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Ästhetische Wissensvermittlung: Studentische Projekte im kunsthistorischen Studium

Text: Kristina Sieling | Bereich: Kunstbezogene Wissenschaft

Übersicht: Vorgestellt wird ein studentisches Praxisprojekt aus dem Proseminar Wissenschaft und Naturwahrnehmung: Überwältigung, Staunen und Wundern in der Kunst der Moderne von Anne Hemkendreis an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg (WiSe 2022/23). Aus historischer und gegenwärtiger Perspektive wurde wissenschaftsbezogene Kunst diskutiert, die das Verständnis von Natur in ihrer Vielfalt, ihren Veränderungen und ihrem Wandel behandelt. In einzelnen Projekten widmeten sich die Studierenden der Frage, wie ein für beide Seiten ertragreicher Austausch zwischen Kunst und Wissenschaft gelingen kann. Welche institutionellen Rahmenbedingungen sind hierfür nötig? Welche Rolle spielen Zuschreibungsprozesse durch die Rezipient*innen, und verfügen einzelne Medien über eine größere Wissenschaftlichkeit als andere? Neben frühen Formen der Wissenschaftskommunikation wurde die Macht von Bildern diskutiert, selbst Erkenntnisse zu generieren.

Visuelle Darstellungen können zugleich epistemische Medien sein: Sie vermitteln wissenschaftliche Erkenntnisse. Seit dem 19. Jahrhundert arbeiten künstlerisch verfahrende Wissenschaftler*innen und wissenschaftlich interessierte Künstler*innen mit sinnlichen Darstellungsweisen, um komplexe Wissensinhalte einer breiten Bevölkerung zugänglich zu machen. Der Mediziner, Philosoph und Zoologe Ernst Haeckel (1834–1919) machte beispielsweise die Evolutionstheorie Charles Darwins in Deutschland populär, indem er sie für die Erläuterung seiner ornamentalen Zeichnungen von ozeanischen und mikrobiologischen Lebensformen nutzte. Leopold Blaschka (1822–1895) überführte die Zeichnungen wiederum in faszinierende Glasmodelle, die – vereinzelt und aufgrund ihrer großen Attraktionskraft von Laien zur Dekoration gesammelt – komplexe wissenschaftliche Theorien verkörperten, aber auch zur Diskussion stellten und somit die Rezipient*innen zu sinnstiftenden Instanzen machten.

In dem unter der Leitung von Anne Hemkendreis durchgeführten Proseminar an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg widmeten sich Studierende den Grenzbereichen zwischen Kunst und Wissenschaft. Neben der Vermittlung der für diesen Diskurs relevanten theoretischen Grundlagen zeichnete sich der Kurs durch eine praktische Komponente aus. Die Teilnehmer*innen bekamen die Aufgabe, sich in eigenständig konzipierten und durchgeführten Projekten auf experimentelle Weise mit den historischen und gegenwärtigen Bezügen zwischen Ökologie und Kunst auseinanderzusetzen. Drei Sektionen: Ozeanische Wunder, Himmel und Atmosphäre und Wissenschaftsbilder gaben den inhaltlichen Rahmen vor.

Ozeanische Wunder

Zwei Gruppen entschieden sich für das Themengebiet Ozeanische Wunder und machten mit ihren künstlerischen Arbeiten auf ökologische und ethische Probleme aufmerksam. Die erste Gruppe, gebildet aus Gesa Friede und Michelle Kollmann, thematisierte in ihrem Projekt Neue Funde fanplastischer Meeresbewohner den anthropogenen Klimawandel mit Blick auf die Verschmutzung der Meere, Seen und Flüsse. Für diesen Zweck stellten die beiden Studentinnen aus im Hausmüll gefundenem Plastik eine Vielzahl an erfundenen Meerestieren her, die sie am Präsentationstag ausstellten. Der Titel verweist auf den imaginären Anteil, der jedem Entdeckungsmythos in der naturwissenschaftlichen Forschung zu Grunde liegt. Dieser verkehrt sich in ein Bewusstsein über tiefgreifende Veränderungen innerhalb von natürlichen Umwelten und ihren Lebewesen, wenn die Studentinnen Plastiktiere und -pflanzen als neue Arten inszenieren. Zahlreiche im Alltag genutzte Gegenstände bestehen aus Plastik, dessen Entsorgung ein großes Problem darstellt. Die Studentinnen übten nicht nur Kritik an dem verschwenderischen Konsumverhalten westlicher Zivilisationen, sondern verwiesen auch auf die Gefahren, die vom Mikroplastik für Mensch und Tier ausgehen (z.B. indem es über die Meere in den Nahrungskreislauf gelangt). Das weggeworfene Plastik, das nach einiger Zeit in mikroskopisch kleine Kunststoffpartikel zerfällt, wird häufig von Fischen gefressen, da diese es für Plankton halten. Infolgedessen nehmen auch Menschen Mikroplastik auf, wenn Fische und andere Meerestiere verzehrt werden. Die von Friede und Kollmann gefertigten Zahnbürstenseepferchen, Strohhalmseeigel und Zitronennetzseesterne standen symbolisch für das Plastikproblem, verwandelten es jedoch gleichzeitig in künstlerische Ausstellungsobjekte. Ihre polare Wirkung als ästhetische Skulpturen einerseits und abstoßender Abfall andererseits machte den Reiz der Arbeiten aus und regte zum Nachdenken an. Das Projekt war ein Appell zur Bewusstmachung, dass sich die Ozeane zu Abfallhalden gigantischen Ausmaßes entwickeln. Angeregt wurde das Projekt von dem – von der Kunsthistorikerin Monika Wagner initiierten – Archiv zur Erforschung der Materialikonographie in der Kunst des 20. Jahrhunderts. Dieses listet eine Reihe von Künstler*innen auf, die bereits Kunststoff als Material nutzten, z.B. Niki de Saint Phalle, Duane Hanson, Les Levine oder César Baldaccini. Inspiriert wurden die Studentinnen insbesondere von Künstler*innen, die sich in ihren Arbeiten mit der Schattenseite dieses Materials auseinandersetzten. Dazu zählt die in New York lebende Konzeptkünstlerin Mierle Laderman Ukeles, die Installationen aus Treibgut des städtischen Lebens, wie alten Gummischläuchen, erstellte. Hiervon angeregt verliehen die Studentinnen ihren Objekten wissenschaftsähnliche Namen, die tatsächlichen Artenbestimmungen entlehnt waren, diese jedoch ad absurdum führen. Die Vorstellung einer Ausstellbarkeit von Natur, insbesondere hinsichtlich ihres aktuellen Verschmutzungsgrades, wurde hierdurch deutlich.

Gesa Friede und Michelle Kollmann: Neue Funde fanplastischer Meeresbewohner (2022). Foto: Kristina Sieling.
Gesa Friede und Michelle Kollmann: Neue Funde fanplastischer Meeresbewohner (2022). Foto: Kristina Sieling.

Die Studentinnen Amélie Fleischhut und A. S. wählten das Themengebiet Ozeanische Wunder, wobei sie ihren Schwerpunkt weniger auf die Umweltverschmutzung durch den Menschen legten, als vielmehr dessen Umgang mit den Tieren aus der Unterwasserwelt kritisch in den Blick nahmen. Angestoßen von Jean Painlevés informativem sowie ästhetischem Kurzfilm L´Hippocampe (1934) drehten auch sie einen künstlerischen Wissenschaftsfilm, der die Rezipient*innen auf eine Reise in den submarinen Lebensraum mitnimmt.

Vor dem Hintergrund der im 19. Jahrhundert ausgebrochenen Aquarienmanie filmte die Gruppe ein in der Freiburger Bar befindliches Aquarium, in dem die Fische permanent Musik, Stress und Lärm ausgesetzt sind. Mit ihrem Videoprojekt wollten die Studentinnen daran erinnern, dass Tiere keine Dekoration, sondern, genau wie wir Menschen, mit Sinnen ausgestattete Lebewesen sind und daher von lauten Geräuschen aus der Umgebung belästigt und geschädigt werden. Im Zentrum des Films steht somit eine Kritik an der Abwertung nicht-menschlichen Lebens gegenüber menschlichem Leben. In ihrem Film Eintauchen brechen Fleischhut und S. die Annahme der dem Menschen unterlegenen Unterwasserwelt auf, indem sie die Fische mit Menschen in einen Dialog setzen und sie somit zu Subjekten einer Begegnung machen. Dadurch verschwimmen die Grenzen zwischen Tier und Mensch. Einzelne Szenen zeigen den Kopf Fleischhuts, der für längere Zeit von oben in ein mit Wasser gefülltes Aquarium eintaucht und dadurch die Umkehrung hierarchischer Strukturen sowie die Verflüssigung eines dualistischen Denkens markiert. Dabei wirkt das Glas, durch das das fremd anmutende Gesicht und die sich tentakelartig bewegenden Haare der Studentin betrachtet werden können, wie ein Schaufenster in eine nicht-menschliche Welt. Die historische Referenz des Films sind die spektakulären Aquarien-Installationen des 19. Jahrhunderts während der Zeit der Weltausstellungen seit 1860 in Paris. Die Studentinnen greifen den Effekt des Staunens auf, der zu einer Grenzerfahrung führt: Menschliches und nicht-menschliches Leben werden in ein Verhältnis zueinander gesetzt.

Himmel und Atmosphäre

Dem Themengebiet Himmel und Atmosphäre widmeten sich zwei Gruppen mit unterschiedlichen Ansätzen. Angeregt von John Constable (1776–1837) – einem britischen Maler der Romantik, der für seinen pastosen Farbauftrag im Kontext seiner Wolkendarstellungen bekannt ist – befassten sich Chiara Dröge und Greta Schweizer mit der Verschränkung von Ästhetik und Wissenschaft in der Geschichte der meteorologisch inspirierten Kunst. Ziel der Studentinnen war die Evokation einer ökologischen Sensibilität, die sich bereits in Gemälden aus der Zeit der Industrialisierung findet und in der heutigen Rezeption romantischer Landschaften Berücksichtigung finden sollte. Nachdem Dröge und Schweizer in der Süddeutschen Zeitung einen von Marlene Weiß verfassten Artikel über die Veränderung von Wolkenmustern durch die Erderwärmung rezipiert hatten, entwickelten sie ihr Projekt Wolkenwanderung. Auf Postkarten von Landschaftsgemälden aus dem Freiburger Augustinermuseum befestigten sie eine durchsichtige Folie, auf die sie Wolken malten. Da die Folie an nur einer Seite befestigt ist, konnten die Betrachter*innen entweder das Originalbild oder das durch die hinzugefügten Wolken veränderte Bild betrachten: Es entsteht ein Kippmoment innerhalb der ästhetischen Wahrnehmung. Inspiriert wurde das Projekt von sog. Fühltafeln, also haptisch ansprechenden Kopien von bekannten Gemälden, durch die Museumsbesucher*innen der Berlinischen Galerie in die Ausstellung einbezogen wurden. Die Studentinnen gestalteten den Tastsinn anregende Arbeiten, um dazu zu motivieren, über die Veränderlichkeit der Umwelt und ihre physischen Auswirkungen auf alle Lebewesen zu reflektieren. Auch war es ihnen ein Anliegen, die Rezeption von romantischen Landschaftsgemälden als Sehnsuchtsorte innerhalb von Museumsausstellungen einer kritischen Revision zu unterziehen. Demgegenüber stellten Dröge und Schweizer implizit die Frage nach romantischer Kunst als Zeugnis einer sich industriell verändernden Umwelt und damit als Klimaarchiv oder Wissensspeicher.

Die zweite Gruppe, bestehend aus Ruben Fröhler, Kristina Jovanovic und Sharleena Rosing, beschäftigte sich ebenfalls mit der Veränderlichkeit des Himmels, wobei sie eine meteorologische und vergleichende Methode wählten. Aus medienästhetischer Perspektive befassten sie sich mit der Frage der Subjektivität von Wahrnehmung bzw. einer Objektivität der Naturwissenschaften. Für ihr Projekt Der Himmel? Die Himmel! Eine Dokumentation des Blicks nach oben hielten die Gruppenmitglieder zu unterschiedlichen Zeitpunkten und an verschiedenen Orten den Himmel von einem von drei spezifischen Standorten mit einer digitalen und analogen Kamera sowie mit dem Zeichenstift fest. Die entstandenen Darstellungen des Himmels variierten nicht nur aufgrund der unterschiedlichen Plätze und Uhrzeiten, sondern auch das verwendete Medium spielte hierfür eine entscheidende Rolle. Beispielsweise dauerte das Anfertigen einer Zeichnung wesentlich länger als das Schießen eines Fotos, weswegen Fröhler mit der Herausforderung konfrontiert war, den sich ständig ändernden Himmel auf Papier festzuhalten. Hinzu kam, dass die blaue Farbe des Himmels durch das Mittel der Zeichnung nicht dokumentiert werden konnte, was wiederum zu der Frage führte, ob die Darstellung dadurch an Objektivität einbüßt. Im Umkehrschluss hat dies aber nicht zu bedeuten, dass die Fotos weniger künstlerisch sind als die Zeichnungen. Schließlich rufen diese Assoziationen an James Turrells Skyspaces – zum Himmel offene Räume, durch die Ausschnitte des Himmels beobachtet werden können – hervor. Ergebnis war die Feststellung, dass Objektivität in der Wissenschaft und ihrer Vermittlung stets von getroffenen Vorannahmen und medialen Vermittlungsformen abhängt und damit subjektabhängig ist.

Wissenschaftsbilder

Dass sich die Rubrik Wissenschaftsbilder besonderer Beliebtheit erfreute, äußert sich in der Anzahl an Projekten dieser Kategorie. Obwohl sich vier Gruppen mit diesem Gebiet beschäftigten, variierten der inhaltliche Fokus und die Umsetzung der Arbeiten. In dem Projekt Reaktion einer Pflanze unter Einfluss von Kälte setzten die Studentinnen Dana Luna Zemke und Sophia Rehor eine Chilipflanze, zu der sie eine persönliche Beziehung hatten, mehrere Tage den kalten Wintertemperaturen aus und dokumentierten in einer Fotoreihe deren Genese. Parallel dazu protokollierten sie verschiedene Daten, unter anderem Temperatur und Luftfeuchtigkeit, welche für die Entwicklung des Gewächses relevant sind. Ihr Ziel bestand darin, den Wandel, beziehungsweise im Laufe der Zeit eingetretene Veränderungen, mithilfe der seriellen Fotografie festzuhalten. Die Studentinnen setzten sich ausführlich mit dem Wirklichkeitsversprechen des Mediums auseinander und dachten intensiv über die Wahrnehmung von Zeit nach: Die Serialität der Einzelaufnahmen wurde zu einer Art des Visual Storytelling über den Niedergang der wärmeliebenden Chilipflanze. Angereichert durch den emotionalen Bezug zur um ihr Überleben kämpfenden Pflanze wurde ein Appell zum Mitleiden und Mitfühlen gestaltet, der die Pflanze teilweise anthropomorphisierte. Ziel des Projekts war eine Reflexion über die unterschiedlichen Bedeutungen von Pflanzen im Alltag, sei es als emotionale Projektionsfläche oder lebendige Dekoration. Ferner diente die Chilipflanze als nicht-heimisches Gewächs einer Sensibilisierung für Pflanzen als andauernde Symbole des kolonialen Pflanzenhandels und damit als Zeugnisse von historischer Gewalt und Ausbeutung.

Sophia Rehor und Dana Luna Zemke: Reaktion einer Pflanze unter Einfluss von Kälte (2022). Foto: Kristina Sieling.
Sophia Rehor und Dana Luna Zemke: Reaktion einer Pflanze unter Einfluss von Kälte (2022). Foto: Kristina Sieling.

Aleksandra Sutiagina tauchte in ihrem Projekt Licht. Fotogramm-Schattenfänger in die Welt der Fotografie ein. Ihr Anliegen bestand darin, den anderen Studierenden die Methode der Cyanotypie, auch Blaudruck genannt, näherzubringen. Dabei handelt es sich um eine monochrome Fototechnik, die 1842 von dem Naturwissenschaftler John Herschel (1792–1871) erfunden wurde. Diese erfordert stets einen flächenhaften Träger, wie Papier oder Leinwand, der mit einer chemischen Eisenlösung getränkt wird. Anschließend werden darauf Objekte, wie zum Beispiel Pflanzen, platziert und mit natürlichem Sonnen- oder künstlichem UV-Licht bestrahlt. Durch die Belichtung färbt die aufgetragene Lösung den Untergrund blau ein, wobei die Fläche unter dem Gegenstand hell bleibt. Wird ein Negativ anstelle einer Pflanze verwendet, verhält sich dies anders: Abhängig von den Licht- und Schattenverhältnissen der Aufnahme sind dann feine Blauabstufungen zu sehen. In ihrem Projekt verwendete Sutiagina beide Methoden: Beim ersten Versuch legte sie eine Pflanze auf das chemisch behandelte Papier, und beim zweiten Mal platzierte sie ein Negativ auf dem Träger, der ein Landschaftsmotiv aus dem Schwarzwald zeigte. Befragt wurde die Geschichte der Cyanotypie als Wissenschaftsillustration, die durch Anna Atkins (1799–1871) populär wurde. Ihre Cyanotypien waren 1843 die ersten fotografischen Bebilderungen einer wissenschaftlichen Publikation (Photographs of British Algae: Cyanotypie Impressions) und verhalfen dieser aufgrund ihrer Schönheit zu großem Erfolg. Ihre sog. Blaupausen changieren, wie die Bilder der Studentin, zwischen Kunst und Wissenschaft. Sutiagina befragte den Stellenwert der Cyanotypien als frühe Zeugnisse der Wissenschaftskommunikation und verdeutlichte ihre andauernde ästhetische Attraktionskraft.

Aleksandra Sutiagina: Licht. Fotogramm-Schattenfänger (2022). Cyanotypie. Foto: Kristina Sieling.
Aleksandra Sutiagina: Licht. Fotogramm-Schattenfänger (2022). Foto: Kristina Sieling.

Marleen Seiter und Merima Faljic erstellten eine Collage mit aus dem Internet entnommenen oder von ihnen selbst erstellten Naturbildern. Die Studentinnen untersuchten, ob bestimmte Abbildungen wissenschaftsnäher sind als andere, indem sie z.B. in wissenschaftlichen Kontexten auftauchen. Auf Grundlage des von Lorraine Daston verfassten Artikels Bilder der Wahrheit, Bilder der Objektivität stellten sich die Studentinnen die Frage nach dem Objektivitätsversprechen innerhalb der Bildwerdung von Natur und ihrer Geschichte. In einem ersten Schritt recherchierten die Studentinnen, welche Künstler*innen im Vorfeld der Aufklärung Naturbilder gemalt und gezeichnet hatten, und stießen dabei auf eine fließende Grenze zwischen Kunst und Wissenschaft. Beispielsweise dokumentierte die Naturforscherin Maria Sybilla Merian (1647–1717) ihre Erkenntnisse über die Flora und Fauna in Form von ästhetisch ansprechenden Illustrationen, die uns heute als Metamorphosenbilder bekannt sind. Im Bezug auf die Blumen-Stillleben von Jan Davidsz de Heem (1606–1683) stellten Seiter und Faljic fest, dass diese weniger der Erkenntnisgewinnung dienten, sondern vielmehr symbolischen Charakter hatten. Ergänzend zogen die Studierenden Illustrationen aus naturkundlichen Fachbüchern späterer Epochen heran und verglichen sie mit Beispielen aus der Kunst. Nachdem das Material zusammengetragen worden war, wurde eine Hierarchisierung nach Wissenschaftlichkeit, entsprechend der Intention der Künstler*innen und Kontexte vorgenommen. Die Studierenden warfen die Fragen auf, ob Wissenschaftlichkeit eine Zuschreibung ist, die Rezipient*innen an ein bestimmtes Medium (z.B. die Fotografie) machen. Oder bedeutet Wissenschaftlichkeit die Einbindung von Bildern in wissenschaftsnahe Kontexte? Müssen in historischen Analysen Institutionen und Personen berücksichtigt werden, die eine Deutungshoheit innehatten? Die Studentinnen schlussfolgerten, dass die Bilder der Natur ihre Wissenschaftlichkeit sowohl auf produktionsästhetischer als auch wirkungsästhetischer Ebene entfalten können.

Die vierte Gruppe, welche sich aus Julian Baur, Lisa Scheffert und Jutta Wiens zusammensetzte, verfolgte verschiedene Ansätze, um über Wissenschaftsbilder zu reflektieren. Die entstandenen Arbeiten rund um das Thema Pflanzen, zu denen ein Comic, Tonschalen und Stickereien zählten, hatten eine sinnliche Wissensvermittlung zum Ziel. Baur zeichnete einen Comic, der die Leser*innen mit auf die Reise des Protagonisten in das Innere eines Blattes nahm. Hierzu beschäftigte er sich intensiv mit dem mikroskopischen Aufbau von Pflanzen, um seinen Bildern – ähnlich den Zeichnungen Haeckels – sowohl eine ästhetische wie auch realistische Wirkung zu verleihen. In seinem Projektbericht schreibt der Student, dass seine intensive Beschäftigung mit der Botanik nicht nur den pädagogischen Wert seines Comics steigerte, sondern auch sein naturwissenschaftliches Wissen erweiterte. In Anlehnung an das Aufgreifen von Naturformen durch Künstler*innen thematisierte Wiens die gegenseitige Verflechtung von Wissenschaft, Design und Alltagsleben, indem sie Carl von Linnés (1707–1778) Lieblingspflanze Linnaea Borealis auf einen Textilrahmen stickte. Damit verdeutlichte sie die Einflüsse von Wissenschaftsbildern auch auf das spätere Arts & Crafts-Movement in Schweden. Darüber hinaus öffnete die Arbeit, die sich mit einer traditionell weiblichen Tätigkeit befasste, eine Perspektive auf die Dominanz von Männern in der Wissensgeschichte. Scheffert, das dritte Projektmitglied, nutzte Ton zum Modellieren von Schalen, die sie mit frischen und getrockneten Blättern dekorierte. Teilweise arbeitete sie auch mit Abdruckverfahren, in denen die Pflanzen nur als das Abwesende sichtbar waren. In ihrer Dokumentation berichtet die Studentin, dass das Abdruckverfahren für die materielle Ebene der Objekte sensibilisieren sollte und das Bewusstsein für die fließenden Übergänge zwischen Natur und Kultur steigerte.

Jutta Wiens: Perspektiven auf Blätter (2022). Stickerei. Foto: Kristina Sieling.
Jutta Wiens: Perspektiven auf Blätter (2022). Foto: Kristina Sieling.


Fazit

Im Seminar erhielten die Studierenden die Gelegenheit, über die epistemische Funktion der Kunst aus theoretischer und praktischer Perspektive zu reflektieren. Die Fähigkeit von Kunst, Wissen nicht nur zu darzustellen, sondern auch zu generieren, wurde von den Studierenden nicht nur theoretisch erfahren, sondern von ihnen selbst praktisch erprobt. Es wurde deutlich, dass ästhetische Erfahrungen den Blick auf komplexe Zusammenhänge im Bereich der Wissens- und Wissenschaftsgeschichte öffnen. Kunst eignet sich dementsprechend als ein Experimentierfeld, um wissenschaftliche Thesen, wie die Veränderung der Atmosphäre durch die Industrialisierung, zu verhandeln und zur Diskussion zu stellen. Insofern öffnen Bilder einen Reflexionsraum über die Fähigkeit von Kunst, auf produktions- und rezeptionsästhetischer Ebene Evidenz zu erzeugen.

Das Projekt ermöglichte einen niedrigschwelligen Zugang zu komplexen Inhalten des Seminars, da in den – von den Studierenden konzipierten und durchgeführten Projekten – abstrakte Themen auf kreative und experimentelle Art und Weise vertiefend behandelt wurden. Den Kursteilnehmer*innen wurde ein hoher Freiheitsgrad bei der Gestaltung der Projekte eingeräumt, was die Entstehung einer Vielfalt von Projekten an der Grenze von Kunst und Wissenschaft sowie Wissenschaftskommunikation ermöglichte. Das Projektseminar hat gezeigt, dass künstlerische Verfahren der Visualisierung nicht nur eine informative Funktion haben, sondern gleichzeitig auch Mittel der Kritik sein können.

Literatur

Daston, Lorraine: Bilder der Wahrheit, Bilder der Objektivität. In: Bredekamp, Horst/Huber Jörg (Hrsg.): Einbildungen. Zürich 2005, S 117–153.

Steidl, Katharina: Am Rande der Fotografie. Eine Medialitätsgeschichte des Fotogramms im 19. Jahrhundert. Berlin 2019.

UNIVERSITÄT HAMBURG, Archiv zur Erforschung der Materialikonographie, https://materialarchiv.rrz.uni-hamburg.de/Materialdatenbank/ (18.05.2023)

Beitragsbild über dem Text: Chiara Dröge und Greta Schweizer: Wolkenwanderung (2022). Foto: Kristina Sieling.

Zitierweise

Kristina Sieling (2023): Ästhetische Wissensvermittlung: Studentische Projekte im kunsthistorischen Studium. w/k - Zwischen Wissenschaft & Kunst. https://doi.org/10.55597/d18409

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