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Angela Schwank und die Wolken

Ein Gespräch mit Peter Tepe | Bereich: Interviews

Übersicht: Im Interview erläutert Angela Schwank – Autorin des Künstlerbuches CIRREN – ihre Beschäftigung mit Wolken. Zur Sprache kommen: die Vorgeschichte des Wolkenprojekts, die Veränderung der künstlerischen Programmatik in einer Schaffenskrise, die Art der Wolkenstudien, die Herausbildung der individuellen Verbindung zwischen Kunst und Wissenschaft, die Stadien der künstlerischen Entwicklung, die Kooperation mit Metereologen sowie der mit den Wolkenzeichnungen und -fotos verbundene Anspruch.

Angela Schwank, in nächster Zeit werden Sie in einem w/k-Beitrag das Buch CIRREN vorstellen, das von Ihnen als Künstlerbuch bezeichnet wird. Worum geht es in diesem Buch? 
Cirren sind hohe Wolken, die aus Eiskristallen bestehen. Das Buch widmet sich diesen Wolken in Fotografien und Zeichnungen zwischen künstlerischer und wissenschaftlicher Imagination.

Das ist ein für unser Online-Journal relevantes Projekt. Im vorgeschalteten Gespräch sollen die Hintergründe Ihrer Arbeit genauer ausgeleuchtet werden. Steht CIRREN mit anderen Projekten in Zusammenhang?

Anknüpfung an eine Ausstellung 2019

Zunächst ist da die Ausstellung Nightwatch – ein visueller Dialog von Kunst und Astronomie zu nennen, 2019 im Naturhistorischen Museum Wien, die ich konzipiert und kuratiert habe. In Vorbereitung dieser Ausstellung wurde ich aufmerksam für wissenschaftliche Bilder von Nebelflecken – das ist im 19. Jahrhundert die übergreifende Bezeichnung für diffus erscheinende Objekte des Sternenhimmels, die keine Kometen sind. Das Besondere dieser Bilder ist, dass sie auf Handzeichnungen beruhen, in denen sich Strukturen von Objekten am Rande des Sichtbaren, beispielsweise Spiralformen, überhaupt erst manifestierten. Sie wurden sichtbar in einer Praxis der Bilderzeugung, die Omar Nasim (Eröffnungsvortrag zur Ausstellung) „observing by hand“ nennt (Nasim 2013: Buchtitel). Diese Praxis hat mein Interesse am Zeichnen neu geweckt. Im Sommer 2019 habe ich dann zu Bleistift und Papier gegriffen und Wolken gezeichnet.

William Parsons: H 174 (1861). Gravur: James Basire.

Während die in Nightwatch ausgestellten Zeichnungen von anderen stammten – neben astronomischen Bildern wurden abstrakte Arbeiten von Akelei Sell und Ulrich Werner präsentiert –, wurden Sie nun selbst zeichnerisch tätig. Welche Gründe gab es für die neue Vorrangstellung des Zeichnens?
Im Sommer 2019 war das Zeichnen eine Art Lockerungsübung in einer Zeit, in der ich mich mit meiner geometrischen Malerei in der Krise fühlte. Flüchtige Objekte chaotischer Struktur in schnellen Skizzen zu erfassen, war eine völlig andere Herausforderung als meine Atelierarbeit. Die Idee mit den Wolken kam mir, weil ich dachte, ihre zeichnerische Beobachtung würde mich ein Stück weit hineinversetzen in die Schwierigkeiten der Nebelfleck-Zeichnungen, die bei Beobachtung durch stark vergrößernde Teleskope gefertigt wurden, wobei die anvisierten Objekte sich nur für wenige Minuten verfolgen ließen, während sich das Bildfeld drehte und das Teleskop manuell nachgeführt werden musste. 

Ich halte fest: In einer Schaffenskrise veränderten Sie Ihre künstlerische Programmatik; Sie wandten sich Strukturen in der Natur zu.  Ihr Interesse, „[f]lüchtige Objekte chaotischer Struktur in schnellen Skizzen zu erfassen“, legte es nahe, sich mit Wolken zu befassen. Gab es zusätzliche Gründe für die Wahl von Wolken im Allgemeinen und von Cirruswolken im Besonderen?

Angela Schwank: Leuchtende Cirren am Abendhimmel (2022). Foto: Angela Schwank.

Weshalb Wolken?

Struktur ist in Wolken sozusagen verflüssigt. Sich damit zu beschäftigen, war für mich ein neuer Ansatzpunkt, vielleicht fruchtbar für meine Malerei, in der ich mich auf einen geometrischen Formenkanon festgelegt habe. In Holland, wo ich über Jahre den Sommerurlaub verbrachte, hatte ich oft Wölkchen beobachtet, durchscheinend zart, reich an Struktur und dabei relativ formstabil, die nahe dem Zenit schwebend kaum bewegt scheinen. Diese Wolken bieten sich an für zeichnerische Studien. Dass es sich um Cirruswolken handelt, wusste ich 2019 noch nicht. Ich brauchte das auch nicht zu wissen, um ein Cirrusprojekt zu starten: Diese Wolken sind unverwechselbar. 

Welche Weiterentwicklungen sind bis zum Buch hinzugekommen?
Wenn man einmal damit angefangen hat, nach Wolken Ausschau zu halten, kann man davon nicht mehr lassen. So kam ich von der ersten Phase, meinen Beobachtungsskizzen, in die zweite, in der ich anfing zu fotografieren. Ich machte bei jeder sich bietenden Gelegenheit Aufnahmen von Cirruswolken und anderen hohen, teilweise vereisten Wolken (oft treten sie gemeinsam auf). Mit anderen Worten: Ich begann zu sammeln. Das war im Herbst 2019. Um diese Zeit entstanden auch die ersten Bearbeitungen der Fotografien im Schwarz-Weiß-Negativ. Die Idee dieser Bearbeitungen war, Strukturen hervorzuheben; das Vorbild waren die Nebelfleckdarstellungen, die in wissenschaftlichen Publikationen des 19. Jahrhunderts Negativbilder sind – wie die zugrunde liegenden Zeichnungen. 

Angela Schwank: Cirrus intortus (2020). Foto: Angela Schwank.

Haben Sie, was die Eiswolken anbelangt, weitere Studien betrieben?
Bereits bei meinen Wolkenskizzen 2019 fiel mir auf, dass zusammen mit den Cirren Kondensstreifen am Himmel auftauchten. Ich lernte, dass diese Streifen künstliche Cirruswolken sind. Als dann während des Lockdowns im Frühjahr 2020 über Wien besonders schön ausgeprägte Cirren erschienen, ungestört von Flugzeugen, begann ich, mich für den Einfluss künstlich induzierter Wolkenbildung auf die natürliche Wolkenbildung in hohen Luftschichten zu interessieren. In der Nacht zeichnete ich; es entstanden die im Buch abgebildeten Zeichnungen. Im Laufe des ersten Coronajahrs 2020/21, das fotografisch sehr ergiebig war, entwickelte sich die Idee des Buches. Ich machte Bildbearbeitungen und schrieb im Herbst 2020 einen Text, aus dem das letzte Buchkapitel wurde. Dieses Kapitel gibt einen Einblick in den seelischen Teil meiner Geschichte mit den Wolken. 

Über die seelische Komponente würde ich gern etwas mehr erfahren.
Ich habe im Spätsommer/Herbst 2020 in einer seelischen Ausnahmesituation und einem Zustand der Sprachlosigkeit erlebt, wie der Wolkenhimmel sprechend wird. Ähnlich wie bei Traumbildern sah ich in Wolken symbolische Gestalten, die meine seelische Verfassung spiegelten. Diese Erfahrung des Gestaltensehens in Wolken habe ich in das letzte Kapitel meines Buches eingebracht.  Den übrigen Text schrieb ich im Frühjahr 2021. Er handelt von der Natur- und Kulturgeschichte des sichtbaren Himmels und seinem Anblick im Anthropozän – so die Bezeichnung des Erdzeitalters, in dem der Mensch zu einem der wichtigsten Einflussfaktoren auf biologische, geologische und atmosphärische Prozesse geworden ist. 

Haben Sie sich schon früher für Wolken interessiert?
Ja. Dabei hatte ich Wolken aber anders im Blick. Ich habe mir von ihren vielen Grauschattierungen etwas für meine Malerei abgeschaut. Ein bisschen Wetterprognose mit Blick auf den Himmel habe ich auch gelernt, seit ich, angefangen in meiner Studienzeit, öfters im Gebirge unterwegs bin.

Angela Schwank: Cirrus homogenitus (2019). Foto: Angela Schwank. 

Zwischen Wissenschaft und Kunst

Bei Ihnen hat sich eine eigentümliche Verbindung zwischen Wissenschaft und Kunst herausgebildet. Deren Entstehungsgeschichte sollten wir beleuchten.
Vor allem beobachte ich gerne Natur. Als Jugendliche wollte ich Ethologin (Verhaltensforscherin) werden. In der Schulmittelstufe machte ich am Affenberg Salem Verhaltensbeobachtungen und schrieb eine Arbeit über das Aggressionsverhalten der Berberaffen mit eigenen Fotografien …

Als Jugendliche wollten Sie also Wissenschaftlerin werden. Haben Sie an diesem Plan in der weiteren Schulzeit festgehalten?
Ja, aber in abgewandelter Form. Meine Hauptfächer in der Oberstufe waren Biologie und Chemie. Von einem Biologiestudium, das Voraussetzung gewesen wäre für die Ethologie, wurde ich abgeschreckt:  Man sagte mir, da müsse ich Tierversuche machen. So kam es, dass Bücher, die mich faszinierten  –  Das Ich und sein Gehirn von Karl Popper und John Carew Eccles sowie Der Teil und das Ganze von Werner Heisenberg – meine Studienwahl beeinflussten. Ich entschied mich für ein Doppelstudium Physik und Philosophie an der Universität Heidelberg in den 1980er und 1990er Jahren.

Welches sind die wichtigsten Einsichten, zu denen Sie während Ihres Studiums gelangt sind, und welches waren die entscheidenden Impulse für die weitere Entwicklung? 
Im Studium entwickelte ich ein Interesse für Wissenschaftsgeschichte. Meine Physikdiplomarbeit, betreut von Heinz-Dieter Zeh, schrieb ich über das Machsche Prinzip und seine Anwendung auf die Zeit. Das Thema berührte die Allgemeine Relativitätstheorie in ihrer Entwicklung durch Albert Einstein und grundlegende Fragen zu physikalischen Zeitbegriffen. Nach dem Studienabschluss in Physik ging ich nach Wien und hörte Vorlesungen über Martin Heidegger und Edmund Husserl. Einer meiner Professoren, Helmut Vetter, den ich bei der Wiener Tagung für Phänomenologie auch als Musiker kennenlernte, versetzte mir den Kick in Richtung Kunst, als er bei einer Vorlesung über Friedrich Nietzsche sagte, die Philosophen wären doch eigentlich lieber Künstler geworden. Da beschloss ich: Schluss mit der Uni, Atelier suchen. 

Zur künstlerischen Entwicklung

Ihrer Entscheidung „Schluss mit der Uni, Atelier suchen“ werden mehrere Entwicklungsschritte oder -phasen „in Richtung Kunst“ vorangegangen sein. Darüber würde ich gern mehr erfahren. 
Ich habe seit meiner Kindheit gezeichnet und mich im Umgang mit Farben versucht. Während der Studienzeit entstanden vom Gegenständlichen abstrahierende Zeichnungen, die gestischen Charakter haben. Die ersten vom Gegenständlichen völlig losgelösten Arbeiten hatte ich geschaffen, kurz bevor mir Professor Vetter den erwähnten Kick gab. In diesen Bildern (Mischtechnik auf Papier) spürte ich einem Tagtraum nach, den ich als Kind willkürlich auslösen konnte, wenn ich in Ruhe dasaß und die Augen schloss. Es waren innere Bilder einer Empfindung im Bauchraum, vergleichbar am ehesten mit Strömungsmustern. Diese inneren Bilder in künstlerische Arbeiten zu übersetzen, interessiert mich weiterhin. Nicht umsonst sind Wolken für mich ein Faszinosum– in ihren fließenden Formen bilden sich Strömungsmuster ab.

In Sachen Kunst sind Sie also Autodidaktin: kein Studium an einer Kunsthochschule. Gab es prägende persönliche Einflüsse und Vorbilder aus der Kunstgeschichte?
Das ist schwer in Kürze zu sagen … Aufgewachsen bin ich unter dem besonderen Eindruck gotischer Kunst. Der Zugang zur konstruktiven und konkreten Malerei entwickelte sich eigentlich mit dem Hören Neuer Musik. Ich besuche seit 1995 das Wien Modern Festival in Wien.  

Was geschah künstlerisch bis zur erwähnten  Krise, nachdem Sie sich von der Universität abgewandt hatten?
1997 bezog ich mein Atelier. Ich lernte den Umgang mit Ölfarbe und versuchte mich in geometrischen Bildentwürfen. Ein Freund, der Maler Ingo Nussbaumer, hat mich in der Zeit begleitet. Es entwickelte sich meine künstlerische Arbeit hin zum Sujet Licht als Farbe. Seit 2005 beschäftige ich mich mit Farbbewegungen in fein nuancierten Farbschritten. Basale Elemente der zum Teil großformatigen Ölbilder sind scharfkantig aneinander grenzende Farbstreifen oder -felder, deren Folge einen Weg durch den Farbkreis beschreibt. Der Variation solcher Wege sind kaum Grenzen gesetzt; anders sieht es aus mit den Möglichkeiten der geometrischen Komposition. Ich habe festgestellt, dass meine Idee der Farbbewegung mich auf Symmetrien festlegt. Davon möchte ich weg.

Angela Schwank: O.T. (2012). Foto: Angela Schwank.

Meteorologie

Hatten Sie, als Sie mit der Arbeit an CIRREN begannen, ein meteorologisches Vorwissen?
Über die Physik der Atmosphäre, die ein komplexes Zusammenspiel von Thermo- und Hydrodynamik ist, habe ich im Studium nicht viel gelernt. Mit der Systematik der Wolken, in der Wolken nach der Höhe ihres Vorkommens und typischen Merkmalen der äußeren Erscheinung unterschieden werden, bin ich bis zur Arbeit an meinem Buch nur insofern in Berührung gekommen, als sie Teil des Allgemeinwissens ist. Eingestiegen bin ich in die Thematik über die Kondensstreifen, aus denen sich Eiswolken entwickeln können, die von Wolken natürlichen Ursprungs kaum zu unterscheiden sind. Das gehört zur Wolkenkunde, einem Teilbereich der Meteorologie, die heute eine weit aufgespannte, interdisziplinäre Wissenschaft ist. 

Gab es bei der Arbeit an CIRREN eine Kooperation mit Meteorologen? 
Alexander Ohms von der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) redigierte meine Zuordnung der meteorologischen Wolkennamen zu den Fotografien. Zu meiner im Buch vertretenen These, dass der Flugverkehr einen Rückgang der Artenvielfalt der Cirren bedingt, bekam ich von der Meteorologin Petra Seibert (Universität Wien) die Anregung, mich mit dem Vorkommen von Eiskeimen in der Atmosphäre zu beschäftigen und meine Beobachtung mit visuellen Beobachtungen zu vergleichen, die bei Wetterstationen aufgezeichnet werden. Diese Möglichkeit ließ sich leider nicht realisieren. Ähnlich wie in der Astronomie spielen visuelle Beobachtungen in der Meteorologie heute kaum noch eine Rolle. Die Daten für Wetterprognosen und Klimamodelle werden automatisiert erhoben, erfasst werden u.a. die Höhe, Größe, Schichtung und Zusammensetzung von Wolken, nicht aber, welche Arten und Unterarten es zu sehen gibt. 

Bei der Lektüre des Buches habe ich mich gefragt, wie Ihre Zeichnungen und Fotos insgesamt einzuordnen sind. Ich hole etwas aus, um meine Frage zu verdeutlichen: Stellen wir uns einen Künstler vor, der Wolkenbilder malt und dabei einem expressionistischen Kunstprogramm verpflichtet ist. Seine Bilder geben nicht einfach visuelle Eindrücke von Wolken wieder, sondern nehmen Veränderungen am Erscheinungsbild der Wolken vor, die sich aus seiner künstlerischen Vorgehensweise ergeben. Es findet ein freier künstlerischer Umgang mit Wolken statt. Im Kontrast könnte bei Ihnen das Bestreben vorliegen, die beobachteten Wolken durch Fotos und Zeichnungen korrekt, ohne sich aus einem bestimmten Kunstprogramm erhebende subjektive Zitate darzustellen, sodass Ihre Bilder auch in der Meteorologie verwendbar wären – die heutzutage, wie Sie eben sagten, weitgehend automatisiert die Daten für Wetterprognosen und Klimamodelle erhebt. Ihre Zeichnungen und Fotos, die in genauer zu bestimmender Hinsicht als objektiv bezeichnet werden können, sind nach dieser Deutung mit dem Plädoyer verbunden, visuellen Beobachtungen in der Meteorologie ein größeres Gewicht zurückzugeben. Dann würde man sich in dieser Disziplin wieder gezielt mit der Frage befassen, „welche Arten und Unterarten der Wolken es zu sehen gibt“. Ist Ihre Stoßrichtung damit richtig wiedergegeben?
Meine Fotografien bilden reale Cirrussituationen ab, wenngleich der Wirklichkeit entrückt. Für Wolkenkundige sind sie wegen der Vielzahl unterschiedlicher Wolkenformen und des ungewohnten Negativ-Blicks interessant. Nach dem Vorbild eines Wolkenatlas – siehe online der Internationale Wolkenatlas ICA – habe ich den Fotografien im Inhaltsverzeichnis bzw. Bilderindex die lateinischen meteorologischen Namen der abgebildeten Wolken zugeordnet. Dass es dabei spielerische Abwandlungen gibt, wird Meteorologen und Wolkenkundigen wohl am ehesten auffallen. Beispielsweise hat ein Wölkchen, dessen Bild ich einem Portraitfoto gleich in ovalem Umriss präsentiere, den zoologischen Namen einer assoziierbaren Schmetterlingsgestalt erhalten. Für das Konzept des Buches ist dieses Spiel mit Bildtiteln und Wolkennamen wesentlich. Was ist wissenschaftlich, was objektiv, was subjektiv, darüber wird man mit Blick in den Index ein bisschen durcheinander gebracht. So verhält es sich auch mit den Zeichnungen. Es freut mich, dass Sie diese auf den ersten Blick für naturgetreue Wolkenbilder halten. Die gezeichneten Wolken nämlich, die ich im Buch zeige, haben sich auf dem Papier entwickelt. Sie haben Vorbilder aus der Erinnerung und dem, was ich bei der Beobachtung von Wolken skizziert oder fotografiert habe, sind aber keine Abbilder realer Situationen. Aus Strichen, die krausen oder glatten Härchen oder Haarstoppeln gleichen – ich übernehme ein typisches Merkmal der Cirren, die haarigen Strukturen, in den Duktus der Zeichnungen – sind Gebilde erwachsen, denen ich, je nach Aussehen, meteorologische Wolkennamen oder Abwandlungen dieser Namen oder einen lateinischen Titel gegeben habe. Z.B. gibt es da den cirrus intonsus (ungeschoren, unrasiert) in Abwandlung der meteorologischen Bezeichnung cirrus intortus (verwickelt, verdreht, verflochten). Dieser Ungeschorene sieht nach fröhlicher Naturwüchsigkeit aus, gleichwohl wird man eine Wolke dieser Art am Himmel niemals erblicken. Der cirrus aliger (geflügelt) indessen – auch ein erfundener Name – könnte der Form nach aus Kondensstreifen entstanden sein. Ähnliche Wolkenbilder habe ich in Holland beobachtet und fotografiert.

Angela Schwank: Cirrus intonsus (2020). Foto: Johannes Novohradsky.

Zur Frage, ob ich meine, der visuellen Beobachtung solle in der Meteorologie wieder mehr Gewicht geben werden, möchte ich sagen, dass ich mich nicht auf das wissenschaftliche Arbeiten, sondern auf die Vermittlung daraus gewonnenen Wissens beziehe. Die Leistungen computerisierter Datenverarbeitung sind ungeheuerlich, früher saßen die Leute ein ganzes Leben lang an Berechnungen, die jetzt in Minuten durchgeführt werden können. Zurück tritt aber eine Kultur der Naturbeobachtung, die sich an qualitativen Merkmalen orientiert und damit auch dem sinnlichen Erleben nahe steht. Diese Kultur im Alltag wiederzubeleben, erscheint mir wichtig. Wetterberichte könnten mit etwas Wolkenkunde bereichert werden. Das würde Aufmerksamkeit auf die Natur über unseren Köpfen lenken. Die Aufforderung Look Up (in Abwandlung des Filmtitels Don´t Look Up), die sich aus meinem Buch herauslesen lässt, meint freilich mehr, als dass man gelegentlich in den Himmel schauen sollte. Sie richtet sich an alle, die ihrer natürlichen Umwelt wenig Beachtung schenken und kaum bemerken, wie sich die Natur – durch menschliche Aktivität verursacht – entleert.

Ist eine Fortsetzung Ihrer Beschäftigung mit den Cirren geplant?
Ja. Derzeit arbeite ich an einer Welt-Cirrus-Karte (Kohlezeichnung auf Japanpapier, 200 x 400 cm), die ich für eine kommende Ausstellung verwenden möchte. Dabei orientiere ich mich an Satellitenbildern. Die Eiswolkensphäre hat durch den Flugverkehr eine vom Weltraum aus sichtbare menschliche Signatur; in meiner konstruierten Karte dieser Sphäre gibt es entsprechend von Kratzern durchsetzte Grauzonen. Sie markieren Gebiete dichten Flugverkehrs durch eine sich bei Kondensstreifenbildung oft entwickelnde, diffuse Cirrusbewölkung. Cirren haben im Mittel betrachtet einen Treibhauseffekt; sie sind daher in der aktuellen Klimadebatte relevant. Die zusätzliche Eiswolkenbildung durch den Flugverkehr schlägt sich in der Klimabilanz des Fliegens nieder. Zudem befindet sich gegenwärtig ein systematischer, massiver Eingriff in das Eiswolkenvorkommen in der Diskussion. Es geht um ein Verfahren des Climate Engineering,  Cirruswolken über gezieltes Impfen mit Partikeln auszudünnen. Diese Methode soll zur Kühlung des Planeten beitragen, sie ist allerdings nicht vollständig ausgeforscht und birgt sehr große Unsicherheiten.

Angela Schwank, ich danke Ihnen für das aufschlussreiche Gespräch, dem in w/k bald die Präsentation des Buches CIRREN folgen wird.

Literatur

Omar W. Nasim: Observing by Hand: sketching the nebulae in the nineteenth century. Chicago 2013. 

Beitragsbild über dem Text: Angela Schwank: Brechende Wellen über Berlin (2022). Foto: Angela Schwank. 
Das Bild zeigt eine Ringbildung um die Sonne (Halo), ein optischer Effekt, der für eine Cirrus-Bedeckung typisch ist. Er beruht auf der Lichtbrechung an Eiskristallen, die in Cirruswolken häufig komplex geformt sind mit hexagonaler Grundstruktur. Rechts unten im Bild,  in einer tiefer liegenden Wolkenschicht, sind brechende Wellen zu sehen (Kelvin-Helmholtz-Instabilität). Im Vordergrund die Bronzeskulptur Der Ringer (1908) von Hugo Lederer, Berlin Charlottenburg, Heerstraße. Aufnahme am 17. April 2022.


Angela Schwank wird an einer für 2023 im Museum Sinclair-Haus (Bad Homburg) geplanten Ausstellung mit dem Titel WolkenVon Gerhard Richter bis zur Cloud teilnehmen, die sich den Wolken anhand zeitgenössischer  künstlerischer Positionen in Gegenüberstellung mit aktuellen Erkenntnissen zum Klimasystem widmet. 

Zum Buch: 
2021, Aufl. 500 signiert
104 S. + engl. Übersetzung als Beiheft
Einlage: signierter, nummerierter Print
Hardcover-Halbleineneinband
ISBN: 978-3-200-07816-1
64 €

Online-Bestellung:
www.anzenbergergallery-bookshop.com
www.cafelehmitz-photobooks.com

Eine von Markus Quante verfasste Rezension des Buches CIRREN ist in den Mitteilungen der Deutschen Meteorologischen Gesellschaft, Heft 1 (2022), S. 29 erschienen. Online unter: www.dmg-ev.de/wp-content/uploads/2022/03/1_2022.pdf

Kontakt Angela Schwank: angela.schwank@chello.at
Homepage: www.angela-schwank.at

Zitierweise

Angela Schwank und Peter Tepe (2022): Angela Schwank und die Wolken. w/k - Zwischen Wissenschaft & Kunst. https://doi.org/10.55597/d16799

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