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Über Konzepte der künstlerischen Forschung 7

Text: Till Bödeker und Peter Tepe | Bereich: Allgemeines zu „Kunst und Wissenschaft

Übersicht: Der Kommentar befasst sich mit Silvia Henke, Dieter Mersch, Nicolaj van der Meulen, Thomas Strässle, Jörg Wiesel: Manifest der Künstlerischen Forschung. Eine Verteidigung gegen ihre Verfechter. Zürich 2020. Das Buch enthält auch die englische Fassung des Textes.

Der Untertitel ermöglicht eine erste Einordnung: Ein bestimmtes Konzept der KF wird verteidigt und gegen ein anderes in Stellung gebracht. Ein besseres wird gegen ein schlechteres KF-Konzept, das kritisiert wird, ausgespielt. Der etablierten KF (Modell 1) wird die eigentliche KF (Modell 2) gegenübergestellt.

Die Argumentation im Manifest unterscheidet sich stark von unserer Vorgehensweise, die wir zunächst in Erinnerung rufen. Wir unterscheiden drei Diskurse. In Diskurs 1 steht KF für eine Reform der Ausbildung an Kunsthochschulen; einige dieser KF-Konzepte plädieren für die Einrichtung künstlerischer Doktoratsstudien.

Wir befürworten es, dass mehrere Reformkonzepte ausprobiert werden. Konkurrenz dieser Art belebt das Geschäft. Bezogen auf Diskurs 1 sind wir nur bestrebt, mehrere hochschulpolitische KF-Konzepte herauszuarbeiten und voneinander abzugrenzen. Wir votieren nicht für ein bestimmtes Konzept dieser Art.

In Diskurs 2 wird eine mit wissenschaftlichem Anspruch auftretende Theorie der künstlerischen Forschung vertreten, welche die KF z.B. als Kunst bestimmter Art betrachtet, die sich von Kunst anderer Art abgrenzen lässt.

In Diskurs 3 werden die Positionen einzelner Künstlerinnen und Künstler, die sich der KF zuordnen, genauer bestimmt. Diese Künstlerinnen und Künstler verstehen ganz Unterschiedliches darunter, z.B. das Recherchieren bestimmter Art, das Nachdenken über die Voraussetzungen der eigenen künstlerischen Praxis, das als Ausprobieren verstandene Experimentieren. Wir sind bestrebt, diese unterschiedlichen KF-Verständnisse herauszuarbeiten und voneinander abzugrenzen, wollen die Künstlerinnen und Künstler aber keineswegs davon abbringen, die damit zusammenhängenden künstlerischen Ziele zu verfolgen. Wir haben also nichts dagegen einzuwenden, dass sich eine Pluralität künstlerischer KF-Konzepte herausgebildet hat.

Einige Thesen und Argumente des Manifests beziehen wir auf den hochschulpolitischen Diskurs 1; damit befasst sich der erste Teil. Andere Passagen beziehen wir im zweiten Teil auf den kunsttheoretischen Diskurs 2. Da der Text nicht näher auf einzelne Künstlerinnen und Künstler eingeht, kann Diskurs 3 vernachlässigt werden. Beim Durchgang durch den Text beschränken wir uns auf die aus unserer Sicht wichtigsten Punkte, verfahren also selektiv. Wir konzentrieren uns weitgehend auf die erste Hälfte des Textes. Die kritische Prüfung der Argumentation des Manifests wird dadurch erschwert, dass in ihm keine Auseinandersetzung mit Texten relevanter Theoretiker erfolgt.

Erster Teil

„Nach mehreren Konturierungs- und Konsolidierungsphasen hat sich die Künstlerische Forschung inzwischen weitgehend etabliert, sowohl bildungs- und institutionenpolitisch, als auch forschungs- und förderungspolitisch.“ (5)

Die Verbindung zu unseren Überlegungen stellen wir durch die Vermutung her, dass die theoretischen Grundlagen der etablierten KF (Modell 1) in den Texten Henk Borgdorffs und anderer, die verwandte Positionen vertreten, zu finden sind. Von der KF dieser Art kann man sagen, dass sie „ihr Selbstverständnis wesentlich aus der Auseinandersetzung mit akademischer Forschung her[leitet]“ (5). Vergleiche dazu die ausführliche Diskussion von Borgdorffs Aufsatz Die Debatte über Forschung in der Kunst in Lieferung 1 und der in w/k erschienenen Zusammenfassung.

Die erste kritische These lautet:

„Die künstlerische Forschung [Modell 2] kann sich nur dauerhaft etablieren, wenn sie sich von der universitären Forschung emanzipiert. Stattdessen unterwirft sie [Modell 1] sich methodisch-theoretisch und institutionell einem universitär-akademischen Regime.“ (6)

Es ist legitim, Modell 1 der KF aus der Sicht von Modell 2 grundsätzlich zu kritisieren; wir schlagen jedoch einen anderen Weg ein, der die grundsätzliche Berechtigung mehrerer Reformkonzepte für die Kunstausbildung (an Kunsthochschulen oder anderen Einrichtungen) betont und für ein Nebeneinander der in ihrer Eigenart herauszuarbeitenden Modelle plädiert. Es ist uns nicht darum zu tun, Model1 1 oder Modell 2 ganz auszuschalten.

Nach unserer Auffassung weist Borgdorffs Theorie zwar einige gravierende kognitive Defizite auf, aber es handelt sich um eine von mehreren Reformstrategien für die Ausbildung an Kunsthochschulen, die auszuprobieren sich lohnt. Diese Reformstrategie orientiert sich nach unserer Interpretation an einem Kunstprogramm, das eine gewisse Wissenschaftsnähe aufweist. Das Manifest plädiert demgegenüber – so unsere Diagnose – für Kunstprogramme anderer Art.

Zu einzelnen Thesen

Als problematisch wird die Zusammensetzung des Personals gesehen: „Diejenigen, die an Kunsthochschulen Künstlerische Forschung [nach Modell 1] betreiben, zu ihrer Theoriebildung beitragen oder Forschungsabteilungen leiten, entstammen meist selbst den Universitäten und haben hohe akademische Abschlüsse […]. Oft gerieren sie sich als Abtrünnige aus dem akademischen System und reproduzieren doch deren Arbeitsweise.“ (11)

Dass es diese Konstellation gibt, bestreiten wir nicht. Im Rahmen des Modellpluralismus weisen wir jedoch darauf hin, dass die Zusammensetzung des Personals in Modell 1 änderbar ist, z.B. so, dass auch Künstlerinnen und Künstlern, welche das jeweilige Kunstprogramm kompetent vertreten, Führungspositionen eingeräumt werden. Es handelt sich nicht notwendigerweise um eine nicht korrigierbare Schwachstelle.

 „Zu einem […] Künstlerischen Forschungsparadigma [nach Modell 1] avancierten die aus den Sozialwissenschaften entliehenen qualitativen und quantitativen ‚Befragungen‘ und ‚Beobachtungen‘ – in der Hoffnung, die Vagheiten Künstlerischer Forschung durch die Stimmen der Vielen objektivieren zu können.“ (11)

Auch hier begnügt sich das Manifest mit der Aufstellung einer kritischen These. Modell 1 wird nicht zunächst gründlich analysiert, um auf dieser Grundlage dann problematische Elemente herauszuarbeiten. Der Rückgriff auf sozialwissenschaftliche Komponenten z.B. in Abschlussarbeiten kann sich bei genauerer Prüfung als sinnvoll erweisen – es kann sich aber auch herausstellen, dass dadurch eine Schwäche des jeweiligen künstlerischen Arbeitskonzepts verdeckt wird.

Ferner wird eine problematische „Zuflucht bei angesagten Theorien“ behauptet: Bevorzugte Denker „werden weniger rezipiert und kritisiert, als vielmehr benutzt und wie Zitatsteinbrüche ausgebeutet“ (12). 

Ein Nachweis wird nicht erbracht. Bei genauerer Überprüfung von Einzelfällen kann sich ein solcher Kritikpunkt als berechtigt, als nur teilweise berechtigt oder als unberechtigt erweisen. 

Modell 1 wird extrem negativ dargestellt: „Künstlerische Forschung [im Sinne von Modell 2] ist kein Spielplatz für gescheiterte WissenschaftlerInnen. Und auch nicht für gescheiterte KünstlerInnen.“ (12)

Künstlerinnen und Künstler gefallen sich „darin, vor allem mit den Naturwissenschaften zu kollaborieren, um mit ihnen gleichzuziehen. Kunstwörter wie ‚Artscience‘ oder ‚Scienceart‘ sind entstanden, um transdisziplinäre Potenziale zu unterstreichen, die meist nur darin bestehen, dass die Kunst den Wissenschaften neue Ideen liefert, eine andere Form von Kreativität vorführt oder Perspektiven aufwirft, an die zuvor noch nicht gedacht worden war.“ (13)

Aus unserer Sicht stellt die Kooperation mit Wissenschaften eine legitime künstlerische Option dar. Das gilt auch für den hochschulpolitischen Diskurs 1, insbesondere dann, wenn es Alternativen zu einer wissenschaftsnahen oder -ähnlichen Ausbildung gibt, die man wählen kann. 

Es „greift die Überzeugung um sich, Künstlerinnen und Künstler seien vor allem dann forschend tätig, wenn sie möglichst viele Informationen sammeln und verarbeiten. Dies führt zu einer Kunst qua ‚Recherchekunst‘, die ohne Displays, Roundtables und Begleitpublikationen nicht mehr zugänglich ist“ (17).

Unsere Intervention ist nicht kunstkritischer Art: Es geht uns nicht darum, vor dem Hintergrund eines bestimmten werthaft-normativen Kunstverständnisses davon abweichende Formen der Kunst zu kritisieren. Wird im Rahmen der Kunstausbildung oder in der freien Kunstpraxis nach der Ausbildung ‚Recherchekunst‘ produziert, so ist es uns zunächst darum zu tun, das zugrunde liegende Konzept und die Hintergrundüberzeugungen, auf denen es beruht, herauszuarbeiten. Diese Art der Erkenntnis kann dann natürlich auch zur Feststellung konzeptioneller Schwächen einzelner Projekte genutzt werden.

Es „hat sich ein Forschungsverständnis durchgesetzt, das die Kleinteiligkeit akademischer Wissensgenerierung nachahmt, um die künstlerische Signatur an abwegige oder marginale Fragestellungen anzukleben, die nichts als Miniaturverschiebungen im Gewebe eines bereits hundert Mal Gezeigten oder Untersuchten vornehmen“ (17). 

Auch hier verfahren wir nach dem Prinzip „Erst verstehen, dann kritisieren“. Sicherlich sind künstlerische Ergebnisse, „die nichts als Miniaturverschiebungen eines bereits hundert Mal Gezeigten oder Untersuchten vornehmen“, unbefriedigend. Zunächst einmal sind jedoch die künstlerischen Konzepte dieser Art von Arbeiten zu erfassen und im KF-Kontext zu verorten.

Auch die im Kontext von Modell 1 gestellten Forschungsanträge werden kritisch beleuchtet: 

„Anwendbarkeit und Praxisrelevanz bilden […] die Schlüsselfaktoren für den Erfolg von Forschungsanträgen. Vorformulierte Hypothesen, Vorgehensweisen und antizipierte Zielsetzungen dienen dazu, die Konventionen der Wissensbildung normativ zu sanktionieren, kontrollierbar zu halten und ihren Prozess auf Ergebnisorientierung hin zu kanalisieren.“ (23f.)

Bilden sich im Kontext von Modell 1 spezifische Institutionen der Förderung von Projekten künstlerischer Forschung heraus, so zeigt sich über kurz oder lang, welche Art von Anträgen erfolgversprechend sind; bestimmte Muster bilden sich heraus. Entsprechendes gilt jedoch für andere Anträge auf Förderung.

„Als practice based research bleibt die Künstlerische Forschung [Modell 1] stumpf, wenn sie ihre Reflexion und Reflexivität verweigert.“ (25)

Es müsste gezeigt werden, dass in Modell 1 die Verweigerung von Reflexion auf nicht korrigierbare Weise eingebaut ist. Möglicherweise wird hier die Diskussion verlagert. Eine Sache ist es, die zu starke Akademisierung und Übernahme wissenschaftlicher Standards in der Künstlerischen Forschung zu kritisieren, eine andere, sich gegen eine reine Praxisorientierung ohne theoretische Reflexion zu wenden. Es wird nicht nachgewiesen, dass mit Modell 1 der KF grundsätzlich eine „Dichotomisierung von Theorie und Praxis“ (25) verbunden ist.

 „Es ist […] eine Irreführung, ein ‚Wissen’ der Künste zu supponieren, das mit dem diskursiven oder wissenschaftlichen Wissen in Wettstreit tritt, um es seiner Aussagbarkeit gleichzutun.“ (31)

Ungeklärt bleibt, ob das tatsächlich für Modell 1 gilt.

Zweiter Teil

Einige Passagen des Manifests lassen sich Diskurs 2 zuordnen, in dem eine mit wissenschaftlichem Anspruch auftretende Theorie der künstlerischen Forschung vertreten wird, welche die KF z.B. als Kunst bestimmter Art betrachtet, die sich von Kunst anderer Art abgrenzen lässt. 

Künstlerische Forschung [nach Modell 2] zeichnet sich „gegenüber etablierter künstlerischer wie auch wissenschaftlicher Praxis durch eine eigene Form des Denkens aus.“ (13)

Um diese These zu stützen, müsste die postulierte „eigene Form des Denkens“ auf theoretischer Ebene genauer bestimmt werden, was im Text nicht geschieht. Eine solche Explikation kann dann zu einer kritischen Diskussion führen. Entsprechendes gilt für folgende These: „Künstlerische Forschung [Modell 2] verlangt nach einem genuinen Praxis- und Wissensbegriff.“ (27).

„Künstlerische Forschung [Modell 2] beweist dort ihre Berechtigung, wo sie intervenierend und intermittierend in Wissenschaftsdiskurse wie auch in Alltagswelten eingreift, um diese weiterzuentwickeln, zu verwandeln oder zu verschieben und in überraschende, manchmal auch unverständliche Richtungen voranzutreiben.“ (18)

Beispiele werden nicht gegeben. Daher bleibt auch unklar, ob Modell 1 der KF grundsätzlich nicht in der Lage ist, Vergleichbares zu leisten.

„Ästhetisches Denken [wie Modell 2 es konzipiert] steht dem philosophischen und wissenschaftlichen Gedanken, seiner Explikation durch die Sprache in nichts nach, nur verwendet es andere mediale Formen und Weisen von Ausdrücklichkeit. Es beansprucht eine besondere Gültigkeit, die sich diskursiven Geltungsansprüchen nicht fügt, ihnen aber auch nicht unterliegt bzw. unterlegen ist.“ (32)

Das Manifest begnügt sich auch hier mit Behauptungen. Dazu gehört der weitgehende Verzicht auf Beispiele. Das gilt auch für, die These, künstlerische Forschung [nach Modell 2] sei  imstande, „einen eigenen Wissensbegriff für sich zu reklamieren, der weder ein spezifisch praktisches Wissen postuliert noch ein anderswo gewonnenes theoretisches Wissen anruft.“ (32) Dieser Wissensbegriff wird allerdings nicht zureichend expliziert, sodass seine Berechtigung überprüft werden könnte.

Künstlerische Forschung im Sinn von Modell 2 fällt weitgehend zusammen mit einem normativen Verständnis von Kunst im eigentlichen Sinn. Verbindungen zu anderen Konzepten der künstlerischen Forschung werden dabei nicht hergestellt. Das Manifest ist nach unserer Einschätzung ein kunsttheoretischer Text, der Besonderheiten einiger Kunstprogramme herausarbeitet und von Fehlentwicklungen, für die Modell 1 der KF steht, abgrenzt.

Zitierweise

Till Bödeker & Peter Tepe (2024): Über Konzepte der künstlerischen Forschung 7. w/k - Zwischen Wissenschaft & Kunst. https://doi.org/10.55597/d19446

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