Ein Gespräch mit Peter Tepe | Bereich: Interviews
Übersicht: Die Malerin Meral Alma ist für w/k relevant, da sie auch wissenschaftlich arbeitet – sie ist Doktorandin im Fach Neuere Deutsche Philologie. Sie gehört zu denjenigen Grenzgängern zwischen Wissenschaft und bildender Kunst, welche ihre beiden Tätigkeitsbereiche klar voneinander abgrenzen. Zwei Phasen ihrer künstlerischen Arbeit werden anhand von Beispielen unterschieden.
Meral Alma, obwohl Sie noch bei Prof. Siegfried Anzinger an der Kunstakademie Düsseldorf studieren, haben Sie sich in den letzten drei Jahren als Malerin auf dem Kunstmarkt bereits erstaunlich gut etablieren können: sieben Einzelausstellungen, Teilnahme an über zwanzig Gruppenausstellungen, zweifache Förderpreisträgerin der Kunstakademie Düsseldorf. Bei der Aktion 23 internationale Künstler gestalten ein Herz für UNICEF haben Sie das Herz für die Türkei gestaltet; die Ausstellung wird deutschlandweit gezeigt. Andere Teilnehmer sind z.B. Günther Uecker für Deutschland, Tony Cragg (der ehemalige Rektor der Düsseldorfer Kunstakademie) für England und Rita McBride (die aktuelle Rektorin dieser Hochschule) für die USA.
In den Scheinwerfer von Zwischen Wissenschaft & Kunst geraten Sie aber nicht als reine Malerin, sondern weil sie auch wissenschaftlich arbeiten – sie sind Doktorandin im Fach Neuere Deutsche Philologie an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Die bei Ihnen vorliegende Verbindung zwischen Wissenschaft und bildender Kunst wollen wir im Gespräch genauer ausloten. Zunächst sollten Sie aber die Vorgeschichte Ihres Dissertationsprojekts schildern.
Ehe ich im Jahr 2009 das Kunststudium begann, war ich von 2003 bis 2008 im Magisterstudiengang an der Düsseldorfer Universität eingeschrieben – in den Fächern Germanistik und Soziologie. Dieses Studium unterbrach ich zunächst 2008 durch einen Auslandsaufenthalt an der Summer School der Harvard Universität in Cambridge, Boston und anschließend durch die Aufnahme des Kunststudiums. Im Jahr 2012 schloss ich das Magisterstudium ab, während das Kunststudium weitergeführt wird.
Worüber haben Sie Ihre Magisterarbeit geschrieben?
Das Thema der von Hans-Georg Pott betreuten germanistischen Arbeit lautet: Die türkische Frau zwischen Tradition und Moderne bei Leila Erbil und Feridun Zaimoglu. Peter Tepe war als Zweitgutachter tätig, und er hat es mir ermöglicht, die Magisterarbeit in der Online-Zeitschrift Mythos-Magazin zu publizieren. Sie ist zugänglich unter www.mythos-magazin.de/ideologieforschung/ma_frauenbild.htm.
Welche Ziele haben Sie in Ihrer Magisterarbeit verfolgt?
Ich untersuchte die Romane Eine sonderbare Frau von Leyla Erbil und Leyla von Feridun Zaimoglu, um folgende Fragen zu beantworten: Welche unterschiedlichen Frauenbilder entwerfen die beiden Autoren in ihren Texten? Welche Faktoren beeinflussen die Entwicklungen dieser Frauenbilder, und welche historischen Wurzeln haben sie? Wie lassen sich die verschiedenen Akzentsetzungen der Autoren erklären?
Hatten Sie schon zu dieser Zeit den Wunsch, sich in einem Dissertationsprojekt intensiver mit der einen türkischen Hintergrund aufweisenden Migrationsliteratur zu beschäftigen?
Ja. Während der Magisterarbeit fiel mir auf, dass es zwar zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen zum Bild der türkischen Frau in der Migrationsliteratur gibt, aber fast nichts zum Bild des türkischen Mannes. Daher nahm ich mir schon früh vor, diese Forschungslücke zu schließen. Der Arbeitstitel der von Peter Tepe betreuten Dissertation lautet: Der türkische Mann in der deutschen Migrantenliteratur. Wegen meines starken Engagements im künstlerischen Bereich befindet sich dieses Forschungsprojekt allerdings noch in den Anfängen.
Wenden wir uns nun Ihren künstlerischen Arbeiten zu. Lassen sich im Rückblick mehrere Entwicklungsphasen unterscheiden?
Meine Arbeiten seit dem Beginn meines Kunststudiums im Jahr 2009 bis heute lassen sich mehreren Phasen zuordnen, vereinfachend gesagt kann zwischenfrüheren und aktuellen Werken unterschieden werden. In den früheren Arbeiten (2009–2011) ging es mir hauptsächlich um die im weiteren Sinne realistische Darstellung von Menschen und Szenen menschlichen Lebens.
Abbildung 1 zeigt zwei Männer beim Gebet. Die Figuren sind i.w.S. realistisch dargestellt; die Bildränder vermitteln die Idee einer Erinnerung.
Das zweite Werk (Abbildung 2) ist das letzte der frühen Phase. Es ist von der Bildgestaltung her schon deutlich abstrakter; es handelt sich um die collageartige Darstellung einer Migrationsgeschichte.
Haben Sie das Thema gewählt, weil Ihre Familie selbst einen Migrationshintergrund hat?
Nein, es hatte eher damit zu tun, dass ich mich zu dieser Zeit in der Magisterarbeit mit Migrationsthemen beschäftigte, die mich bei der Wahl der Bildmotive beeinflussten. Darüber hinaus gab es jedoch sowohl bei der literaturwissenschaftlichen Arbeit als auch bei der Wahl der Motive einen familiären Bezug. Meine Großmutter kam 1973 aus der Türkei nach Deutschland. Meine Familie hat sich schon früh für Integration eingesetzt. So hat meine Tante einen deutsch-türkischen Freundeskreis begründet und dafür einen Integrationspreis der Stadt Neuss bekommen. Ich bin in Deutschland geboren. Durch meine Eltern, Großeltern und deren Eltern habe ich arabisch-türkische Wurzeln und bin so in mehreren Kulturen aufgewachsen. Meine Eltern sprechen neben Deutsch und Türkisch auch oft Arabisch. Meine erste gesprochene Sprache war Türkisch, und das Schreiben lernte ich an einer katholischen Grundschule auf Deutsch. Seit meiner Kindheit liebe ich Weihnachten und verpasse trotzdem kein türkisches Zuckerfest.
Nun zu Ihren aktuelleren Werken. Auch hier wären ein paar Beispiele gut.
Seit 2012 sind meine Bilder abstrakter geworden, sie versuchen nunmehr die Essenzen aus zwischenmenschlichen Beziehungen, Bedürfnissen und den bedeutenden oder unbedeutenden Geschichten des Lebens zu erfassen. Diese werden gewissermaßen kulturübergreifend in Figuren, Gesichtern und collageartigen Werken abgebildet. Im Vordergrund steht seitdem – bis auf wenige Ausnahmen – nicht mehr die realistische Darstellung von Figuren und Szenen, sondern der Transfer der Essenz einer Szene des Lebens, eines Gefühls, eines Ausdrucks oder einer Begebenheit auf die Leinwand (oder das Papier).
In großen Collagen (vgl. Abb. 3) stelle ich beispielsweise bis zu 400 eher flach anmutende Portraits zellenartig in einem Werk dar. Mit dieser Darstellungsform wird zum einen die zunehmend durch Individualismus und auch Anonymität geprägte Gesellschaft verdeutlicht. Zum anderen wird sie für den Betrachter auf besondere Weise aufbereitet: im Stil von Medien wie Fernsehen (flacher Bildraum), Facebook (ein Profilfoto) und auch neuerer Dating-Applikationen für Smartphones (bei denen man mit hunderten von Gesichtern und Bildern konfrontiert wird, die man liken oder einfach wegwischen kann). Gleichzeitig entwickelt sich aber auf der Leinwand eine Bildwelt, in der der Betrachter Figuren erkennen kann, die aufgrund optischer Gemeinsamkeiten zusammengehören. Ich stelle mir vor, dass sie sich auf diesem Bild noch nicht kennen, sich jedoch irgendwann begegnen. Darüber hinaus erkennt der „Bildleser“ Figuren, die sich ansehen, also in der Bilderwelt bereits in Interaktion stehen.
Sie stellen also mit Ihren Bildern bewusst einen Bezug zur modernen Gesellschaft her?
Ja. Ich denke, dass nicht nur die Inhalte, sondern auch die künstlerischen Darstellungsformen zur Gesellschaft der Gegenwart passen. Das gilt auch für Arbeiten, die den Zirkus des Lebens oder das städtische Leben behandeln.
Kann man sagen, dass das in einigen früheren Werken verfolgte künstlerische Ziel, realistische Darstellungen von Menschen und von Szenen menschlichen Lebens zu liefern, durch ein anderes Ziel ersetzt worden ist?
Das trifft zu. Im Augenblick tendiere ich dazu, meine neue künstlerische Ausrichtung so zu formulieren: Mir geht es primär darum, die Essenz einer Szene des Lebens, einer Begebenheit, eines Gefühls mit künstlerischen Mitteln darzustellen.
Was verstehen Sie unter der Essenz z.B. einer bestimmten Begebenheit?
Mit Essenz ist das Wesentlich(st)e, das Wesen, der Kern von etwas gemeint. Man kann es gut mit der Symbolik von Zeichen erläutern. Ein Lächeln wird z.B. in der digitalen Kommunikation häufig mit der Zeichenkombination „:-)“ dargestellt. Vergleichbare Symboliken lassen sich etwa in Form des Einbahnstraßensymbols in einigen meiner Werke finden. Sie erläutern eine festgefahrene oder ausweglose Situation oder einen Charakter, der sich immer wieder in solche Situationen verstrickt.
Ich verwende aber nur in wenigen Fällen derartige Piktogramme, da meine Malerei auf mehrschichtige Weise darauf fokussiert ist, diesen Kern von etwas auf den Bildbetrachter zu übertragen – ihn diesen erleben zu lassen.
Das abgebildete Werk zeigt einen Moment tiefer Zuneigung, Geborgenheit und des Mitgefühls. Mit einfachen Strichen werden zwei Figuren zu einer verbunden; Form, Farbgebung, Linienführung, herauslaufende Farben und wenige Striche im Gesicht komplettieren dann den Gesamteindruck. Für mich wesentliche Elemente wie z.B. die gehaltene Hand werden hervorgehoben.
Während des Entstehungsprozesses kann ich diesen Moment nachempfinden, und dies fließt wiederum in die Vervollständigung des Werkes mit ein – vieles passiert dann intuitiv. Aus meiner Sicht wird so das Bild zu einer mehrdimensionalen Momentaufnahme einer Begebenheit mit allen Eindrücken und Emotionen. Vergleichbar mit der Musik, bei der auch über nicht hörbare Frequenzen Schwingungen auf den Hörer übertragen werden, die das Musikerlebnis vervollständigen, unterscheidet sich auch die abstrakte Malerei von der Fotografie eben dadurch, dass sie durch Strich, Farbgebung und Form weit mehr als nur die bloße Abbildung auf den Betrachter überträgt.
In w/k werden Individuen, die sowohl künstlerisch als auch wissenschaftlich tätig sind – in Ihrem Fall auf der Ebene des Promotionsstudiums – als Grenzgänger zwischen Wissenschaft und (bildender) Kunst bezeichnet. Wir sollten versuchen, die speziell bei Ihnen vorliegenden Verbindungen zwischen der künstlerischen und der literaturwissenschaftlichen Tätigkeit möglichst genau zu bestimmen.
Ihre Malerei gehört nach meiner Einschätzung nicht zur wissenschaftsbezogenen Kunst, die sich auf Theorien und/oder Methoden und/oder Ergebnisse dieser oder jener Wissenschaft stützt.
Das stimmt. Meine Malerei weist keine Bezüge zu bestimmten Wissenschaften auf.
Die Verbindungen zwischen Ihren wissenschaftlichen und künstlerischen Aktivitäten scheinen auf einer thematischen Ebene zu liegen.
Das, was mich hauptsächlich interessiert, sind die Menschen als Individuen und ihre Verbindungen in der sozialen Interaktion. Dieses Grundinteresse leitet meine künstlerische Tätigkeit: Ich beschäftige mich hier mit dem Aussehen von Menschen, ihrer Gestik, ihrem Verhalten im sozialen Kontext. Dasselbe Grundinteresse leitet aber auch meine literaturwissenschaftliche Tätigkeit.
Das müssen Sie erläutern.
Ich beginne mit meiner Begeisterung für literarische Texte: In ihnen geht es immer um Menschen und ihre sozialen Interaktionen. Daher gibt diese Kunstform meinem Grundinteresse viel Futter. Der türkische Migrationshintergrund meiner Familie hat dann zur Folge, dass mich literarische Texte, in denen es um Migranten und ihre Integrationsprobleme geht, besonders berühren.
Entsprechend kann dann auf der Ebene der Literaturwissenschaft argumentiert werden: Mein Grundinteresse führt hier dazu, dass mich die wissenschaftliche Untersuchung von Figuren und ihren sozialen Interaktionen sowie insbesondere von Migranten in literarischen Textwelten besonders fasziniert.
Kurzum, Sie bringen dasselbe Grundinteresse am Menschen in der Malerei, bei der Lektüre literarischer Texte und in deren literaturwissenschaftlicher Erforschung zur Geltung.
Mit Ihrem Grundinteresse am Menschen scheint nun auch eine Überzeugung zusammenzuhängen, die man als positive Einstellung zur Welt bezeichnen könnte.
Zu meiner Grundhaltung gehört, dass ich möglichst in jeder Situation das Positive und die sich aus der jeweiligen Situation ergebenden Möglichkeiten betone. Ich sehe die kulturelle Vielfalt als Bereicherung und betrachte die Welt als mein Zuhause.
Damit hängt zusammen, dass ich Kunst machen möchte, die – mit den Worten von Sabine Heinke – „den Betrachter unmittelbar anspricht, ihn emotional erreicht“.[1]
Diese Grundhaltung unterscheidet sich von der pessimistischen vieler anderer Künstler gerade auch der Gegenwart, deren Weltbild von Katastrophenszenarien und dem Verlust an Hoffnung bestimmt ist. Dass durch Ihre Malerei eine positive Grundhaltung zur Welt spürbar vermittelt wird, dürfte auch nicht unwesentlich zu Ihrer bisherigen Erfolgsgeschichte beigetragen haben.
Das ist schwer zu sagen. Viele Menschen, die von diesem oder jenem Bild begeistert sind, fühlen sich davon berührt und können sich in den Szenen oder Figuren wiederfinden. Kunst muss nach meiner Auffassung den Betrachter berühren und etwas in ihm bewegen.
Meral Alma, ich danke Ihnen für das erhellende Gespräch.
Alle Werke und Bildrechte Meral Alma.
Mehr Informationen zur Künstlerin
[1] Sabine Heinke, Robert Fleck (Hrsg.): Meral Alma: Malerei Painting 2015. Düsseldorf (2015), S. 13.
Zitierweise
w/k-Redaktion (2016): Meral Alma: Malerin und Doktorandin. w/k - Zwischen Wissenschaft & Kunst. https://doi.org/10.55597/d608
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