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Mario Asef: Kunst und Ökologie

Ein Gespräch mit Peter Tepe und Till Bödeker | Bereich: Interviews

Übersicht: In Teil II des Interviews (zurück zu Teil I) werden drei Kunstprojekte Mario Asefs vorgestellt, die unterschiedliche Bezüge zur Ökologie haben: Konsum der Landschaft, Der Pyramidenbau zu Raddusch und Kemmuna Nation. Asef ist ein wissenschaftsbezogen arbeitender Künstler, der in einigen Fällen auch mit Wissenschaftlern kooperiert.

Mario Asef, beschreiben Sie bitte, ehe wir Ihr künstlerisches Konzept herauszuarbeiten versuchen, das Projekt Konsum der Landschaft.
Es ist 2015 auf Einladung der Kuratorin Petra Schröck im Rahmen der Aquamediale 11 entstanden – im Spreewald, genauer gesagt in Lübben. Im Lübbener Schloss, einer zentralen Attraktion der Stadt, befindet sich im Erdgeschoss und mit einer Terrasse zum Schlossgarten ein Restaurant, das mit der Schokoladenmanufaktur Edelmond Chocolatiers verbunden ist. Wenn man eintritt, wird man zunächst mit einer alten Trommel konfrontiert, die früher zum Zermahlen von Kakaobohnen diente. Für das Projekt fungiert sie als Vitrine. Darin sieht man einen Kuchen, neben dem die Bezeichnung Geologischer Kuchen steht. Diesen entwickelte ich in Zusammenarbeit mit der Firma Edelmond Chocolatiers.

Mario Asef: Geologischer Kuchen (2015). Foto: Mario Asef.

Die Bedienung gibt dem Besucher eine Zeichnung, aus der hervorgeht, dass der Kuchen die geologische Struktur des Lausitzer Bodens darstellt: Zuckerguss, Vanilleteig, Schokoladenteig und Marzipan entsprechen Sand, Moräne, Braunkohle und Eisenhydroxid. Man bestellt vielleicht ein Stück Kuchen und setzt sich mit der Zeichnung auf die Terrasse.

Im Schlossgarten sieht man dann etwas, das, weil es z.B. mehrere Erdhaufen gibt, eine Baustelle sein könnte. Nähert man sich weiter an, so entsteht der Eindruck, dass es sich um eine Produktion von Ziegeln für den Bau handelt. Eimer, Schaufeln, Schablonen liegen herum, und man fragt sich vielleicht, was für ein lehmartiges Material hier verarbeitet wird. Auf einer Infotafel ist zu lesen, dass es sich um Eisenhydroxid aus der Spree handelt – dem entspricht im Geologischen Kuchen das Marzipan.

Mario Asef: Baustein-Produktion (2015). Foto: Mario Asef.
Mario Asef: Baustein-Produktion (2015). Foto: Mario Asef.

Ihre Beschreibung lässt erahnen, dass Sie sich am Beispiel der Spree künstlerisch mit einem Umweltproblem, einem ökologischen Problem beschäftigen – mit den negativen Folgen des Kohleabbaus. Erläutern Sie bitte diesen Zusammenhang.
Der jahrzehntelange Kohlenabbau in der Lausitz, die der Spreewaldregion entspricht, hat unter anderem dazu geführt, dass sich Eisenhydroxid aus dem Boden löst und das Spreewasser in unterschiedlich intensiven Ockerfarben färbt. Fachleute sprechen hier von der Braunen Spree.

Fische, Pflanzen und Mikroorganismen sterben ab. Täglich fließen etwa 8,5 Tonnen Eisenhydroxidschlamm (Ockerschlamm) in die Spree, wobei noch nicht klar ist, wie sich die Umweltschäden auf den Tourismus auswirken. Die Region stellt sich als ökologisch und naturfreundlich dar und macht entsprechende Angebote für den Tourismus, etwa das Biosphärenreservat Spreewald. Es besteht also die Gefahr, dass die natürliche Grundlage des Tourismus in der Region wegbricht. Fischerei, insbesondere Angelfischerei sowie die Landwirtschaft sind im Spreewald und an der Spree gefährdet. In einer täglichen Sisyphusarbeit reinigen Bagger die Gewässer, während sich das Material ungenutzt an deren Rändern ansammelt.

Konsum der Landschaft kann somit als ein ökologisches Kunstprojekt verstanden werden: Mit spezifischen künstlerischen Mitteln machen Sie auf durch den Kohlebergbau entstandene Umweltschäden aufmerksam – mit dem Ziel, zu einem Umdenken speziell vor Ort wie auch im Allgemeinen beizutragen.
Das trifft zu. Mit Konsum der Landschaft möchte ich auf unsere Beziehung zur Natur aufmerksam machen, die sich von der Seite des Menschen her ausbeuterisch gestaltet.

Ich komme noch einmal auf den Geologischen Kuchen zurück: Wie verhält sich der Konsum der Landschaft zum Genuss eines Kuchens? Sind Genuss und Konsum für Sie gleichbedeutend?
Nein. Man kann etwas auch z.B. aus Gier konsumieren. Meine Fragen sind: Wie viel kostet mein Genuss? Auf wessen Kosten wird unser Lebensstandard aufrechterhalten?

Welche besonderen Akzente setzen Sie hinsichtlich der Beziehung zur Natur?
Zu meinem Kunstprojekt gehört die über den Bereich der Kunst hinausweisende Idee, dass es möglich ist, die großen Mengen an Eisenhydroxidschlamm wirtschaftlich zu nutzen. Der Ockerschlamm stellt ein Problem dar, solange man keine sinnvolle Verwendung für ihn findet. Ich schlage konkret vor, mit dem ockerfarbenen Schlamm Bausteine zu produzieren. Ich nutzte – was für den Besucher nicht auf den ersten Blick erkennbar ist – einen Teil des Schlossparks, um meine eigene Bausteinproduktion zu gründen. Ich mischte vor Ort Ockerschlamm mit Zement für die Produktion von Bausteinen und testete die Resultate für die nachhaltige Nutzung im Baubereich.

Begnügen Sie sich damit, beispielhaft zu zeigen, wie man den durch den Kohleabbau entstandenen Schlamm wirtschaftlich nutzen könnte, oder streben Sie an, sich an einer Produktion von Bausteinen aus Eisenockerschlamm selbst zu beteiligen?
Meine Absicht war, erstmal loszulegen und die Aufmerksamkeit der Leute zu erreichen. Ich hatte Ockerschlamm aus drei Orten bestellt, und ich mischte ihn in unterschiedlichen Proportionen – mit teilweise guten Resultaten. Damals hatte ich noch keine wissenschaftlichen Kooperationspartner, die mir bei der Untersuchung des Materials und der Proben helfen konnten. Meine Hauptbeschäftigung war, mit interessierten Besucher*innen über die Folgen des Kohleabbaus zu sprechen, denen das Material zu zeigen und ihnen meine Nutzungsidee zu erläutern. Auch Politiker wurden auf das Projekt aufmerksam und zeigten sich interessiert.

Zur Strategie, die ich in diesem Projekt anwende, gehört aber auch eine ironische Komponente: Einerseits will ich Denkanstöße für eine praktische Bewältigung bestimmter Umweltprobleme geben, andererseits sehe ich hier die Gefahr eines Teufelskreises: Man versucht, Probleme, welche die Wirtschaft, speziell die Industrie geschaffen hat, mit wirtschaftlichen Mitteln zu bewältigen – und das bringt wiederum neue Probleme hervor. Ich setze nicht alles daran, die Kunst für die Wirtschaft attraktiv zu machen. Es geht mir nicht primär darum, dass die Wirtschaft in eine solche Kunst investiert und die Politik dabei mitzieht.

Ihre künstlerische Position ist bei Konsum der Landschaft somit die folgende: Zum einen wollen Sie beispielhaft demonstrieren, dass der Ockerschlamm nicht zwangsläufig als zu entsorgender Müll betrachtet werden muss, sondern einer sinnvollen Verwendung zugeführt werden kann; zum anderen haben Sie Reserven dagegen, ausschließlich auf die Karte „Wirtschaftliche Nutzung der Nebenfolgen des Kohleabbaus“ zu setzen.
Das ist korrekt. Letzteres würde schief gehen. Meine Kunst will auf Probleme aufmerksam machen und Denkanstöße geben, aber nicht primär praktische Lösungen ökologischer und wirtschaftlicher Art entwickeln. Denn das Problem ist viel tiefgreifender als nur eine industriell-kapitalistische Form der Energieproduktion. Wir sollten in erster Linie unsere Konzeption von Land und Landschaft ändern – das bloße Konsumieren des Landes überwinden.

Hat es persönliche Kontakte zu Wissenschaftlern gegeben, die dazu beigetragen haben, dass Sie zu der beschriebenen künstlerischen und zugleich wirtschaftlichen Vorgehensweise gelangt sind?
Eine Kooperation mit Wissenschaftlern fand erst beim Folgeprojekt Der Pyramidenbau von Raddusch statt. Über den Tourismusverein Raddusch entstand eine Zusammenarbeit mit dem Biosphärenreservat und dem Fachgebiet Baustoffe und Bauchemie der Brandenburgischen Technischen Universität (BTU). Diese verfügt über ein gut ausgestattetes Labor, in dem das Eisenhydroxid auf seine Bestandteile hin untersucht wurde. Es ergab sich, dass der Ockerschlamm bis zu 80% aus Wasser besteht; hinzu kommt ein kleiner, aber nicht unwichtiger Anteil an Sulfaten (die den Schlamm unter bestimmten Bedingungen giftig machen). Resultat: Um den Ockerschlamm als Baumaterial verwenden zu können, muss die enorme Menge an Wasser zu beseitigt werden.

Auch bezogen auf den Pyramidenbau würde ich gern mit einer Beschreibung beginnen. Was bekommt der Besucher zu sehen?
Gar nichts, denn die geplante Pyramide wurde nie gebaut.

Mario Asef: Bautafel (2017). Foto: Peter Becker.
Mario Asef: Bautafel (2017). Foto: Peter Becker.

Dann wenden wir uns gleich der Vorgeschichte und dem Konzept zu.
Der Tourismusverein Raddusch bot mir 2016 an, in Raddusch an Konsum der Landschaft anzuknüpfen. Ich schlug vor, als Sinnbild für die gigantische ökologische Katastrophe eine Pyramide zu bauen; das wurde akzeptiert.

Weshalb betrachten Sie eine Pyramide als ein solches Sinnbild?
Die Frage, warum der Geschichte des Braunkohleabbaus in Raddusch ein Denkmal in Form einer Pyramide gesetzt werden soll, lässt sich in dreifacher Weise beantworten. Ein erster Grund ist der lokale Bezug zur altägyptischen Baukultur, den die Region um Cottbus seit der Orient-Begeisterung des berühmten Fürsten Pückler unterhält. Er entdeckte 1837 im Rahmen seiner Ägyptenreise die Pyramidenform für sich und beschloss, ein entsprechendes Bauwerk in Auftrag zu geben. In seinem Garten erbaut (heute ist hier der Fürst-Pückler-Park Branitz angelegt), wurde das Monument nicht nur zur letzten Ruhestätte des Fürsten und seiner Frau, sondern auch zum Wahrzeichen der Stadt.

Einen zweiten Aspekt stellt meine fortlaufende Beschäftigung mit architekturtheoretischen und archäologischen Fragen dar, welche meine künstlerischen Arbeiten begleitet. Im Jahr 2000 fing ich an, nach Definitionen der Architektur zu suchen. Damals grub ich im Rahmen der Arbeit Sleeping Policeman and Hole eine Vertiefung auf dem Gebiet des US-Militärflughafens in Heidelberg und häufte die Erde zu einem Hügel an (siehe https://marioasef.wordpress.com/2019/05/09/empirien/). Inspiriert war die Idee von den Nestbauarbeiten der Ameisenfamilie Atta Vollenweideri (der Blattschneiderameise aus Chaco, Argentinien). Beim Graben unterirdischer Tunnel sammeln die Ameisen Erde an, die sie überirdisch zum Bau einer pyramidalen Form als Eingang verwenden. Das Volumen dieser geschichteten Erde entspricht also dem negativen Volumen der ausgegrabenen Tunnel. Architektur lässt sich somit auch als Dialektik von Graben und Anhäufen/Bauen beschreiben. Daraus leitet sich der dritte Ansatzpunkt ab, denn typische Grafiken, die der visuellen Veranschaulichung des Tagebauprozesses dienen, arbeiten mit pyramidalen Formen und zeigen, dass die Gewinnung von Kohle mit der Arbeit der Ameisen vergleichbar ist: Der Gewinnung von Kohle entspricht immer ein unterirdischer Abtrag von Material.

Mario Asef: Pyramid of Coal Consumption (2017). Zeichnung: Mario Asef.

Grafische Darstellungen dieses Prozesses zeigen eine invertierte Pyramidenform, an deren tiefster Stelle die Braunkohle liegt. Von hier aus wird der Brennstoff an die Oberfläche befördert, wo er sich – metaphorisch gesprochen – an die Spitze einer neuen pyramidalen Hierarchie setzt, denn all unsere Industrie, unsere Fortbewegung und unsere Lebensstandards hängen von der Energie ab, die sich aus dem Rohstoff gewinnen lässt. Diese bildet somit den Kulminationspunkt, in dem sich das gesamte globale Interesse bündelt.

Die eben gebrachte Skizze zeigt beispielhaft, wie sich ein solches Organigramm ausgestaltet: Jede einzelne Stufe des Organigramms nimmt an einem Prozess teil, an dessen Spitze das Ziel der Energiegewinnung steht und von hier auf alle Ebenen ausstrahlt. Es entsteht eine komplexe Informationsarchitektur, welche der in modernen Gesellschaften gegebenen Notwendigkeit entspricht, gezielte Beziehungen zwischen Daten herzustellen. Daher eröffnet gerade die verworrene Gemengelage innerhalb der Braunkohle-Diskussion einen geeigneten Ausgangspunkt, um mit Hilfe des Organigramms über Definitionen und Interaktion von Raum und Landschaft nachzudenken.

Woran ist die Realisierung des Pyramidenbaus gescheitert?
Prof. Dr. Ing. Klaus Jürgen Hünger begann mit einem Team von Studenten, das Material zu erforschen, doch sie säten erste Zweifel an dem Vorhaben, denn die großen Anteile an Wasser und giftigem Sulfat machen eine erfolgreiche Nutzung des Ockerschlamms als Baumaterial unwahrscheinlich. Allerdings schaltete sich im letzten Jahr der Ingenieur Helmut Ziehe ein und proklamierte, eine einfache Lösung für das Problem gefunden zu haben. Zum heutigen Zeitpunkt erscheint sein Vorhaben jedoch als nicht realisierbar, denn die Resultate der Analyse zeigen keine Veränderung der Eigenschaften des Materials.

Ursprünglich sollte zu diesem Projekt noch ein Film entstehen. Haben Sie den Filmplan ganz aufgegeben?
Nein, ich halte weiterhin daran fest, muss den Film aber wegen Covid-19 verschieben.

Erläutern Sie bitte das aktuelle Filmkonzept.
Das Filmprojekt setzt sich einerseits mit der industriellen Energiegewinnung und deren ökologischen Folgen auseinander, fängt andererseits aber auch ein, wie ein ganzes Dorf in Erwartung eines bald zu erbauenden Wahrzeichens in Dynamik gerät – angefacht durch die Intervention eines ideell überambitionierten Künstlers. Auf dessen persönliche Motivation, ein bedeutsames Werk zu schaffen, und auf die Hoffnung der Dorfbewohner, ein regionales Alleinstellungsmerkmal zu erlangen, treffen politische und ökonomische Interessen der Kooperationspartner. Diese entgegengesetzten Haltungen generieren ein turbulentes Eigenleben, welches das Projekt schlussendlich zum Scheitern bringt. Ich selbst nehme die Rolle des enthusiastischen Künstlers ein und werde somit neben meiner Regietätigkeit gleichermaßen zum Teil des dokumentierten Geschehens.

Sowohl Konsum der Landschaft als auch Der Pyramidenbau von Raddusch sind ökologische Kunstprojekte, die auf Umweltschädigungen – auf die „gigantische ökologische Katastrophe“ aufmerksam machen und Energien für die Bewältigung der Probleme freisetzen wollen. Seit wann machen Sie Kunst dieser Art, und welche Rolle haben wissenschaftliche Erkenntnisse bei dieser Neuorientierung gespielt?
Meine Videoarbeit Crossfade (2012) erzählt die Geschichte zweier Invasionsbewegungen. Die Vereinnahmung Amerikas durch die Europäer wird in Bezug gesetzt zur Ausbreitung der argentinischen Ameise (Linepithema Humile) in Europa. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde sie durch Überseetransporte eingeschleppt; seitdem vernichtet sie die ansässigen Ameisenarten. Mit 6.000 km Länge hat sie die größte Superkolonie der Welt entlang der Mittelmeerküste von Norditalien durch Frankreich, Spanien, Portugal bis an die nordspanische Küste erschaffen. 90% der einheimischen Ameisenarten hat sie inzwischen ausgelöscht.

Die Recherchen für diese Arbeit zeigten mir, dass die Vereinnahmung Amerikas durch die Europäer und ihre brutalen Folgen für die indigenen Völker des amerikanischen Kontinents einen Wendepunkt in den betroffenen Ökosystemen darstellten. Das bedeutet aus meiner Sicht auch, dass bestimmte politische Aktivitäten, philosophische Überlegungen und wissenschaftliche Annahmen im Laufe der Geschichte ökologische Konsequenzen haben.

Seitdem haben alle meine Projekte eine ökologische Seite. Die Wissenschaft spielt dabei eine wichtige Rolle, denn aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse formieren in erster Linie unser Weltverständnis und prägen in zweiter Linie unsere Interaktionen mit unserer Umwelt.

Ihr 2018 entstandenes Projekt Kemmuna Nation steht offenbar auch in diesem Zusammenhang. Worum geht es hier?
Es handelt sich um ein fortlaufendes Projekt im öffentlichen Raum, das mit der Idee einer globalen Nation, zu der nichtmenschliche Entitäten gehören, spielt. In Übereinstimmung mit den Verfassungen der Republik Ecuador und Boliviens, die die Pachamama (Mutter Erde) als eine juristische Person mit eigenen Rechten und Pflichten gegenüber dem Staat anerkennen, erarbeitet Kemmuna Nation das Konzept einer Nation, in der die Interaktionen zwischen der Natur und den Menschen koordiniert werden. Menschen sind hier nicht Teil der Nation, sondern nur Verhandlungspartner. Um dies zu erreichen, muss man die Natur als einen politischen Akteur betrachten, der in der Lage ist, die Rechte der nichtmenschlichen Akteure, aus denen sie besteht, souverän zu verteidigen.

Mario Asef: St. Mary’s Tower (2018). Foto: Mario Asef.
Mario Asef: St. Mary’s Tower (2018). Foto: Mario Asef.

Wo haben Sie Kemmuna Nation verwirklicht?
2018 wurde ich von der FRAGMENTA Malta eingeladen, dieses Projekt auf der Insel Comino zu realisieren. Mehrere Gebäude wurden zur Nutzung bereitgestellt. Auf dem Programm standen eine Rede zur Unabhängigkeitserklärung, ein Vortrag über Blockchain – über fälschungssichere, verteilte Datenstrukturen, in denen Transaktionen in der Zeitfolge protokolliert, nachvollziehbar, unveränderlich und ohne zentrale Instanz abgebildet sind –, die Krypto-Währung Kemmuna Coin sowie eine kurze Tour durch das Flechten-Ökosystem von Comino. Auch eine interaktive Klanginstallation und ein Klangspaziergang wurden in der verlassenen Bäckerei von Comino präsentiert.

Jetzt die Bäckerei, vorher der Geologische Kuchen: Hat diese mehrfache Hinwendung zur kulinarischen Kultur des Menschen einen besonderen Grund?
Durchaus. Was wir essen, verlinkt uns mit dem Ort, an dem wir leben, und der ihn prägenden Kultur. In vielen meiner Arbeiten ist das Essen ein Synonym für Kulturelles: Es entwickelt sich von der abstrakten Idee über Kapital und Macht bis zum konkreten Anfassen, Kauen und Schlucken. Was man hinunterschluckt, ist nicht nur Brot z.B., sondern letztlich ein ganzes soziopolitisches System.

Welche weiteren Aspekte umfasst das Konzept?
Als Basis dient die mineralische Ebene, die durch ein unterirdisches Netzwerk von Mykorrhizapilzen mit verschiedenen Pflanzenarten verbunden ist. Dieses System erzeugt Nährstoffe für Insekten, Tiere und Menschen. Auf diese Weise und unter Berücksichtigung der Menge der Pflanzen, die von den Tieren und Insekten gefressen werden, erhalten Mykorrhizapilze einen Überblick über den Tier- und Pflanzenbestand (auch durch Kommunikation mit anderen Pilzen, die auf Tierleichen und Kot wachsen).

Wie können Pilze einen Überblick über etwas bekommen? Ist das eine Science Fiction-Annahme?
Ja, das ist spekulativ gesprochen und sehr vereinfacht. Ich weiß, es ist sehr heikel, z.B. Pilzen ein Bewusstsein zuzuschreiben, es erscheint aber nicht mehr so absurd wie vor 20 Jahren. Unser Verständnis der Wahrnehmung der Pflanzen erweitert sich rapide. Hier sogar in unterhaltsamen Form erklärt:

…und hier eine Studie über die Mykorriza Pilz-Wurzel-Symbiose.

Das Mykorrhizennetzwerk kann innerhalb meiner fiktiven Konstruktion das Leben auf dem Planeten verwalten, indem es Nährstoffe und Informationen über Kohlendioxid austauscht. Mit Hilfe von Flechten, die auch eine Pilzkomponente haben, kann Kemmuna Nation die Luftverschmutzung messen. Die nichtmenschliche Nation nutzt also Flechten als Biomonitore der Luftqualität. Die Luftqualität ist auch ein Faktor, um den Wert der Kemmuna Coin zu berechnen.

Die Flechten reagieren sehr empfindlich auf Veränderungen der Luftqualität. Viele Flechtenarten können auch in anderen Klimazonen leben, was die Untersuchung von Verschmutzungsgraden über große Entfernungen ermöglicht. Dieser Informationsstrom kann von Sensoren am Boden gemessen und von einem Zentralcomputer interpretiert werden, der über einen Algorithmus den Wert einer Kryptowährung bestimmt – so das Konzept. Diese neue Währung wird Kemmuna Coin genannt und von den Menschen zur Bezahlung von Transaktionen mit der Erde verwendet. Alle Rohstoffe, die die Menschen der Kemmuna Nation entnehmen, müssen mit Kemmuna Coin vergütet werden. Verstöße gegen das Gesetz werden ebenfalls mit Kemmuna Coin geahndet. Auf diese Weise können Verschmutzung und Ausbeutung der Natur Faktoren sein, die den Wert dieses Geldwechsels zwischen Mensch und Natur verändern. So konstituiert sich ein selbstreguliertes System, das auch den menschlichen Faktor des Systems einbezieht.

Mario Asef: Abandoned bakery (2018). Foto: Bettina Hutschek.
Mario Asef: Abandoned bakery (2018). Foto: Bettina Hutschek.

Hat es Inspirationsquellen für dieses Projekt gegeben?
Ja. In seinem 1991 erschienenen Buch Wir waren nie modern versucht Bruno Latour, die soziale und die natürliche Welt wieder miteinander zu verbinden, indem er argumentiert, dass die modernistische Unterscheidung zwischen Natur und Kultur verfehlt ist, denn Kultur sei eine der Ausdrucksformen der Natur. Er behauptet, dass wir unser Denken so modifizieren sollten, dass wir uns ein „Parlament der Dinge“ vorstellen, in dem Naturphänomene, soziale Phänomene und der Diskurs über sie nicht als separate Objekte betrachtet werden, die von Spezialisten untersucht werden müssen, sondern als Hybride, die durch die öffentliche Interaktion von Menschen, Dingen und Konzepten hergestellt und untersucht werden. Mittlerweile sind Begriffe wie „Biosemiotics“ oder „Dark Ecology“ gängig geworden.

Durch Latour und andere Autoren wie z.B. Humberto Maturana bin ich zu der Überzeugung gelangt, dass wir einen radikalen Plan benötigen, welcher der Natur – dem, was wir heute Natur nennen – eine Stimme innerhalb der Weltpolitik gibt. Technologisch sind wir zwar noch nicht so weit, aber die Konzepte sind immerhin schon da. Es ist der Zeitpunkt gekommen, an dem die Natur sich vom Menschen unabhängig erklärt. Die Kunst halte ich für ein geeignetes Medium, um die Menschen für ein solches neues Verständnis zu sensibilisieren.

Mario Asef, wir danken Ihnen für das aufschlussreiche Gespräch.

Beitragsbild: Mario Asef: Konsum der Landschaft – Geotubes (2015). Foto: Mario Asef.

Zitierweise

Peter Tepe und Till Bödeker (2020): Mario Asef: Kunst und Ökologie. w/k – Zwischen Wissenschaft & Kunsthttps://doi.org/10.55597/d14329

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