Text: Michael Klipphahn | Bereich: Allgemeines zu „Kunst und Wissenschaft“
Übersicht: Künstliche Intelligenz (KI) ist im Begriff, die strukturellen Gegebenheiten jener Gesellschaften zu formen, die an der Entwicklung der Automatisierung intelligenten Verhaltens beteiligt sind. Als vermittelnd zwischen technischer Verarbeitungsform und kulturellem Imaginationsobjekt schreibt sich die Verwendung von KI auch in Prozesse der Gegenwartskunst ein. Das Forschungsforum Schaufler Lab@TU Dresden hat es sich auf dieser Basis und als Erweiterung des institutionseigenen Art Science Labs der Technischen Universität Dresden (TU Dresden) zur Aufgabe gemacht, in einem interdisziplinären und universitären Konzept die Vernetzung künstlerischer und wissenschaftlicher Forschung auf dem Gebiet der Diskursverschränkung von KI und Kunst zu untersuchen.
Allein in den Jahren 2019 und 2020 gab es zahlreiche Kunstausstellungen zum Thema Künstliche Intelligenz (KI). Beispiele dafür waren im Barbican Centre in London, im Museum für Angewandte Kunst in Wien, im Haus der elektronischen Künste in Basel, im Kunstverein Hannover und im M. H. de Young Museum in San Francisco zu sehen. Dutzende Einzelpräsentationen von Künstler*innen wie Nora Al-Badri, Refik Anadol, Sougwen Chung, Pierre Huyghe, Trevor Paglen und Hito Steyerl, die mindestens anteilig codierte, aktiv reagierende und/oder mit Hilfe von KI erschaffene Elemente enthielten, wurden ebenso realisiert. Künstler*innen und Ausstellungsinstitutionen haben also begonnen, das Potenzial von KI als kreatives Instrument, als nichtmenschlicher Kollaborateur, als disruptive Technik – im Sinne einer radikalen Innovation, die bestehende Techniken abzulösen imstande ist – und als Objekt, das zu systematischer Kritik und Reibung anregt, zu erforschen. Diese Welle des Interesses ist mindestens zum Teil auf die wachsende Rolle und Bedeutung von KI in der Gesellschaft zurückführen. Denn nahezu alle Bereiche des menschlichen Handelns werden derzeit technisch erweitert. Besonders bemerkenswert ist der rasche Aufstieg des maschinellen Lernens als einer Teildisziplin der KI, in der Algorithmen, die mit großen Datenmengen trainiert werden, gewisse Probleme durch die Extrapolation von Mustern aus Informationen lösen können. Einige Beispiele für Techniken, die sich maschineller Lernverfahren bedienen, sind Spracherkennung, beispielsweise in Mobiltelefonen, Spam-Filterung, Emotions- oder Gesichtserkennung, aber auch ihr Einsatz in der Medizintechnik ist zu nennen, unter anderem um diagnostische Qualitäten zu verbessern. Da somit immer mehr materielle Realitäten in Form von Daten dargestellt und interpretiert werden, wird diese Art der algorithmischen Mustererkennung zunehmend als Hilfe genutzt, um Gesellschaften zu organisieren, Prozesse zu automatisieren und zu regeln (vgl. Nilsson 2015: 1ff.).
Wie in jeder Befundmasse, die auf der Reproduktion normierter Datensätze beruht, wird auch in diesem Zusammenhang auf statistischer Basis eine historische und soziale Generalisierung reproduziert, die diesen Datensätzen zugrunde liegt. Grund dafür ist, dass diese inhaltlich zusammenhängenden Datenfelder eine prozessuale Schnittmenge abbilden, ohne Sinn für das Partikuläre, Diverse oder auch Randständige ausbilden oder soziale, politische und kulturelle Auswirkungen auf Gesellschaften in den Blick nehmen zu können. In diese Marginalisierungsproblematik lassen sich beispielsweise die nicht gelingende Wahrnehmung von People of Color durch Gesichtserkennungssoftware oder die Benachteiligung von Frauen bei automatisierten Bewerbungsverfahren im Berufsalltag einrechnen. Außerdem bleiben die dieser Algorithmisierung zugrundeliegenden Verfahren für diverse Nutzer*innen meist codiert, denn die der KI inhärenten Abläufe verlangen oftmals umfassende technische Kenntnisse, spielen sich innerhalb von Blackboxes ab und setzen zumindest ein Verständnis ihrer Effektzusammenhänge voraus (vgl. Müller-Mall 2020: 19ff.). Insofern lässt sich konstatieren, dass ein besseres Verständnis für die gesellschaftliche Wahrnehmung, die Strukturen und die Wirkungsweisen von KI ermöglicht werden muss und dass die genannten Implikationen vor allem die Technik des maschinellen Lernens zu einem wichtigen Thema einer kritischen Untersuchung und politischen Auseinandersetzung im Universitäts- und im Wissenschaftskontext machen. Auch andere Gegenstandsbereiche der KI werden hier zukünftig eine übergeordnete Rolle spielen. Als Beispiele sind Techniken zu nennen wie die Automatisierung (der Prozess, nach dem ein System oder ein Verfahren automatisch funktioniert), Machine Vision (die Erfassung und Analyse visueller Informationen), Natural Language Processing (die Verarbeitung der menschlichen Sprache durch ein Computerprogramm) oder die Robotik (ein Zweig des Maschinenbaus, der sich auf die Entwicklung und Herstellung von vorrangig arbeitserleichternden technischen Apparaturen konzentriert).
Schaufler Lab@TU Dresden: Anliegen, Ausrichtung und Struktur
Ein Großteil der Forschung rund um KI wird durch Technikkonzerne und im akademischen Bereich durch die Naturwissenschaften vorangetrieben. Geistes- und Sozialwissenschaftler*innen verfolgen oftmals eine anders ausgerichtete Forschungsagenda und beleuchten KI weniger aus technischer denn aus gesellschaftlicher Perspektive und verfolgen das Ziel, aus dem Einfluss von KI erwachsende Debatten besser verstehen zu können. Künstler*innen widmen sich mit ihrem mannigfaltigen Pool von Ausdrucksformen vielmals der Kritik, Formen der systematischen Umwidmung der Techniken, der Diversifizierung und Prüfung von oder einer gänzlich individualisierten Sicht auf KI. Da die technischen Entwicklungen nicht nur die Transformation von Materie und Energie, sondern auch die von Information und Wissen, von Bewusstsein und Emotionen betreffen, lässt sich daraus die Notwendigkeit breit angelegter interdisziplinärer Diskursforen und kollaborativer Forschungsinitiativen ableiten.
Ein Beispiel für ein derartiges Diskursforum ist das gemeinsam von The Schaufler Foundation und der Technischen Universität Dresden (TU Dresden) initiierte Schaufler Lab@TU Dresden.
Die 2005 von Senator h. c. Peter Schaufler (1940–2015) gegründete Stiftung The Schaufler Foundation führt die vom Stifter als Lebenswerk verstandene Zusammenführung von Unternehmertum mit Wissenschaft, Forschung und Kunst fort und fördert im Rahmen des Schaufler Lab@TU Dresden ein Graduiertenkolleg und eine Künstler*innenresidenz an der TU Dresden. Dort befassen sich Geistes- und Sozialwissenschaftler*innen und Künstler*innen in Zusammenarbeit mit und Unterstützung durch Naturwissenschaftler*innen, Techniker*innen und anderen Forschenden mit den Wechselwirkungen zwischen Technik, Kunst und Wissenschaft. Das Lab besteht dabei aus zwei Säulen:
- Schaufler Kolleg@TU Dresden ist ein interdisziplinäres Graduiertenkolleg mit bis zu zehn Promotionsstellen innerhalb der jeweiligen Förderphase: Die Forschungsdisziplinen der derzeitigen Stipendiat*innen umfassen die Bereiche Didaktik, Geschichte, Kunstgeschichte, Kommunikationswissenschaft, Philosophie, Politikwissenschaft, Soziologie und Theologie. Ein detaillierter Überblick über die derzeitigen Kollegiat*innen und ihre Forschungsthemen findet sich unter: https://tu-dresden.de/gsw/schauflerlab/schaufler-kolleg/teilnehmende.
- Schaufler Residency@TU Dresden ist ein Artist-in-Residence-Programm für insgesamt drei Künstler*innen innerhalb der jeweiligen Förderphase: Bisherige Künstler der Residenz sind Christian Kosmas Mayer (*1976) aus Wien für das Jahr 2020 und Anton Ginzburg (*1974) aus New York für 2021.
Mit der Schaffung dieses dialogischen Forums zwischen Kunst und Geistes- und Sozialwissenschaft beabsichtigt die TU Dresden einen signifikanten Beitrag zur Implementierung von Kunst in fakultätsübergreifenden Forschungskooperationen im deutschsprachigen Raum zu leisten. Gemeinsamer Untersuchungsgegenstand ist das Wechselspiel zwischen technischer Innovation und dem Wandel von Gesellschaft und Kultur. Der Fokus liegt dabei vor allem auf der Technik als Ressource, als Verbreitungsmedium und als Diskurselement. Leitthema des Labs ist in der ersten von drei geplanten Förderphasen Künstliche Intelligenz und gesellschaftlicher Wandel (2020–2023). Dieses Motiv wird aus geistes- und sozialwissenschaftlicher wie aus künstlerischer Perspektive untersucht und bearbeitet.
Die Idee für das Residenzprogramm resultiert aus dem Art Science Lab der Kustodie der TU Dresden. In diesem Lab arbeiteten Künstler*innen und Wissenschaftler*innen an spezifischen Forschungsfragen zu Themenkomplexen wie Smart Materials in Kunst und Technologie. Als Beispiele sind hier die Künstler*innen und Künstler*innenkollektive Pakui Hardware (Neringa Černiauskaitė und Ugnius Gelguda), New Scenario (Paul Barsch und Tilman Hornig), Alice Peragine, Tabita Rezaire und Young Girl Reading Group (Dorota Gawęda und Eglė Kulbokaitė) zu nennen, die an der TU Dresden Kooperationen mit interessierten Instituten und Bereichen eingegangen sind und zum Thema Mensch 4.0 unter dem Label Dear Humans … forschten. Peragine beispielsweise arbeitete am Institut für Leichtbau und Kunststofftechnik (ILK) an der TU Dresden zur Wirkung von Leichtbaumaterialien in der Mobilitätsindustrie und zum autonomen Fahren.
Mit der Schaufler Residency@TU Dresden konnte nun ein eigenständiges Format für die künstlerische Forschung etabliert werden. Dieser Initiation zugrunde liegt die Einstellung, dass die auf dem Künstlerischen basierende und vielmals darin inhärente Forschung als kulturelle Praxis für eine zur wissenschaftlichen Forschung analoge Erkenntnis- und Wissensproduktion sorgen kann, wie aus der Leitauffassung des Schaufler Lab@TU Dresden zu entnehmen ist:
▷ https://tu-dresden.de/gsw/schauflerlab.
Implizite, praktizierte und verkörperte Wissensformen sind viel weniger an methodische Anforderungen gebunden und in ihren Darstellungsformen diverser. Sie können Erfahrungen und Kenntnisse in Formaten wie Ausstellungen, Performances oder öffentlichen Interventionen anders, meist relationaler und individueller vermitteln (vgl. Matzke 2013). Diese grundlegende Positionierung des Schaufler Lab@TU Dresden zielt darauf ab, Wissensgenerierung immer als abhängig vom Korpus der beteiligten und adressierten Subjekte, als abhängig vom Kontext jedweder Handlungen zu begreifen und nicht als stiftend für eine objektive Wahrheit.
Indem entsprechend dieser Sichtweise internationale Gegenwartskünstler*innen seitens der TU Dresden als gleichberechtigte Akteur*innen in Forschung und Bildung betrachtet werden, wird es möglich, interferierende, aber auch in ihrer Gegenseitigkeit nutzbare Themen aus Wissenschaft und Kunst zu fördern, öffentlich zu machen und so den Fortschritt in den Einzeldisziplinen über die Kunst hinaus zu unterstützen. Die Ergebnisse der jährlich wechselnden Residenzen werden in verschiedenen Ausstellungsformaten in Dresden präsentiert – von temporären Installationen im Open Studio, gemeinsamen Projekten mit der Hochschule für Bildende Künste Dresden bis hin zu Abschlussausstellungen. Ort für die Abschlussausstellung ist stets die Universitätsgalerie der Kustodie im Görges-Bau. Außerdem wird jeweils ein Werk der Residenzkünstler*innen für den Kunstbesitz der Universitätssammlungen angekauft.
Relevant wird diese gegenseitige Bezugnahme gerade dadurch, dass gegenwärtigen KI-Diskurse in hohem Maße von Medien wie Bildern, Texten, Sprachen etc. als Lerndaten abhängig sind (vgl. Ernst et. al. 2019: 10). Umgekehrt ist KI ebenso Objekt medialer Darstellungen, ihrer Informationspolitiken und Narrative. Genau in diesem Reflexionspool liegt die Verbindung von Wissenschaft und Kunst hinsichtlich des Themas.
Das Besondere an dieser Vernetzung der jeweiligen Künstler*innen der Residenz mit Nachwuchsforscher*innen des geistes- und sozialwissenschaftlich orientierten Kollegs ist, dass die Themen der künstlerischen Werke und der Promotionsvorhaben in Zusammenhang und einer breiten Öffentlichkeit in verschiedenen dialogischen Diskursformaten näher gebracht werden. Ein Beispiel: In einem dieser offenen Formate wird die Verbindung von Kryonik – einer Technik, mittels derer das Aufbewahren von Zellen oder Gewebe, partiell ganzer menschlicher Körper unter anderem durch Einfrieren in flüssigem Stickstoff vorgenommen wird – und historischen Körperpolitiken sowie deren ideengeschichtlichem Zusammenhang mit KI näher beleuchtet. So beschäftigt sich der erste Residenzkünstler Christian Kosmas Mayer während seines Aufenthaltes mit dem Thematik der Kryonik, bringt sie in das Lab ein und diskutiert sie und seine diesbezüglichen künstlerischen Arbeitsvorhaben öffentlich mit dem Inhaber der Professur für Kälte-, Kryo- und Kompressorentechnik der TU Dresden, Prof. Dr. Christoph Haberstroh, und den Kollegiat*innen. Damit trägt dieses Diskussionsformat dem angestrebten Match-Making der TU Dresden Rechnung, wodurch die Universität eine Verbindung von geistes-, sozial- und naturwissenschaftlichen Forschungsbereichen anstrebt. Untersucht und mit dem Werk der jeweiligen Residenzkünstler*innen verknüpft werden Themen wie Demokratietheorie, ethische Perspektiven auf den Umgang mit Drohnen, die Historisierung des Themas KI avant la lettre, Formen algorithmisierter Verfahrensweisen und das Problem der fehlenden Repräsentation von Minderheiten in entsprechenden Datensatzpools oder auch die Grenzen und Gegebenheiten automatisierter Kommunikationstools.
Verortet wird die Residency in einem Open Studio auf dem Campus der TU Dresden, in unmittelbarer Nachbarschaft zu den Büros des Kollegs und der Kustodie. Das Open Studio dient zugleich als räumliche Schnittstelle zwischen Kolleg und künstlerisch-wissenschaftlicher Forschung. Hier findet die Vernetzung von Künstler*innen und Kollegiat*innen mit der Öffentlichkeit, dem Kollegium der TU Dresden aus den MINT-Fächern und internationalen und nationalen Fachwissenschaftler*innen statt – zum einen, indem sich die personelle Vernetzung durch die räumliche Nähe der Arbeits- und Atelierräume zum Hauptcampus der TU Dresden rasch realisieren lässt, und zum anderen dadurch, dass Lektüresitzungen, Symposien, Tagungen und Workshops zu KI gemeinsam abgehalten werden. Beispiele hierfür sind der Workshop von Prof. Dr. Dirk Baecker, Soziologe an der Universität Witten/Herdecke, Künstliche Intelligenz im Kontext, in welchem die Rolle von KI innerhalb sozialer Bezugssysteme thematisiert wurde, oder der Workshop des Bild- und Medienwissenschaftlers Dr. Michael Richardson von der University of New South Wales, Sydney, Australien über Drone Images, in dem ethische Perspektiven auf KI bezüglich synthetischer Bildgebungsverfahren in den Blick genommen wurden.
Entsprechende Partner*innen sind die Exzellenzcluster der TU Dresden. In der ersten Förderphase bestehen Kooperationen mit dem Center for Tactile Internet, dem Center for Scalable Data Analytics and Artificial Intelligence sowie dem Center for Explainable and Efficient AI Technologies.
TUD universitas im Dialog künstlerischer und wissenschaftlicher Forschung
Die Beziehung zwischen künstlerischer und universitärer Forschungsagenda verhandelt das Schaufler Lab@TU Dresden durch sein hier beschriebenes Residenzprogramm und den Konnex zur Förderung und gegenseitigen Vernetzung von Nachwuchswissenschaftler*innen und Künstler*innen im Sinne der TUD universitas. Diese konzeptionelle Verortung und Selbstbeschreibung definiert die TU Dresden als Institution, die sich den dringlichsten Fragen und Erkundungen von wissenschaftlichen Konzepten und gesellschaftspolitischen Handlungsfeldern innerhalb des Universitätskontextes aus einer interdisziplinären Perspektive nähern möchte, um diesbezügliche Problemfelder wie fortschreitende Technisierungs- und darin eingeschlossen vor allem Digitalisierungsprozesse pluraler diskutieren und definieren zu können. Diesem Anspruch inhärent ist die Frage, welche Rolle in diesem Transformationsprozess die Wissenschaften und die Künste in gegenseitiger Ergänzung übernehmen können. Denn die oftmals und entgegen dem aktuellen Erkenntnisstand postulierte (vgl. Bippus 2010: 9) und in Konkurrenz zueinander konzipierte Binarität „wissenschaftliche[r] Objektivität versus künstlerische[r] Subjektivität“ scheint heute „nicht mehr haltbar“ (ebd.), führt man beispielsweise die Gegenseitigkeit von Experimenten zu menschlichen Verhaltensweisen, technischen Neuerungen und Methoden des Umgangs mit Material oder die Beschäftigung mit digitalen Bildkulturen ins Feld. Viel eher scheint es aktuell konstruktiv, Überschneidungen und Verschränkungen herauszuarbeiten. So ist die Produktion und Vermittlung von Wissen durch ihre sprachliche Verhandlung oftmals ein kreativer Akt. Das Schreiben ist in seiner Art und Weise ebenso an der Genese des inhaltlichen Gehaltes beteiligt, wie es Forschungsdaten und -erkenntnisse sind. Genauso kann epistemologische künstlerische Arbeit im umgekehrten Fall dezidiert wissenschaftlich sein. Ein Beispiel hierfür ist die Arbeit des Residenzkünstlers Christian Kosmas Mayer. Für sein Werk Silene von 2019 ließ er in Zusammenarbeit mit diversen Wissenschaftler*innen der Russischen Akademie der Wissenschaften einen 32.000 Jahren alten und im sibirischen Permafrostboden erhalten gebliebenen Samen in einem Laborversuch zu einer Pflanze wachsen. Das Ergebnis dieses Prozesses wurde in eine künstlerische Arbeit überführt und zu Ausstellungszwecken dokumentiert: Die reanimierte Pflanze der Gattung Silene als Zeugin interdisziplinärer Forschung wurde samt Glasschutzkolben und Nährboden als Kunstobjekt gezeigt.
Die Unterscheidung zwischen verschiedenen Forschungsansätzen liegt also nicht grundsätzlich in Fach und Perspektive begründet, sondern vor allem im Anliegen, den methodischen Zugängen und dem Kreis der Adressat*innen der Ergebnispräsentation. Ausstellungshäuser und Plattformen zur Exposition von Forschungsergebnissen bewegen sich in diesem Sinne auch aufeinander zu, indem mehr Wert darauf gelegt wird, dass sich Bedeutung nicht allein über die Repräsentation und das Ausstellen von Ergebnissen, sondern vornehmlich über die Vernetzung der Akteur*innen generiert und über die Kontextualisierung des Gezeigten erreicht wird. Nicht nur die sich gegenseitig bedingende Arbeit von Künstler*innen, Geistes- und Sozialwissenschaftler*innen innerhalb des Schaufler Labs@TU Dresden, die sich sowohl in die Forschungs- als auch in die künstlerische Arbeit einschreibt, zeugt davon. Auch die jeweils während der gemeinsamen Arbeit vor Ort an der TU Dresden entstehenden und sich darüber hinaus fortsetzenden Forschungskooperationen in Kunst und Wissenschaft sind Beleg für die produktive und wechselseitige Ergänzung von Kunst und Wissenschaft im Streben nach Erkenntnis.
Beitragsbild über dem Text: Logo Schaufler Lab@TU Dresden (2020). Gestaltung: Happy Little Accidents, Leipzig.
Literatur
Elke Bippus: Wissensproduktion durch künstlerische Forschung, in: Stefan Schöbi, Lucie Bader Egloff, Gabriela Christen (Hg.): Forschung zwischen Kunst und Wissenschaft. Berlin 2010, S. 9–21.
Christoph Ernst, Irina Kaldrack, Jens Schröter, Andreas Sudmann: Künstliche Intelligenzen. Einleitung in den Schwerpunkt, in: Zeitschrift für Medienwissenschaft, Heft 21, Marburg 2019, S. 10–19.
Annemarie Matzke, Künstlerische Praktiken als Wissensproduktion und künstlerische Forschung, in: Kulturelle Bildung Online, 2013: https://www.kubi-online.de/artikel/kuenstlerische-praktiken-wissensproduktion-kuenstlerische-forschung (zuletzt abgerufen am 22.02.2021).
Sabine Müller-Mall: Freiheit und Kalkül. Die Politik der Algorithmen, Ditzingen 2020.
Nils J. Nilsson: Introduction to Machine Learning, Stanford (CA) 2015.
Zitierweise
Michael Klipphahn-Karge (2021): Künstliche Intelligenz in Gesellschaft und Kunst. w/k - Zwischen Wissenschaft & Kunst. https://doi.org/10.55597/d14984
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