Text: Julia Frese & Till Bödeker | Bereich: Grenzgänger | Ausstellungen
Übersicht: Die Ausstellung CHE$$ von Till Bödeker im Kunstraum Weiden Space präsentiert ein Schach-inspiriertes Parfüm CHESS. Sie thematisiert die Verschmelzung von Kunst und Konsum, inspiriert von Marcel Duchamp und Schach, und kommuniziert auf visueller sowie olfaktorischer Ebene.
Vorbemerkung des Herausgebers
Der w/k-Chefredakteur Till Bödeker ist Grenzgänger zwischen bildender Kunst und Wissenschaft auf der Ebene des Studiums: An der Kunstakademie Düsseldorf ist er in der Klasse von Rita McBride tätig. An der Heinrich-Heine-Universität studierte er Philosophie und Germanistik und arbeitet am Lehrstuhl für Metaphysik und Wissenschaftsphilosophie; sein wichtigster philosophischer Lehrer ist der w/k-Mitherausgeber Markus Schrenk, mit dem Bödeker (kunst-)philosophische Forschungsprojekte verfolgt. Er ist also sowohl künstlerisch als auch wissenschaftlich aktiv.
Die Kunst von Grenzgängern ist nicht immer wissenschaftsbezogen. Ein Paradebeispiel dafür ist Karl Otto Götz, der seine informelle Malerei mit der Entwicklung des psychologischen Visual Aesthetic Sensitivity Tests (VAST) verband. Die Kunst von Grenzgängern ist auch dort für w/k relevant, wo sie nicht wissenschaftsbezogen ist. Deshalb wird CHE$$ hier präsentiert.
Der folgende Text ist die überarbeitete Fassung eines Artikels von Julia Frese, der in squares & symbols erschienen ist.
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Die Ausstellung CHE$$ fand im Kunstraum Weiden Space vom 22. bis zum 31. Dezember 2023 statt. Die Einladung kündigt an, dass Till Bödeker sein „chess-inspired perfume CHESS“ präsentieren wird. In diesem Text werden zunächst die Eindrücke der Besucher*innen geschildert, und anschließend wird das künstlerische Konzept der Ausstellung ausführlich erklärt.
Teil 1: Eindrücke
Von außen erinnert das Schaufenster des Kunstraums an einen Pop-up-Store. Werbespots für das Parfüm CHESS werden auf die Fensterfläche projiziert. Betritt man den Raum, fällt der Blick auf den großen, schwarzen Schriftzug CHE$$ (mit zwei Dollarzeichen!), den Titel der Ausstellung, der sich an zwei Wänden über eine Ecke zieht. Auf dem Boden vor der Aufschrift formieren sich Parfümverpackungen zu einer pyramidenförmigen Konstruktion. Jede Verpackung ist mit der Aufschrift „CHESS“ versehen. Durch die Anzahl und Anordnung der Parfümschachteln entsteht der Eindruck einer Skulptur. Auf der Rückseite der Verpackungen steht folgender Text:
THIS IS NOT A PERFUME! IT IS A WORK OF ART.
DO NOT USE IT (as anything other than a decorative or investment object)!The following text is be understood in this artistic context:
Net Wt.: 30 ml
Ingredients (INCI list):
Alcohol Denat. (96%)
Mentha piperita (Peppermint) Oil
Cananga odorata (Ylang Ylang) Flower Oil
Boswellia carterii (Frankincense) Oil[…]
Der Geruch des Parfüms erfüllt die gesamte Ausstellung. Er intensiviert sich, sobald sich eine Besucher*in zum Kauf entschließt, denn dann beginnt Bödeker, eine der leeren Flaschen, die auf einem Servierwagen bereitstehen, mit der Parfüm-Flüssigkeit zu befüllen. Anschließend wird diese in eine Verpackung gelegt, die mit einem roten Siegelsticker „Eau de Till“ versehen wird. Auf der Rückseite jeder der verkauften Parfümflaschen wird angegeben, um welches Exemplar es sich handelt; so hat Peter Tepe „7“ erhalten.
Im hinteren Teil des Ausstellungsraumes befinden sich mehrere bereits abgefüllte Parfümflaschen. Die Deckel der Flakons sind durchsichtig und erinnern an die Schachfigur der Königin bzw. an ihre Krone. Aufgereiht stehen sie auf einem langen, schmalen Podest, das mit schwarzem samtigen Stoff bedeckt ist. Von hellen LED-Scheinwerfern beleuchtet, wirft die Installation dunkle Schatten.
Ein 3D-Drucker und eine sogenannte Cleaning Station, ein Gerät, das zur Reinigung und Nachhärtung von 3D-Drucken verwendet wird, stehen auf an der Wand befestigten Metallregalen. An der gegenüberliegenden Wand hängt ein kleiner Metallstempel, in dem das Negativ der Plaketten eingraviert ist, die auf der Vorderseite den Flakons angebracht sind. Im hinteren Teil des Ausstellungsraums befindet sich außerdem ein Tisch mit einem Schachspiel.
Zurück zu den Werbespots, die von außen und innen auf der Schaufensterscheibe zu sehen sind: Diese setzen sich überwiegend aus schwarz-weißen Stockfootage-Clips, d.h. Filmmaterial aus lizenzfreien Internet-Archiven, zusammen. Szenen wechseln sich ab, in denen mal eine schwarze Katze, mal ein kleines Mädchen, das in Zeitlupe Milch in ein Glas gießt, zu sehen sind. Mit jedem neuen Schnitt werden die Wörter „BLACK“, „WHITE“, „SCHWARZ“ oder „WEIß“ in großen Lettern eingeblendet. Die Bilder werden von dramatischer Musik untermalt, während eine Frauenstimme die eingeblendeten Wörter flüstert. Danach tritt das Flakon des Parfüms in den Fokus. Eine tiefe männliche Stimme ertönt: „Chess, the new fragrance by Eau de Till“. Jeder Werbespot endet mit einem Auszug aus einem Interview mit einem unruhigen jungen Mann, der zu einem Reporter sagt: „Chess speaks for itself“. Auf die Nachfrage, ob der Mann wirklich niemals ein anderes Parfum tragen würde („Is there really no other fragrance you would ever wear?“) gibt dieser, bereits davoneilend, keine Antwort.
Teil 2: Konzept
Im Mittelpunkt der Ausstellung CHE$$ steht Bödekers Parfüm namens CHESS, das als Edition von 100 Stück vor Ort erworben werden konnte (und weiterhin online zu kaufen ist). Laut Aussage Bödekers sind der Verkauf und die Bewerbung von CHESS als Konsumprodukt als konzeptionelle Bestandteile der Ausstellung zu verstehen, was die Dollarzeichen im Ausstellungstitel erklärt. Bevor ausführlich auf diesen Zusammenhang eingegangen wird, sollen einige Referenzen der Ausstellung erläutert werden.
2.1 CHESS Smells For Itself
Zunächst zum Slogan „CHESS Smells For Itself“, welcher auf der Innenseite des Deckels der Parfümverpackungen steht und erst sichtbar ist, wenn man diesen öffnet: Bödeker – der auch ein leidenschaftlicher Schachspieler ist – bezieht sich damit auf ein Ereignis beim FTX Crypto Cup 2022: Schachgroßmeister Hans Niemann – der junge Mann, der als Markenbotschafter in Bödekers Werbespots auftaucht – hatte dort als der am niedrigsten eingestufte Schachspieler gegen den damaligen Weltmeister Magnus Carlsen gewonnen. Niemanns Sieg verblüffte die Schachwelt, und es wurden Vorwürfe laut, er habe sich mittels vibrierender Analkugeln einen unfairen Vorteil verschafft.[1] Ob Niemann wirklich betrogen hat oder nicht, konnte bis dato jedoch weder bewiesen noch entkräftet werden. Laut Niemann sprach sein damaliges Schachspiel für sich selbst, als er gewann. Übertragen auf das Parfüm, soll CHESS für sich selbst riechen – zusätzliche Erklärungen, wie CHESS tatsächlich riecht, sind demnach überflüssig. Diese provozierende Aussage eröffnet mehrere Betrachtungsweisen auf das Verhältnis zwischen Konzept und Erfahrung sowie auf das damit zusammenhängende Spannungsverhältnis von CHESS zwischen Kunst und Konsumprodukt.
2.2 Zwischen Kunst und Konsum
Wer sich für den Kauf des Kunstwerkes entscheidet, steht vor der prinzipiellen Frage, ob CHESS als Parfüm genutzt werden soll. Dies scheint naheliegend – schließlich kommt ein Parfüm erst dann zur Geltung, wenn es benutzt wird. Wird es nicht benutzt, hat es lediglich das Potenzial, seinen Duft zu verströmen, aber wird von niemandem tatsächlich gerochen. Menschen können Gerüche – im Unterschied zu visuellen Eindrücken – auch nicht aus dem Gedächtnis abrufen. Im Grunde ist es erforderlich, das Parfüm kontinuierlich zu nutzen, um bei jeder Anwendung einen erneuten Dufteindruck zu gewinnen. In dieser Hinsicht verführt CHESS regelrecht dazu, es zu gebrauchen und letztendlich auch – eben wie ein Konsumprodukt – zu verbrauchen. Will man CHESS erfahren, wird es durch seine Benutzung also in ein Konsumgut verwandelt. Kann CHESS dann immer noch als Kunstobjekt betrachtet werden? Auf der Verpackung wird dieses Dilemma ironisiert mit den Warnhinweisen „THIS IS NOT A PERFUME! IT IS A WORK OF ART. DO NOT USE IT (as anything other than a decorative or investment object)!“ Die Gebrauchsanweisung zur tatsächlichen Benutzung („Spray onto pulse from a distance of approximately 15 cm.“) ist gleich darunter zu finden. Die Aussage „THIS IS NOT A PERFUME“ ist eine Anspielung an René Magrittes Gemälde La Trahison des images – auch bekannt unter dem Titel This is not a pipe –, sie schafft einen kunsthistorischen und -theoretischen Kontext für das Parfüm, welcher paradoxerweise eben erst ermöglicht, die Existenzweise von CHESS als Kunstwerk oder Parfüm infrage zu stellen. Die Pop-up-Store-Inszenierung der Ausstellung, die Werbespots, sowie der Verkauf des Werkes verleihen CHESS den scheinbaren Charakter eines Konsumgutes. Zugleich wird im Kontext des Kunstraumes das Werbeevent zur Performance, das sich einer Werbeästhetik und -strategie bedient, um diese im Rahmen der (Kunst-)Ausstellung zu thematisieren.
Die Dualität von CHESS erinnert an Andy Warhols Brillo-Boxes (1964), bei denen es sich um Reproduktionen von kommerziellen Verpackungen handelt. Warhol stellte zahlreiche Brillo-Boxen her und verkaufte sie an Kunstsammler und Museen, wodurch sie in einem bestimmten Sinne erneut zu Massenkonsumgütern wurden. Arthur C. Danto betrachtet Warhols Brillo-Boxen als Wendepunkt in der Kunsttheorie, da sie verdeutlichen, dass zwei identisch aussehende Objekte unterschiedlich bewertet werden können: als Kunst und als keine Kunst. Eine Anspielung Bödekers auf Warhol wird in den gestapelten Parfümverpackungen deutlich, die an die Brillo-Boxen erinnern. Im Gegensatz zu Warhol greift Bödeker jedoch nicht auf die Reproduktion eines bereits existierenden Objekts zurück, sondern kreiert seine eigene Marke: Eau de Till.
2.3 Schach und Perfüm
Die Verknüpfung von Schach und Parfüm bildet die konzeptionelle Grundlage von Bödekers Arbeit. Die Kombination zweier grundverschiedener Sphären – dem strategischen Schachspiel und der sinnlichen Welt der Düfte – konkretisiert sich in einem Objekt und schafft in seiner Synthese einen neuen Bedeutungsraum. Innerhalb der Werbung für das Parfüm wird Schach primär zu einer Ästhetik, die in assoziativ-abstrakter Weise mit dem eigentlichen Duft des Parfüms korreliert.
Auch ist CHESS eine Hommage an Marcel Duchamp, der aufhörte, Kunst zu machen, um sich ganz seiner Schachkarriere zu widmen. Bödeker spielt auf Duchamps einzig erhaltenes assisted Readymade namens Belle Haleine: Eau de Voilette (1920–1921) an. In diesem Werk nutzte Duchamp ein Parfümflakon der Pariser Firma Rigaud und versah es mit einem Etikett, das in Zusammenarbeit mit Man Ray entworfen wurde. Darauf ist der Künstler in der Gestalt seines weiblichen Alter Egos, Rrose Sélavy, abgebildet. Belle Haleine steht in einer Reihe von Readymades, deren Konzept Duchamps konsequente Ablehnung des traditionellen Kunstbegriffs verdeutlicht.[2]
Der Duft von CHESS fungiert in der Ausstellung als ein sinnlicher Fixpunkt, welcher sich einer einfachen sprachlichen Beschreibung entzieht. Er ist das Ergebnis eines Kombinationsspiels verschiedener Duftstoffe und muss erfahren werden, um verstanden zu werden. Die genaue Beschaffenheit des Duftes (laut Verpackung handelt es sich um eine Kombination aus Weihrauch-, Ylang-Ylang- und Pfefferminzöl) spielt im Konzept eine untergeordnete Rolle. Das Parfüm strebt also nicht danach, nach etwas anderem zu riechen als nach sich selbst. CHESS riecht nach dem Parfüm CHESS und wird so zu seiner eigenen Referenz. Der Slogan „CHESS Smells For Itself“ drückt zusammenfassend aus, dass sich CHESS in seiner Referenz vom Schachspiel emanzipiert und seine eigene Bedeutung als Marke und Kunstwerk schafft.
Ob der Duft von CHESS einem zusagt oder nicht, ist nicht entscheidend. Vielmehr zeichnet sich die Ausstellung CHE$$ durch ihre Konfiguration von Konzept, Form und Inhalt aus. Bödeker knüpft an kunsthistorische Themen und kunsttheoretische Debatten wie über die Grenzen von Kunst an. Dabei erreicht er die Betrachter*in auf zwei Ebenen: der intellektuellen und der sinnlichen, die er in CHESS/$$ zusammenführt.
Beitragsbild über dem Text: CHE$$ (2024). Foto: Maxi Lorenz.
[1] https://www.nytimes.com/2022/12/04/business/chess-cheating-scandal-magnus-carlsen-hans-niemann.html
[2] https://www.smb.museum/ausstellungen/detail/marcel-duchamp/
Zitierweise
Julia Frese and Till Bödeker (2024): CHE$$. w/k - Zwischen Wissenschaft & Kunst. https://doi.org/10.55597/d19043
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