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Gentechnologie und die Ausstellung Zellvitalität

Text: Hubert Mayer | Bereich: Kunstbezogene Wissenschaft

 Übersicht: Anlässlich der Ausstellung Zellvitalität gibt Hubert Mayer zunächst eine Einführung in die Gentechnologie und erläutert dann ein Projekt kunstbezogener Wissenschaft: Drei Forscher greifen auf künstlerische Mittel zurück, um Erkenntnisse ihrer Disziplin einer breiteren Öffentlichkeit zu vermitteln.

Die Ausstellung Zellvitalität fand 2019 im Braunschweiger Botanischen Garten statt. Ehe das Ausstellungskonzept im Gespräch mit Peter Tepe entfaltet wird, gebe ich zunächst eine allgemeinverständlich gehaltene Einführung in die Gentechnologie und komme dann kurz auf die Themen Wissenschaftskommunikation und wissenschaftsbezogene Kunst zu sprechen.

Gentechnologie als Wissenschaft

Das Wort „Gentechnologie“ kann als Synonym für Gentechnik, molekulare Genetik und Molekularbiologie betrachtet werden. Die Gentechnologie hat sich in kürzester Zeit aus einer Einzelwissenschaft explosionsartig zu einer interdisziplinären Wissenschaft entwickelt. Sie ist ein Verfahren, das gezielte Eingriffe in das Erbgut (Gene) und damit in die biochemischen Steuerungsvorgänge (Proteine) von Zellen in Lebewesen anstrebt. Gezielte Genänderung wird bei Tier- und Pflanzenzucht bereits erprobt. Anfänglich verwendet für wissenschaftliche und technische Anwendungen in der Biotechnologie zur Herstellung von biologischen Substanzen, hat sich die Gentechnologie auch in der Tier- und Pflanzenzucht erprobt und wird aktuell auch für die Herstellung von Impfstoffen, wie z.B. gegen den SARS-COV-2 Virus genutzt.

Die Gentechnologie basiert auf Kenntnisse der Zellbiologie und macht sich wichtige zelluläre Grundbausteine zu Nutze. Biopolymere, d.h. linienförmige Wiederholeinheiten wie z.B.: DNA als Doppelstrang aus den komplementären Basen A – T – G – C ( Einzelbausteinen ) ist genereller Informationsträger, mRNA als Einzelstrang ist mobiler Informationsträger eines Teilbereichs (Gen), und davon durch Umkodierung ein Protein als Einzelstrang aus Aminosäuren das Werkzeug der Zelle. Das Ziel der Gentechnologie ist es das zentrale Dogma der Molekularbiologie, also die natürliche Richtung von DNA-mRNA-Protein Produktion, neu zu interpretieren und den Informationsfluss vorwärts und teilweise auch rückwärts zu definieren und zu nutzen. 

Das im Jahr 1953 von J. Watson und F. Crick vorgestellte Modell der DNA als Doppelhelix gilt dabei als zentraler Ausgangspunkt. In der Aufklärung der Gesamtsequenz des menschlichen Genoms entbrannte ein Wettstreit zwischen zwei Gruppen und endete im Jahre 2000 mit einem Kompromiss, bei dem beide Teams ihre Ergebnisse gleichzeitig vorstellten. Das Gesamt-Genom des Menschen besteht aus 3,27 x 109 Bausteinpaaren (Basenpaaren) mit einer Gesamtlänge von etwa 1,8 Metern – in 46 Chromosomen in einem Zellkern kondensiert. Unbekannt ist die exakte Anzahl der Gene, d. h. der Abschnitte, die für mRNA und davon abgeleitete Proteine kodieren. Es kursieren Zahlen von etwa 80 000 bis 140 000 Genen. Gensequenzen von den häufigsten vererbbaren genetischen Krankheiten sind bekannt. Von einem Großteil der Nutzpflanzen und Haustiere ist das komplette Genom entschlüsselt. Von einer großen Anzahl von Viren, Bakterien und Pilzen sind ihre DNA-Sequenzen bekannt. Ein Ziel dabei ist, genetische Stammbäume und Verwandtschaftsgrade darzustellen. Bei ähnlichen Krankheitsbildern ist es wichtig, den Verursacher genau identifizieren zu können, z.B. Sars-CoV-2 und Grippeviren.

Aufgrund der Gültigkeit des zentralen Dogmas für alle zellulären Lebewesen (Bakterien bis Säugetiere) können einfache Organismen, wie z.B. Bakterien, für die Produktion von menschlichen Proteinen umgebaut werden. Nach Isolierung des entsprechenden menschlichen Gens und dessen Einschleusung in ein Bakterium ist es möglich, das gewünschte menschliche Produkt unbegrenzt zu produzieren und als Medikament zur Verfügung zu stellen (z.B. menschliches Insulin oder Blutfaktoren). Bakterien können sogar so verändert werden, dass sie umweltschädliche, giftige Stoffe in einem Mehrstufenprozess biologisch abbauen. Durch den Einbau von pflanzlichen Gen-Kaskaden kann das Bakterium wie Pflanzen CO2 aus der Luft fixieren und Kohlenstoff-Verbindungen herstellen. Man spricht dann von Hybriden. Diese Beispiele zeigen, dass der genetische Code universell ist.

Einen großen Fortschritt in der Gentechnologie erbrachte eine Methode zur Vervielfältigung von Abschnitten der DNA. Sie wird Polymerase-Ketten-Reaktion genannt (PCR). Dieses Verfahren gilt heute als unerlässlich z.B. bei Forensik, Abstammung, Züchtung, Virennachweis, z.B. aktuell beim Coronavirus SARS-CoV-2.

Durch Erstellen von Genexpressionsprofilen, d. h. Erfassen und Charakterisierung der gesamten mRNA wird eine Möglichkeit gesehen, den Zustand einer Zelle umfassend zu charakterisieren. Damit verbindet man die Hoffnung, bei komplexen Krankheitsbildern wie Krebs, Infektionskrankheiten oder neurodegenerativen Erkrankungen, z. B. Hirnschädigungen, nicht nur zu erkennen, wann eine Zelle vom gesunden Zustand abweicht, sondern auch, wann sie wieder in die gesunden Bahnen zurückkehrt. Derartige Analysen von riesigen Datensätzen sind nur mit Einsatz von Hochleistungscomputern durchführbar. Die Gentechnologie kann deshalb bereits als Kreuzung zwischen Bio- und Computer-Wissenschaften angesehen werden.

Für das Verständnis von Lebensprozessen ist ein gezielter Eingriff in eine Zelle, in einen Organismus als essentiell anzusehen. Die Wirkung eines Gens kann dadurch in seinem zellulären Hintergrund studiert werden. Neuerdings kann mit der Genschere Crispr/Cas 9 positionsgenau in der lebenden Zelle das Erbgut verändert werden ( Nobelpreis 2020 ). Das Crispr/Cas 9-System kommt natürlicherweise in Bakterien vor, um virale Eindringlinge zu zerschneiden. Es wurde so modifiziert, dass es nach Einbringen auch in Zellen von höheren Organismen funktioniert. Das Besondere dabei ist, dass mittels eines entsprechend designten Leitfadens (RNA) jeder beliebige DNA-Abschnitt in einem Genom gezielt angesteuert werden kann. Die Nuklease, das ist ein Enzym, das Nukleinsäuren aufspaltet, wird dadurch in einer Art Huckepackverfahren an die RNA angezogen und schneidet dann die DNA dort zielgenau. Das zelleigene Reparatursystem schließt anschließend den Bruch. In ihrer Anwendung können in der lebenden Zelle Abschnitte entfernt und/oder durch neue ersetzt werden. Mittels PCR- und DNA-Sequenzierung kann der Vorgang überprüft werden. Die Methode ist weit verbreitet und wird in der Pflanzen- und Tierzucht eingesetzt. Erste klinische Anwendungen beim Menschen mit einem Gendefekt beim Hämoglobin (roter Blutfarbstoff) sind in Erprobung (somatische Gentherapie).

Eine hochkomplexe Dynamik existiert in der Embryonalentwicklung eines Organismus. Dabei entsteht aus einer befruchteten Eizelle, embryonale Stammzelle genannt, ein Organismus. Genetisch bleibt die Gesamtinformation der DNA in jeder Körperzelle die gleiche. Die Zellspezifität wird durch Aktivieren von gewebespezifischen Genen bestimmt. Ein Aufdröseln eines entsprechenden DNA-Bereichs ist dabei eine wichtige Voraussetzung. Der Zustand der Verknäuelung (A) sollte bei der jeweils ausdifferenzierten Gewebezelle ein anderer sein im Vergleich zu einer embryonalen Stammzelle (B). Diese Hypothese wurde in einem Tiermodell überprüft. Dabei wurde der intakte Zellkern einer ausdifferenzierten Gewebezelle (A) einem Schaf entnommen, als Spender-DNA in eine entkernte Eizelle gebracht (B) und von einer Schafleihmutter ausgetragen. Es wurde ein junges Schaf geboren: der Klon Dolly. Daraus kann gefolgert werden, dass entsprechend obiger Hypothese ein Übergang von A (ausdifferenziert) zu B (undifferenziert) stattgefunden hat, wie er in einer befruchteten Eizelle vorherrscht. Der Vorgang einer asexuellen Vermehrung wird als Klonierung, d.h. identische Reproduktion, bezeichnet. Sie ist bei Bakterien die übliche Form der Vermehrung. Auch bei Pflanzen ist sie weit verbreitet: Knolle, Zwiebel, Stecklinge bei Wein- und Obstsorten sind Beispiele dafür. Bei einzelnen primitiven Wirbeltieren und bei manchen Insektenarten ist diese Eigenschaft noch vorhanden.

Intakte Zellfunktionen sind ein Charakteristikum des Lebens. Proteine sind dabei die essentiellen Werkzeuge. In deren Raumstrukturen sind hochspezifische Funktionen vorhanden, zu denen u.a. der Auf- und Abbau bestimmter Stoffe gehören – der Stoffwechsel. Kleinste Veränderungen in diesen Strukturen können dazu führen, dass bestimmte Funktionen nicht mehr oder nur noch beschränkt durchführbar sind. Solch strukturelle Detailkenntnisse sind eine Voraussetzung für die Entwicklung von Medikamenten, z.B. von antiviralen Wirkstoffen. Dabei sollte der Wirkstoff mit hoher Affinität exakt in diese Virusbindungsstelle (Rezeptor) passen und damit ein Andocken des Virus verhindern. Diese Art von Wirkstoffen kann in Tablettenform verabreicht werden. Anders ist die Strategie der Immunisierung, wobei ein Teilbereich der Virushülle oder ein abgetötetes Virus durch Impfung im Körper das Immunsystem aktiviert, das dann den Eindringling vernichtet.

Wissenschaftskommunikation

Die Gentechnologie hat in viele Bereiche der modernen Gesellschaft Eingang gefunden und überraschende Innovationen geschaffen. In ihrer Anwendung werden national und international einzelne Sichtweisen kontrovers diskutiert. Bei der Bekämpfung der SARS COV-2-Pandemie steht die Gentechnik mit ihrem biologischen Wissen international im Mittelpunkt des Interesses. Nachweis, Verbreitung und gezielte Eindämmung sind dabei weltweit eine enorme Herausforderung. Im 21. Jahrhundert sind bislang nach Angaben der WHO 24 Epidemien bzw. Pandemien aufgetreten, jedoch keine mit dieser Intensität. Zusammenhänge zwischen Ursachen von Seuchen und hohem Zivilisationsstand werden diskutiert. Extreme internationale Mobilität und Ausbreitung von Seuchen stehen dabei in einem direkten Zusammenhang. Naturzerstörung und Verstädterung begünstigen solche Ausbrüche.

Bei der SARS COV-2-Pandemie zeigten sich im Verhältnis von Forschung, Pharmaindustrie und Zulassungsbehörden Schwächen, und dies bedarf einer kritischen Reflexion. Auch die derzeitige Struktur der Wissenschaftsförderung ist dabei kritisch zu betrachten. Sind die bisherigen Strukturen intellektuell, personell, finanziell dafür ausgestattet und gesellschaftlich entsprechend verankert? Kann durch Stärkung der Grundlagenforschung eine Plattform dauerhaft etabliert werden, die eine krisenfestere Zukunft erhoffen lässt?

Bei einer weltweit sich schnell ausbreitenden Pandemie erschien es notwendig, die existierende Wissenschaftskommunikation zu ergänzen. Innerhalb kürzester Zeit wird dabei in der Corona-Krise eine erstaunliche Wandlungsfähigkeit sichtbar. Eine schnelle Kommunikation von neuen Erkenntnissen zwischen Wissenschaftlern und Medizinern wird dabei als erforderlich angesehen. Ergebnisse werden in unterschiedlichen Formaten präsentiert. Erste Erkenntnisse werden über Twitter weitergegeben. Details werden als so genannte Vorveröffentlichung (pre-prints) publiziert. Konferenzen werden online organisiert. Diese Schnelligkeit der Datenpreisgabe wird dabei von einer hohen Verantwortung angetrieben, keine wertvolle Zeit im Wettlauf mit der schnellen Ausbreitung des Virus zu verlieren.

Bei der Vermittlung von fachlich fundiertem Wissen an die Allgemeinheit sind neue Formen entstanden. Molekulare Formen und Abläufe verständlich und anregend zu erklären, ist ansatzweise gelungen. Da die Materie sehr abstrakt ist, stehen dafür keine bekannten Erklärungsmuster zur Verfügung. Im Fall von COVID-19 ist zu beobachten, dass nicht der Aufbau, die Funktion des Virus und das Immunabwehrsystem, sondern die Folgen der Infektion wie Krankheit und Tod von gesteigertem Interesse sind.

Ein Defizit an Grundverständnissen von biologischen Abläufen erschwert naturgemäß eine persönliche Einschätzung von empfohlenen Verhaltensregeln. Dann werden anhand externer Kriterien, die von unterschiedlichen Interessensgruppen geprägt und nicht konfliktfrei sind, Entscheidungen getroffen. Dabei werden auch nicht fachlich fundierte Informationen präsentiert. Ein bekanntes historisches Grundmotiv, das Aufzeigen der Grenzen der Wissenschaft und ihr Scheitern, wird mit anderen sozialen Motiven verknüpft. Heutige Verschwörungstheorien ähneln diesem Grundmuster.

In diesem Dilemma kann Wissenschaftsjournalismus eine wichtige Rolle spielen, indem er Kriterien dafür liefert, was überhaupt verlässliche Wissenschaft ist und woran man sie erkennt – eine Herausforderung, die kaum in Kurzzeit zu bewältigen ist. Diese Lücke wird von beachtenswerten Initiativen engagierter Forscher und Mediziner neben ihren Forschungsaktivitäten gefüllt, wissenschaftliche Ergebnisse in einfacher Sprache zu veröffentlichen. In institutsgebundenen Kommunikationsformen versuchen Wissenschaftsorganisationen, ihre Aufgaben und Lösungsansätze in attraktiver Weise zu präsentieren. Das Max Planck-Gesellschaft, die Helmholtz-Gemeinschaft, diverse wissenschaftliche Verbünde und Gesellschaften sowie einzelne Universitäten informieren über ihre Aktivitäten in eigener Verantwortung. Anregend sind dabei Porträts von einzelnen Forschern und Beiträge von jungen Leuten. Ein Einblick in die Laboratmosphäre, z.B. in Einsatz, Betreuung, Finanzierung könnte als Orientierungshilfe für Studenten dienen.

Um breite Bevölkerungsschichten zu erreichen, wird zusehends versucht, Aspekte der Gentechnologie in attraktiv konstruierten Repräsentationsbildern zusammenzufassen. Vor dem Hintergrund des vorhandenen technologischen Grundverständnisses werden biologische Forschungsergebnisse vermittelt. Dieser Art von Erklärungsmustern fehlt jedoch die Möglichkeit einer aktiven Teilnahme und Gestaltung. Angebote von Schülerpraktika in Instituten und Museen tragen diesem Umstand Rechnung. Neuerdings wird in computergestützten Installationen der Betrachter als Akteur in das Geschehen mit integriert. Durch Körperbewegung und Benutzung der eigenen Sprache wird der Interessent aktiver und passiver Teil des Geschehens. Zukünftig könnte eine kybernetische Sicht auf molekulare Abläufe zu neuen Denkmodellen führen.

Wissenschaftsbezogene Kunst

Wissenschaft und Kunst bieten, jede auf ihre Weise, eine Möglichkeit, unsere Realität zu begreifen. Sie sind dabei gehalten, eine aktive Rolle in der Gesellschaft zu übernehmen. Wir wollen hier fragen, inwieweit Kunst diesen Anspruch im Anbetracht der dynamischen Entwicklung der Gentechnologie noch aufrecht erhalten kann.

Zeitgenössische Kunst, die parallel zu den Wissenschaften sich als eigenständige Instanz sieht, ist auf besondere Weise mit den Ansprüchen und Entwicklungen neuer Technologien konfrontiert. Sie hat dabei Chancen und Grenzen einer Zusammenarbeit auszuloten. Wesentliche Tendenzen der Künste heute sind eine stetige Ausdehnung der Materialbasis, Aufhebung der Trennung von hoher und niedriger, freier und angewandter Kunst, eine intensive Verbindung mit Medien zu einem Verbund (Medienkunst), eine techno-imaginäre, interaktive Kunst (Computerkunst). Der Ruf nach wissenschaftsbezogener Kunst als Ordnungskompetenz wird laut.

Bei der Suche nach einem Inhalt in Formen und Abläufen, wie sie in der Gentechnologie entdeckt werden, könnte in der Faszination liegen, das Nichtsichtbare sichtbar zu machen. Eine Integration der Gentechnologie in den Entwurf der Künste könnte somit ein Weg sein, die Natur neu zu entdecken. Am Ende des Prozesses könnten Formen unbändigen Reichtums stehen. Er gäbe der Malerei damit eine Möglichkeit, der Debatte über Gentechnologie eine ästhetische Dimension zu geben. Diese Idee wurde in der Ausstellung Zellvitalität präsentiert.

Zur Ausstellung Zellvitalität – Leben. Molekulare Genetik und Malerei – ein Gespräch mit Peter Tepe

Diese Ausstellung fand vom 24. August bis zum 15. September 2019 im Braunschweiger Botanischen Garten statt. Wer war an der Entwicklung der Ausstellungskonzeption und deren Umsetzung beteiligt, und welches Hauptziel haben Sie mit der Ausstellung verfolgt?
Gentechnologie erlaubt uns, molekulare Mechanismen des Lebens im Detail zu verstehen und lädt dazu ein, darüber neu nachzudenken, was Leben bedeutet. Um darüber eine Diskussion in Gang zu bringen, erschien es sinnvoll, bildende Kunst, d.h. hier Malerei mit Entwicklungen der Gentechnologie in Verbindung zu bringen. Eine intensive Annäherung, die nicht mit dem üblichen Nutzenanspruch zusammenfällt, könnte zu einer neuen Naturauffassung auf emotionaler, philosophischer und ethischer Ebene führen.

Einen möglichen Lösungsansatz sahen wir, Heinrich Lünsdorf und Manfred Rohde und Hubert Mayer, dabei in einem Konzept, wissenschaftliche Daten und künstlerische Betrachtung mit dem Fokus auf Zellvitalität zu präsentieren. In gewisser Hinsicht suchten wir also nach Schnittstellen (interfaces) zwischen Kunst und Gentechnologie.

Haben Sie die Ausstellung auch dazu genutzt, um ein breiteres Publikum über den wissenschaftlichen Erkenntnisstand über Zellen zu informieren? Wenn ja, wie ist das geschehen?
Sowohl Licht- als auch Elektronenmikroskopie sind hervorragend dafür geeignet, Objekte in hoher Auflösung bis in kleinste Substrukturen sichtbar zu machen. So kann z.B. gezeigt werden, wie pathogene Bakterien sich an Zellen anheften oder in diese eindringen. Auch die Virulenz von Bakteriophagen kann eindrucksvoll dargestellt werden. Hochauflösende Mikroskopie ist die einzige Möglichkeit, diese Prozesse morphologisch zu untersuchen und zur Aufklärung von Pathogenitätsmechanismen beizutragen.

Den Besuchern wurden anhand von Exponaten in Vitrinen die Arbeitsweisen und Präparationen in der Elektronenmikroskopie nähergebracht, um den immensen Aufwand zu verdeutlichen, der erforderlich ist, diese dem Auge nicht zugänglichen Strukturen abzubilden.

Darüber hinaus haben sich die drei Wissenschaftler, wenn ich Sie richtig verstanden habe, in der Ausstellung auch künstlerisch mit dem Thema Zellvitalität auseinandergesetzt. Vorfrage: Waren Heinrich Lünsdorf, Manfred Rohde und Hubert Mayer auch zuvor schon künstlerisch tätig?
Lünsdorf und Rohde haben keine künstlerische Auseinandersetzung im engeren Sinne in der Verfremdung von gefundenen Strukturen durchgeführt, sondern durch künstliche Einfärbungen spezifische Strukturen, die für die biologischen Abläufe notwendig sind, in den mikroskopischen Aufnahmen hervorgehoben. Mayer hat sich auf biologische Formen und Signale im molekularen Bereich konzentriert und versucht diese malerisch umzusetzen.

Nun zu den künstlerischen Anteilen der Ausstellung: Haben Sie drei sich vor dem Hintergrund des wissenschaftlichen Wissens über Zellen, über das Sie verfügen, bestimmte künstlerische Ziele gesetzt? Wollten Sie mit künstlerischen Mitteln etwas Bestimmtes zeigen?
Unser Anliegen war, auf molekulare Mechanismen in einer Vielzahl von Foren hinzuweisen und den energetischen Prozess zu beleuchten.

Was war in der Ausstellung Zellvitalität alles zu sehen?
Im Eingangsbereich der Ausstellung wurden einzelne Aspekte des Molekularen Dogmas gezeigt. Die fundamentalen Entdeckungen wurden so präsentiert, dass Entdeckerfreude, Kreativität und Einsatz der Wissenschaftler im Vordergrund standen. Verdeutlicht wurde auch, dass Gentechnologie eine besondere Wissenschaft mit besonderen experimentellen Vorgehensweisen ist.

Innerhalb des Ausstellungsparcours wurden Zusammenhängen zwischen den Themen Gesundheit/Krankheit und molekularen Vorgängen viel Raum gegeben. Originalabbildungen von eigenen zellbiologischen Arbeiten wurden dabei im Verbund mit Malerei gezeigt.

Wir präsentierten Strukturen im Mikrobereich. Elektronenmikroskopische Aufnahmen von Bakterien zeigten Formen, die so vielfältig und ungewöhnlich sind, dass sie kein Äquivalent in der uns umgebenden sichtbaren Makro-Welt haben. Eigene wissenschaftliche Ergebnisse vom Infektionsgeschehen durch Bakteriophagen wurden vorgestellt. Bakteriophagen sind bakterienspezifische Viren, die auf Bakterien zu ihrer Vermehrung angewiesen sind und sie innerhalb weniger Stunden abtöten. Virulente Phagen könnten medizinisch als neue Möglichkeit bei der Bekämpfung von antibiotikaresistenten Bakterien genutzt werden. Eindrucksvolle Aufnahmen zeigen dabei den Vorgang der Anheftung, die Vermehrung und die Lysis (Auflösung) des Bakteriums und die Freisetzung der vermehrten Phagen.

Zum Thema Tumortherapie wurden zwei Strategien vorgestellt, die auf einer Veränderung der Immunzellen beruhen. Eigene zellbiologische Arbeiten wurden im Verbund mit intuitiv gemalten Objekten dargestellt. Diese Präsentation wurde als radikale Herausforderung im Suchen nach gemeinsamen Schnittstellen (interfaces) zwischen Wissenschaft und Kunst gesehen.

Als letztes Ausstellungsthema wurden Zellrezeptoren ausgewählt. Als Rezeptor wird ein Protein oder ein Proteinkomplex bezeichnet, an den jeweils spezifische Signalmoleküle nach dem Schloss-Schlüssel-Prinzip gebunden werden und damit spezifische Prozesse in der Zelle auslösen. Unsere fünf Sinne beruhen auf dem Funktionieren von spezifischen Rezeptoren, um entsprechende Signale aus der Umwelt aufzunehmen und ins Zellinnere zur Weiterverarbeitung (Licht, Schall, Geruch, Geschmack, Druck) zu übermitteln. Am Beispiel vom Coronavirus SARS-COV-2 bindet ein Oberflächenprotein (spike protein) an Zellrezeptoren, um dadurch in die Zellen einzudringen.

Sie sprachen vorhin davon, dass Sie zur Vermittlung von Erkenntnissen der Gentechnologie an ein breiteres Publikum auch künstlerische Mittel im weiteren Sinn des Wortes eingesetzt haben. Was ist damit gemeint? Wie sieht die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Thema Zellvitalität konkret aus?
Lünsdorf und Rohde haben durch Einfärbungen spezifische Strukturen, die für die biologischen Abläufe notwendig sind, in den mikroskopischen Aufnahmen hervorgehoben. Durch das Einfärben sollte die Aufmerksamkeit des Betrachters gesteigert werden.

Ich habe mich demgegenüber auf biologische Formen und Signale im molekularen Bereich konzentriert und mich gefragt: Welche Möglichkeiten kann ich einsetzen, um der bildenden Kunst einen weiteren Raum zu sichern? Um molekulare Objekte und Signale zu befragen und eine künstlerische Antwort zu finden, wurde eine einseitige Positionierung von gegenständlicher oder abstrakter Darstellung nicht mehr als relevant betrachtet. Surreale, visionäre und abstrakte Ideen wurden zugelassen. Es sollte ein Eigenleben im Bild inszeniert werden, das nicht mit den Formationskräften oder Zwängen der Gesellschaft eng verbunden ist. Der Betrachter soll eine Ahnung vom Reichtum der Natur, wie ihn die Gentechnologie aufzeigen kann, bekommen.

Ihr Anliegen war es also, vor dem Hintergrund Ihres wissenschaftlichen Wissens mit im weiteren Sinn künstlerischen Mitteln auf molekulare Mechanismen hinzuweisen und als Konsequenz daraus den Bezug zur Natur, zu uns selbst und unserer Zukunft zu reflektieren. Ich danke Ihnen für Ihre erhellenden Erläuterungen.

Danksagung

Ich bedanke mich bei Johannes Urban Mayer für Hinweise zum Thema Wissenschaftskommunikation.

Literatur

Kunstforum International Bd. 157 November – Dezember 2001

Kunstforum International Bd. 158 Januar – März 2002

https://wellcomecollection.org/articles/XcK2RBIAACMAXzcI

https://wellcomecollection.org/articles/W9b0kRIAABdu8KBo https://niwa.co.nz/news/summer-series-2018-the-science-of-art-or-the-art-of-science https://cosmosmagazine.com/society/when-science-meets-art

https://edgy.app/where-art-and-science-intersect

https://theartofeducation.edu/2017/10/26/11-fascinating-artists-inspired-science/

Spektrum der Wissenschaft

Wissenschaft im Dialog

Bild der Wissenschaft

https://www.helmholtz.de/aktuell/presse-und-medien/mediathek/wissenschaftsbild-des-monats/

Beitragsbild über dem Text: Hubert Mayer: Skizze (2020). Foto: Hubert Mayer.

Zitierweise

Hubert Mayer (2020): Gentechnologie und die Ausstellung Zellvitalität. w/k - Zwischen Wissenschaft & Kunst. https://doi.org/10.55597/d14621

3 Kommentare

  1. Hansjörg Hauser Hansjörg Hauser 8. Dezember 2020

    Hubert Mayer’s Sicht auf dieses spannende Thema ist lesens- und sehenswert!

  2. Manfred Höfle Manfred Höfle 7. Dezember 2020

    Eine faszinerende Kombination von Elektronenmikroskopie/Mikro- &Molekularbiologie mit abstrakter Kunst. Die digitale Aufbereitung wird dem Ganzen ausgezeichnet gerecht.

  3. Peter Müller Peter Müller 1. Dezember 2020

    Was für eine wunderbar kreative Aktion von meinem lieben und geschätzten Kollegen!

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