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„Drone Art“ zwischen Anschauung und Vermittlung

Text: Philipp Preußger | Bereich: Über „Kunst und Wissenschaft“

Übersicht: Drone-Art-Werke leisten einen wichtigen Beitrag zu gesellschaftlichen Debatten über den Drohnenkrieg. Sie machen ihn sichtbar und setzen sich kritisch mit seinen Ursprüngen, Erscheinungsformen und Folgen auseinander. Indem sie sich kulturell tradierter Symboliken, Techniken und Darstellungspraktiken bedienen, verbinden sie Ästhetik und Ethik und vermitteln kritische Perspektiven auf Drohnenkriege. Anhand zweier Drone-Art-Werke wird dieser Zusammenhang exemplarisch aufgezeigt und kontextuell eingebettet mit dem Anliegen, in der Anschauung der Werke und im Rückgriff auf philosophische und theologische Erkenntnisse und Erfahrungen zu Überwachung und Bewachung nach Antworten auf ethische Probleme des Einsatzes von Militärdrohnen zu suchen. In die w/k-Systematik ist die Drone Art als technologiebezogene Kunst einzuordnen.

Drone Art ist ein junges Phänomen der technologiebezogenen Gegenwartskunst, bei der entweder neue Technik für künstlerische Zwecke verwendet oder die neue Technologie in der Kunst thematisiert wird. Drone Art bezieht sich auf Letztgenanntes. Dabei meint die Bezeichnung kein einheitliches Genre und lässt sich nicht eindeutig abgrenzen. Bisherige Definitionsversuche deuten zwei Ausrichtungen an: Zum einen werden mit dem Begriff die von Drohnen produzierten Bilder und ihre Verwobenheit in militärische Prozesse bezeichnet. Solche Bilder können – wenngleich sie keine Kunstphänomene im engen Sinne sind – zum Gegenstand bildwissenschaftlicher Forschung werden. Im Folgenden wird jedoch die zweite Begriffsverwendung bevorzugt, bei welcher der Begriff die Aufmerksamkeit auf die Militärdrohne als abgebildetes (Imaginations-)Objekt lenkt (Stubblefield 2020). Beiden Ausrichtungen gemein ist das Anliegen, die vielfältigen Bedingungen, Formen und Folgen der Drohnenkriege sichtbar zu machen. Einzelne Künstler*innen setzten sich von Beginn an kritisch mit dem Drohnenkrieg auseinander. In den letzten Jahren schließlich erfuhr die Drone Art zunehmende Aufmerksamkeit durch museale Ausstellungen, u. a. im Imperial War Museum London, im Mildred Lane Kemper Art Museum St. Louis, im Haus der elektronischen Künste Basel oder in der Women Made Gallery Chicago.

Anschauung

Das Auge im Himmel ist eines der häufigsten Symbole in Werken, die dem Anliegen der Drone Art folgen. Das reiht sich ein in eine Tradition des Auges im Himmel, die vor allem religiös-populärkulturellen Kontexten entstammt. Der Himmel kann dabei unterschiedlich verortet werden und bestimmt sein – im Kern geht es aber immer um den allsehenden, unverstellten Blick von oben, dessen Utopie durch die Drohne technisch realisiert werden soll. Doch die künstlerische Rezeption des allsehenden Auges im Himmel in der Drone Art weist nicht nur auf die technische Entwicklung, sondern auch auf die Entwicklung und Verschiebung der Bedeutungen des Symbols hin, die im Folgenden anhand zweier Werke nachgezeichnet werden.

Kathryn Brimblecombe-Fox: Swarm Surveillance (2016), Gouache auf Papier, 30×42 cm, Foto: Kathryn Brimblecombe-Fox, Verwendung mit freundlicher Genehmigung der Künstlerin.
Kathryn Brimblecombe-Fox: Swarm Surveillance (2016). Foto: Kathryn Brimblecombe-Fox.

Die australische Künstlerin Kathryn Brimblecombe-Fox nimmt in ihren Bildwerken aus der Serie Dronescapes den religiös-kulturellen Hintergrund des von einem Strahlenkranz umgebenen Auges im Himmel auf, um auf Fragen des Raums und seiner Grenzverschiebungen, der Veränderungen von Landschaft und Himmel, der Überwachung sowie der Zerstörung von Leben aufmerksam zu machen, wie es im ersten hier untersuchten Bild Swarm Surveillance (2016) deutlich wird. Eine andere Perspektive nimmt die pakistanische Künstlerin Mahwish Chishty, die seit 2005 in den USA lebt, ein. Nachdem sie 2011 in ihr Heimatland reiste und dort von den Dimensionen des US-geführten Drohnenkrieges aus Sicht der betroffenen Bevölkerung erfuhr, forschte sie zu Hintergrund, Gestalt und Folgen des Drohnenkrieges. Besonderes Augenmerk ihrer Arbeit liegt auf dem Einfluss des Drohnenkrieges auf Kultur und Alltag. In ihren Bildern, exemplarisch wird hier Reaper (2015) besprochen, spiegelt sich dies in der Verknüpfung des Auges mit der mit pakistanischer Truck Art verzierten Oberfläche einer Drohne.

BA: Mahwish Chishty: Reaper (2015). Foto: Mahwish Chishty, Gouache und Goldflocken auf Papier, 50,8×76,2 cm. Verwendung mit freundlicher Genehmigung der Künstlerin.
BU: Mahwish Chishty: Reaper (2015). Foto: Mahwish Chishty.

Truck Art bezeichnet eine Form der dekorativen, sehr farbenfrohen Bemalung von Fahrzeugen (v. a. Lastwagen) mit kulturellen, religiösen und ornamentalen Elementen im südasiatischen Raum, wie folgende Fotografie illustriert.

Baharwassan: Truck Art of Pakistan (2015). Foto: Baharwassan.

In seiner Theorie der Drohne bezeichnet Grégoire Chamayou die Neuerung, die mit der Drohne einhergeht, als „Revolution des Blickes“ (Chamayou 2014: 47). Drohnen waren bis in die späten 1990er Jahre ausschließlich Augen im Himmel: Vom Vietnam-Krieg bis zum Kosovo-Krieg wurden ferngesteuerte (Luft-)Fahrzeuge zu Überwachungs- und Aufklärungszwecken (intelligence, surveillance, reconnaissance – ISR) eingesetzt (Chamayou 2014: 38–40). Erst im Anti-Terror-Krieg wurden Drohnen systematisch mit Raketen bewaffnet. Die Bewaffnung rückte dann in den Fokus gesellschaftlicher Diskurse – was jedoch dazu führte, dass die Problematik der ISR zunehmend in den Hintergrund geriet und häufig als Begleiterscheinung eines Drohnenangriffs gesehen wurde. Dabei ist es die Fähigkeit des zeiträumlich umfassenden Sehens, die einen Drohnenangriff erst ermöglicht und die logische wie auch technische Grundvoraussetzung der Überwachung ist (Gregory 2011: 193; Stahl 2018: 67).

Die Entwicklung der Überwachungstechnik läuft derzeit auf eine wide area surveillance hinaus, bei der eine Vielzahl an Kameras hochauflösende Bilder generiert (Gregory 2011: 193). Das dafür seitens der US Air Force vorgesehene, sich aber noch in der Testphase befindende Videoüberwachungssystem ARGUS-IS wird sowohl das Sichtfeld deutlich vergrößern (auf mindestens 35 km2 Überwachungsgebiet) als auch das Tracking einzelner Individuen optimieren. Dadurch soll es möglich werden, dass ein (räumlich) allgegenwärtiger und (zeitlich) permanenter Blick auf den Feind aufrechterhalten wird. Menschliche Beschränkungen wie etwa die begrenzte Konzentrationsfähigkeit, die räumliche Begrenztheit oder die Abhängigkeit von biologischen Rhythmen könnten mithilfe der Drohne umgangen werden, womit das Prinzip der beständigen und totalen, d.h. „synthetischen Überwachung“ (Chamayou 2014: 48) verfolgt wird.

Dieses Prinzip transferiert einen narrativen Ansatz zur Theorie der Überwachung auf die neue Technik: Schon Jeremy Bentham deutete in seinem Panoptikum an, was George Orwell in 1984 explizierte, dass nur eine intermittierende und lokalisierte Überwachung effizient, aber erst eine permanente und allgegenwärtige Überwachung effektiv sei (Bentham 2013 [1791]: 89; Orwell 2015 [1949]). Diese potentielle Omnipräsenz und Permanenz des Sehens sind für Überwachungszwecke durchaus gewollt, denn sie schaffen eine Art unsichtbare Macht. Das Unwissen der Überwachten, ob sie gerade observiert werden oder nicht, erzeugt eine Spannung zwischen der Sichtbarkeit der Überwachten und der Unsichtbarkeit der Überwachenden, die mit klaren hierarchischen Machtstrukturen einhergeht. Michel Foucaults Analyse der Prozesse von Überwachen und Strafen zeigt, dass aus dem „ununterbrochene[n] Gesehenwerden, [dem] ständige[n] Gesehenwerdenkönnen“ (Foucault 1976: 241) eine permanente Selbstkontrolle resultiert. In diesem Wissen, dass sie jederzeit gesehen werden können, disziplinieren sich die Überwachten selbst und verinnerlichen die Machtstrukturen mit der Folge, dass ebendiese Machtstrukturen von den Überwachten selbst gestützt werden. Macht gestaltet sich auf diese Weise reziprok (Pfafferott 2015: 81). Es handelt sich nicht nur um eine potentielle Permanenz des Sehens, sondern auch um eine potentielle Permanenz des Gesehen-Werdens. Überwachung wird unsichtbar, das Gefühl des Überwacht-Werdens allgegenwärtig.

Vermittlung

Die Allgegenwart und Alltäglichkeit der unsichtbaren Überwachung untersucht Chishty in Reaper. Indem die Truck Art als Spiegel und Abbild der gelebten islamischen Kultur in Pakistan auf die Oberfläche der Drohne übertragen wird, wird die Drohne in die pakistanische Kultur eingebettet (Azeem 2019: 106) – oder besser: im Alltag versteckt, obwohl sie nicht pakistanisch, sondern US-amerikanisch ist. Das Bild wirft damit die grundsätzliche Frage auf, wie weit eine fremde Bedrohung, wie weit fremde Gewalt im Alltag einer Kultur verankert werden darf. Chishtys Antwort darauf ist ihre künstlerische Praxis: das kritische Sichtbarmachen der Drohne als Instrument der Machtprojektion und -expansion. Damit widersetzt sie sich den unsichtbaren Machtstrukturen, der potentiellen Permanenz des Sehens und des Gesehen-Werdens, die auch Foucault kritisierte. Das Auge im Himmel (die Drohne) müsse, weil es sieht, auch gesehen werden können. Inwiefern und auf welche Weise diese Transparenz für ein Mehr an Akzeptanz, Integration und Würde sorgen kann, bleibt zunächst offen.

Brimblecombe-Fox’ Werk Swarm Surveillance legt den Schwerpunkt nicht wie Chishty auf die strukturelle Einbettung, sondern auf die Funktion als Auge. Es zeigt im Zentrum der offenen Komposition 32 konturierte symbolische Augen in scheinbar zufälliger Schwarmordnung. Die Form orientiert sich an weit geöffneten, anthropomorphen Augen, deren Pupille stets mittig liegt, die also frontal schauen. Vor dem Hintergrund der Wide-area-surveillance-Technologie repräsentieren diese Augen ein System, dessen Blick sich wie die kranzförmig von den Augen ausgehenden und sich zum Bildrand hin ausweitenden Strahlen über den gesamten (Bild-)Raum erstreckt. Nichts bleibt ihm verborgen, das Auge sieht und weiß alles.

Allgegenwart wie auch Allwissenheit sind ursprünglich Attribute der Gottheit. Die Analogie zwischen der Darstellung des Drohnenauges in Swarm Surveillance und der barocken Darstellung des Gottesauges, wie sie z. B. über dem Altar der Dresdner Frauenkirche zu sehen ist, verwundert vor diesem Hintergrund nicht.

Johann Christian Feige d. Ä. und Benjamin Thomae: Altar der Frauenkirche in Dresden (1738). Foto: SchiDD.
Johann Christian Feige d. Ä. und Benjamin Thomae: Altar der Frauenkirche in Dresden (1738). Foto: SchiDD.

Für die Autor*innen des Alten Testaments war es selbstverständlich, dass ihr Gott Jahwe Augen hat; nicht im Sinne eines Körperorgans oder einer Vermenschlichung Gottes, sondern in funktionaler Hinsicht (Kaiser 1998: 314; Wagner 2010: 149f.). Gott sieht immer und überall, was die Menschen tun. Aber dieses Sehen wird im Alten Testament nicht mechanisch, sondern als belebt verstanden; das Auge fühlt und denkt. Es würde also zu kurz greifen, Gottes Überwachung moralisch zu interpretieren. Denn so, wie das göttliche Auge als Erziehungsmaßnahme benutzt werden kann, durch die alle noch so kleinen Verfehlungen penibel dokumentiert und bestraft werden, kann die Sehfähigkeit Gottes auch in die andere Richtung in Anspruch genommen werden: als Versprechen, dass Gottes Auge die Seinen sieht, bewacht und beschützt. Dann bezieht sich die Überwachung nicht nur auf das Individuum und sein Handeln, sondern auch auf das weltliche Geschehen, sodass nichts gegen Gottes vorhersehendes Wissen oder seinen Willen geschehen kann. Allgegenwart und Allwissenheit sind demnach Voraussetzungen der göttlichen Allmacht; anders ausgedrückt: Das Sehen der Augen geht ihrer Wirkmächtigkeit voraus (Wagner 2010: 126). Es ist die Schutzfunktion des göttlichen Auges, welche die Hoffnung der Autor*innen des Alten Testaments auf den panoptischen Blick Jahwes begründet.

Doch Gottes Nähe und sein Schutz sind, wie das Alte Testament betont, vom Gehorsam des Menschen abhängig (Kaiser 1998: 64f.). So deutet auch die Formel ‚Schutz im Gegenzug für Gehorsam‘ einerseits hierarchische Strukturen an, die aber in ihrer Ausformulierung Transparenz und Nachvollziehbarkeit herstellen. Andererseits bietet die Formel ein Erklärungsmodell, das erläutert, warum Jahwe seinen Schutz auch verweigern kann, nämlich wenn das Volk Israel ungehorsam ist. Häufig wurde und wird dieser Zusammenhang im religiösen Eifer missverstanden, um die Gläubigen moralisch zu dirigieren. Doch anders als dieses Einengen kann die Distanz zwischen dem Schöpfer und seinen Geschöpfen durch den Blick des Auges auch metaphorisch überbrückt werden. Das Sehen schafft dann Nähe und eröffnet einen sicheren Freiraum zur eigenen Entfaltung; es ist die Hoffnung auf jemanden, der das eigene Leben mit all seinen Herausforderungen wahrnimmt und kennt (Kaiser 1998: 279; Lyon 2014: 29). Daher scheint das Auge Gottes als „Vorstellung eines ‚alles sehenden‘ (panoptischen) Blicks […] gleichsam eine […] Befürchtung und Hoffnung zu sein“ (Pfafferott 2015: 104).

Bild und Ethik

Die Rezeption des Auges im Himmel als künstlerisches Symbol für die Drohne kritisiert genau diesen Zusammenhang zwischen Befürchtung und Hoffnung. Auch Drohnen wecken sowohl Hoffnungen (auf einen verlustarmen Krieg, auf weniger getötete Zivilist*innen, auf höhere Präzision und Geschwindigkeit etc.) als auch Befürchtungen (dass Kriege schneller begonnen werden, weil das politische Risiko gesunken ist, dass die Maschine Drohne kein Gewissen hat, es keine Verantwortlichen für Kriegsgräuel gibt usw.).

Doch die Drone-Art-Bilder gehen über diese Befunde hinaus und hinterfragen grundlegend das Verhältnis dieser beiden Implikationen: Wer wird unter welchen Bedingungen und mit welcher Intention über- und wer wird bewacht? Swarm Surveillance lässt vordergründig offen, wer überwacht wird. Das Werk zeigt weder Technik noch Menschen. Stattdessen suggerieren die frontalen Blicke der Augen und die zentralperspektivisch angeordneten Linien einen aus dem Bild hinausgehenden Blick, der alle Betrachtenden trifft. Das Bild bildet nicht nur die Überwachung ab, es vermittelt auch das Gefühl des Überwacht-Werdens direkt an die Betrachtenden. Gleichzeitig lässt das Bild nicht den Blick der Überwachenden zu, lediglich den (beobachtenden) Blick auf die Überwachenden. Dieser Blick auf die Überwachenden erlaubt jedoch keine Aussage darüber, wer warum bewacht werden soll. Indes klagt die farbliche Gestaltung des Hintergrundes die Folgen der Überwachung an: Der blutrote Himmel erinnert an menschliches Blut, ohne versehrte Körper zu zeigen. Die Überwachung der Drohne bleibt nicht ohne Folgen, sondern hat unmittelbar tödliche Auswirkungen (Gregory 2011: 193; Kindervater 2016: 224). „Wir treten ins Zeitalter der fliegenden und bewaffneten Panoptiken ein. […] Nicht mehr ‚überwachen und strafen‘, sondern überwachen und vernichten“ (Chamayou 2014: 54–55).

Die Verschiebung vom Foucault’schen Überwachen und Strafen hin zur Vernichtung markiert den Wandel des Symbols des Auges im Himmel, den die Drone Art sichtbar macht. Dieser Wandel beruht auf dem Divergieren von Überwachung und Bewachung, von Kontrolle und Schutz, von Befürchtung und Hoffnung. Im Drohnenkrieg sind die Überwachten nicht die Beschützten. Drohnen klären das Gebiet vor der Infanterie auf; sie suchen gezielt nach Gefahren, die von Objekten oder Personen ausgehen könnten, um Schaden von der Durchsetzung des eigenen Interesses abzuwenden (Kindervater 2016: 226). Das heißt, dass andere überwacht werden, um sich selbst zu schützen. Die Existenz der Überwachten wird als Bedrohung angesehen, herabgewertet als bloße Objekte der Überwachung, die keine Rechte haben (Lyon 2014: 29; Münkler 2002: 57).

Die Theologie des Alten Testaments kennt diese Trennung zwischen Überwachten und Bewachten nicht. Die Überwachten sind auch die Beschützten. Das heißt nicht, dass Gottes Schutz eine Selbstverständlichkeit sei oder andere unter der Parteinahme Gottes für sein Volk nicht leiden würden. Eine klare Verbindung zwischen Überwachung und Schutz zeigt sich dennoch. Außerdem wird im Alten Testament deutlich, dass nicht die Überwachung an sich, sondern erst die Konsequenzen für die empfundene Angemessenheit der Überwachung entscheidend sind. Das geht damit einher, dass die Intention des Blickes für die Bewertung entscheidend ist. Jahwes Handeln steht im Kontext des Bundes mit dem Volk Israel. Er gewährt ihm den Freiraum unter seinem Schutz und fordert im Gegenzug Gehorsam von ihm. Doch dieses ambivalente Gefüge wird erst dann für den Menschen erträglich, wenn Gott zugeschrieben wird, dass er gut und gerecht ist. Gottesfurcht und Hoffnung können so eine Einheit bilden.

In diesem Zusammenhang wirft Reaper die kritische Frage auf, ob und unter welchen Bedingungen die Überwachung durch Drohnen erträglich werden kann. Die widersprüchliche Verschmelzung der Gestalt der Drohne – die formgetreue Darstellung lässt auch die Umrisse von vier Hellfire-Raketen erkennen – mit der farbenfrohen Dekoration der Oberfläche der Maschine setzt dem beständigen Blick des Auges, das kein Lid hat, die Ästhetik der Truck Art entgegen. Das Auge steht zwischen der gewaltausübenden Maschine und der kulturellen Schönheit (Azeem 2019: 111). Diese Spannung enthebt die Drohne einer eindeutigen Bestimmung, sowohl im Hinblick auf die Intention und Eigenschaft (ob gut und gerecht) als auch im Hinblick auf ihre Grenzen. Das Ineinander-Weben von pakistanischer Truck Art und US-amerikanischer Maschine hebt die Drohne in einen transnationalen Raum als Weiterführung der Internationalität des globalen Anti-Terror-Kampfes, in dessen Asymmetrie Milizen, Einzelne, staatliche und private Akteure konkurrieren und eine Unterscheidung zwischen Kombattant*innen und Zivilist*innen deutlich erschwert wird (Münkler 2002: 132). Die Drohne als Medium erweitert den Raum, um (sowohl quantitativ als auch qualitativ) wirkmächtig zu sehen, sodass die räumliche Begrenzung des Krieges aufgeweicht wird. Doch die Drohne verbindet nicht, sie schafft keine Nähe. Sie vergrößert und festigt die Distanz, weswegen auch ein Mehr an Transparenz nicht zu einem Mehr an Akzeptanz führen muss.

Schluss: Grenzverschiebung

Die Anschauung der hier besprochenen Drone-Art-Werke entsetzt nicht und empört nicht. Die Bilder zeigen keine offensichtliche Gewalt, kein Töten. Sie zeigen keine Menschen, weder Opfer noch Täter*innen. Doch gerade in dieser Abwesenheit vermittelt die Drone Art – freilich subtil und dadurch prägnant – die Dissonanz von Vorstellung und Realität und beklagt darin die geografische, soziale und emotionale Entfremdung der westlichen Gesellschaften von Ort, Art und Technik des Drohnenkrieges, den sie selbst hervorgebracht haben. Drone Art bringt den Betrachtenden die Ausformungen des Drohnenkrieges nahe und führt sie zu den Tiefenschichten der tödlichen Überwachung. Dort steht der Mensch vor zwei Grenzen: pragmatisch an der Grenze dessen, was er zu leisten vermag, und ethisch an der Grenze dessen, was er abzuwägen und zu verantworten vermag. Die zunehmende Technisierung der Prozesse von Sehen, Auswerten, Entscheiden, Handeln befreit den Menschen nicht, sondern verschiebt nur das Moment, an dem die Grenzen sichtbar werden – ob nun beim Auswerten der Daten, beim Auslösen der Waffe oder erst nach der Tötung: Die Distanzierung des (westlichen) Menschen von der Tötung – ob nun als Soldat*in oder „Beobachter*in“ – distanziert ihn nicht vom Tod.

Literatur

Azeem, Muhammad Waqar (2019): Drones, State of Exception and Truck Art. In: Langah, Nukhbah Taj: Literary and Non-Literary Responses towards 9/11. South Asia and Beyond, Abington. Oxon/ New York: Routledge, S. 99–113.

Bentham, Jeremy (2013 [1791]): Panoptikum oder Das Kontrollhaus, In: Welzbacher, Christian (Hg.): Panoptikum oder das Kontrollhaus. Berlin: Matthes & Seitz, S. 7–109.

Chamayou, Gregoiré (2014): Ferngesteuerte Gewalt. Eine Theorie der Drohne. Aus dem Französischen von Christian Leitner. Wien: Passagen.

Foucault, Michel (2009 [1976]): Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses. 17. Auflage. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Gregory, Derek (2011): From a View to a Kill. Drones and Late Modern War. In: Theory, Culture & Society, Jg. 28, Nr. 7–8, S. 188–215.

Kaiser, Otto (1998): Der Gott des Alten Testaments. Wesen und Wirken. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

Kindervater, Katharine Hall (2016): The emergence of lethal surveillance. Watching and killing in the history of drone technology. In: Security Dialogue, Jg. 47, Nr. 3, S. 223–238.

Lyon, David (2014): Surveillance and the Eye of God. In: Studies in Christian Ethics, Jg. 27, Nr. 1, S. 21–32.

Münkler, Herfried (2002): Die neuen Kriege. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt.

Orwell, George (2015 [1949]): 1984. Übersetzung von Michael Walter, hg. und mit einem Nachwort von Herbert W. Franke, 38. ungekürzte Auflage. Berlin: Ullstein.

Pfafferott, Christa (2015): Der panoptische Blick. Macht und Ohnmacht in der forensischen Psychiatrie. Künstlerische Forschung in einer anderen Welt. Bielefeld: Transcript.

Stahl, Roger (2018): Through the Crosshairs. War, Visual Culture, and the Weaponized Gaze. New Brunswick: Rutgers University Press.

Stubblefield, Thomas (2020): Drone Art. The Everywhere War as Medium. Oakland, CA: University of California Press.

Wagner, Andreas (2010): Gottes Körper. Zur alttestamentlichen Vorstellung der Menschengestaltigkeit Gottes. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus.

Zitierweise

Philipp Preußger (2021): „Drone Art“ zwischen Anschauung und Vermittlung. w/k - Zwischen Wissenschaft & Kunst. https://doi.org/10.55597/d15486

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