufe der Sonnenflecken zu erkunden. Sonnenflecken sind eine Art schwimmender magnetischer Sümpfe und zeigen das aktive Innenleben unserer Sonne. Meine Arbeiten sind mittlerweile auch plastischer geworden, da ich die Tiefe der Sonnenflecken im Bild erkunden möchte. Hierbei nutze ich wissenschaftliche Datenbanken und spreche mit Sonnenforschern.

Um Sonnenflecken zu evozieren, habe ich gelbe Felder und schwarze Cluster verwendet, Merkmale, die einen eigenen ästhetischen Reiz haben. Aber dieser Reiz ist nur eine Frage des Rahmens. Entfernt man sich von diesen Vignetten, nimmt der kosmische Schrecken überhand. Zoomt man näher heran, so rückt die schlichte Schönheit der Sonnenflecken in den Mittelpunkt. Doch selbst in diesen Bildern lassen sich die brodelnde Energie und die unbarmherzige Kraft der Sonnenflecken noch erahnen.
Gelb ist im Allgemeinen eine aufmunternde Farbe – hell, fröhlich und sogar freundlich. Doch die wogenden Massen im Zentrum dieser Gemälde scheinen zu wachsen und wie Krebs zu metastasieren. In diesen Werken haben wir es also mit einer Kombination aus Vergnügen und Schrecken, Sicherheit und Gefahr zu tun. Was ist die wahre Natur der Sonne? 
Der zweite Teil der Serie – Pleasure & Terror – ist ein assoziatives Konzept, um zu erkunden, was die Sonnenflecken (die gewaltige Kräfte auf der Oberfläche der Sonne zeigen) mit Explosionen auf der Erde zu tun haben könnten.
Sonnenaktivitäten haben Auswirkungen auf uns. Nicht nur auf das Weltraumwetter und so auf unsere Technologien (z.B. können Satelliten durch einen Sonnensturm ausgeschaltet werden), sondern auch auf Körper und Psyche. Kosmische Strahlungen, erhöhte Sonnenaktivitäten können uns aggressiv machen. Ich vermute, dass es eine Verbindung gibt zwischen den Sonnenaktivitäten und den Krieg- und Friedenszeiten auf der Erde. In Terror & Pleasure entstanden Vergleichsbilder, die Sonnenflecken mit der Kriegsaufnahme eines brutalen Luftangriffs konfrontieren.

Ich nenne die Werke schaurig-schön, weil sie ästhetisch so kraftvoll sind, obwohl eine traurige Geschichte im Hintergrund steht. 
Die Malerei und die Fotografien passen zueinander: Manchmal liefen, als ich Sonnenflecken malte, gerade Bilder von Luftangriffen im Fernsehen. Die Formen dieser Explosionen sind verblüffend ähnlich. Eine merkwürdige Korrelation. Die Sonnenflecken erinnern mich auch an Schimmelpilz-Formationen und an Hautkrebs. Das wird vielleicht zu einer weiteren Vergleichsserie führen. 

Sándor Barics, ich danke Ihnen für das aufschlussreiche Gespräch.

▷ Ein Überblick über die seit 1989 entstandenen Serien findet sich hier.

Beitragsbilder über dem Text: Links: Sándor Barics: Chersonesus, MARS (1998). Foto: Sándor Barics. Rechts: Sàndor Barics: Sunspot, B0172022 (2022). Foto: Sándor Barics.

Zitierweise

Sándor Barics und Peter Tepe (2024): Sándor Barics: MARS und Sonnenflecken. w/k - Zwischen Wissenschaft & Kunst. https://doi.org/10.55597/d19190

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