Bericht zur Ringvorlesung der Philipps-Universität Marburg
Text: Michael Klipphahn-Karge | Bereich: KI und Kunst
Übersicht: Der nachfolgende Beitrag berichtet von der und rezensiert die Ringvorlesung KI und Medienumbrüche der Künste des BA-Studiengangs Kunst, Musik und Medien: Organisation und Vermittlung der Philipps-Universität Marburg. Die besprochene Vortagsreihe widmet sich im Sommersemester 2024 einer Verhältnisbestimmung von KI und den Künsten aus dezidiert interdisziplinärer, praktisch-künstlerischer wie wissenschaftlich-theoretischer Perspektive. Erdacht und organisiert ist diese Veranstaltung von den beiden Bild- und Medienwissenschaftlerinnen Kathrin Yacavone und Angela Krewani. Vortragende sind – neben den Organisatorinnen – Christian Banasik, Jenifer Becker, Peter Bell, Maren Burghard, Boris Eldagsen, Roland Meyer, Grischka Petri, Pamela Scorzin und François Schwamborn.
Potential, Nutzung und Anwendung Künstlicher Intelligenz (KI) formen derzeit die kulturellen, materiellen und politischen Entwicklungen globaler Gesellschaften nachhaltig um. Als vermittelnd zwischen technischer Verarbeitungsform und kulturellem Imaginationsobjekt schreibt sich die Verwendung von KI-Technologie insbesondere in Prozesse der Künste und Wissens- wie Wissenschaftskulturen ein und wird dahingehend vielfach als disruptiv beschrieben: KI zeichnet demnach für allerlei Medienumbrüche verantwortlich. Die Ringvorlesung KI und Medienumbrüche der Künste des BA-Studiengangs Kunst, Musik und Medien – Organisation und Vermittlung der Philipps-Universität Marburg widmet sich ausgehend von den vielfältigen Befunden zu KI im Sommersemester 2024 einer diesbezüglichen Verhältnisbestimmung von KI und den Künsten aus dezidiert interdisziplinärer, praktisch-künstlerischer wie wissenschaftlich-theoretischer Perspektive.
Programm: KI und Medienumbrüche der Künste
15. April 2024
Kathrin Yacavone (Marburg): Umbrüche der Bildmedien, von Analog bis KI
22. April 2024
Angela Krewani (Marburg): Kreativität in digitalen Kontexten
29. April 2024
Pamela Scorzin (Dortmund): „Can a robot write a symphony? Can a robot turn a canvas into a beautiful masterpiece?“ – Ko-Kreativität und KI-Kunst
06. Mai 2024
Boris Eldagsen (Berlin): Fotografie vs. Promptografie
13. Juni 2024
Roland Meyer (Zürich): Plattformrealismus. Generative KI und visuelle Kultur
27. Juni 2024
Maren Burghard (Nürnberg): Machine Muse: KI-gestützte Kuratierungskunst
03. Juni 2024
Jenifer Becker (Hildesheim): Kreatives Schreiben und Erzählen mit KI
10. Juni 2024
Peter Bell (Marburg): Maschinelles Sehen und Gestalten. KI für Kunstgeschichte und Popkultur
17. Juni 2024
François Schwamborn (Saarbrücken): XR oder wie Digitale Kunst sich vom Bildschirm löst
24. Juni 2024
Grischka Petri (Karlsruhe): Etwas Altes, etwas Neues, etwas Geliehenes und etwas Blaues? Zur generativen KI und dem Recht
01. Juli 2024
Christian Banasik (Düsseldorf): KI-Assistenz als Basis kompositorischer Strukturen
Kathrin Yacavone führt in ihrem Vortrag Umbrüche der Bildmedien, von Analog bis KI in die Thematik KI und Medienumbrüche der Künste ein und widmet sich zuvorderst der Annäherung an zwei – mehr oder minder im Feld etablierte – Begriffe: sogenannte KI-Kunst und den dadurch im Kunstfeld entstehenden Medienumbrüchen. Ausgehend von deren Verhandlungsweisen und Theoretisierungen, hebt Yacavone auf die Geschichte der apparativen Bilderzeugung ab: Die Entwicklung der Fotografie ab Mitte des 19. Jahrhunderts, hin zu den analog/digital Umbrüchen in den 1990er-Jahren und den aktuellen Veränderungen durch generative KI. Ein zentrales Thema ist die Diskussion um die Manipulierbarkeit von Bildern durch generative KI-Modelle, insbesondere hinsichtlich sogenannter Deep-Fakes – digitale Bilder also, die von einem Lernmodell erstellt sind und die täuschend ‚echt‘ wirken sollen. Diese Bildmodulationen führen gegenwärtig, so Yacavone, zu Problemen ‚Wahrheit‘ und Täuschung visuell zu unterscheiden, wovon nicht nur Bereiche der Künste, sondern auch die der – etwa politischen – Informationsvermittlung betroffen seien.
Der Vortrag Kreativität in digitalen Kontexten von Angela Krewani diskutiert, inwieweit die Integration von Technologie in den Kunstbereich die traditionellen Konzepte von Autor*innenschaft und Kreativität herausfordert. Kreativität an Maschinen zu delegieren, leite einen Paradigmenwechsel im Kunstdiskurs ein, der die Rolle künstlerischer Autonomie in Frage stelle. Krewani thematisiert dahingehend die Trennung zwischen einer ‚bürgerlichen‘ und ‚organisierten‘ Moderne, wobei Kreativität oft als bürgerliche Errungenschaft verortet wird, während digitale Technologien als Teile einer organisierten Moderne zu verstehen sind. Diese Trennung führe dazu, dass digitale Ästhetiken – als Verbindung von Kreativität und Systematik, auf einer höheren Ebene von Irrationalität und Rationalität – als Irritation wahrgenommen werden. Kritische Stimmen gegen KI in der Kunst werden dabei als traditionalistische Versuche interpretiert, überholte Konzepte von Kreativität und Autor*innenschaft aufrechtzuerhalten.
Bereits die beiden Auftaktvorträge der Organisatorinnen der Ringvorlesung können als thematische Setzung verstanden sein, die die Ringvorlesung inhaltlich verortet und grundiert. Es ist vor allem die Debatte um Autor*innenschaft und Zusammenarbeit von Menschen und KI-Systemen (die insbesondere Fragen von Kreativität einschließt), welche sich als die Dominante der Reihe benennen lässt. Medienumbrüche sind demnach vor allem Umbrüche vermeintlich schöpferischer Prozesse: Prozesse, die Medialität direkt mit den Erzeuger*innen medialen Ausdrucks kurzschließen. Damit sind vor allem Debatten aufgerufen, die Intentionalität als gestalterisches Initial verhandeln. Autor*innenschaft, also der Anteil der menschlichen Arbeit im (schöpferischen) Produktionsprozess, wird dabei partiell gleichgesetzt mit und als toröffnend für Originarität und Originalität verstanden. So lässt sich plausibilieren, warum gerade KI in dieser Reihe zunächst als Motor zahlreicher Medienumbrüche ausgemacht wird: Einerseits birgt die Existenz von potenten KI-Systemen offenbar die Gefahr, menschliche und insbesondere künstlerische Arbeit zu entwerten, indem diese Arbeit schneller, günstiger, zugänglicher, gar egalitärer durch ein maschinelles System erledigt wird. Und andererseits steht die Hoffnung im Raum, KI für neue Aushandlungen von Originarität und Originalität zu gebrauchen und nutzer*innenseitig möglichst nicht selbst als Ideengeber*in für derlei maschinelle Tools verheizt zu werden. Was insbesondere die beiden Veranstalterinnen dabei im akademischen Lehrbetrieb zu tradieren gedenken, scheint höchst beachtlich: Und zwar, dass das Konzept der Autor*innenschaft und damit einhergehende Vorstellungen von Autonomie dringend einer Generalüberholung bedürfen.
Die übrigen Vorträge werden im Folgenden nach thematischen Verbindungslinien gegliedert und weniger nach der Reihenfolge, in der sie gehalten wurden.
Pamela Scorzin widmet sich in ihrem Beitrag „Can a robot write a symphony? Can a robot turn a canvas into a beautiful masterpiece?“ – Ko-Kreativität und KI-Kunst ebenfalls der Frage nach Autor*innenschaft und KI – allerdings anhand mobiler Maschinen mit eingebetteten kognitiven Systemen. In einem breiten Spektrum visueller Referenzen – von weißen Roboterkörpern in Filmen wie I, Robot (2004), über Werke der Künstlerinnen Louisa Clements (Repräsentantin, 2022) oder Orlans (ORLAN-OÏDE, 2015) zu den klischierten Roboterfiguren wie der ‚malenden‘ Ai-Da (Aidan Meller, seit 2019) – nähert sich Scorzin den scheinbaren Konsequenzen an, die daraus erwachsen sollen, dass derzeit (teil)autonome humanoide Roboter ‚authentische‘ menschliche Ausdrücke performen. Geprägt von einem eher technoaffirmativen KI-Verständnis referiert der Vortrag die Potentiale von KI unter der Prämisse, dass sich durch die Kombination von künstlichem Körper mit entsprechenden text- oder bildgenerativen KI-Modellen ein tatsächlich smarter Kompagnon herausbilden und sich ein Anschein nichthierarchischen kreativen Handelns manifestieren könne: eine Ko-Autor*innenschaft. Diese setzt Scorzin partiell mit einer Ko-Kreativität gleich und macht dabei eine „algorithmisierte Ästhetik der Nachmoderne“ als Spezifikum dieser Kreativität aus. Deren nähere Definition bleibt allerdings ebenso vage, wie eine Kritik an einem vielmals technoontologischen und ausschließlich weißen Verständnis smarter Humanverkörperungen nur in Ansätzen formuliert wird. Leider fehlt es in diesem Vortrag bei aller Begeisterung für smarte maschinelle Verfahren also noch an kritischer Reflexion, insbesondere im Angesicht der Machtstrukturen hinter KI. Denn in der Debatte um Autor*innenschaft wird die sozioökonomische Struktur generativer KI kaum hinterfragt: Was bedeutet etwa die vielzitierte Hybridität zwischen Mensch und Maschine, wenn sich maschinelle Arbeit auf geringentlohnte menschliche Arbeit und unfreiwillig abgeschöpfte Daten stützt?
Peter Bell ist ausgewiesener Experte der Digitalen Kunstgeschichte und entsprechender Analysemethoden, so widmete er sich in seinem Vortrag auch genau dieser Schwerpunktsetzung: In Maschinelles Sehen und Gestalten. KI für Kunstgeschichte und Popkultur untersuchte Bell erstens, was KI für die Disziplin Kunstgeschichte leisten kann. Zu Beginn werden sehr informativ einige Bereiche kunsthistorischer Arbeit mit KI angeschnitten und näher beleuchtet: Interface-Bildanalysen am Beispiel populärer barocker Grafiken, Ähnlichkeitsanalysen (mit dem Hinwies, dass Ähnlichkeiten von den Nutzer*innen der KI-Software definiert werden müssen), Segmentierung (Objektabgrenzung), Objektlokalisation und so weiter. Zudem spricht Bell Herausforderung im Feld der Digitalen Kunstgeschichte an – etwa die erhöhte Komplexität bei Vorliegen eines historischen (also nichtfotografischen) Korpus. Dabei plädiert er nicht für vortrainierte Modelle, da diese eher an einem meist digitalen Pool an beliebigen Fotografien geschult sind, sondern für ein sogenanntes Domain-Training: ein Netzwerktraining mit dezidiert kunsthistorischen Bilddaten, wodurch ein entsprechend ausgebildetes Netzwerk in den Stand versetzt wird, Symptomatiken und damit so etwas wie ‚Stile‘ wesentlich besser zu erkennen als anders trainierte Modelle zur Bilderkennung. Im Gesamtzusammenhang der Vorlesungsreihe ist dieser Ausflug in die disziplinären digitalen Analysemethoden ein ebenso instruktiver wie differenzierter Einblick in eine dringend nötige Erweiterung des methodischen Instrumentariums der Kunstgeschichte, wenngleich die aufgelisteten Probleme augenscheinlich sind. Zweitens arbeitet sich auch Bell, neben einer kurzen Geschichte generativer Bilderzeugung, am Verhältnis von Kreation und Autor*innenschaft ab: Dabei geht es um Zufall, der poetische Bildsprachen entstehen lässt – etwa durch Coding. Es geht also darum, dass Computer Dinge ‚nur‘ per Zufall erzeugen, gerade deshalb nicht ‚intelligent‘ sind; es geht um Überästhetisierung und Prompt-Engineering: KI könne folglich nichts Neues, sondern nur – und das sehr gut – visuell tradierte Stilkopien schaffen und vor allem Fotografien problemfrei fingieren. Aber es fehle KI an künstlerischer Freiheit. KI ist also immer Human-Machine-Interaktion: immer Ko-Kreation, aber nie nichthierarchisch, wie es etwa Scorzin in Aussicht stellt.
Boris Eldagsen kontextualisiert in seinem Vortrag Fotografie vs. Promptografie aufschlussreich die rein praktische künstlerische Arbeit mit KI-generierten Bildern und thematisiert die Ausweitung des Instrumentariums von Künstler*innen, insbesondere von Fotograf*innen: Diesem Umgang mit generativen Verfahren liegt die Technik der Promptografie zugrunde. Abgeleitet ist diese Benennung vom sogenannten Prompt, einer kurzen Erklärung beziehungsweise Beschreibung in Textform bei der schriftlichen Eingabe, welches Bild mit KI erzeugt werden soll. Davon ausgehend hebt Eldagsen auf die Verschiebungen im schöpferischen Prozess ab, die sich auf die Genauigkeit bei der Beschreibung des Eingabeprompts verlagern. Der direkte (weil praktische) Bezug des Künstlers steht dabei einem möglichen Vorwurf autor*innenschaftlicher Aushebelung vermeintlich originärer künstlerischer Prozesse voran und zeigt gleichzeitig die Erweiterung freiberuflicher Arbeitskontexte durch KI auf: Hier wird etwa die visuelle Praxis des Gestaltens zu einer Fähigkeit exakten Beschreibens und meint nicht mehr die direkte apparativ-gebundene Wahl von Bildausschnitt, Schärfe und Belichtung wie in der Fotografie üblich. Dass dies mit neuen Formen von Literalität einhergeht, ist auf beide Arten richtig, auf die letzterer Begriff gemünzt werden kann: Lese-, Schreib- und Deutungsfähigkeit sind mit dem Verständnis technologischer Funktionszusammenhänge verbunden.
Roland Meyer schließt hier indirekt an Eldagsen an und widmet sich in seinem Vortrag Plattformrealismus. Generative KI und visuelle Kultur mittlerweile standardmäßigen KI-Bilderzeugungstools wie Midjourney oder Dall-E und deren vager Ästhetik. Diese rahmt er – dem Titel des Vortrags entsprechend – als eine Ästhetik zweiter Ordnung, aufbauend auf einer Kombination generischer Bilder, die auf der statistischen Auswertung riesiger Mengen online zirkulierender Bilddateien basieren. KI-Bilder sind nach Meyer daher nicht nur wesentlich dazu bestimmt, in sozialen Medien geteilt, geliked und kommentiert zu werden, sie wären ohne solche Plattformen und ihre massenhafte Aggregation, Filterung und Verschlagwortung visuellen Inhalts undenkbar. Was diese KI-generierten Bilder zeigen, sind demnach weniger Spezifika als reproduzierbare Klischees: Varianten des Wiedererkennbaren. Interessant ist für Meyer daher nicht vordergründig das, was das Bild zeigt, sondern das, was das Bild macht, beziehungsweise woraus es gemacht ist: Da generierte Bilder über die Eingabe eines Textes entstehen – eines Prompts – sind diese Bilder nach Meyer als Ausführung eines bestehenden Textes zu verstehen, Beschreibung wird so zum Motor der Entstehung eines Bildes. Meyer zieht dabei thesenstarke Konsequenzen: Generative Bilderzeugungswerkzeuge würden schlicht Stereotype aufzeigen und der dahingehende Anspruch auf Realismus gründe auf Simplifikation, nicht auf Vielfalt und Details. Die Anwendung Midjourny etwa stelle eine gefühlte ideologisch gewusste, aber im Detail kaum fundierte ‚Wahrheit‘ in entsprechenden Bildausgaben dar. So wird Realität inflationär und obendrein zum Slogan. Denn mit jeder neuen Version versprechen KI-Bildgenerierungstools noch ‚realistischere‘ Bilder. Der Vortrag zeigt kenntnisreich und ohne Kulturpessimismus auf, wie sehr die Ästhetik der KI-Bilder von den infrastrukturellen Bedingungen jener Plattformökonomie geprägt ist, die digitale Bildkulturen gegenwärtig bestimmen.
Maren Burghard vollziehet in ihrem Vortrag die Genese ihres Ausstellungsprojektes nach, welches sie als Digitalkuratorin betreut hat: New Realities – Wie Künstliche Intelligenz uns abbildet ist eine Ausstellung im Museum für Kommunikation Nürnberg, die von Juni 2023 bis Januar 2024 die Möglichkeiten von KI-Technologie hinsichtlich fotografischer Bilder und deren künstlerischem Potential beleuchtet: Rund 50 KI-generierte Werke von Maren Burghard sollen über Sehgewohnheiten, Erzählmuster und digitale Kreativität spekulieren lassen. Die Genese dieses Projektes nachzuvollziehen, macht dabei den Reiz des Vortrages aus, während die künstlerische sehr heterogene Qualität des generierten Outputs sicherlich nochmals gesondert hätte zur Disposition gestellt werden müssen. Spannend wäre zudem gewesen, die aufgestellten Thesen zur kreativen Aktuer*innenschaft von KI etwa an den Gegenthesen des Vortrags von Roland Meyers zu messen.
Während Maren Burghard sich also mit Machine Muse: KI-gestützte Kuratierungskunst eine Ausstellung vorstellt, die partiell von einer KI kuratorisch unterfüttert wurde, geht Jenifer Becker, die als Autorin auch selbst mit KI-Software arbeitet, in ihrem Vortrag Kreatives Schreiben und Erzählen mit KI direkt und kritischer auf die Anwendungspotentiale von KI in der Literatur ein. Sie reflektiert den Einfluss großer Sprachmodelle auf literarisches Erzählen: Ausgangspunkt ist ihre Beobachtung, dass literarische Texte seit der Veröffentlichung des großen Sprachmodells ChatGPT im Jahr 2022 zunehmend mit KI generiert oder komprimiert werden und dass der Schreibprozess zusehends durch KI unterstützt wird. Dies wiederum münde in eine Art hyperproduktives und niedrigschwelliges Schreiben, das wiederum die Sprachmodelle füttert: Daraus ergeben sich Fragen zum literarisch-kollaborativen Handeln zwischen Mensch und Maschine einerseits; andererseits können durch KI neue – etwa vermeintlich gattungsgebende – erzählerische Spezifika herausgebildet werden. Um zu zeigen, wie sich literarische Schreibprozesse durch den Einsatz von KI verändern können, werden durch Becker Schreibpraktiken mit KI innerhalb der Schreibprozessforschung situiert und kollaborative Erzählverfahren vorgestellt. Grenzen und Problematiken in der schriftstellerischen Arbeit mit KI werden exemplarisch anhand der Entstehung der Kurzgeschichte Alpha Centauri in Ewigkeit aufgezeigt, die Jenifer Becker gemeinsam mit Juan S. Guse und ChatGPT im Sommer 2023 verfasst: Die Kurzgeschichte entsteht in dieser Zeit aus der Analyse einer Erzählung von Kathrin Passig. Mit ChatGPT werden über 100 Normseiten generiert, die auf sechs Normseiten komprimiert sind. Die Überarbeitung erfolgt durch gezielte Anpassungen und Veränderungen auf Wort-Ebene, wobei die Möglichkeiten von KI zur Textgenerierung und -bearbeitung kritisch reflektiert werden. Letztlich zeigt der Vortrag an diesem Beispiel, wie generative Sprachmodelle den kreativen Schreibprozess unterstützen und gleichzeitig neue Herausforderungen und ethische Fragestellungen aufwerfen.
Auch andere Vorträge referierten über Gefahren, doch vor allem über Potentiale von KI in den Künsten aus einer vorrangig praktischen Perspektive – François Schwamborn spricht mit XR oder wie Digitale Kunst sich vom Bildschirm löst über die Potentiale smarter Technologien in der Bildenden Kunst und Christian Banasik tut mit seinem Input KI-Assistenz als Basis kompositorischer Strukturen sehr instruktiv selbiges für die Musik. Insbesondere der letzte Vortrag macht dezidiert deutlich, was grundlegend relevant im künstlerischen Umgang mit KI scheint: KI ist aus Sicht der elektronischen Komposition und Musik, in großen Teilen wohl aber auch der Künste im Allgemeinen, gerade kein Garant für einen Medienumbruch, also nicht zwingend disruptiv, sondern schlicht ein Tool: Menschen trainieren KI-Systeme dadurch, dass sie Daten verschlagworten, so dass ein KI-System diese Daten verarbeiten kann, folglich sollte KI auch daher dezidiert als menschengemachtes Instrument zu verstehen sein.
Der große Erkenntniswert der Reihe liegt demnach darin, dass in einigen Vorträgen – insbesondere jenen, die künstlerische Handlungsweisen mit smarten Digitaltechnologien ins Zentrum setzen – deutlich wird: KI beziehungsweise der Umgang mit KI bedarf in den Künsten einer Entmythologisierung hin zu einem differenzierten Blick auf die einzelnen Bereiche der Künste und deren Verwissenschaftlichung: Literatur, Bildende Kunst, Fotografie, Musik. Denn Medienumbrüche zu konstatieren scheint oft eher eine Überschreibung zeitgenössischer Arbeitspraxen zu sein. Dabei schaffen es gerade diese Praxen, KI auf das zu reduzieren und damit zu ‚entzaubern‘, was es ist: ein Werkzeug.
Grischka Petri nimmt eine Art Sonderstellung im Reigen der Vorträge ein, die sich mehr oder minder immer Reflexionen über die Künste und deren Tradierungsformen und vor allem Autonomiefragen angenommen haben. Denn Petri stellt in seinem äußerst erhellenden Input die rechtlichen Fragen in den Mittelpunkt, die Aushandlungen von Autor*innenschaft immer begleiten – ökonomisch und ideell. In Etwas Altes, etwas Neues, etwas Geliehenes und etwas Blaues? Zur generativen KI und dem Recht stehen Fragen von Urheber*innen- und Rechteinhaber*innenschaft im Zentrum und es wird nachgezeichnet, welche Implikationen – auch hinsichtlich dieser nun viel konstatierten Medienumbrüche, die vor allem Autor*innenschaftsumbrüche zu sein scheinen – für den Kunstmarkt abzuleiten sind und inwiefern die Frage nach KI als disruptivem Element vor allem eine Frage ist, die an die Kunst als Warenform gestellt wird. Damit ist die (rechtliche) Frage nach einer Autor*innenschaft von KI vor allem eine Frage von Werterhaltungs- und damit von Sicherheitsdenken. Insbesondere die doch recht nüchterne Distanz zum Gegenstand hilft in diesem Vortrag, KI historisch und gesellschaftlich einzuordnen und dadurch mit einer Vielzahl an aufschlussreichen Ansätzen zu Autor*innenschaft zu verbinden, ohne zu weit hinter die technologischen Entwicklungen zurückzufallen und in die Angst vor einer technologischen Singularität zu verfallen, die doch am Ende nicht mehr ist, als die Verkörperung menschlicher Interessen, industriekapitalistischer Fortschrittsprinzipien und – etwas weniger pathetisch ausgedrückt – die Reproduktion und Variation eines Durchschnittswerts in erstaunlicher Geschwindigkeit.
Beitragsbild über dem Text: Header der Veranstaltung. Foto: Uni Marburg.
Zitierweise
Michael Klipphahn-Karge (2025): KI und Medienumbrüche der Künste. w/k - Zwischen Wissenschaft & Kunst. https://doi.org/10.55597/d19585
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