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35 Jahre Verbindungen zwischen Wissenschaft und Kunst: Aktionsabend 1992, Teil 1

Text: Peter Tepe | Bereich: Frühe Verbindungen zwischen Wissenschaft und (bildender) Kunst

Übersicht: Der Multimediale Aktionsabend Dreieck Kunst • Philosophie • Musik war Peter Tepes erstes Wissenschaft-Kunst-Event.

Vorbemerkungen

In den beiden ersten Lieferungen der Reihe, die hier zugänglich sind, geht es um die Wissenschaft-Kunst-Verbindungen in der theatralischen Vorlesung Mythisches, Allzumythisches vom Wintersemester 1993/94 und den darauf folgenden drei dialogischen Vorlesungen mit künstlerischen Anteilen – die letzte fand im Sommersemester 1995 statt. Runde 3 geht in das Jahr 1992 zurück: zum zusammen mit Christoph Scholl im Werstener Kulturbunker organisierten Multimedialen Aktionsabend Dreieck Kunst Philosophie Musik. Das war mein erstes Wissenschaft-Kunst-Event, welches mich dazu motivierte, diese Linie bereits im folgenden Jahr an der Düsseldorfer Universität fortzusetzen.

Wie alles begann

Seit Mitte der 1980er Jahre war es den Organisatoren des Werstener Bunkers darum zu tun, diesen in Düsseldorf als kulturellen Veranstaltungsort zu etablieren. In diesem Kontext besuchte Gabriele Conrath-Scholl mein Kolloquium Neues von den Künsten. Über mehrere Semester bot ich zusätzlich zu den germanistischen und philosophischen Lehrveranstaltungen dieses Kolloquium an, das sich mit aktuellen Düsseldorfer Kulturangeboten befasste, vor allem mit Ausstellungen, Theateraufführungen, Filmen. Ausstellungen und Theaterstücke wurden von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern gemeinsam besucht; danach fand an einem geeigneten Ort eine vertiefende Diskussion statt. Filme wurden hingegen einzeln gesehen und später im Seminar analysiert sowie interpretiert. Wir besuchten auch die Ausstellung Licht- und Klanginstallationen in den Kellerräumen des Bunkers. Von der Ausstellung und vom Ambiente des Bunkers war ich beeindruckt.

Kurz zu meinem Lebenskontext (eine ausführliche Darstellung der Zusammenhänge findet sich in Zwischen Wissenschaft und Kunst als Lebensform, Kapitel 1): Von 1968–1970 studierte ich an der Kunstakademie Düsseldorf in der Klasse von Karl Otto Götz, dann wechselte ich zur Düsseldorfer Universität und widmete mich den Fächern Philosophie und Germanistik. Schließlich verbrachte ich mein gesamtes Berufsleben bis 2013 dort.

Nach dem Übergang zur Universität entstanden nebenher noch ein paar Bilder; danach war bis 1989 künstlerische Funkstille. Von 1989 bis 1992 produzierte ich dann im Keller des Hauses, in das wir gerade umgezogen waren, ziemlich viele Arbeiten. Bei einem Besuch zeigte ich einem Bunker-Team meine neuen Objektbilder – und es wurde geplant, diese in einer der nächsten Bunker-Ausstellungen zu präsentieren. Für 1992 war die Ausstellung Aufbauen – Schichten – Freilegen von Kerstin Abraham, Ulrich Mader und mir geplant; am Eröffnungsabend sollte Thomas Battenstein eigene Gitarrenkompositionen vortragen. Aufgrund von Organisationsproblemen konnte die Ausstellung jedoch nicht realisiert werden.

Chris Scholl schlug nun vor, anstelle der Ausstellung einen Aktionsabend zu veranstalten. Bereits zu Beginn der Konzeptionsbildung kristallisierte sich heraus, dass wir die Bereiche Kunst, Philosophie und Musik miteinander verbinden wollten.

Dreieck Kunst • Philosophie • Musik

Zunächst stelle ich die drei Teile isoliert vor; die Verbindungen zwischen ihnen kommen danach zur Sprache. Der bildenden Kunst sind zwei Projekte zuzuordnen. Projekt 1 war eine Licht- und Klanginstallation, die das Thema Dreieck Kunst  Philosophie Musik formal mit dem Dreieck als Grundfläche einer Pyramide aufgreift. Das Konzept stammte hauptsächlich von Chris Scholl; ich war nur nebenher etwas beteiligt. Projekt 2: die Ausstellung einiger neuer Bilder von mir im Treppenhaus des Bunkers.

Zum Bereich Philosophie: 1992 wurde im Wiener Passagen Verlag mein Buch Postmoderne/Poststrukturalismus veröffentlicht, und diese wissenschaftliche Aktivität sollte in den Aktionsabend integriert werden. Der Journalist Karim Zendagui, der zu dieser Zeit einige meiner Lehrveranstaltungen besuchte, war bereit, einen kurzen Text über mein Buch zu schreiben und diesen vorzutragen.

Für den Bereich Musik war Scholl zuständig, der zu dieser Zeit nicht nur als bildender Künstler, sondern auch als Musiker tätig war und in mehreren Bands spielte – unter anderem zusammen mit Jaki Liebezeit, dem Schlagzeuger der berühmten Gruppe Can, und Frank Köllges, dem Gründer von Härte 10 und Intermission; beide sind mittlerweile verstorben. So gelang es ihm, die Gruppe Drums off Chaos, zu der außer Köllges und Liebezeit auch Rainer Linke gehörte, für die Beteiligung am Aktionsabend zu gewinnen.

Setzen-Zusammen-Setzen

Das ist der eigentliche Titel des Aktionsabends. Setzen ist zu verstehen als eine Setzung vornehmen. Als Setzungen ordneten wir ein: im Bereich (bildende) Kunst Scholls Installation und meine Bilder, im Bereich Philosophie Zendaguis kurze Darstellung meines Buchs und im Bereich Musik den Auftritt von Drums off Chaos.

Zusammen-Setzen besagt hier entweder, dass A und B zusammen etwas tun, oder dass zur jeweiligen Setzung eine weitere Aktivität hinzukommt. Bezogen auf den Bereich Kunst bedeutet das: Wir beide bauten die Licht- und Klanginstallation in einem längeren Prozess zusammen auf.  Bezogen auf den Bereich Philosophie bedeutet es, dass Zendagui am Ende seiner Kurzdarstellung einige Fragen formulierte, die ich dann beantwortete.

Im Begleitheft werden in den drei Bereichen außerdem „Interventionen der anderen Beteiligten“ erwähnt. Zum Aufbau der Installation gehörte die Bespannung der Pyramide mit einer Plastikfolie. Auf die Folie wurde nun eine von mir ausgewählte Passage aus dem Postmoderne-Buch projiziert.

Auf die Plastikfolie projizierter Textausschnitt (1992). Foto: Gabriele Conrath-Scholl.
Auf die Plastikfolie projizierter Textausschnitt (1992). Foto: Gabriele Conrath-Scholl.

Ich bemalte diese Stelle so, dass außer einzelnen Buchstaben nur die Wörter „spürbar“ und „sagen“ sichtbar waren: „spürbar sagen“. Beim Durchblättern des Buchs waren mir die in verschiedenen Zeilen stehenden Wörter „spürbar“ und „sagen“ ins Auge gesprungen, und ich empfand die Wortverbindung als passenden Ausdruck eines Ziels, das ich bei der wissenschaftlichen Arbeit verfolge: Ich möchte das, was ich z.B. in einer Lehrveranstaltung sage oder in einem wissenschaftlichen Text schreibe, spürbar werden lassen – es soll die Hörer bzw. Leser berühren und sie dazu bewegen, dass sie ihr Denken in bestimmten Punkten ändern.                                                        

Den bemalten Teil der Folie baute ich 1993 in ein Bildobjekt ein, dessen Foto für das Cover des 2001 erschienenen Buches Mythos & Literatur verwendet wurde. Das ist meine erste wissenschaftsbezogene – weil auf eine Passage aus dem Buch Postmoderne/Poststrukturalismus zurückgreifende – künstlerische Arbeit. 

Ablauf

Für Teil 1, den Aufbau der Installation durch Scholl und mich, waren 40 Minuten vorgesehen. Intervention der anderen: Die drei Musiker trafen in dieser Zeit erste Vorbereitungen für ihren Auftritt.

Teil 2, der Schwerpunkt Philosophie, dauerte ebenfalls rund 40 Minuten. Die Musiker waren während Zendaguis Vortrag und seiner Diskussion mit mir weiterhin im Hintergrund tätig. Scholl war mit letzten Feinarbeiten an der Installation beschäftigt.

Auch für den Schwerpunkt Musik waren 40 Minuten vorgesehen; gegen Ende des Auftritts von Drums off Chaos aktivierte Scholl die Licht- und Klanginstallation. Ich bemalte in dieser Zeit die Plastikfolie auf die bereits beschriebene Weise. Gegen 22 Uhr war der Aktionsabend beendet.

Artikel von Wulf Noll

In der Westdeutschen Zeitung erschien am 26. November 1992 der Artikel Vom Zusammen-Fluß der Disziplinen. Er stammt von Wulf Noll, dessen Lebensleistung als Grenzgänger zwischen Europa und Asien kürzlich in w/k gewürdigt worden ist.  Im Text heißt es:

„Aktionskunst ist nicht neu, doch die Akzente, die gesetzt wurden, waren postmoderne, poststrukturalistische Akzente – und die sind in Düsseldorf neu. […] Die Aktion ‚Setzen – Zusammen – Setzen‘ begann auf der leeren Fläche. Eine Lichtinstallation (Diagonale) und Stahlrohre wurden durch den Raum gezogen. […] Stahlrohre und später Neonröhren wurden zu Dreiecken und diese zu Tetraedern bzw. zu Pyramiden aufgebaut und ineinander verschränkt. Urheber dieser Klanginstallation […] war Christoph Scholl. 

Der Schwerpunkt Philosophie wurde durch Peter Tepe abgedeckt. Tepe, Philosoph an der Heine-Universität, avancierte aufgrund seiner neuen Schrift ‚Postmoderne/Poststrukturalismus‘ […] in die oberen Etagen der deutschen Pyramide der Postmoderne. In einem makabren Interview, das Karim Zendagui mit Tepe führte, wurden Sprache und Denken verlangsamt und reduziert zum Ausdruck gebracht. Die postmodernen Sprechakte, verwandelt zu Gesten der Kunst, schienen die vielen Hörer nachhaltig zu beeindrucken. Tepe wechselte dann das Medium: In einem Tetraeder aus Plastikfolie und Luft bemalte er Flächen und Holzplatten […].

Tepe, der – als Schüler von Götz – aus der Malerei zur Philosophie kam, hat die Malerei wiederentdeckt. Im Treppenhaus des Bunkers […] befanden sich neue Arbeiten von Tepe aus den Jahren 1991 und 1992. Diese Bilder sind immer vielschichtig, das heißt: mehrere Schichten überlagern sich […].

Den Schwerpunkt Musik setzte die Gruppe ‚Drums of Chaos‘, die sich jetzt ‚Drums off Chaos‘ nennt. Die Trommler Frank Köllges, Jaki Liebezeit, Rainer Linke […] betonten zunächst die Gegenstandsgeräusche der Trommeln selbst. Mit zunehmender Dichte und wachsender rhythmischer Schwingung erzielten die Trommler schließlich das, was man Klangskulpturen nennen könnte.“

Begleitheft

Die digitalisierte Fassung des kleinen Katalogs ist in Teil 2 des Beitrags zugänglich.

Angaben zum Beitragsbild: Plakat des Aktionsabends (1992). Foto: Till Bödeker.

Zitierweise

Peter Tepe (2024): 35 Jahre Verbindungen zwischen Wissenschaft und Kunst: Aktionsabend 1992, Teil 1. w/k - Zwischen Wissenschaft & Kunst. https://doi.org/10.55597/d19368

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