Text: Eckhard Kluth | Bereich: Über Künstlerinnen
Übersicht: Für das Foyer eines Forschungsgebäudes der Universität Münster hat Cordula Hesselbarth eine multimediale Wandinstallation entworfen, die aus ihrer Kooperation mit dem Forschungsverbund Cells in Motion entstanden ist. Die in w/k mit einem zweiteiligen Interview vertretene Künstlerin greift in ihrer Arbeit ein Kernthema des Forschungsverbunds auf. Der Artikel ist zuerst erschienen in UniKunstKultur, Ausgabe Wintersemester 2021/22 und wird hier mit freundlicher Genehmigung erneut veröffentlicht.
Auf | Lösung ist der Titel des zwölf Meter hohen Kunstwerks der Künstlerin Cordula Hesselbarth, das seit Mai 2021 das Foyer des Multiscale Imaging Centre (MIC) prägt, ein Forschungsgebäude der Universität Münster. Wenn das Gebäude fertiggestellt ist, werden im MIC Wissenschaftler*innen, die im Forschungsverbund Cells in Motion-Interfaculty Centre bereits eng vernetzt sind, gemeinsam unter einem Dach forschen. Sie untersuchen, wie sich Zellen in Organismen bewegen und verhalten. Dazu entwickeln und nutzen sie innovative bildgebende Verfahren, die es ihnen ermöglichen, Zellen in lebendem Gewebe zu beobachten. Auf diese Weise gelingt es ihnen, die biochemischen und biophysikalischen Prozesse besser zu verstehen, die die Entwicklung gesunden Gewebes beeinflussen. Auch das, was z.B. bei Entzündungen auf zellulärer Ebene im Körper passiert und welche Auswirkungen dies auf die Funktion von Organen hat, wird visualisiert. Der Beobachtungsmaßstab reicht dabei vom ganzen Körper bis hinunter auf die Ebene kleinster Zellen – viele verschiedene Skalen also.
Schon lange gibt es einen engen Austausch zwischen den Wissenschaftler*innen des Forschungsverbunds und Professorin Cordula Hesselbarth, die an der Münster School of Design Wissenschaftsillustration lehrt und dazu forscht. Gemeinsam ist ihnen, dass sie sich mit der Entstehung und Interpretation von Wissenschaftsbildern beschäftigen.
Jetzt ist aus diesem Austausch eine Kooperation geworden: Für das großzügige Foyer des MICs hat Hesselbarth eine gut 12 Meter hohe multimediale Wandarbeit entwickelt. Wie der Raum selbst wirkt auch der an der Wand fest montierte Teil der Arbeit nicht durch Farbe. Alles ist schlicht weiß. Eine Begrenzung im Sinne eines „Hier Wand, hier Kunstwerk“ ist nicht erkennbar. Wie bei der Architektur sind Licht und Schatten die wichtigsten Gestaltungselemente: Schatten lassen die vielen kleinen Löcher auf der Wand wie schwarze Punkte erscheinen, Schatten machen erkennbar, dass vor der Wandfläche runde Scheiben unterschiedlicher Größe schweben. Durch das Glasdach fällt Tageslicht ins Foyer, und so beeinflussen auch Tageszeit und Wetterlage die Wahrnehmung des Kunstwerks.
Für Besucher*innen, die das Gebäude betreten, ist die Arbeit unübersehbar präsent, erscheint aber zunächst ganz abstrakt, denn der erste Blick ist eine Schrägansicht (die Arbeit ist an der linken Seitenwand des Foyers montiert). Erst in der Frontalansicht vereinen sich die Scheiben locker zu einer menschlichen Gestalt [Abb. 1]. Zeichnungen Hesselbarths zeigen, dass diese Figur schon sehr früh im Entwurfsprozess entstand – keine anatomisch korrekte Standfigur, wie aus einem medizinischen Lehrbuch, sondern ein flüchtiges Wesen, in einer ruhigen, tänzerisch-anmutigen Bewegung erfasst. Auch die schwarzen Punkte fügen sich zu Strukturen, sind aber nicht so eindeutig lesbar. Frei kann man vegetabile Formen assoziieren – eine Wand des gegenüberliegenden Lichthofs ist tatsächlich auf ganzer Höhe begrünt – oder aber auch Zellstrukturen sehen, je nach Sehgewohnheiten oder Erwartungen, die man als Betrachter*in mitbringt. Die Punkte zerstreuen sich aber über die Fläche, sie geben kein klares Bild. Dieser Eindruck verstärkt sich, je mehr man sich der Wand nähert. Schnell ist auch die Figur nicht mehr erkennbar. In dem Moment, in dem man sie nicht mehr in ganzer Höhe erfassen kann, geht der Zusammenhang des Motivs verloren. Die Gestalt löst sich auf.
Der Titel der Arbeit transportiert für Hesselbarth, wie sie im Gespräch mitteilte, aber auch weitere Deutungsebenen:
„Der Begriff Auflösung […] bezeichnet die optische Auflösung bildgebender Verfahren ebenso wie den Vorgang des Auflösens oder Sich-Verflüchtigens einer Substanz in einem Medium, aber auch das Aufklären eines Rätsels. Letztlich schwingt auch die Idee der Transzendenz mit, die ein Auflösen des Körpers nach dem Tod meint und die Frage nach einer möglichen Loslösung vom Stofflichen und Verwandlung in etwas Immaterielles stellt.“
Die Künstlerin greift in ihrer Arbeit also ein Kernthema der Forscher*innen des MICs auf: die Betrachtung von Organismen in verschiedenen Skalen. Bewusst lässt sie offen, ob die Scheiben und Löcher für Zellen, Moleküle oder Atome stehen, aus denen sich Mensch und Tier zusammensetzen, oder gar für eindringende Pilze, Bakterien oder Viren [Abb. 2].
Während noch an der Fertigstellung des Gebäudes gearbeitet wird, wird auch der zweite Teil der Wandinstallation noch programmiert und getestet. Durch Projektionen will die Künstlerin das momenthafte Erstarren, das traditioneller Kunst zu eigen ist, auflösen und folgt damit einem Ansatz, der auch die Arbeit im MIC charakterisiert [Abb. 3]. Denn so wie es der medizinischen und biologischen Forschung durch die Entwicklung neuer Untersuchungstechniken möglich wurde, über das an starren Präparaten gewonnene Wissen hinauszugehen, stehen auch für Zeichnung und Malerei neue Technologien zur Weiterentwicklung des traditionellen Gestaltungsrepertoires bereit. Diesen Grenzübertritt hat Hesselbarth schon im kleineren Format vollzogen und mit der Erweiterung zeichnerischer Möglichkeiten experimentiert – für sie ein logischer Schritt des Naturstudiums, das in der Kunstgeschichte eine lange Tradition hat: In der Natur ist immer Bewegung – blitzschnell auf dem Weg von hier nach dort oder fast unsichtbar langsam bei mehrtausendjährigem Wachstum. Ins Medium der lebendigen Zeichnung übertragen, bedeutet dies die Auflösung der starren Form [Abb. 4].
▷ Weitere Fotos der Wandarbeit finden sich hier: https://www.uni-muenster.de/Cells-in-Motion/de/newsviews/2021/05-07.html
▷ Weitere Informationen zu Cordula Hesselbarth: www.hesselbarth.de
▷ Die w/k-Interviews mit Cordula Hesselbarth
Beitragsbild über dem Text: Cordula Hesselbarth: Auf | Lösung (2021/22). Foto: Erk Wibberg/WWU.
Zitierweise
Eckhard Kluth (2022): Cordula Hesselbarth: Auf | Lösung. Multimediale Wandinstallation. w/k - Zwischen Wissenschaft & Kunst. https://doi.org/10.55597/d16392
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